BT-Drucksache 17/8230

Aktuelle Energieeffizienzpolitik der Bundesregierung

Vom 16. Dezember 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8230
17. Wahlperiode 16. 12. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ingrid Nestle, Bärbel Höhn, Oliver Krischer, Daniela Wagner,
Hans-Josef Fell, Sylvia Kotting-Uhl, Undine Kurth (Quedlinburg), Nicole Maisch,
Dr. Hermann E. Ott, Dorothea Steiner und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Aktuelle Energieeffizienzpolitik der Bundesregierung

Die Europäische Union hat am 22. Juni 2011 den Vorschlag für eine Richtlinie
zur Energieeffizienz (Energy Efficiency Directive – EED) vorgelegt. Zentrales
Thema ist ein in Artikel 6 des Richtlinienvorschlags verankertes Anreizsystem
für Energieeffizienz, auf dessen Grundlage die Energieverteiler oder Energieein-
zelhandelsunternehmen jährlich Energieeinsparprojekte in Höhe von 1,5 Pro-
zent ihres im Vorjahr realisierten Energieabsatzvolumens nachweisen sollen.
Einer aktuellen Studie des ifeu-Instituts für Energie- und Umweltforschung
Heidelberg GmbH zur Folge führt allein die Umsetzung des Artikels 6 des
Richtlinienvorschlags zu Kostenersparnissen bei der deutschen Wirtschaft und
den Verbrauchern im Jahr 2020 in Höhe von rund 14 Mrd. Euro. Hinzu kommt
die Entstehung 120 000 neuer Arbeitsplätze.

Obwohl das Ziel, den Primärenergiebedarf bis 2020 um 20 Prozent zu senken,
2007 unter der deutschen EU-Ratspräsidentschaft beschlossen wurde, hat es die
schwarz-gelbe Bundesregierung bisher versäumt, dieses Ziel verbindlich zu ge-
stalten. Wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ am 25. Januar 2011 berichtete,
wird Deutschland dieses selbstgesteckte Ziel sogar verfehlen. So heißt es in dem
Bericht: „Insbesondere Deutschland bleibt […] stark hinter [den] […] Vorgabe[n]
zurück. Statt die Energieeffizienz um 20 Prozent zu steigern, sind es bis zum
Jahr 2020 voraussichtlich nur 12,8 Prozent.“ Auch die AG Energiebilanzen e. V.
hat am 14. November 2011 darauf hingewiesen, dass die Effizienzsteigerung in
Deutschland stagniert. So liegen die ermittelten Werte für 2010 unter denen des
von der Bundesregierung angepeilten Beitrags zur Energiewende. Und die Inter-
nationale Energie-Agentur schreibt in ihrer Zusammenfassung des World
Energy Outlook 2011, dass zwar „in vielen Ländern der Steigerung der Energie-
effizienz Vorrang eingeräumt wird, […] sich die globale Energieeffizienz [aber]
im zweiten Jahr in Folge verschlechtert [hat]“.

In der Regierungserklärung vom 9. Juni 2011 betonte die Bundeskanzlerin
Dr. Angela Merkel, dass „Energieeffizienz nicht nur in Deutschland, sondern
auch in Europa ein neues Markenzeichen werden soll.“ Doch anstatt jetzt mit
einer gemeinsamen Stimme für die Ziele der Bundeskanzlerin einzutreten, gibt

es offensichtlich einen Dissens zwischen den Bundesministerien für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit und für Wirtschaft und Technologie. So
meldete die dpa Deutsche Presse-Agentur GmbH am 23. November 2011, dass
die Bundesregierung noch keine Einigung zum EU-Richtlinienvorschlag für
Energieeinsparungen von 20 Prozent bis 2020 erzielt habe.

Drucksache 17/8230 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Während das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit (BMU) mit den Worten „Wir halten diese 1,5 Prozent Einsparverpflichtung
für essenziell“ in den Medien zitiert wird, sieht das Bundesministerium für Wirt-
schaft und Technologie (BMWi) in dem Artikel 6 des Richtlinienvorschlags eine
reine „Planwirtschaft“. Der EU-Energiekommissar Günther Oettinger (CDU)
hat in diesem Kontext noch einmal gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters
am 23. November 2011 betont, dass „es […] ein interessanter Prozess [wäre],
wenn Deutschland eine Blockademinderheit organisieren würde gegen den Plan
seiner eigenen Präsidentschaft.“

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Aus welchem Grund soll das von der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
2007 beschlossene Effizienzziel, 20 Prozent Primärenergieeinsparung bis
2020, zukünftig am Bruttoinlandsprodukt gemessen werden, und welche
Auswirkungen hat dies auf die Ambition des Ziels abhängig von der Kon-
junktur?

2. Wie und bis wann soll das 20-Prozent-Effizienzziel der EU genau berechnet
werden, wenn die Bundesregierung die Berechnungsgrundlage für dieses
Ziel – anders als in der Vergangenheit vorgesehen – auf Energieproduktivität
beziehen will, und würde unter Annahme eines Wirtschaftswachstums, wie
es in der bisherigen Berechnung der Baseline in PRIMES 2007 unterstellt
wurde, das gleiche Effizienzziel von 1 474 Megatonnen Öleinheiten (Mtoe)
gelten?

3. Welcher Primärenergieverbrauch ergibt sich in 2020 in Mtoe, wenn die Bun-
desregierung die Energieproduktivität bis 2020 gegenüber 2007 um 20 Pro-
zent steigert (unter der Annahme eines jährlichen Wirtschaftswachstums von
1 bzw. 2 Prozent)?

4. Wie stellt die Bundesregierung sicher, dass die Energieeffizienzziele und das
Primärenergieeinsparziel erreicht werden, wenn die Bundesregierung keine
Prognose über zukünftiges Wirtschaftswachstum treffen kann?

5. Ist es nach Ansicht der Bundesregierung notwendig, dass das Wirtschafts-
wachstum vom Anstieg der CO2-Emissionen und des Primärenergiever-
brauchs entkoppelt wird, und wenn ja, wie soll das geschehen?

6. Welche Ziele verfolgt die Bundesregierung in Bezug auf die Senkung des Pri-
märenergieverbrauchs und des Stromverbrauchs in Deutschland?

Bekennt sie sich noch zu den im Energiekonzept festgelegten Zielen einer ab-
soluten Einsparung um 20 Prozent bis 2020 gegenüber 2008?

7. Teilt die Bundesregierung das Ergebnis der am 19. November 2011 veröf-
fentlichten Studie des Fraunhofer ISI „Vergleich zwischen dem nationalen
Energieeffizienzziel und den europäischen Vorschlägen für ein deutsches
Ziel im Rahmen des Richtlinienvorschlags zur Energieeffizienz“, aus dem
hervorgeht, dass die Ziele des Energieeffizienzrichtlinienvorschlags weniger
verlangen als sich der Bund vorgenommen hat?

8. Welche konkreten Maßnahmen plant die Bundesregierung im Rahmen der
Umsetzung der EU-Energieeffizienzrichtlinie in Deutschland, um das Ener-
gieeinsparziel von 1,5 Prozent pro Jahr sowie das Ziel, den Primärenergiever-
brauch bis 2020 um 20 Prozent zu senken, zu erreichen?

9. Unterstützt die Bundesregierung, das in Artikel 6 des Richtlinienvorschlags
zur Energieeffizienz verankerte Anreizsystem für Energieeffizienz, auf des-
sen Grundlage die Energieverteiler oder Energieeinzelhandelsunternehmen
jährlich Energieeinsparprojekte in Höhe von 1,5 Prozent ihres im Vorjahr rea-

lisierten Energieabsatzvolumens nachweisen sollen, und wenn nein, warum
nicht?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/8230

10. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass durch die Umsetzung des
Artikels 6 des Richtlinienvorschlags keine starre Deckelung der zu verkau-
fenden Energiemenge für die einzelnen verpflichteten Unternehmen ent-
steht, sondern stattdessen der absolute Absatz sogar steigen kann, und wenn
nein, warum nicht?

11. Welche Primärenergieeinsparung ergibt sich bis 2020 in Mtoe, wenn die
Bundesregierung Energieverteiler verpflichtet, jährlich 1,5 Prozent des
Energieabsatzvolumens vom Vorjahr einzusparen und welche, wenn sie
stattdessen Energieeinzelhandelsunternehmen verpflichtet?

12. Könnten bestehende Maßnahmen und Programme zur Energieeinsparung
angerechnet werden, wenn ja, welche und in welchem Umfang, oder wie in-
terpretiert das BMWi Artikel 6 Nummer 9 des Vorschlags für eine Richtlinie
zur Energieeffizienz 2011/0172 (COD)?

13. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass der Artikel 6 des Richtlinien-
vorschlags nach den Grundprinzipien des Emissionshandels funktioniert,
nämlich für jedes Unternehmen lediglich das Ziel für Projekte festlegt, diesen
aber die Freiheit lässt, die effizienteste Zielerreichung selbst zu bestimmen?

Wenn nein, wo sieht sie die zentralen Unterschiede zur grundsätzlichen
Funktionsweise des Emissionshandels?

14. Wäre die Bundesregierung bereit, dem Artikel 6 des Richtlinienvorschlags
zuzustimmen, wenn dieser nach den Grundprinzipien des Emissionshan-
dels ausgestaltet würde, das heißt, eine Nachweisführung der Effizienzpro-
jekte innerhalb einer definierten Periode zum Beispiel alle vier Jahre an-
statt jährlich beinhalten würde?

15. Über welche Erkenntnisse verfügt die Bundesregierung bezüglich prakti-
scher Erfahrungen aus anderen Staaten innerhalb und außerhalb der EU mit
– wie in Artikel 6 des Richtlinienvorschlags vorgeschlagenen – Mechanis-
men zur Energieeinsparung (bitte die Staaten, die jeweils angewandten
Mechanismen und die erreichten Energieeinsparungen einzeln auflisten)?

16. Weshalb hält die Bundesregierung die in Artikel 6 des Richtlinienvorschlags
vorgeschlagenen Mechanismen für „Planwirtschaft“ (laut dem Bundes-
minister für Wirtschaft und Technologie, Dr. Philipp Rösler)?

17. Hält die Bundesregierung Großbritannien, Frankreich, Italien, verschiedene
Staaten der USA, Australien usw., die Mechanismen wie in Artikel 6 des
Richtlinienvorschlags vorgeschlagen, anwenden, für planwirtschaftliche
Staaten, und wenn ja, warum?

18. Wie sieht der weitere Zeitplan auf EU- und deutscher Ebene bezüglich der
Beratungen und Verabschiedung des Richtlinienvorschlags zur Energieeffi-
zienz nach Kenntnis der Bundesregierung aus?

19. Was genau plant die Bundesregierung, um das Stromsparziel zu erreichen,
vor dem Hintergrund, dass das Stromsparziel „10 Prozent weniger bis 2020
im Vergleich zu 2008“ eine Reduktion der Verbräuche von 524 TWh auf
rund 472 TWh bedeutet, was einer Einsparung von 52 TWh entspricht, der
2. Nationale Energieeffizienz-Aktionsplan (NEEAP) der Bundesrepublik
Deutschland aber zeigt, dass durch die dort aufgeführten Maßnahmen bis
2016 nur höchstens die Hälfte der Stromeinsparungen (25 TWh), die not-
wendig wären, erreicht wird (höchstens – denn man muss mit Mehrver-
bräuchen rechnen)?

20. Welche Effekte hat der Verweis gemäß § 4, der auf Energierechnungen vor-
geschrieben ist, des Gesetzes über Energiedienstleistungen und andere

Energieeffizienzmaßnahmen (EDL-G) auf die Anbieterliste und andere Be-
ratungsstellen?

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21. Welchen Mehrwert hat die Anbieterliste von Energiedienstleistungsunter-
nehmen der Bundesstelle für Energieeffizienz im Vergleich zu den Gelben
Seiten, wenn hier keine Qualitätskontrolle vollzogen wird?

22. Welchen Kenntnisstand hat die Bundesregierung über die Umsetzung der
Informationspflicht nach § 4 EDL-G, und gibt es Kontrollen darüber, ob
diese Verweise überhaupt stattfinden?

23. Warum ist im Energie- und Klimafonds mehr Geld für Kompensationszah-
lungen an die stromintensive Industrie und für das Kraftwerksförderpro-
gramm vorgesehen als für Effizienz im Strombereich?

Wie lässt sich das im Hinblick auf das Klimaschutzziel rechtfertigen?

24. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass ohne zusätzliche An-
strengungen das eigene Ziel zur Reduzierung des Primärenergieverbrauchs
nicht erreicht wird?

Wenn ja, worin sollen laut Bundesregierung zusätzliche Anstrengungen be-
stehen?

Wenn nein, welche beschlossenen Maßnahmen tragen zum Erreichen der
Ziele in welcher Höhe bei?

25. Wie kann das Ziel erreicht werden, die Sanierungsrate von Gebäuden in
Deutschland, wie im Energiekonzept der Bundesregierung beschlossen, von
1 auf 2 Prozent zu steigern, und welche Rolle spielt aus Sicht der Bundes-
regierung die Sanierungseffizienz (definiert als Reduzierung des Heizwär-
meleistungsbedarf eines Wohngebäudes durch Sanierung in Variation nach
Gebäudealter und Gebäudetyp) dabei, bzw. wie hoch (in Prozent) muss
diese heute und zukünftig sein?

26. Welchen Beitrag leisten finanzielle Anreizinstrumente wie das Programm
der Kreditanstalt für Wiederaufbau Bankengruppe (KfW) und ggf. steuer-
liche Anreize zur Reduzierung des Wärmebedarfs und zur Einsparung von
Primär- und Endenergieverbrauch im Gebäudesektor, und inwieweit tragen
die Instrumente zur Zielerreichung bei?

27. Welchen Anteil leistet der Gebäudebereich bei der Primär- und der End-
energie, wenn das Ziel aus dem Energiekonzept „Reduzierung des Wärme-
bedarfs um 20 Prozent bis 2020 lautet“?

28. Gegenüber welchem Bezugsjahr sollen die 20 Prozent Wärmebedarfsredu-
zierung im Gebäudebereich bis 2020 erfolgen, bzw. welches Bezugsjahr ist
aus Sicht der Bundesregierung notwendig, um das Ziel aus dem Energie-
konzept, den Primärenergieverbrauch bis 2020 um 20 Prozent zu reduzie-
ren, zu erreichen?

29. Wie will die Bundesregierung ihre Ziele sicherstellen, wenn weder das Be-
zugsjahr für die Reduzierung des Wärmebedarfs feststeht noch Kenntnis
darüber besteht, welche Primär- und Endenergieeinsparungen im Gebäude-
bereich erzielt werden sollen?

Berlin, den 16. Dezember 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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