BT-Drucksache 17/8232

Antibiotika-Strategie der Bundesregierung in Folge des massiven Einsatzes von Antibiotika in der Tierhaltung, dokumentiert in den Studien aus Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen

Vom 16. Dezember 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8232
17. Wahlperiode 16. 12. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Bärbel Höhn, Cornelia Behm,
Harald Ebner, Undine Kurth (Quedlinburg), Nicole Maisch, Markus Tressel
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Antibiotika-Strategie der Bundesregierung in Folge des massiven Einsatzes
von Antibiotika in der Tierhaltung, dokumentiert in den Studien
aus Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen

Schon im Sommer 2011 hat die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in einer
Kleinen Anfrage den Antibiotikaverbrauch in der Tierhaltung thematisiert. Die
Antwort der Bundesregierung hat schon damals keine Zweifel daran aufkom-
men lassen, dass politischer Handlungsbedarf besteht. Dieser Handlungsbedarf
wurde noch einmal eindrücklich durch die Ergebnisse der Studien zum Anti-
biotikaverbrauch in der Tierhaltung aus Nordrhein-Westfalen (NRW) und
Niedersachen dokumentiert. Fast alle Tiere werden während ihrer Mastzeit min-
destens einmal mit Antibiotika behandelt. In vielen Fällen wurden Tiere zudem
nur einen bis drei Tage lang mit Antibiotika behandelt, was gegen die Zulas-
sungsbedingungen verstößt und die Ausbreitung von Antibiotika-Resistenzen
zusätzlich befördert. Die Zahlen aus Niedersachsen und NRW verdeutlichen,
dass man von einer massiven Vergabe von Antibiotika zur Prävention und
Wachstumsförderung ausgehen muss. Dieser Zustand widerspricht sowohl dem
EU-Verbot zur Vergabe von Wachstumsförderern als auch nationalen Regelun-
gen zu einer fachgerechten Vergabe von Antibiotika.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Geht die Bundesregierung davon aus, dass der massive Einsatz von Antibio-
tika in der Tierhaltung, so wie er in den Studien aus NRW und Niedersachsen
deutlich wird, ein Befund ist, der so oder so ähnlich auch in anderen Bundes-
ländern zu erwarten ist, und wenn ja, muss dann aus Sicht der Bundesregie-
rung davon ausgegangen werden, dass in einem Großteil der Betriebe Anti-
biotika präventiv und/oder leistungsfördernd eingesetzt werden?

2. In welchen Bundesländern werden nach Kenntnis der Bundesregierung aktu-
ell ähnliche Untersuchungen zum Antibiotikaverbrauch in der Tierhaltung
durchgeführt wie in NRW und Niedersachsen geschehen?

3. Sieht sich die Bundesregierung angesichts der alarmierenden Befunde in

NRW und Niedersachsen in der Pflicht, das weitere Vorgehen zur deutlichen
Reduktion der Antibiotikavergabe zu koordinieren und einen regelmäßigen
Austausch mit den Ländern zu institutionalisieren, zum Beispiel im Sinne der
vom nordrhein-westfälischen Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirt-
schaft, Natur- und Verbraucherschutz, Johannes Remmel vorgeschlagenen
„Antibiotikakonferenz“?

Drucksache 17/8232 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

4. Ist es aus Sicht der Bundesregierung sinnvoll, zur Untersuchung des Anti-
biotikaeinsatzes ein standardisiertes Studiendesign zu entwickeln, so dass
die Ergebnisse in den Ländern besser miteinander vergleichbar sind?

5. Wenn ja, sollten die Studien der Länder auch die Haltungsfrage, Bestands-
größe bzw. Besatzdichte und Mastdauer berücksichtigen und ins Verhältnis
zur abgegebenen Antibiotikamenge setzen?

6. Welche Fakten haben vor dem Hintergrund, dass die Bundesministerin für
Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ilse Aigner am 9. No-
vember 2011 angekündigt hat, die Ausnahmeregelung für Geflügel in der
DIMDI-Arzneimittelverordnung (§ 3 Absatz 1 Satz 3) zu streichen, nach-
dem die Bundesregierung noch in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Bundestagsdrucksache 17/6908,
Antwort zu Frage 38, S. 14) mit einer „Ungleichbehandlung der Rechtsan-
wender“ bei Wegfall der Sonderregelung argumentiert hatte, dazu beigetra-
gen, dass für die Bundesregierung, wie Ilse Aigner gegenüber NDR-Info
am 9. November 2011 ausgeführt hat, „die vorhandenen Bedenken (gegen
die Streichung der Sonderregelung, Anm. der Fragesteller) […] erfreuli-
cherweise ausgeräumt“ seien?

7. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung der Bundestierärztekammer
(Konzept der Bundestierärztekammer e. V., 5. November 2011, S. 2), dass
im Zusammenhang mit der Antibiotikavergabe „Tierarzt, Tierhalter und
Bestand ein ,Gesicht‘ bekommen“ müssten und in diesem Sinne namentlich
beim Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information
(DIMDI) aufgeführt sein müssten?

8. Plant die Bundesregierung eine Veränderung des § 47 Absatz 1c Satz 2
Nummer 2b des Arzneimittelgesetzes (AMG) in Bezug auf die Regelung
einer Meldeverpflichtung mit fünfstelliger Postleitzahl, und wenn nein,
warum nicht?

9. Hat die Bundesregierung die in Frage 7 angesprochene Veränderung daten-
schutzrechtlich geprüft und erneut eine Stellungnahme des Bundesbeauf-
tragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit eingeholt, und
wenn ja, wie bewertet der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die
Informationsfreiheit die Angelegenheit?

10. Plant die Bundesregierung, die Dokumentationspflicht so zu ändern, dass
künftig alle für die Tierhaltung verschriebenen Medikamente bei Abgabe
elektronisch an eine Zentralstelle gemeldet werden müssen, um diese Daten
umgehend den Kontrollbehörden in den Ländern zur Verfügung zu stellen?

11. Plant die Bundesregierung hinsichtlich der massiven Behandlungen ganzer
Bestände, im AMG und der TÄHAV eine schärfere Unterscheidung der
Einzeltier- und der Bestandsbehandlung mit dem Ziel, dass eine Bestands-
behandlung durch den Tierarzt sehr viel besser und nachvollziehbarer be-
gründet werden muss?

12. Plant die Bundesregierung im AMG und der Verordnung über tierärztliche
Hausapotheken (TÄHAV) deutlichere Vorgaben zur Verschreibung, Ver-
gabe und Dokumentation der Antibiotika in der Tierhaltung, und wenn ja,
welche?

13. Plant die Bundesregierung Verschärfungen beim tierärztlichen Dispen-
sierecht, und wenn ja, welche?

14. Wird die Bundesregierung den §12 TÄHAV dahingehend verändern, dass
genau beschrieben ist, wie eine „ordnungsgemäße Behandlung“ auszusehen
hat?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/8232

15. Wird die Bundesregierung die Leitlinien zur Verabreichung von Antibio-
tika, die zurzeit keine eindeutig rechtswirksame Verbindlichkeit haben, auf
dem Verordnungsweg festschreiben, und wenn nein, warum nicht?

16. Wird die Bundesregierung als Konsequenz aus der Antibiotikastudie aus
NRW, die besagt, dass bei Tieren mit einer längeren Mastzeit deutlich we-
niger Antibiotikabehandlungen zu verzeichnen waren, eine gesetzliche
Mindestmastzeit festlegen, und wenn ja, welche, und wenn nein, warum
nicht?

17. Strebt die Bundesregierung im Sinne niedrigerer Besatzdichten in Tierhal-
tungsanlagen Regelungen für eine niedrigere maximale Tierzahl pro m2 in
den Betrieben an?

18. Wie beurteilt die Bundesregierung den Zusammenhang von Nutztierhal-
tung und Verbreitung der Keimeigenschaft ESBL (Extended Spectrum
Beta-Lactamase)?

19. Wie bewertet die Bundesregierung die Forschungsergebnisse des Instituts für
Hygiene am Universitätsklinikum Münster1, die unter anderem ein gestiege-
nes Infektionsrisiko für Patienten in Krankenhäusern auch mit dem livestack
associated Methicillin-resistant Staphylococcus aureus (LA-MRSA) konsta-
tieren?

20. Plant die Bundesregierung im Sinne des Bevölkerungsschutzes ein ver-
pflichtendes obligatorisches Screening in Krankenhäusern und Pflege-
einrichtungen?

21. Plant die Bundesregierung angesichts jüngerer Forschungsergebnisse 2, die
besagen, dass multiresistente Keime nicht nur in der Stallluft festzustellen
sind, sondern auch noch in 1 000 Metern Entfernung von der Tierhaltungs-
anlage in der Luft nachgewiesen werden konnten, auch im Sinne des
Anwohnerschutzes, Verschärfungen im Immissionsschutzrecht, und wenn
ja, welche?

22. Wir beurteilt die Bundesregierung den Stand bei der Entwicklung von
Filtern für Tierhaltungsanlagen hinsichtlich einer Verhinderung der Ver-
breitung von Keimen, wie dem MRSA?

23. Soll nach Auffassung der Bundesregierung zukünftig der Einbau von Filter-
anlagen in Tierhaltungsanlagen obligatorisch werden, und wenn nein, wa-
rum nicht?

Berlin, den 16. Dezember 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

1 Vergleiche Robin Köck, Alexander Mellmann, Frieder Schaumburg, Alexander W. Friedrich, Frank
Kipp und Karsten Becker: The Epidemiologiy of Methicillin-Resistant Staphylococcus aureus (MRSA)
in Germany; in: Deutsches Ärzteblatt Internatiional 2011, 108 (45), Seiten 761 bis 767.

2 Vergleiche Prof. Dr. ir. D. J. J. Heederik & Dr. C.J. Ijzermans: Mogelijke effecten van intensieve-vee-

houderij op de gezondheid van omwonenden: onderzoek naar potentiële blootstelling engezondheids-
problemen, Utrecht 2011.

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