BT-Drucksache 17/8573

Forschung für die zivile Sicherheit

Vom 7. Februar 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8573
17. Wahlperiode 07. 02. 2012

Antrag
der Abgeordneten Florian Hahn, Albert Rupprecht (Weiden), Michael Kretschmer,
Peter Altmaier, Dr. Thomas Feist, Eberhard Gienger, Monika Grütters,
Anette Hübinger, Dr. Stefan Kaufmann, Ewa Klamt, Axel Knoerig, Stefan Müller
(Erlangen), Dr. Philipp Murmann, Tankred Schipanski, Uwe Schummer,
Marcus Weinberg (Hamburg), Volker Kauder, Gerda Hasselfeldt
und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Dr. Martin Neumann (Lausitz), Patrick Meinhardt,
Dr. Peter Röhlinger, Sylvia Canel, Heiner Kamp, Rainer Brüderle
und der Fraktion der FDP

Forschung für die zivile Sicherheit

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die programmatische und systematische Förderung der Forschung für die
zivile Sicherheit ist sowohl durch die EU als auch national noch relativ jung.

Die reale Gefahr durch terroristische Anschläge im öffentlichen Raum, wie
etwa die verhinderten Kofferbombenattentate auf Züge der Deutschen Bahn
AG, sich schnell ausbreitende Infektionserkrankungen (BSE, EHEC), unvor-
hergesehene Verläufe von Großereignissen (Love-Parade in Duisburg) oder die
Anfälligkeit sicherheitsrelevanter (IT-)Infrastrukturen (gehackte Nutzerdaten
bei Unternehmen oder sozialen Netzen), haben Fragen der zivilen Sicherheit in
den letzten Jahren immer mehr in den Fokus des öffentlichen Bewusstseins ge-
rückt. Die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger sowie den Schutz kritischer
Infrastrukturen auch durch systematische Forschungsaktivitäten zu erhöhen
und dabei die Freiheit des Bürgers unseres Landes und seine Sicherheit zu ge-
währleisten, ist daher ein expliziter Auftrag an die Forschungspolitik.

Auf europäischer Ebene wurde das Thema Sicherheitsforschung im 7. For-
schungsrahmenprogramm der EU 2007 erstmals als eigener prioritärer The-
menschwerpunkt aufgenommen. Ein sicheres Europa ist die Grundvoraus-
setzung für die Lebensplanung der Menschen. Das laufende EU-Sicherheitsfor-
schungsprogramm ist eine Querschnittsaktivität und trägt somit auch zu an-
deren Politikbereichen wie Transport, Gesundheit, Energieversorgung und
Umweltschutz bei. Insgesamt wurden und werden für den Bereich Sicherheits-

forschung von der EU von 2007 bis 2013 ca. 1,3 Mrd. Euro zur Verfügung
gestellt.

Der Kommissionsvorschlag für das nächste Forschungsrahmenprogramm der
EU „Horizon 2020“ vom 30. November 2011 definiert für die Forschungs-
förderung von 2014 bis 2020 u. a. den Forschungsschwerpunkt „sichere Gesell-
schaft“.

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In Deutschland wurde zu Beginn des Jahres 2007 das Programm „Forschung
für die zivile Sicherheit“ als Umsetzung eines Schwerpunktes im Rahmen der
Hightech-Strategie der Bundesregierung durch das Bundesministerium für Bil-
dung und Forschung aufgelegt. Das Programm lief bis zum 31. Dezember
2011. Seitdem wurden insgesamt mehr als 110 Verbundvorhaben bewilligt, an
denen rund 600 Teilvorhaben beteiligt sind. Das Sicherheitsforschungspro-
gramm verknüpfte dabei Geistes- und Sozialwissenschaften mit den Natur- und
Technikdisziplinen, die gemeinsam innovative Sicherheitslösungen erarbeiten.

Dafür hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung in der ersten För-
derperiode bis zum Jahr 2011 Haushaltsmittel im Umfang von mehr als
240 Mio. Euro zur Verfügung gestellt. Zusätzlich hat die Industrie rund 68 Mio.
Euro an Eigenmitteln in die Projekte investiert.

Die Förderstrukturen des Sicherheitsforschungsprogramms konzentrierten sich
im Wesentlichen auf zwei Programmlinien:

● Programmlinie 1 umfasst die „Szenarienorientierte Sicherheitsforschung“.
In dieser Programmlinie wird die Forschung auf Lösungen für komplexe Si-
cherheitsszenarien, wie etwa Schutz und Rettung von Menschen, Schutz von
Verkehrsinfrastrukturen, Schutz vor Ausfall von Versorgungsinfrastrukturen
sowie Sicherung der Warenketten fokussiert.

● Programmlinie 2 zielt auf die Erforschung von „Querschnittstechnologien“
ab, die in vielen Szenarien benötigt werden. Dazu zählen etwa Technologien
zur raschen und mobilen Erkennung von Gefahrstoffen, zur Einsatzertüchti-
gung von Sicherheits- und Rettungskräften, zur Mustererkennung und zur
schnellen und sicheren Personenidentifikation.

Die einzelnen Projekte wurden innerhalb von zwölf Bekanntmachungen geför-
dert:

● Detektion von CBRNE-Gefahrstoffen,

● Sicherheit von Verkehrsinfrastrukturen,

● Schutz und Rettung von Menschen,

● integrierte Schutzsysteme,

● Sicherung von Warenketten,

● Schutz vor Ausfall von Versorgungsinfrastrukturen,

● Mustererkennung,

● Biometrie,

● gesellschaftliche Dimensionen der Sicherheitsforschung,

● Sicherheitsökonomie und Sicherheitsarchitektur,

● Sicherung der Lebensmittel und Lebensmittelwarenketten,

● Sicherheit im Luftverkehr.

Mit der ersten Programmphase des Sicherheitsforschungsprogramms hat der
Bund 2007 insoweit in der zivilen Sicherheitsforschung Neuland betreten als er:

● erstmals das Thema „Forschung für die zivile Sicherheit“ systematisch und
programmatisch adressiert hat,

● nicht nur einen technologieorientierten, sondern ein explizit szenarienorien-
tierten Ansatz verfolgt hat,

● strategische bilaterale Ausschreibungen mit wichtigen Partnern, wie den
USA, Frankreich und Israel, gezielt integriert hat und

● die Endnutzer systematisch in die Forschungsverbünde und -projekte einge-

bunden hat.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/8573

Die enge Verzahnung mit dem europäischen Sicherheitsforschungsprogramm
und den entsprechenden Politikbereichen untermauerte die starke Rolle
Deutschlands, die Forschungspolitik der EU an den Leitgedanken der jeweili-
gen Politikfelder zu orientieren.

Wesentlich für die nationale Programmphase war auch die intensive disziplin-
übergreifende Zusammenarbeit in den Verbundprojekten. Sicherheit ist nicht
allein mit Technologien erreichbar, sie hängt immer auch vom Handeln der
Menschen ab. Das Sicherheitsforschungsprogramm ist deshalb kein reines
Technologieprogramm und fördert nicht nur die Entwicklung technischer Neu-
erungen, sondern ausdrücklich auch innovative organisatorische Konzepte und
Handlungsstrategien. Interdisziplinäre Projekte mit Beteiligung der Geistes-
und Sozialwissenschaften, Wissenstransfer in die Öffentlichkeit, Begleitfor-
schung zu kritischen Fragen und Transparenz sind integrale Bestandteile und
werden von allen Akteuren als wesentliche Voraussetzung für den Erfolg des
Sicherheitsforschungsprogramms angesehen.

Die Erfahrungen mit der ersten Programmphase des Sicherheitsforschungspro-
gramms haben gezeigt, dass die Unternehmenslandschaft in Deutschland in
diesem Bereich weitgehend mittelständisch geprägt ist. 43 Prozent aller Pro-
jektpartner sind Unternehmen und 60,8 Prozent aller Unternehmen sind klei-
nere und mittlere Unternehmen (KMU). Der Anteil der KMU bezogen auf alle
Projektpartner, liegt bei rund 26 Prozent. Diese bereits hervorragende Quote
gilt es mit Blick auf die Struktur der einschlägigen Unternehmen in Deutsch-
land weiter zu stärken. Hierbei sollte im Rahmen der Vorstellung und Verbrei-
tung der zweiten Programmphase besonders um hervorragende Anträge unter
Beteiligung mittelständischer Unternehmen, die sich erstmals um eine einschlä-
gige Förderung bemühen, geworben werden.

Daneben hat sich die unmittelbare Einbindung der Endnutzer als zentral für den
Transfer der Forschungsergebnisse in die Anwendung erwiesen. In rund
75 Prozent der Verbünde arbeiten Endnutzer (Behörden, öffentliche Einrich-
tungen, aber auch Wirtschaftsunternehmen, wie die Deutsche Bahn AG, Reede-
reien, Energieversorger, Flughafenbetreiber usw.) als direkte Projektpartner
mit. In etwa 35 Prozent aller Verbünde sind Endnutzer als assoziierte Partner
beteiligt. Rund 12 Prozent aller Zuwendungen gehen an Endnutzer.

44 Bundesbehörden werden mit einer Gesamtfördersumme von 22,5 Mio. Euro
gefördert. 8 Mio. Euro gehen an Ersthelfer, wie Polizei, Feuerwehr, Techni-
sches Hilfswerk etc. Bei der Neuauflage gilt es, die Beteiligung der Endnutzer
und Ersthelfer als Projektpartner mit eigenen Forschungsanteilen weiter zu
stärken.

Zentral für die große Resonanz und wachsende Vernetzung der Akteure durch
die erste Programmphase war letztlich die explizite Verbindung wissenschaft-
licher Exzellenz als maßgebliches Kriterium für die Projektauswahl mit den
Belangen der Anwender bzw. Endnutzer.

Rund 50 Mio. Euro (ca. 20 Prozent der Gesamtfördersumme) werden schließ-
lich für Begleitvorhaben bzw. Begleitforschung verwendet. Das bedeutet, diese
Förderung geht an Gesellschaftswissenschaftler, Juristen, Datenschützer, So-
ziologen oder Psychologen, die in den Projekten die technischen Forschungsar-
beiten begleiten oder in separaten Vorhaben ethische, datenschutzrechtliche
oder andere gesellschaftliche Fragestellungen bearbeiten. Die wachsende Be-
deutung, diese Fragestellungen bereits bei sich abzeichnenden technologischen
Entwicklungen zu adressieren, hat etwa bei der Entscheidung darüber, dass sich
an dem europäischen Forschungsprojekt INDECT wegen der erheblichen da-
tenschutzrechtlichen Bedenken keine deutsche Behörde beteiligt, eine beson-
dere Rolle gespielt. Diesen Forschungsbereich gilt es daher, systematisch und

möglichst früh begleitend zu technologischen Entwicklungen zu stärken.

Drucksache 17/8573 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Im Rahmen der Neuauflage der ersten Hightech-Strategie der Bundesregierung,
der „Hightech-Strategie 2020 für Deutschland“ ist „Sicherheit“ eines von fünf
zentralen Bedarfsfeldern.

Auch die Schutzkommission des Bundesministeriums des Innern (BMI) be-
schäftigt sich in ihrem vierten Gefahrenbericht, der am 30. Mai 2011 veröffent-
licht wurde, besonders mit Themen und Fragestellungen der zivilen Sicher-
heitsforschung, der zukünftigen technologischen Entwicklung im Bereich des
Bevölkerungsschutzes und den sich daraus ergebenden Forschungsbedarfen.
Der Gefahrenbericht hebt dabei Forschungsthemen im Zusammenhang mit
dem gesundheitlichen Bevölkerungsschutz (z. B. der medizinischen oder psy-
chosozialen Versorgung) besonders hervor.

Vor diesem Hintergrund begrüßt der Deutsche Bundestag die geplanten
Schwerpunkte für die anstehende zweite Programmphase des nationalen Si-
cherheitsforschungsprogramms (2012 bis 2017):

● Entsprechend dem Leitmotiv „Sicherheit als Basis eines freien Lebens“ sol-
len mit dem Rahmenprogramm innovative Lösungen entwickelt werden. Er-
forscht werden sollen neue Ansätze für Sicherheitslösungen, um den Schutz
der Bevölkerung und der kritischen Infrastrukturen vor Bedrohungen durch
Terrorismus, Sabotage, organisierte Kriminalität und Piraterie, aber auch vor
den Folgen von Naturkatastrophen und technischen Großunfällen erhöhen
und einen Beitrag zum Schutz unserer Freiheit zu leisten. Die wesentlichen
Ziele sind:

1. die Erhöhung der zivilen Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger unter
Wahrung ihrer individuellen Freiheiten,

2. der Schutz lebenswichtiger Infrastrukturen für Verkehr, Kommunikation
und die Versorgung mit Waren und Gütern, Trinkwasser und Energie und

3. die Nutzung der wirtschaftlichen Chancen der zivilen Sicherheitsfor-
schung durch die Etablierung Deutschlands zu einem der führenden An-
bieter von Sicherheitstechnologien weltweit.

● Die thematischen Schwerpunkte sollen sein:

1. Gesellschaftliche Aspekte der zivilen Sicherheit,

2. urbane Sicherheit,

3. Sicherheit von Infrastrukturen und Wirtschaft,

4. Schutz und Rettung von Menschen,

5. Schutz vor Gefahrstoffen, Epidemien und Pandemien,

6. IT-Sicherheitsforschung.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. das deutsche Engagement im Bereich der europäischen und der internationa-
len Sicherheitsforschung weiter auszubauen,

2. die Forschungsanstrengungen auf dem Gebiet der zivilen Sicherheit unter
Beachtung der genannten Leitlinien und insbesondere in dem Bereich der
gesellschaftlichen Aspekte ziviler Sicherheit zu intensivieren und dabei die
Balance von Freiheit und Sicherheit zu wahren,

3. für die jetzt beginnende zweite Programmphase

a) die aktuellen Empfehlungen des Gefahrenberichtes der Schutzkommis-
sion des BMI vom 30. Mai 2011, des Berichtes des Technikfolgen-

abschätzungsbüros beim Deutschen Bundestag zum großräumigen und
langandauernden Ausfall der Stromversorgung vom 27. April 2011 sowie

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/8573

die Erfahrungen der länderübergreifenden Krisenmanagementübung
LÜKEX vom 30. November 2011 zu berücksichtigen;

b) bei der Auswahl der Projekte darauf zu achten, dass die Endnutzer noch
stärker als bisher als Projektpartner unmittelbar beteiligt sind und Mög-
lichkeiten des projektbezogenen vorübergehenden Personalaustausches
etwa zwischen öffentlichen Nutzern und öffentlichen Forschungseinrich-
tungen regelmäßig von den Beteiligten geprüft werden;

c) sich weiter zu bemühen, die Beteiligung kleiner und mittlerer Unterneh-
men über den erreichten Stand von 26 Prozent hinaus weiter auszubauen;

d) mit dem kontinuierlichen Auslaufen der Projekte der ersten Förderphase
einen begleitenden Evaluationsprozess zu starten;

e) dafür einzutreten, dass die weiteren nationalen Aktivitäten mit Blick auf
die geplanten Aktivitäten zur zivilen Sicherheitsforschung im Rahmen
von Horizon 2020, dem nächsten Forschungsrahmenprogramm der EU,
so gestaltet sind, dass eine bestmögliche Beteiligung deutscher Unterneh-
men und Forschungseinrichtungen erreicht und die exzellente Position
der deutschen zivilen Sicherheitsforschung in Europa weiter ausgebaut
werden kann;

f) sicherzustellen, dass auch während der Laufzeit des Programmes aktuelle
sicherheitsrelevante Themenfelder schnell durch Forschungsaktivitäten
adressiert werden können. Beispiele aus der Vergangenheit sind hier die
Massenpanik auf der Love-Parade in Duisburg oder der Amoklauf in
Winnenden;

4. auch im Rahmen der Umsetzung und Konzeption anderer sicherheitsbetrof-
fener Forschungsförderaktivitäten etwa in den Bereichen Mobilität, Energie,
Infrastruktur und Informationstechnologie darauf zu achten, dass der Aspekt
der Berücksichtigung der Sicherheit aller Systeme als integraler Bestandteil
der technologischen Forschungsaktivitäten von Anfang an („Security by De-
sign“), bereits bei der Konzeption entsprechender Projekte Berücksichti-
gung findet.

Berlin, den 7. Februar 2012

Volker Kauder, Gerda Hasselfeldt und Fraktion
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