BT-Drucksache 17/8328

Stilllegung und Rückbau von Atomkraftwerken und Entsorgung radioaktiver Abfälle - Fragen zur Kostentragung und zu den Rückstellungen der Energieversorgungsunternehmen (Nachfrage zur Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage auf Bundestagsdrucksache 17/7777)

Vom 16. Januar 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8328
17. Wahlperiode 16. 01. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Cornelia Behm, Harald Ebner,
Hans-Josef Fell, Bettina Herlitzius, Bärbel Höhn, Stephan Kühn, Undine Kurth
(Quedlinburg), Nicole Maisch, Ingrid Nestle, Dr. Hermann E. Ott, Dorothea Steiner,
Dr. Valerie Wilms und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Stilllegung und Rückbau von Atomkraftwerken und Entsorgung
radioaktiver Abfälle – Fragen zur Kostentragung und zu den Rückstellungen
der Energieversorgungsunternehmen
(Nachfrage zur Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage auf
Bundestagsdrucksache 17/7777)

Aus der oben genannten Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage
„Stilllegung und Rückbau von Atomkraftwerken sowie Entsorgung der radio-
aktiven Abfälle – Fragen zur Kostentragung und zu den Rückstellungen der
Energieversorgungsunternehmen“ auf Bundestagsdrucksache 17/7777 haben
sich Nachfragen ergeben.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie kann nach Auffassung der Bundesregierung das Risiko vermindert wer-
den, dass die Muttergesellschaften der Betreibergesellschaften von Atomkraft-
werken (AKW) bestehende Gewinnabführungs- und Beherrschungsverträge
bzw. harte Patronatserklärungen zum jeweils frühestmöglichen Zeitpunkt
kündigen, so dass nach einer etwaigen Insolvenz einer AKW-Betreibergesell-
schaft die für Rückbau und Entsorgung erforderlichen Mittel nicht mehr von
der Muttergesellschaft gedeckt werden?

2. Was unternimmt oder plant die Bundesregierung, um den Abschluss von
Gewinnabführungs- und Beherrschungsverträgen oder harten Patronats-
erklärungen auch ab dem Auslaufen der verlängerten Solidarvereinbarung
zum 27. April 2022 und/oder dem Erlöschen der Betriebsgenehmigung
(soweit diese entsprechende Auflagen enthält) für den Zeitraum bis zum
vollständigen Rückbau der Anlagen und Abschluss der Einlagerung aller
Abfälle in die zu errichtenden Endlager zu gewährleisten?

3. Wie lange würde im Fall einer Kündigung bestehender Gewinnabführungs-
und Beherrschungsverträge bzw. harter Patronatserklärungen die von diesen

ausgehende Wirkung noch fortbestehen?

4. Aus welchem Grund werden die bereits vor 2011 stillgelegten AKW Mül-
heim-Kärlich, Stade und Obrigheim in den Anlagen 1 bis 3 zur Solidarver-
einbarung berücksichtigt, weitere stillgelegte AKW wie Würgassen, Lingen
und Gundremmingen A jedoch nicht?

Drucksache 17/8328 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

5. Bis zu welchem Zeitpunkt unterliegen die in den Anlagen 1 bis 3 der Soli-
darvereinbarung aufgeführten AKW auch nach Stilllegung noch der
Solidarvereinbarung und damit der Verpflichtung der Muttergesellschaft
zum Abschluss von Gewinnabführungs- und Beherrschungsverträgen bzw.
harten Patronatserklärungen?

6. Gibt es für die nicht in der Solidarvereinbarung aufgeführten AKW Wür-
gassen, Lingen und Gundremmingen A anderweitige Verpflichtungen
(z. B. aus Nachwirken von Betriebsgenehmigungen) oder Zusagen der
Muttergesellschaften zum Abschluss von Gewinnabführungs- und Beherr-
schungsverträgen bzw. harten Patronatserklärungen?

Wenn ja, bis zu welchem Zeitpunkt gelten diese nach derzeitigem Rechts-
stand, und wo und wie ist die Verpflichtung im Wortlaut formuliert?

Wenn nein, wie schätzt die Bundesregierung das Risiko ein, dass im Falle
von höheren Kosten für die einzurichtenden Endlager die Betreibergesell-
schaft diese in Ermangelung von Erträgen aus dem Stromverkauf nicht
mehr erbringen kann und die Muttergesellschaft keine Verpflichtung mehr
hat, für etwaige Mehrkosten aufzukommen?

7. Gilt die Verpflichtung zur Deckungsvorsorge auch für Schäden während
der Stilllegungs-, Rückbau- und Entsorgungsphasen?

Ist aus Sicht der Bundesregierung eine weitere Verlängerung der Solidar-
vereinbarung nach dem 27. April 2022

a) grundsätzlich sinnvoll und

b) durchsetzbar?

Welche Handhabe hat die Bundesregierung, um ggf. gegenüber den Mut-
tergesellschaften eine weitere Verlängerung durchzusetzen?

8. Wann genau und auf welcher rechtlichen Grundlage endet eine Betriebs-
genehmigung?

9. Haben die Atomaufsichtsbehörden der Länder die Möglichkeit, im Über-
gang von Betriebs- zu Stilllegungsgenehmigungen weiterhin an Auflagen
festzuhalten, die die Änderung oder die Beendigung von Gewinnabfüh-
rungs- und Beherrschungsverträgen von einer Zustimmung der zuständigen
atomrechtlichen Aufsichtsbehörde abhängig machen?

10. Gibt es unter den Atomaufsichtsbehörden ggf. in Zusammenarbeit mit der
Bundesregierung eine Koordination, Abstimmung oder Empfehlung zur
Formulierung entsprechender Auflagen?

11. Liegen die Betriebsgenehmigungen für die in der Antwort der Bundes-
regierung zu Frage 6 auf Bundestagsdrucksache 17/7777 nicht genannten
AKW der Bundesregierung nicht vor oder enthalten diese keine Auflagen
bzw. Inhalts- und Nebenbestimmungen zum Abschluss von Gewinn-
abführungs- und Beherrschungsverträgen?

12. In welchen atomrechtlichen Stilllegungsgenehmigungen für AKW beste-
hen Auflagen, die die Änderung oder die Beendigung von Gewinnabfüh-
rungs- und Beherrschungsverträgen von einer Zustimmung der zuständigen
atomrechtlichen Aufsichtsbehörde abhängig machen?

Wie lauten die Auflagen jeweils im Wortlaut?

13. Wer wäre im hypothetischen Fall der Insolvenz sowohl einer AKW-Betrei-
ber- als auch der Muttergesellschaft verantwortlich für die Durchführung
und Finanzierung von Stilllegung und Rückbau?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/8328

14. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass im Falle einer Insolvenz
der Betreiber, die Länder

a) die Stilllegung und den Abbau der betroffenen Anlagen sicherzustellen/
durchzuführen haben und

b) auch die Kosten zu tragen haben,

c) und falls ja, auf welcher genauen Rechtsgrundlage?

15. Gibt es für die Erstellung von Handels- und Steuerbilanzen eine klare und
verbindliche Abgrenzung, welche Kostenarten den beiden Teilaufgaben
„Stilllegung/Rückbau“ sowie „Entsorgung/Endlagerung“ im Einzelnen zu-
zuordnen sind?

Wenn ja, wie lautet die Abgrenzung, und wo ist diese geregelt?

Ist beispielsweise klar definiert, ob die

– Kosten des Betriebs von Abklingbecken,

– Kosten der standortnahen Zwischenlagerung

den Stilllegungskosten oder den Entsorgungskosten zuzurechnen sind?

Ist damit gewährleistet, dass der Unterscheidung von Stilllegungs- und
Entsorgungsrückstellungen in den Bilanzen der Muttergesellschaften eine
einheitliche Abgrenzung der jeweils dort verbuchten Kostenarten zugrunde
liegt?

16. Wie verteilen sich die bisherigen (bis 2011 aufgelaufenen) und zukünftig er-
warteten Gesamtkosten der nuklearen Anlagen in den Geschäftsbereichen
des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) und des
Bundesministeriums der Finanzen (BMF) auf die beiden Teilaufgaben
„Stilllegung/Rückbau“ sowie „Entsorgung/Endlagerung“ (bitte Ergebnis-
darstellung nach dem Muster der nachfolgenden Tabelle)?

17. Welche implizite Annahme bezüglich der Gesamtkosten eines Endlagers
liegen den Kostenschätzungen für die Anlagen in den Geschäftsbereichen
des BMBF und BMF für den Bereich Entsorgung/Endlagerung zugrunde?

Ausga-
ben bis
2011

Erwartete
Gesamt-
ausgaben
ab 2012

Ausga-
ben bis
2011

Erwartete
Gesamt-
ausgaben
ab 2012

1. Anlagen im Geschäftsbereich des BMBF
(Forschungs- und Versuchsanlagen)
Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe (WAK)
Kompakte Natriumgekühlte Kernenergieanlage
(KNK II)
Mehrzweck-Forschungsreaktor (MZFR)
Hauptabteilung Dekontaminationsbetriebe (HDB)
Arbeitsgemeinschaft Versuchsreaktor G mbH
(AVR)
T horium-Hochtemperatur-Reaktor (T HT R-300)
Bergwerk Asse (vor dem 1. J anuar 2009)
Forschungszentrum G eesthacht (MARE N/FRG 1
+ 2 (G KSS))
Projekte Forschungszentrum J ülich (FZJ )
... G gf. weitere Anlagen

2. Anlagen im Geschäftsbereich des BMF
a) KKW G reifswald
b) KKW Rheinsberg

Summe

Stillegung /
Rückbau

Entsorgung /
Endlager

Drucksache 17/8328 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
18. Ist der Bundesregierung bekannt, wie die Rückstellungen für AKW, an
denen mehrere Muttergesellschaften Anteile halten, im Konzernabschluss
verbucht werden?

Fließen die Rückstellungen nach den Kapitalanteilen anteilig in den Kon-
zernabschluss ein oder werden sie vollständig bei demjenigen Konzern
verbucht, der den größeren Anteil hat und/oder die Betriebsführerschaft
eines AKW wahrnimmt?

Wo ist das ggf. geregelt?

Ist gewährleistet, dass es keine doppelte Verbuchung der Rückstellungen
bei verschiedenen Konzernen gibt, dass man also die Angaben der Kon-
zerne in ihren Bilanzen addieren kann, um zur tatsächlichen Summe der
Rückstellungen für Stilllegung/Rückbau und Entsorgung zu kommen?

19. Hat die Bundesregierung eine Erklärung für den Umstand, dass die Vatten-
fall Europe AG für Deutschland zum 31. Oktober 2010 Nuklearrückstel-
lungen von insgesamt nur 1,231 Mrd. Euro ausweist, während die Rück-
stellungen zum 31. Oktober 2010 nach den Geschäftsberichten für das
AKW Brunsbüttel 1,269 Mrd. Euro betragen und für Krümmel 1,358 Mrd.
Euro (d. h. selbst wenn man der Vattenfall Europe AG Anteile an den
Rückstellungen der einzelnen AKW nach den Kapitalanteilen zurechnet,
ist die Summe der Angaben in den einzelnen Geschäftsberichten höher als
im Geschäftsbericht von Vattenfall Europe AG für die deutschen AKW ins-
gesamt)?

Berlin, den 16. Januar 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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