BT-Drucksache 17/821

Mit gesetzlichen Regelungen die Gleichstellung von Frauen im Erwerbsleben umgehend durchsetzen

Vom 25. Februar 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/821
17. Wahlperiode 25. 02. 2010

Antrag
der Abgeordneten Christel Humme, Willi Brase, Petra Crone, Elke Ferner, Iris
Gleicke, Ulrike Gottschalck, Angelika Graf (Rosenheim), Gabriele Hiller-Ohm,
Petra Hinz (Essen), Ute Kumpf, Caren Marks, Franz Müntefering, Aydan Özog˘uz,
Thomas Oppermann, Mechthild Rawert, Sönke Rix, Marlene Rupprecht
(Tuchenbach), Stefan Schwartze, Sonja Steffen, Dagmar Ziegler, Dr. Frank-Walter
Steinmeier und der Fraktion der SPD

Mit gesetzlichen Regelungen die Gleichstellung von Frauen im Erwerbsleben
umgehend durchsetzen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Gleichstellungspolitik in Deutschland braucht neue Impulse. Alles Wesent-
liche zu dieser wichtigen gesellschaftlichen Zielsetzung ist viele Male gesagt.

Ansätze blieben jedoch stecken, Zusagen auf der Grundlage von freiwilligen
Vereinbarungen wurden nicht oder nicht hinreichend umgesetzt. Daher müssen
klare gesetzliche Regelungen jetzt für Eindeutigkeit und Verbindlichkeit sor-
gen, verbunden mit klaren zeitlichen Perspektiven zur Realisierung.

Defizite und damit Handlungsbedarf gibt es vor allem bei dem Ziel der gleichen
Entlohnung für Frauen und Männer für gleiche bzw. gleichwertige Arbeit, der
Durchsetzung tatsächlicher Chancengleichheit für Frauen und Männer auf dem
Arbeitsmarkt, einer deutlichen Erhöhung des Frauenanteils in Aufsichtsräten,
Vorständen sowie in Leitungspositionen von Wirtschaft, Forschung und Lehre
sowie einer guten Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Frauen und Männer,
die eine partnerschaftliche Aufteilung der Betreuung von Kindern und pflege-
bedürftigen Familienmitgliedern umfasst.

Die wesentlichen Entwicklungen in den vergangenen Jahren zeigen den Bedarf
und die Möglichkeiten für die Gleichstellungspolitik.

Vor gut zehn Jahren wurde in § 2 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der
Bundesministerien Gender Mainstreaming aufgenommen. Die Anwendung die-
ses Prinzips muss also durchgängiges Leitprinzip des Handelns und der gleich-
stellungspolitischen Aktivitäten der Bundesregierung sein. Es müssen die unter-
schiedlichen Lebenssituationen von Frauen und Männern bei allen – auch
gesetzgeberischen – Vorhaben berücksichtigt werden. Dies gilt selbstverständ-

lich auch für den Bereich der Arbeitsmarktpolitik.

Seit dem Jahr 2001 gilt in Deutschland das Gesetz zur Gleichstellung von
Frauen und Männern in der Bundesverwaltung und den Gerichten des Bundes
(Bundesgleichstellungsgesetz).

Drucksache 17/821 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Für den öffentlichen Dienst des Bundes sind Schritte in Richtung gesetzlicher
Regelungen gegangen worden. Für den Bereich der Privatwirtschaft fehlt es
bisher an verbindlichen Regelungen mit dem Ziel der Verwirklichung von
Chancengleichheit für Frauen im Erwerbsleben.

Innerhalb der Europäischen Union gibt es in etlichen Ländern bereits gesetz-
liche Regelungen. So verpflichtet in Schweden das Gleichstellungsgesetz von
1991 alle Arbeitgeber mit mindestens zehn Mitarbeitern, pro Jahr einen Plan
zur Chancengleichheit sowie einen Maßnahmeplan zur gleichen Bezahlung zu
erstellen. In Frankreich gibt es seit 2006 ein Gesetz zur Lohngleichheit für
Männer und Frauen. Es verpflichtet Unternehmen, bis zum 31. Dezember 2010
u. a. Maßnahmen zur Beseitigung der Lohnunterschiede zwischen Frauen und
Männern zu ergreifen.

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

Mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das 2006 in Kraft trat,
wurden die entsprechenden EU-Richtlinien für einen Diskriminierungsschutz
in Deutschland umgesetzt. Damit ist die Möglichkeit eröffnet, dass von Diskri-
minierung betroffene Frauen und Männer besseren rechtlichen Schutz erfahren.
Dazu soll auch die Arbeit der Antidiskriminierungsstelle des Bundes einen
wichtigen Beitrag leisten. Da die Besetzung der Leitung der Stelle durch das
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) er-
folgt und auf eine Legislaturperiode ausgerichtet ist, sollte der Bundestag über
die Arbeit der Stelle zweimal pro Legislatur unterrichtet werden. Derzeit muss
der Bundesregierung und dem Deutschen Bundestag alle vier Jahre ein Bericht
vorgelegt werden.

Die Möglichkeit der Individualklage von Diskriminierten nach dem AGG führt
jedoch nicht zu einer Veränderung etwa des innerbetrieblichen Systems der
Entlohnung oder hat gar Auswirkungen auf die Tarifgestaltung. Hier bedarf es
anderer Regelungen. Aber das AGG muss besser mit Kontrollmöglichkeiten
und effektiveren Sanktionen ausgestaltet werden.

Gleichberechtigte Teilhabe von Frauen im Erwerbsleben – Beseitigung der
Entgeltungleichheit

Gleiche Löhne sind eine Voraussetzung für eine gerechte Teilhabe von Frauen
am Erwerbsleben und Voraussetzung für die eigenständige Existenzsicherung
und die soziale Absicherung im Alter.

Die in Deutschland immer noch vorhandene Lohnlücke von inzwischen 25 Pro-
zent zwischen Frauen und Männern ist nicht akzeptabel und schadet unserer
Gesellschaft insgesamt. Das Lohngefälle in der EU zwischen Frauen und
Männern liegt bei 17,4 Prozent. Gleicher Lohn für gleiche und gleichwertige
Arbeit ist ein Gebot der Gerechtigkeit – und es ist eine Verpflichtung der Euro-
päischen Union.

In der Statistik wird der zwischen Frauen und Männern vorhandene Entgelt-
unterschied durch den Indikator des Gender Pay Gap (GPG) dargestellt. Der
GPG ist ein Ergebnis des Zusammenwirkens verschiedener Faktoren im Sinne
einer strukturellen Frauenbenachteiligung in der deutschen Gesellschaft. Dazu
gehören u. a. eine nach wie vor vorhandene Abwertung von Tätigkeiten und
Verhaltensweisen, die mit Frauen identifiziert werden; geschlechtsspezifisch
getrennte Arbeitsmärkte in der Volkswirtschaft und in den Betrieben, wobei
Frauen die Bereiche mit schlechterer Vergütung und schlechteren Aufstiegs-
chancen besetzen, die noch immer vorzufindende Dominanz des Familien-
ernährer- bzw. des Zuverdienerinnenmodells als Lebensform und eine immer
noch viel zu geringe Möglichkeit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Die

Folgen sind hinlänglich bekannt. Diese wurden in einer öffentlichen Anhörung
im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend des Deutschen Bundes-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/821

tages am 28. Januar 2009 erneut vorgetragen und bewertet. Es wurde gesetz-
geberisches Handeln für notwendig erachtet, um die Benachteiligung von
Frauen im Erwerbsleben und bei der Entlohnung zu beseitigen.

Die in mehreren Bilanzen zusammengestellten Ergebnisse der Freiwilligen Ver-
einbarung der Bundesregierung mit den Spitzenverbänden der deutschen Wirt-
schaft zur Förderung der Chancengleichheit unterstreichen diese Notwendig-
keit. Die Bilanzen sind – nach nunmehr neun Jahren seit Bestehen der Ver-
einbarung – ernüchternd und in keiner Weise als zufriedenstellend zu bewerten.
Die Freiwilligkeit hat nicht zum Ziel geführt.

Im Januar 2010 ist die Bundesinitiative zur Gleichstellung von Frauen in der
Wirtschaft gestartet. Sie soll Projekte von Unternehmen, Gewerkschaften, Ver-
bänden, öffentlichen Institutionen, Bildungsträgern und Forschungseinrichtun-
gen maximal über drei Jahre fördern. Diese Initiative läuft bis 2013 und wird
aus Mitteln des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales sowie Mitteln des
Europäischen Sozialfonds finanziert. Insgesamt 110 Mio. Euro stehen hierfür
zur Verfügung. Die Projekte sollen gezielt die Situation von erwerbstätigen
Frauen verbessern. Sie bieten eine Chance, dem Ziel der Gleichstellung von
Frauen im Erwerbsleben in einzelnen Bereichen vielleicht ein Stück näher zu
kommen. Aber sie ersetzen nicht gesetzgeberisches Handeln.

Der Schutz von Frauen vor Diskriminierung beseitigt nicht die strukturellen
Ursachen der Entgeltungleichheit. Daher reichen hierfür die durch das AGG
festgelegten gesetzlichen Möglichkeiten nicht aus. Es bedarf einer aktiv ge-
staltenden Gleichstellungspolitik in den Unternehmen mit entsprechenden
Maßnahmen, wozu der Gesetzgeber sie verpflichten muss. Dazu gehören auch
gesetzliche Publizitätspflichten zu gleichstellungsrelevanten Unternehmens-
daten.

Die Tarifvertragsparteien sind schon heute rechtlich verpflichtet, ihre Tarif-
verträge diskriminierungsfrei zu gestalten. So sind diskriminierende Bestim-
mungen in Tarifverträgen nach § 7 Absatz 2 AGG unwirksam. Die Tarifauto-
nomie entbindet sie also nicht von den Diskriminierungsverboten bzw. von der
Verpflichtung, ihren Entgeltsystemen diskriminierungsfreie Arbeitsbewertungs-
systeme zugrunde zu legen.

Auch der Staat hat die Verpflichtung, zum Schutz der Frauen vor Diskriminie-
rung bestehende Benachteiligungen zu beseitigen. Dieser Schutzpflicht kann
der Staat durch eine verfahrensmäßige Absicherung des Verbotes, wegen des
Geschlechts zu diskriminieren, nachkommen. Zu unterscheiden wäre dabei
zwischen künftig neu abzuschließenden und bereits bestehenden Tarifverträgen
(Vorschlag von Prof. Dr. Sibylle Raasch, Deutscher Juristinnenbund, Stellung-
nahme zur Anhörung).

Darüber hinaus sollte der Staat sicherstellen, dass bei der Vergabe öffentlicher
Aufträge nur Unternehmen berücksichtigt werden, die Frauen und Männer
gleich entlohnen.

Um einer Verfestigung traditioneller Rollenbilder und einer überkommenen
Festschreibung angeblicher Männer- bzw. Frauenberufe wirksam und möglichst
frühzeitig zu begegnen, kommt dem Bereich frühkindlicher Bildung und Be-
treuung besondere Bedeutung zu. Eine Erhöhung des Anteils männlicher Erzie-
her und Lehrer vor allem im Bereich der Kindertagesstätten und der Grund-
schulen stellt zum Beispiel einen wichtigen Schritt zur Überwindung weib-
licher und männlicher Rollenstereotype dar.

Das Berufswahlverhalten von Frauen hat als Ergebnis häufig Tätigkeiten zur
Folge, die niedriger bezahlt werden. Ziel muss es daher sein, ihnen andere Be-
rufsgruppen näher zu bringen und entsprechende Vorurteile bei Unternehmen

aber auch in der Gesellschaft insgesamt abzubauen. Gleichzeitig müssen die

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Anstrengungen des Staates, Frauen stärker für technische und naturwissen-
schaftliche Arbeitsfelder zu gewinnen, verstärkt werden. Bundesinitiativen wie
der Nationale Pakt für Frauen in so genannten MINT-Berufen sind wichtige
Schritte auf diesem Weg.

Frauen in geringfügiger Beschäftigung und Teilzeit

Die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen am Erwerbsleben scheitert in der
Realität schon an ihrem überproportionalen Anteil an geringfügiger Beschäfti-
gung und an Teilzeitarbeit. So ist der Anteil abhängig beschäftigter Frauen mit
Niedriglohn etwa doppelt so groß wie derjenige der Männer (Statistisches
Bundesamt 2009, Niedrigeinkommen und Erwerbstätigkeit).

Im Bereich der gewerblichen Minijobs zählte die Minijob-Zentrale zum
30. September 2009 6 744 585 geringfügig entlohnte Beschäftigte. Damit sind
63,1 Prozent der Minijobber Frauen.

Im Bereich der haushaltsnahen Beschäftigungen zählte die Minijob-Zentrale
zum 30. September 2009 183 368 geringfügig entlohnte Beschäftigte in Privat-
haushalten. Der Frauenanteil bei den Minijobs in Privathaushalten überwiegt
deutlich mit 91,7 Prozent (Aktuelle Entwicklungen im Bereich der gering-
fügigen Beschäftigung, III. Quartal 2009, Knappschaft Bahn See). Und die
Zahl der Minijobberinnen und Minijobber in Privathaushalten ist permanent
steigend. Im Zeitraum von September 2006 bis September 2009 ist eine
Gesamtzunahme von rund 55 000 Beschäftigten erfolgt, was einem Plus von
43 Prozent entspricht.

Der Anteil von Frauen in Teilzeit liegt bei 80 Prozent (2008, IAB 2009) – sie
stellen also noch immer die größte Gruppe unter den Teilzeitbeschäftigten dar.
Dies ist mit entsprechenden Nachteilen beim Einkommen, bei der Karriere und
bei der sozialen Sicherung verbunden.

Insgesamt lässt sich ein Rückgang an traditionellen Beschäftigungsformen ver-
zeichnen. Nach einer Studie des Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit
(IZA) der Bertelsmann-Stiftung ist der Anteil von Frauen in traditionellen
Beschäftigungsverhältnissen zurückgegangen. Deutschland hat 2008 mit rund
43 Prozent Frauen in unbefristeter Vollzeitbeschäftigung den niedrigsten Wert
unter 28 untersuchten OECD-Staaten.

Teilzeitarbeit entspricht vordergründig den Bedürfnissen und dem Wunsch
vieler Frauen; jedoch häufig nur aufgrund der vorhandenen Rahmenbedingun-
gen. Es fehlen ausreichend zur Verfügung gestellte Betreuungsplätze und daher
mangelnde Alternativen für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf
für Frauen – und Männer. Damit sich Erwerbs- und Familienarbeit gerechter
zwischen den Geschlechtern verteilt, bedarf es auch einer Überwindung der
immer noch vorhandenen traditionellen Rollenbilder.

Die Entwicklung flexibler Arbeitszeitmodelle, die eine geschlechtergerechte
und partnerschaftliche Aufteilung von Erziehungs- und Erwerbsarbeit von
Paaren fördern, sind zu unterstützen. Dabei ist sicherzustellen, dass diese
Arbeitsmodelle auch für Alleinerziehende eine gute Vereinbarkeit von Familie
und Beruf ermöglichen. Hier sind auch die Arbeitgeber und die Unternehmen
in der Pflicht.

Eine geschlechtergerechte Arbeitsmarktpolitik

Die Analyse der Arbeitslosenstatistik zeigt ebenfalls geschlechtsspezifische
Unterschiede auf. Auch werden Frauen bei der Jobvermittlung benachteiligt.
Dies belegt eine Studie des Instituts Arbeit und Qualifikation (IAQ) zusammen
mit weiteren Forschungseinrichtungen, die im Auftrag des Bundesministeriums

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für Arbeit und Soziales (BMAS) erstellt wurde (Hrsg.: BMAS, Bewertung der
Umsetzung des SGB II aus gleichstellungspolitischer Sicht, Juni 2009).

Auch wenn das Zweite Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) eine Reihe von gen-
der- bzw. gleichstellungsrelevanten Bestimmungen enthält, wie z. B., dass die
Gleichstellung von Männern und Frauen als durchgängiges Prinzip zu verfol-
gen ist (§ 1 Absatz 1 SGB II) und auch dass die Leistungen der Grundsicherung
insbesondere darauf auszurichten sind, dass geschlechtsspezifischen Nachteilen
von erwerbsfähigen Hilfebedürftigen entgegengewirkt wird, findet dies in der
Praxis nicht die erforderliche Umsetzung.

Die Arbeitsförderung soll insbesondere die berufliche Situation von Frauen
verbessern, indem sie auf die Beseitigung bestehender Nachteile sowie auf die
Überwindung eines geschlechtsspezifisch geprägten Ausbildungs- und Arbeits-
marktes hinwirkt und Frauen mindestens entsprechend ihrem Anteil an den
Arbeitslosen und ihrer relativen Betroffenheit von Arbeitslosigkeit gefördert
werden (§ 1 Absatz 2 Nummer 4 SGB III, der nach § 16 Absatz 1 Satz 4
SGB II auch für das SGB II gilt).

Als ein Ergebnis der Studie lässt sich festhalten, dass Frauen, wenn sie Arbeits-
losengeld II beziehen, seltener von Förderprogrammen der Arbeitsverwaltung
profitieren als Männer.

Insgesamt haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler festgehalten,
dass die Gleichstellungspolitik „bislang nicht systematisch in die Prozesse und
Abläufe“ der Jobcenter integriert ist. Auch hatten Ende 2007 fast 40 Prozent
der Grundsicherungsstellen noch keine Beauftragten für Gleichstellungsstellen
benannt. Insofern bleibt es den Grundsicherungsstellen überlassen, die Umset-
zung des Gleichstellungsziels selbst zu gestalten.

Alleinerziehende

Am 25. Februar 2010 hat die nationale Auftaktveranstaltung zum Europäischen
Jahr 2010 gegen Armut und soziale Ausgrenzung stattgefunden. Dies war der
öffentlichkeitswirksame Start des Europäischen Jahres in Deutschland.

Ziel des Europäischen Jahres 2010 ist es, das öffentliche Bewusstsein für die
Risiken von Armut und sozialer Ausgrenzung zu stärken und die Wahrnehmung
für ihre vielfältigen Ursachen und Auswirkungen zu schärfen. Nationale Durch-
führungsstelle ist das BMAS. Mit insgesamt 1,25 Mio. Euro fördern das Bun-
desministerium und die Europäische Kommission Projekte und Aktionen.

Eine gesellschaftliche Gruppe, die besonders von Armut bedroht bzw. betroffen
ist, ist die der Alleinerziehenden. Ihre Zahl wächst und Alleinerziehende sind
überwiegend weiblich.

Die fehlenden Betreuungseinrichtungen wirken sich in ihrer Situation beson-
ders nachteilig aus. Denn die Möglichkeit, den Lebensunterhalt durch Erwerbs-
tätigkeit zu erzielen, ist begrenzt. Dies spiegelt sich auch in dem hohen Anteil
der Alleinerziehenden wider, die Grundsicherung beziehen. Mehr als jede dritte
Familie mit nur einem Elternteil bezieht Leistungen der Grundsicherung nach
dem SGB II (IAB-Forum 1/2009). Für knapp ein Drittel der Alleinerziehenden
stellt die SGB-II-Leistung eine Überbrückungsphase dar. Allerdings besteht bei
knapp der Hälfte die Gefahr, dass sie relativ dauerhaft auf Hilfe angewiesen
sein wird. In welcher Situation sich die Alleinerziehende befindet, hängt
wesentlich vom Alter der Kinder ab. Je jünger diese sind, desto schwieriger ist
die Situation der Familie. Die Verbesserung der Betreuungsinfrastruktur, der
Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für unter Dreijährige erlangen ge-
rade auch für sie eine besondere Bedeutung.
Als Fazit stellt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) fest,
dass die Grundsicherung für Arbeitsuchende für Alleinerziehende besonders

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wichtig für ihre Existenzsicherung ist. Dabei weisen sie angesichts ihrer Situa-
tion eine hohe Arbeitsmarktorientierung auf; so sind Alleinerziehende von
Kleinkindern zu je einem Fünftel arbeitslos oder arbeitsuchend gemeldet. Da-
her muss die Vermittlung von Alleinerziehenden in existenzsichernde Arbeit
höchste Priorität haben.

Frauenförderung in Betrieben

Nach Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung im Novem-
ber 2009 ist Frauenförderung in deutschen Unternehmen immer noch die Aus-
nahme. So hat es im Jahr 2008 nur etwa in jedem zehnten Betrieb Vereinbarun-
gen zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen gegeben. Von den 16 000
befragten Betrieben hatten vier Prozent Vereinbarungen getroffen, bei sechs
Prozent sei die Frauenförderung in Tarifverträgen verankert, vier Prozent haben
sich freiwillig verpflichtet, der Rest hat weder Vereinbarungen noch Initiativen.

Bei der gezielten Karriereförderung von Frauen haben lediglich fünf Prozent
der Betriebe Mentoringprogramme u. a. angeboten. Die Bilanz falle, so die
Arbeitsmarktforscherinnen, eher ernüchternd aus.

Mentoringprogramme sind über den naturwissenschaftlich-technischen Bereich
hinaus auf alle Beschäftigungssektoren auszudehnen. Über die erfolgreiche
Implementierung in deutsche Forschungsverbünde wie die Fraunhofer- oder
Max-Planck-Gesellschaft müssen die Arbeitgeber und Unternehmen stärker für
Frauenförderungsprogramme sensibilisiert werden. Durch geschlechterge-
rechte Personalentwicklung sollen Unternehmensziele hin zu Chancengleich-
heit von Frauen und Männern verändert und im Unternehmensbild festge-
schrieben werden.

Frauen in Führungspositionen

In den 600 führenden deutschen Unternehmen waren 2008 2,4 Prozent Vor-
standsmitglieder Frauen (Studie KIT – Kooperation von Forschungszentrum
Karlsruhe GmbH und Universität Karlsruhe). Der Frauenanteil in deutschen
Aufsichtsräten lag 2008 bei 8,2 Prozent – allerdings sind 63 Prozent Vertrete-
rinnen der Arbeitnehmerseite. Der hohe Bildungsgrad von Frauen spiegelt sich
bis heute nicht in ihren beruflichen Positionen wider. Frauen sind in allen
Unternehmen auf allen Hierarchieebenen unterrepräsentiert. Je größer dabei
das Unternehmen und je höher die Hierarchieebene, desto geringer sind die
Chancen für Frauen, Führungspositionen zu erreichen.

Der Führungskräfte-Monitor, den das Deutsche Institut für Wirtschafts-
forschung im Auftrag des BMFSFJ erarbeitet hat, zeigt auf, welchen Benach-
teiligungen Frauen in Führungspositionen ausgesetzt sind. So sind sie nicht nur
weniger in Führungspositionen vertreten, sondern erhalten, wenn sie es denn in
solche Positionen geschafft haben, einen geringeren Verdienst und auch weni-
ger Sondervergütungen als ihre männlichen Kollegen.

Die Beteiligung von Frauen in Führungspositionen in der Wirtschaft, insbeson-
dere auch in Vorständen und Aufsichtsräten von Unternehmen, ist auf einem
unakzeptabel niedrigen Niveau. Die positiven Erfahrungen aus Norwegen, dass
hier mit gesetzlichen Quoten viel erreicht werden kann, sollte auch die Bundes-
regierung zum Handeln veranlassen. Das EU-Parlament hat die Einführung der
40-Prozent-Frauenquote in Norwegen ausdrücklich begrüßt.

Schul- und Hochschulabschlüsse

Der Anteil der Frauen in der Wissenschaft steigt, sie sind in höheren Positionen
aber ebenfalls nach wie vor unterrepräsentiert.
2008 waren von 442 100 Studienberechtigten 53 Prozent weiblich, etwa die
Hälfte der 396 600 Studienanfänger und 309 400 Absolventen waren Frauen.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/821

42 Prozent aller 2008 vergebenen Doktortitel erhielten Frauen. Während die
Frauenquote bei den Habilitationen bei 23 Prozent lag, beträgt innerhalb der
Professorenschaft der Frauenanteil allerdings nur 17 Prozent oder anders aus-
gedrückt: den 38 600 Professoren standen nur 6 700 Professorinnen gegenüber
(Statistisches Bundesamt 2009).

Vereinbarkeit von Familie und Beruf,
Elterngeld – Ausbau der Partnerschaftlichkeit

In der Bundesrepublik Deutschland ist ein Wandel hin zu einer echten Partner-
schaftlichkeit und damit zu einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf
durch beide Elternteile noch nicht eingetreten. Aber die neue Elternzeit mit
Partnermonaten ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Elternzeit wird in-
zwischen zu 20,7 Prozent (3. Quartal 2009, BMFSFJ) von Männern genommen.
Mehr als die Hälfte der Elterngeldväter unterbricht die eigene Erwerbsarbeit
jedoch nur für vier bis acht Wochen, also für die zwei Partnermonate, die sonst
verfallen würden. Damit sich diese Situation verbessert, müsste als ein weiterer
Schritt die Zahl der Partnermonate erhöht werden. Weiterhin kehren fast 90 Pro-
zent der Väter in ihre Vollzeitberufstätigkeit zurück, von den vor der Geburt des
ersten Kindes in Vollzeit beschäftigten Frauen gehen nur 14 Prozent wieder
zurück. Damit bleibt die alte Rollenverteilung und die berufliche Situation der
Frauen erschwert sich zunehmend, je länger sie die Erwerbstätigkeit unter-
brechen, aber auch, je länger sie in Teilzeitbeschäftigung verbleiben.

Gegenwärtig werden Paare, die sich die Kinderbetreuung partnerschaftlich
teilen und deswegen beide parallel in Elternteilzeit arbeiten wollen, durch das
Bundeserziehungsgeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) bestraft, da sich die
Bezugsdauer auf nur sieben anstatt der sonst 14 Monate trotz des jeweils nur
hälftigen Bezuges von Elterngeld verringert (sogenannter doppelter Anspruchs-
verbrauch).

Frauen tragen auch nach wie vor die Hauptlast der Pflege in der Familie. Die
mit der Pflegereform beschlossenen Verbesserungen waren ein erster wichtiger
Schritt. Dabei darf es jedoch nicht stehenbleiben. Damit erwerbstätige Frauen
und Männer bei Bedarf Pflege organisieren können, bedürfen sie einer bezahl-
ten Freistellung von mehreren Tagen.

Geschlechtergerechtes Steuersystem

Das Steuerrecht in Deutschland stellt für Ehefrauen eine Hürde dar, berufstätig
zu sein oder nach einer Pause den Wiedereinstieg in das Erwerbsleben zu fin-
den. Deutlich wird dies u. a. darin, dass bei deutlichen Verdienstunterschieden
zwischen den Ehepartnern die Wahl der Steuerklassen häufig für die Frauen mit
der Steuerklasse V „endet“.

Der Deutsche Bundestag begrüßt die erfolgte Einführung des Faktorverfahrens
als ersten Schritt für eine gerechtere Verteilung der Steuerlast im Lohnsteuer-
verfahren zwischen den Eheleuten. Unverändert begünstigt jedoch das Ehe-
gattensplitting Ehen mit großen Einkommensunterschieden zwischen den
Ehepartnern, insbesondere die Alleinverdienerehe, und fördert ein bestimmtes
Lebensmodell – und dies losgelöst von der Tatsache, ob Kinder vorhanden
sind. Der Staat sollte aber durch seine Steuerpolitik Kinder fördern, unabhängig
davon, ob diese in der Ehe oder einer Lebenspartnerschaft aufwachsen.

Drucksache 17/821 – 8 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. ein Programm zur Gleichstellung von Frauen und Männern auf dem Arbeits-
markt aufzulegen, das insbesondere gesetzliche Regelungen zur Entgelt-
gleichheit und Chancengleichheit von Frauen und Männern in der privaten
Wirtschaft beinhaltet;

2. das Gender-Mainstreaming-Prinzip konsequent als durchgängiges Leit-
prinzip des Handelns und der gleichstellungspolitischen Aktivitäten anzu-
wenden;

3. das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) weiterzuentwickeln, in-
dem

a) das AGG um ein explizites Verbot von Entgeltdiskriminierung ergänzt
wird, um dem selbstverständlichen Anspruch nach gleicher Entlohnung
für gleiche und gleichwertige Arbeit von Frauen und Männern stärkeren
Nachdruck zu verleihen,

b) eine deutliche Verbesserung der Beteiligung von Verbänden im AGG
verankert wird und die Möglichkeit der Einführung einer Verbandsklage
geprüft wird,

c) die Ausschlussfrist für Ansprüche nach dem AGG von zwei auf sechs
Monate verlängert wird,

d) im AGG für zulässige Ausnahmen vom Diskriminierungsverbot die alte
Formulierung des § 611a Absatz 1 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs
„Geschlecht unverzichtbare Voraussetzung“ beibehalten wird,

e) die Einführung einer Beweislastumkehr im AGG geprüft wird;

4. einen Tätigkeitsbericht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes als Unter-
richtung für den Bundestag in der Mitte und zum Ende einer Legislatur vor-
zulegen;

5. Maßnahmen zur Durchsetzung gleicher Entlohnung für gleiche und gleich-
wertige Arbeit zu ergreifen, indem

a) ein gesetzlicher Mindestlohn eingeführt wird,

b) eine Stundenbegrenzung bei Minijobs festgelegt wird, die im Ergebnis
mindestens den gesetzlichen bzw. tariflichen Mindestlohn garantiert,

c) die Gleichbehandlung aller Arbeitsverhältnisse auch durch Einbeziehung
in die Sozialversicherung ab dem ersten Euro sichergestellt wird,

d) ein Entgeltgleichheitsgesetz vorgelegt wird,

e) eine gesetzliche Verpflichtung der Tarifparteien eingeführt wird, die
ihnen auferlegt, den Entgeltsystemen diskriminierungsfreie Arbeitsplatz-
bewertungen zugrunde zu legen,

f) Diskriminierungschecks bei Tarifverträgen eingeführt werden,

g) bei der Vergabe öffentlicher Aufträge nur Unternehmen zu berücksichti-
gen sind, die Frauen und Männer gleich entlohnen und je nach Betriebs-
größe Gleichstellungspläne haben sowie die Vereinbarkeit von Beruf und
Familie ermöglichen und fördern;

6. die Bemühungen zu verstärken, Männer für sogenannte Frauenberufe und
Frauen für sogenannte Männerberufe zu gewinnen;

7. ein umfassendes Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft vorzulegen;

8. eine gesetzliche Regelung für eine Frauenquote von mindestens 40 Prozent

in Vorständen und Aufsichtsräten einzuführen;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9 – Drucksache 17/821

9. die Gleichstellung in Forschung und Lehre voranzubringen, indem

a) das Professorinnenprogramm gemeinsam mit den Ländern verlängert
und ausgebaut wird und entsprechende Förderprogramme auch auf den
akademischen Mittelbau ausgedehnt werden, um den Frauenanteil zu
erhöhen,

b) sie sich dafür einsetzt, dass eine an Gender Mainstreaming und einer
effektiven Frauenförderung ausgerichtete Personalpolitik in den Hoch-
schulen stattfindet, damit mehr Frauen in Leitungsfunktionen kommen;

10. eine konsequente und in allen Bereichen geschlechtersensible Umgestal-
tung der Sozialgesetzbücher II und III vorzunehmen, indem

a) Konzepte und Handlungsroutinen für die Grundsicherungsstellen vor-
gegeben werden, die für eine Gleichstellung förderlich sind, auch damit
diese bei der Betreuung von erwerbsfähigen Hilfebedürftigen gender-
sensibel vorgehen und entsprechend geschlechtsbezogen spezifische
Lebenslagen berücksichtigen,

b) für die Sicherstellung der Beauftragten für Chancengleichheit bei den
Trägern der Grundsicherung und eine Ausweitung ihrer Rechte dort so-
wie bei der Bundesagentur für Arbeit gesorgt wird,

c) Eingliederungshilfen auch für Nichtleistungsbezieherinnen und -bezie-
her vorzusehen sind,

d) dafür Sorge getragen wird, dass ältere Arbeitnehmerinnen, Frauen mit
Behinderung und Migrantinnen zu weiteren Zielgruppen aktiver
Arbeitsmarktpolitik werden,

e) Maßnahmen zur Erhaltung und Verbesserung der Beschäftigungsfähig-
keit von Alleinerziehenden vorzusehen sind;

11. Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsleben zu
ergreifen, indem

a) der qualitative und quantitative Ausbau des Betreuungsangebotes wei-
ter vorangebracht wird und ein Rechtsanspruch auf eine Ganztags-
betreuung eingeführt wird,

b) sie sich bei den Ländern für eine beitragsfreie und auf die Arbeitszeiten
erwerbstätiger Frauen und Männer zugeschnittene Kinderbetreuung
einsetzt,

c) mit geeigneten Maßnahmen sichergestellt wird, dass gemäß § 10
Absatz 3 SGB II die zuständigen kommunalen Träger darauf hinwirken,
dass erwerbsfähigen Erziehenden vorrangig ein Platz zur Tagesbetreu-
ung des Kindes angeboten wird,

d) bei den Arbeitgebern und Unternehmen darauf hingewirkt wird, dass
ein ausreichendes Angebot an flexiblen Arbeitszeitmodellen für eine
bessere Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsleben für Frauen und
Männer zur Verfügung steht,

e) beim Elterngeld eine Verdoppelung der Partnermonate auf vier Monate
bei entsprechender Ausgestaltung der partnerschaftlichen Elemente ein-
geführt wird,

f) eine Änderung des § 4 Absatz 2 BEEG vorgenommen wird, mit dem
Ziel, den doppelten Anspruchsverbrauch bei gleichzeitiger Elternteilzeit
aufzuheben,

g) für alle erwerbstätigen Frauen und Männer ein Anspruch auf Entgelt-

fortzahlung für die Dauer einer zehntägigen Freistellung zur Organisa-
tion der Pflege eingeführt wird;

Drucksache 17/821 – 10 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

12. das Steuersystem geschlechtergerecht auszugestalten, damit es für Frauen
keine Hürde darstellt, erwerbstätig zu werden und ihrer beruflichen Eman-
zipation nichts mehr im Wege steht.

Berlin, den 25. Februar 2010

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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