BT-Drucksache 17/8743

zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin Finanzhilfen für Griechenland und Europäischer Rat am 1./2. März 2012 in Brüssel

Vom 27. Februar 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8743
17. Wahlperiode 27. 02. 2012

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Sahra Wagenknecht, Dr. Diether Dehm, Sevim Dag˘delen,
Werner Dreibus, Nicole Gohlke, Michael Schlecht, Johanna Voß und der
Fraktion DIE LINKE.

zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin

Finanzhilfen für Griechenland und Europäischer Rat am 1./2. März 2012 in Brüssel

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Der Deutsche Bundestag lehnt das sogenannte zweite Hilfspaket für Griechen-
land ab. Die von der Eurogruppe am 20. Februar 2012 beschlossenen „Kredit-
hilfen“ für Griechenland in Höhe von 130 Mrd. Euro werden eine Staatspleite
längerfristig nicht abwenden. Der Grund: Die griechische Wirtschaft wird
kaputtgespart, der Sozialstaat zerstört, die Demokratie ausgehebelt und das
Land so immer tiefer in die Schuldenfalle getrieben.

2. Die bisherige Strategie der Bundesregierung ist komplett gescheitert. Seit
Verabschiedung des ersten „Hilfspakets“ für Griechenland im Mai 2010 sind
die Schulden des Landes um über 50 Mrd. Euro gestiegen, die Schulden-
quote ist seither von 130 auf 170 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP)
hochgeschnellt.

3. Die angebliche Hilfe für Griechenland war bisher in Wirklichkeit ein Ret-
tungspaket für die Banken. Von den 73 Mrd. Euro, die seit Mai 2010 aus dem
ersten Hilfspaket an Griechenland ausgezahlt worden sind, flossen seitdem
rund 70 Mrd. Euro durch Zins- und Tilgungszahlungen direkt in die Hände
von Banken und privater Gläubiger. Zusätzlich kaufte die Europäische
Zentralbank (EZB) und einige nationale Notenbanken den Banken und pri-
vaten Gläubigern Anleihen im Wert von ca. 70 Mrd. Euro ab. Auf diese
Weise konnten sich Banken, Versicherungen, Hedgefonds und Besitzer gro-
ßer Vermögen bereits zu einem großen Teil aus der Verantwortung ziehen,
während gleichzeitig den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern in der Euro-
zone immer höhere Risiken aufgebürdet wurden.

4. Um das erste sogenannte Hilfspaket in Höhe von 110 Mrd. Euro zu erhalten,

musste sich Griechenland einem unverantwortlichen Kürzungsprogramm
unterwerfen, das in Europa bislang ohne Beispiel ist. Die Kürzungen hatten
in 2010 und 2011 einen Umfang von 35 Mrd. Euro. Das waren 15 Prozent
der gesamten Wirtschaftsleistung. Durch die Kürzungen ist die griechische
Wirtschaft in den letzten zwei Jahren um 11 Prozent geschrumpft, die Inves-
titionen sind um fast 50 Prozent eingebrochen. Die offizielle Arbeitslosen-
rate hat sich in den letzten zwei Jahren von 9,5 Prozent auf 21 Prozent mehr

Drucksache 17/8743 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

als verdoppelt, die Jugendarbeitslosigkeit ist auf 50 Prozent hochgeschnellt.
Die Obdachlosigkeit in Athen stieg nach Angaben des Bürgermeisters
Giorgos Kaminis im letzten Jahr um 20 Prozent und die Anzahl der Men-
schen, die auf Suppenküchen angewiesen sind, nahm um 15 Prozent zu.

5. Das sogenannte zweite Hilfspaket für Griechenland setzt diese Politik mit
katastrophalen Folgen für die Bevölkerung fort. Die Bundesregierung und
die sogenannte Troika bestehend aus der Kommission der Europäischen
Union, der EZB und dem Internationalem Währungsfonds (IWF) diktieren
Griechenland immer neue Sozial-, Renten-, Lohn- und Mindestlohnkürzun-
gen. Zum Beispiel soll der Mindestlohn in der Privatwirtschaft um 22 Prozent
verringert werden, bei jungen Beschäftigten unter 25 Jahren soll der Mindest-
lohn gar um 32 Prozent gesenkt werden. Über drastische Rentenkürzungen
sollen allein in den nächsten drei Jahren 14 Mrd. Euro eingespart werden. Ob-
wohl der Anteil der öffentlich Beschäftigten in Griechenland schon jetzt sehr
niedrig ist, sollen bis 2015 weitere 150 000 Arbeitsplätze im öffentlichen
Dienst vernichtet werden. An der diktierten Privatisierung von Wasserbetrie-
ben, Seehäfen, Autobahnen, Flughäfen, Energieversorgung und Immobilien
wird festgehalten. Die Situation der Bevölkerung wird durch diese Maß-
nahmen permanent verschlimmert, die griechische Wirtschaft zerstört.

6. Die „Hilfspakete“ für Griechenland sind ein Anschlag auf die Demokratie.
Die harten Kürzungsmaßnahmen werden gegen den Willen und Widerstand
der griechischen Bevölkerung durchgepeitscht. Durch detaillierte Politik-
vorgaben, Überwachungsmechanismen und die Einrichtung eines Sperr-
kontos wird Griechenland die Souveränität in zentralen Bereichen entzogen.

7. Die freiwillige Gläubigerbeteiligung in Form eines Schuldenschnitts von
53,5 Prozent ist unzureichend. In vergleichbaren Fällen, wie z. B. Argenti-
nien, mussten die Gläubiger auf deutlich höhere Anteile ihrer Forderungen
verzichten. Um die Gläubigerbeteiligung noch attraktiver zu machen, wer-
den 30 Mrd. Euro aus dem „Hilfspaket“ dafür eingesetzt, um den Banken
und privaten Gläubigern kurzfristige Schuldscheine auszuhändigen, die sie
in kurzer Zeit bei der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF)
einlösen können. Weitere 5,5 Mrd. Euro werden dazu verwendet, um Zins-
forderungen der Banken und privaten Gläubiger in voller Höhe bis zum Ab-
wicklungstermin des Tauschgeschäfts auszuzahlen. Hinzu kommen höhere
Schulden für den griechischen Staat durch die notwendige Rekapitalisierung
der griechischen Banken in Höhe von erwarteten 50 Mrd. Euro. Die griechi-
schen Schulden steigen ebenfalls durch die Absicherung der EZB in Höhe
von 35 Mrd. Euro. Insgesamt steht eine Erhöhung der griechischen Schulden
durch die freiwillige Gläubigerbeteiligung von zusammen 90,5 Mrd. Euro,
einer Entlastung von 107 Mrd. Euro gegenüber. Aufgrund des erwarteten
Haushaltsdefizits und erneuten starken Rückgangs der Wirtschaftsleistung
wird der Anteil der griechischen Staatsschulden an der Wirtschaftsleistung
trotz Gläubigerbeteiligung in 2012 nicht sinken. Ein Rückgang der Staats-
schuldenquote auf 120 Prozent der Wirtschaftsleistung in den folgenden
Jahren bis 2020 ist wegen des Teufelskreises aus Kürzungen, Rezession und
fortgesetzten Staatsdefiziten praktisch ausgeschlossen. Schon jetzt ist abseh-
bar, dass Griechenland früher oder später einen weiteren und noch größeren
Schuldenschnitt braucht, der dann fast ausschließlich die Steuerzahlerinnen
und Steuerzahler treffen wird.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. der Vereinbarung über die Gewährung von Finanzhilfen der EFSF an
Griechenland in Form von Darlehen von bis zu 189,4 Mrd. Euro (130 Mrd.
Euro neue Hilfen zuzüglich der weiteren nicht ausgeschöpften 24,4 Mrd. Euro

aus dem ersten Programm und einer Absicherung der EZB in Höhe von
35 Mrd. Euro) nicht zuzustimmen;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/8743

2. sich stattdessen dafür einzusetzen, dass die öffentlichen Haushalte der Euro-
zone von den Finanzmärkten abgeschirmt werden, indem eine öffentliche
Bank ohne Umweg über private Banken und ohne Zinsaufschlag den Staaten
Kredit einräumt und sich bei der EZB refinanziert;

3. sich für eine nachhaltige Entschuldung Griechenlands einzusetzen, indem
der Staat von 75 Prozent seiner gesamten Schulden befreit wird;

4. die privaten Großbanken in öffentliche Hand zu überführen, strikt zu regulie-
ren und zu verkleinern;

5. sich für ein sofortiges Ende der krisenverschärfenden Kürzungspolitik, für
eine einmalige EU-weite Vermögensabgabe zur Krisenfinanzierung und eine
europaweite Millionärssteuer einzusetzen;

6. schnellstmöglich geeignete Maßnahmen (wie z. B. einen gesetzlichen Mindest-
lohn von 10 Euro) zur Steigerung der deutschen Binnennachfrage zu ver-
abschieden, um dadurch einen Beitrag zum Abbau des Handelsbilanzungleich-
gewichts zu leisten.

Berlin, den 27. Februar 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Das bisherige Krisenmanagement hat Banken und private Gläubiger gerettet
und die Situation in Griechenland verschlimmert. Ohne das beispiellose Voll-
pumpen der Banken durch die EZB hätte die Krise längst auch Kernländer der
Eurozone wie Italien, Spanien oder Frankreich erfasst und in einen Teufelskreis
aus steigenden Zinsen und sinkender Kreditwürdigkeit getrieben. Die Banken
leiten die günstigen Kredite der EZB in gigantischer Höhe aber nur zu einem
kleinen Teil an die Staaten oder den Unternehmenssektor weiter. Der größere
Teil wird wieder bei der EZB angelegt oder fließt in spekulative Geschäfte.
Damit erhöhen sich die Profite der Banken und die Gefahr weiter steigender
Rohstoff- und Nahrungsmittelpreise steigt.

Statt so die Bankenprofite zu subventionieren, sollte die EZB die Staatshaus-
halte unter Einschaltung einer öffentlichen Bank finanzieren. Dies würde der
Spekulation gegen einzelne Eurostaaten ein Ende bereiten und die Zinsen für die
öffentliche Hand deutlich senken, da die Zinsmarge für die privaten Banken
entfallen würde. Die Abkopplung der Staatsfinanzierung von den Finanzmärkten
macht einen harten Schuldenschnitt möglich, ohne dass die Eurokrise eskaliert
und Staaten wie Portugal, Irland oder Spanien unter Druck geraten. Im Fall
Griechenlands muss der Staat so von 75 Prozent seiner Schulden befreit werden.
Durch die gesunkenen Zinskosten kann das staatliche Defizit Griechenlands
damit sofort und ohne weitere Kürzungen auf deutlich unter 3 Prozent der Wirt-
schaftsleistung gesenkt werden.

Die Folgen eines harten Schuldenschnitts für Griechenland müssen berücksich-
tigt werden. Einige europäische Banken müssten rekapitalisiert werden. Diese
Maßnahmen sollten dazu genutzt werden, die privaten Großbanken dauerhaft in
die öffentliche Hand zu überführen und streng zu regulieren. Nur so kann ge-
währleistet werden, dass die Banken ihre Kreditpolitik künftig am Gemeinwohl
ausrichten und Kapital in sinnvolle Investitionsprojekte leiten, statt sich auf der

Suche nach immer höheren Renditen auf den Finanzmärkten zu verspekulieren.
Die Stabilität der Finanzmärkte ist ein öffentliches Gut. Eine funktionierende

Drucksache 17/8743 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
Kreditversorgung und sichere Spareinlagen müssen daher durch den Staat ge-
währleistet werden.

Um zu vermeiden, dass durch die Kosten für die Rekapitalisierung, die Ver-
kleinerung und öffentlich-rechtliche Umgestaltung der Banken die Bevölkerung
belastet wird, soll eine europäische Vermögensabgabe für Millionäre eingeführt
werden. Das ist ein Beitrag, um die Steuerungerechtigkeit der letzten Jahre zu
korrigieren. Durch unzählige Steuergeschenke, riskante Spekulationsgeschäfte
auf den Finanzmärkten und steuerfinanzierten Bankenrettungspakete wurden
die Reichen immer reicher. Allein das Geldvermögen der europäischen Millio-
näre und Multimillionäre beläuft sich inzwischen auf 10 Bio. US-Dollar. Nimmt
man andere Vermögenswerte hinzu, dürfte das Vermögen dieser Superreichen
deutlich höher sein als die Staatsverschuldung in der gesamten EU, die sich auf
10 Bio. Euro summiert. Eine Vermögensabgabe für Millionäre wäre deshalb
vom Aufkommen in der Lage, neben den Kosten für die Rekapitalisierung der
Banken auch noch den Schuldenstand der öffentlichen Haushalte deutlich zu
senken.

Neben der einmaligen Abgabe sind eine europaweite Millionärssteuer, eine
Finanztransaktionssteuer sowie eine sozial gerechte Steuerreform notwendig,
um ein europaweites Investitionsprogramm zu finanzieren.

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