BT-Drucksache 17/8629

Zum Konflikt in Syrien

Vom 8. Februar 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8629
17. Wahlperiode 08. 02. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Günter Gloser, Dietmar Nietan, Edelgard Bulmahn,
Dr. h. c. Gernot Erler, Petra Ernstberger, Dagmar Freitag, Iris Gleicke, Kerstin
Griese, Hans-Ulrich Klose, Ute Kumpf, Dr. Rolf Mützenich, Thomas Oppermann,
Johannes Pflug, Stefan Rebmann, Franz Thönnes, Heidemarie Wieczorek-Zeul,
Uta Zapf, Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Zum Konflikt in Syrien

Seit Februar 2011 protestieren zehntausende syrische Bürgerinnen und Bürger
gegen das autokratische Regime von Präsident Dr. Baschâr al-Assad. Sie verlan-
gen die Einlösung lang versprochener politischer Reformen und mehr demokra-
tische Rechte im Land. Das Regime reagierte jedoch auf die friedlichen Proteste
von Anfang an mit repressiven Maßnahmen und militärischer Gewaltanwen-
dung. Der Bericht der Untersuchungskommission des VN-Menschenrechtsrats
zur Menschenrechtslage in Syrien vom 23. November 2011 wirft dem syrischen
Regime zahlreiche schwere Menschenrechtsverletzungen vor. In einer am
2. Dezember 2011 mit großer Mehrheit beschlossenen Resolution kritisierte der
VN-Menschenrechtsrat den Einsatz von Gewalt gegen die Protestbewegung in
Syrien und verurteilte die „weitverbreitete, systematische und unverhüllte
Verletzung“ der Menschenrechte und Grundfreiheiten durch die Regierung in
Damaskus. Deserteure der Armee berichten von Schießbefehlen gegen unbe-
waffnete Demonstranten. Verletzte und in Krankenhäuser eingelieferte Demons-
tranten wurden gezielt getötet. Seit Beginn der Proteste gegen Dr. Baschâr al-
Assad sind nach Schätzungen der Vereinten Nationen schon mehr als 5 500
Menschen getötet worden. Neben den Todesopfern wurden bereits zehntausende
Regimegegner verletzt und zum Teil willkürlich verhaftet. Gefangene werden
dabei häufig der Folter unterzogen. Tötung, Gefangennahme, physische wie
psychische Folter und sexuelle Gewalt machen dabei auch vor Kindern nicht
halt. Nach Einschätzung der EU-Außenminister hat die brutale Unterdrückung
ein Ausmaß erreicht, bei dem womöglich von Verbrechen gegen die Mensch-
lichkeit gesprochen werden muss. Die anhaltenden Unruhen führten inzwischen
zu massiven Flüchtlingsströmen in die umliegenden Staaten und darüber hinaus.

Bislang ist keine politische Lösung zur Beendigung dieses andauernden Kon-
fliktes zwischen Regierung und Opposition in Syrien in Sicht. Obwohl in
Syrien seit fast einem Jahr kein Tag ohne Gewalt und Blutvergießen vergeht, ist
der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen bislang nicht aktiv geworden. Russ-

land und auch China verhinderten bisher sowohl eine Verurteilung des Assad-
Regimes als auch mögliche Sanktionen. Am 3. Februar 2012 scheiterte der
dritte Versuch einer Resolution zur Syrien-Krise allein am Veto Russlands und
Chinas. Sie war durch die Arabischen Liga initiiert und von den EU-Ländern
im Sicherheitsrat miteingebracht worden.

Drucksache 17/8629 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Da eine Entscheidung über Sanktionen durch den VN-Sicherheitsrat blockiert
war, haben die EU, die USA und weitere Staaten im letzten Jahr eigene Sank-
tionen gegen das Regime in Syrien beschlossen. Gegen zahlreiche syrische Ein-
zelpersonen, Unternehmen und Institutionen wurden von der EU Einreisever-
bote, Vermögenssperren und ein Waffenembargo verhängt; zudem wurde Ende
September 2011 ein Verbot von Investitionen in die syrische Ölindustrie
beschlossen. Diese Sanktionen wurden zuletzt am 23. Januar 2012 nochmals
verschärft.

Nachdem die Arabische Liga wegen der Fortsetzung der brutalen Repression
des Regimes die Mitgliedschaft Syriens suspendiert hat und eine von ihr ent-
sandte Beobachtermission das Regime zu keiner Änderung des Verhaltens ver-
anlasste, fordert sie jetzt den syrischen Präsidenten Dr. Baschâr al-Assad erst-
mals unmissverständlich zum Rücktritt auf.

Die Situation in Syrien droht immer mehr zu eskalieren und in einen Bürger-
krieg auszuufern. Die strategische Rolle Syriens in der Nahostregion ist für die
Sicherheitsarchitektur der Region von zentraler Bedeutung. Umso besorgnis-
erregender ist es, dass das Regime unter Präsident Dr. Baschâr al-Assad weiter-
hin keine Anstrengungen zur Lösung der innenpolitischen Krise zeigt und das
Land damit immer stärker in eine internationale Isolation treibt. Ein Bürger-
krieg stellt auch eine Gefahr für die Sicherheit der gesamten Nahostregion dar,
die nicht ohne Auswirkungen auf die Europäische Union bliebe. Daher sind alle
Möglichkeiten der Kriseneindämmung durch die Bundesregierung zu prüfen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie beurteilt die Bundesregierung die Entwicklung in Syrien seit den ersten
Ausbrüchen von Gewalt gegen Demonstranten?

2. Teilt sie die Befürchtung vieler Beobachter, dass Syrien bei einer Fortset-
zung der gewaltsamen Auseinandersetzungen an der Schwelle eines Bürger-
krieges steht?

3. Welches sind nach Erkenntnissen der Bundesregierung die politisch relevan-
ten Oppositionsgruppen innerhalb und außerhalb Syriens?

a) Wie schätzt die Bundesregierung deren Verhältnis untereinander ein?

b) Wie beurteilt die Bundesregierung die Handlungsfähigkeit der verschie-
denen Oppositionsgruppen, zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele, den
nötigen Druck gegen das syrische Regime auszuüben?

c) Über welchen Rückhalt verfügt die Opposition bei der syrischen Bevöl-
kerung?

d) Welche Rolle spielt die Freie Syrische Armee?

4. Unterstützt die Bundesregierung die verschiedenen Gruppierungen der syri-
schen Opposition, und, wenn ja, auf welche Weise?

5. Welche Kontakte unterhält die Bundesregierung zum syrischen Nationalrat?

a) Ist beabsichtigt, diese auf eine regelmäßige Basis zu stellen?

b) Wovon macht die Bundesregierung eine mögliche Anerkennung abhän-
gig?

c) Welche Rolle kann der syrische Nationalrat in der von der Arabischen
Liga geforderten Regierung nationaler Einheit spielen?

6. Welche Maßnahmen zum Auf- und Ausbau von Kommunikationskanälen zu
breiten Teilen der syrischen Opposition ergreift die Bundesregierung, um ein

möglichst genaues Bild der Lage in Syrien zu erhalten?

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7. Wie bewertet die Bundesregierung den bisherigen Verlauf und den vorläu-
figen Abbruch der Beobachtermission der Arabischen Liga in Syrien?

8. Welche Möglichkeiten zur Unterstützung nicht von der syrischen Regie-
rung kontrollierter humanitärer Maßnahmen sieht die Bundesregierung?

a) In welchem Umfang hat die Bundesregierung bisher finanzielle, medizi-
nische und andere Mittel und Ressourcen für humanitäre Hilfe in Syrien
und in den Nachbarländern bereitgestellt?

b) Welchen Bedarf an humanitärer Hilfe und medizinischer Versorgung
sieht die Bundesregierung angesichts der steigenden Zahlen von Flücht-
lingen und Verletzten?

9. Hält die Bundesregierung die von der EU verhängten Sanktionen gegen
Syrien gegenwärtig für ausreichend, um einen Kurswechsel bei der syri-
schen Regierung zu bewirken?

a) Welche Staaten haben über die EU, die USA und die Türkei hinaus
Sanktionen gegen Syrien verhängt?

b) Welche politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wirkungen
der Sanktionen lassen sich nach Erkenntnissen der Bundesregierung bis-
her beobachten?

10. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über das wirtschaftliche
Engagement Russlands und weiterer Staaten in den vergangenen Jahren in
Syrien?

11. Welche deutschen und europäischen Firmen sind nach Erkenntnissen der
Bundesregierung in Syrien wirtschaftlich derzeit in nennenswertem Maße
engagiert?

12. Was unternimmt die Bundesregierung, um die Einhaltung der von der EU
verhängten Sanktionen zu überwachen?

13. Welche Erkenntnisse hat die Bunderegierung über Waffenexporte aus
Russland, China, Iran, Irak und weiteren Ländern nach Syrien?

14. Inwiefern und auf welcher politischen Ebene nutzt die Bundesregierung die
guten bilateralen Beziehungen Deutschlands zu Russland, um Russland in
Bezug auf Syrien zu einer konstruktiven Zusammenarbeit mit der EU und
den Vereinten Nationen zu bewegen und russische Waffenexporte nach
Syrien einzustellen?

15. Inwiefern und auf welcher politischen Ebene nutzt die Bundesregierung die
guten Beziehungen Deutschlands zur Türkei, um die Türkei als wichtigen
Partner für eine friedliche Lösung der Situation in Syrien einzubinden?

16. Was unternimmt die Bundesregierung, um zivilgesellschaftliche Gruppen,
die sich für ein demokratisches Syrien einsetzen, im In- und Ausland stär-
ker miteinander zu vernetzen?

17. Welche Anknüpfungsmöglichkeiten für bilaterale oder multilaterale Ge-
spräche mit der syrischen Regierung sieht die Bundesregierung gegenwär-
tig noch vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die syrische Regierung
bisher alle Forderungen sowohl der Opposition wie auch der EU und ande-
rer Länder nach einem sofortigen Ende der Gewalt, nach substantiellen
Reformen und nach Bildung einer Einheitsregierung zurückgewiesen hat?

18. Ist die Bundesregierung bereit, ihre bisherige Politik gegenüber Flücht-
lingen aus Syrien zu ändern?

a) Beabsichtigt die Bundesregierung, das Rücknahmeabkommen mit Syrien

nicht nur praktisch auszusetzen, sondern auch zu kündigen?

Drucksache 17/8629 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
b) Was unternimmt die Bundesregierung, um eine Ausweisung von syri-
schen Flüchtlingen in den Herkunftsstaat über Drittstaaten wie z. B. Un-
garn zu verhindern?

c) Wann wurde zuletzt ein syrischer Staatsbürger bzw. eine syrische Staats-
bürgerin nach Syrien abgeschoben?

19. Wie schätzt die Bundesregierung die möglichen Auswirkungen einer
bewaffneten Auseinandersetzung oder eines Bürgerkrieges in Syrien für
die Region im Allgemeinen und den Einsatz der UNO-Mission UNIFIL
(Interimstruppe der Vereinten Nationen in Libanon) im Besonderen ein?

Berlin, den 8. Februar 2012

Dr. Frank Walter Steinmeier und Fraktion

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