BT-Drucksache 17/838

Zum Stellenwert des Vorsorgeprinzips beim Umgang mit nicht zugelassenen gentechnisch veränderten Konstrukten

Vom 25. Februar 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/838
17. Wahlperiode 25. 02. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Elvira Drobinski-Weiß, Dr. Wilhelm Priesmeier, Ulrich Kelber,
Petra Crone, Iris Gleicke, Ute Kumpf, Thomas Oppermann, Holger Ortel,
Heinz Paula, Michael Roth (Heringen), Kerstin Tack, Waltraud Wolff (Wolmirstedt),
Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Zum Stellenwert des Vorsorgeprinzips beim Umgang mit nicht zugelassenen
gentechnisch veränderten Konstrukten

Nach geltendem Recht dürfen in der Europäischen Union (EU) nicht zugelas-
sene gentechnisch veränderte Organismen (GVO) grundsätzlich nicht verwen-
det werden. Dabei handelt es sich um GVO, deren Sicherheit für Gesundheit und
Umwelt in der EU nicht überprüft worden ist oder bei denen diese Überprüfun-
gen noch nicht abgeschlossen sind. Für diese GVO gibt es keinen Schwellen-
wert, auch für Futtermittel gilt die sogenannte Nulltoleranz. Das entspricht dem
Vorsorgeprinzip, das den Schutz von Mensch, Tier und Umwelt gewährleistet.

Da in der EU und auch in Deutschland nicht ausreichend eiweißhaltige Futter-
pflanzen angebaut werden, importiert die Futtermittelindustrie vor allem gen-
technisch veränderte Soja und Sojaschrot aus den USA, Argentinien und Brasi-
lien in großen Mengen. Von Futtermittelindustrievertretern, von Teilen der
Lebensmittelindustrie und von Landwirtschaftsverbänden wie dem Deutschen
Bauernverband als Interessenvertreter der Anbieter und Anwender dieser GVO-
Futtermittel wird die Nulltoleranz-Regelung immer wieder in Frage gestellt.
Stattdessen wird gefordert, dass nicht zugelassene GVO in importierten Futter-
mitteln bis zu einem bestimmten Prozentsatz toleriert werden sollen. Argumen-
tiert wird damit, dass viele in den Exportländern zu Futterzwecken angebaute
GVO in der EU nicht zugelassen seien und in diesen Ländern eine Trennung
zwischen in der EU zugelassenen und nicht zugelassenen Sojasorten nicht ge-
währleistet werden könne. Da das Vorhandensein von nicht in der EU zugelas-
senen GVO im Futtermittel zur Zurückweisung der Lieferung führt, sei die aus-
reichende Versorgung mit eiweißhaltigen Futtermitteln gefährdet.

Nachforschungen und Antworten der Bundesregierung auf entsprechende An-
fragen in 2008 und 2009 haben aber ergeben, dass es in den letzten fünf Jahren
lediglich 53 Fälle von Futtermittelladungen gab, die mit nicht zugelassenen
GVO verunreinigt waren. Bezogen auf das Gesamtvolumen der in die EU
importierten Soja von 32 Millionen waren maximal 0,2 Prozent verunreinigt.

Ungefähr 90 Prozent der betroffenen Lieferungen stammten aus den USA. In
Ländern wie Argentinien und Brasilien scheint die Trennung der Warenströme
und Vermeidung von Verunreinigungen kaum Probleme zu bereiten.

Die Nulltoleranz für nicht zugelassene GVO hat sich als Vorsorgemaßnahme
zum Schutz von Mensch und Umwelt in der Praxis bewährt, ohne die Futter-
mittelversorgung zu gefährden. Dennoch haben die Regierungsfraktionen der
CDU, CSU und FDP Änderungen an der Regelung angekündigt.

Drucksache 17/838 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Änderungen plant die Bundesregierung hinsichtlich der Nulltole-
ranz-Regelung?

Soll mit der im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP verein-
barten Festlegung offizieller Probenahme- und Nachweismethoden ein
Toleranzwert für nicht zugelassene GVO eingeführt werden?

2. Sind entsprechende Änderungen auch für andere Bereiche, z. B. Lebens-
mittel vorgesehen?

3. Für welche GVO sollen die Änderungen gelten, bzw. welche Bedingungen
müssen diese hinsichtlich des Stands ihres Zulassungsverfahrens in der EU
und des Standards des Zulassungsverfahrens im jeweiligen Herkunftsland
erfüllen?

4. Wie wird sichergestellt, dass alle weltweit als Lebens- bzw. Futtermittel an-
gebauten und somit möglicherweise in einer Futtermittellieferung enthal-
tenen GVO bekannt sind und mit entsprechenden Testverfahren erkannt
werden können?

5. Wie sind die Änderungen mit der Einhaltung des Vorsorgeprinzips zu ver-
einbaren?

6. Wie wird die Gefahr eingeschätzt, dass Verbraucherinnen und Verbraucher
an der Sicherheit solcher GVO zweifeln, bzw. kann die Akzeptanz des EU-
Zulassungsverfahrens bei den Bürgerinnen und Bürgern darunter leiden,
wenn ein Toleranzwert für nicht nach diesem Verfahren zugelassene GVO
eingeführt wird?

7. Welche Belastungen könnten im Falle einer Verunreinigung in der Lebens-
mittelkette durch nicht zugelassene GVO aus Futtermitteln für die Lebens-
mittelbranche entstehen, und wie ist dies mit dem Koexistenzgedanken zu
vereinbaren?

8. Was geschieht, wenn sich ein bereits eingeführter nicht zugelassener GVO
als gesundheitlich bedenklich erweist?

Wie wird die Rückverfolgbarkeit gewährleistet, und wer haftet?

9. Welche Auswirkungen hat das Fehlen von Haftungsregelungen im inter-
nationalen Handel mit GVO?

Welche Vorschläge gibt es für das geplante Zusatzprotokoll zum Biosicher-
heits-Protokoll zur Regelung der Haftungsfragen, welches in diesem Jahr
verabschiedet werden soll?

10. Sind die Änderungen im Umgang mit nicht zugelassenen GVO gegebenen-
falls auch ohne entsprechende Überarbeitung der Nulltoleranz-Regelung
auf EU-Ebene als nationale Regelung geplant?

11. Ist ein nationaler Alleingang in Sachen Nulltoleranz mit dem EU-Recht ver-
einbar, und welche Notwendigkeit wird dafür gesehen?

12. Wie wird im Falle eines nationalen Alleingangs die Gefahr eines Image-
Schadens für Produkte aus Deutschland eingeschätzt?

13. Haben Verbraucherinnen und Verbraucher das Recht auf „Wahrheit und
Klarheit“ bei der Kennzeichnung bzw. zu erfahren, ob Produkte wie Milch,
Eier oder Fleisch von Tieren stammen, die mit gentechnisch veränderten
Pflanzen gefüttert wurden?

14. Wie werden Verbraucher beim Einkauf erkennen können, ob z. B. bei der
Erzeugung der Milch Futtermittel verwendet wurden, die Anteile nicht

zugelassener gentechnisch veränderter Pflanzen enthielten?

Ist eine Kennzeichnung geplant?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/838

15. Wie wird der Vorschlag des Deutschen Bauernverbandes bewertet, einen
Toleranzwert von 0,5 Prozent für nicht zugelassene GVO einzuführen?

16. Wie wird die Einschätzung des Deutschen Bauernverbandes beurteilt, dass
die Landwirte gern mehr Leguminosen anbauen würden, aber es fehle an
leistungsfähigen Sorten?

17. Wie soll der Anteil des eiweißhaltigen Futterpflanzenanbaus in Deutsch-
land und in der EU erhöht und mehr Unabhängigkeit vom internationalen
Futtermittelmarkt erreicht werden?

18. Welche Relevanz werden den Prognosen der im „Grainclub“ zusammenge-
schlossenen Verbände der Lebensmittel- und Futtermittelwirtschaft beige-
messen, nach denen im Falle des Festhaltens an der Nulltoleranz für nicht
zugelassene GV-Konstrukte zunächst von einem Verlust von 3,5 bis 5 Mrd.
Euro für den Zeitraum von Juni 2009 bis März 2010 die Rede war, und seit
kurzem von 200 bis 400 Mio. Euro Verlust für die Lebensmittel- und
Futtermittelindustrie ausgegangen wird?

Welche Kenntnisse liegen über die Grundlagen der Berechnungen vor?

Berlin, den 24. Februar 2010

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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