BT-Drucksache 17/8201

a) zu dem Gesetzentwurf der Abgeordneten Katja Dörner, Ekin Deligöz, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drucksache 17/1579 - Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Achten Buches Sozialgesetzbuch - Aufhebung der Ankündigung eines Betreuungsgeldes b) zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Marks, Petra Crone, Christel Humme, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD - Drucksache 17/6088 - Auf die Einführung des Betreuungsgeldes verzichten

Vom 15. Dezember 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8201
17. Wahlperiode 15. 12. 2011

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss)

a) zu dem Gesetzentwurf der Abgeordneten Katja Dörner, Ekin Deligöz,
Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
– Drucksache 17/1579 –

Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Achten Buches
Sozialgesetzbuch – Aufhebung der Ankündigung eines Betreuungsgeldes

b) zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Marks, Petra Crone, Christel Humme,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
– Drucksache 17/6088 –

Auf die Einführung des Betreuungsgeldes verzichten

A. Problem

Gegenstand der Vorlagen ist die Aufhebung der Regelung in § 16 Absatz 4 des
Achten Buches Sozialgesetzbuch – SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfegesetz,
KJHG), wonach ab dem Jahr 2013 für Eltern, die ihre Kinder von ein bis drei
Jahren nicht in Einrichtungen betreuen lassen wollen oder können, eine monat-
liche Zahlung (zum Beispiel Betreuungsgeld) eingeführt werden soll. Im Koali-
tionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP ist in Umsetzung dieser Regelung
die Einführung eines Betreuungsgeldes in Höhe von 150 Euro, gegebenenfalls
als Gutschein, für Kinder unter drei Jahren ab dem Jahr 2013 als Bundesleis-
tung vorgesehen.

Hintergrund sind die Anstrengungen um einen qualitativen und quantitativen
Ausbau des Tagesbetreuungsangebots für Kinder unter drei Jahren, für den zu-
nächst mit dem Tagesbetreuungsausbaugesetz (TAG) im Jahr 2005 und sodann
mit dem Kinderförderungsgesetz (KiföG) im Jahr 2008 die bundesrechtlichen
Voraussetzungen geschaffen worden waren. Zielte das TAG noch auf einen

Ausbau des Versorgungsangebots von bundesweit durchschnittlich 21 Prozent
bis zum Jahr 2010, sollten mit dem KiföG die Voraussetzungen für die Schaf-
fung eines hochwertigen Betreuungsangebots für 35 Prozent der Kinder unter
drei Jahren im Bundesdurchschnitt und die anteilige Finanzierung dessen durch
den Bund geschaffen werden, soweit Letzteres nicht bereits durch das Kinder-
betreuungsfinanzierungsgesetz geschehen war. Schwerpunkte des Gesetzes wa-
ren neben den finanziellen Regelungen eine an erweiterte Kriterien geknüpfte

Drucksache 17/8201 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Verpflichtung der Träger der örtlichen Jugendhilfe zur Vorhaltung von Plätzen
in Tageseinrichtungen und Tagespflege sowie eine stufenweise Ausbauver-
pflichtung, die Einführung eines Rechtsanspruchs auf frühkindliche Förderung
in einer Tageseinrichtung oder in der Tagespflege für Kinder ab dem vollende-
ten ersten Lebensjahr ab dem Kindergartenjahr 2013/2014 und die qualitative
Verbesserung der Kindertagespflege. Gleichzeitig fügte das Gesetz die erwähn-
te Ankündigung zum Betreuungsgeld in das KJHG ein.

Aus Sicht des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/1579 konterkariert ein sol-
ches Betreuungsgeld zentrale bildungs- und sozialpolitische Zielstellungen,
widerspricht den Prinzipien einer modernen Gesellschaft und entzieht zentralen
politischen Zielsetzungen wie der Armutsbekämpfung und dem Ausbau der
Kindertagesbetreuung finanzielle Ressourcen. Der Gesetzentwurf sieht deshalb
die Aufhebung des § 16 Absatz 4 SGB VIII vor, womit sich auch die Pläne der
jetzigen Koalition zur Umsetzung des Betreuungsgeldes erledigen würden.

Auch der Antrag auf Drucksache 17/6088 wendet sich gegen die Einführung
eines Betreuungsgeldes. Zur Begründung werden unter anderem zwei rechts-
wissenschaftliche Gutachten angeführt, die auf sozial-, integrations- und
gleichstellungspolitische sowie verfassungsrechtliche Probleme hinweisen.
Statt der Einführung eines Betreuungsgeldes solle sich die Bundesregierung
vielmehr verstärkt für den Ausbau von Angeboten zur frühkindlichen Bildung
und Betreuung einsetzen.

B. Lösung

Zu Buchstabe a

Ablehnung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/1579 mit den Stimmen
der Fraktionen der CDU/CSU und FDP gegen die Stimmen der Frak-
tionen SPD, DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Zu Buchstabe b

Ablehnung des Antrags auf Drucksache 17/6088 mit den Stimmen der
Fraktionen der CDU/CSU und FDP gegen die Stimmen der Fraktionen
SPD, DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

C. Alternativen

Annahme des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/1579 sowie Annahme des
Antrags auf Drucksache 17/6088.

D. Kosten

Der Gesetzentwurf beziffert die Kosten eines Betreuungsgeldes mit ca.
1,9 Mrd. Euro pro Jahr. Diese Kosten würden im Falle der Annahme des Ge-
setzentwurfs nicht anfallen, ebensowenig wie die Kosten für den Verwaltungs-
aufwand, der für den Vollzug eines Betreuungsgeldes erforderlich wäre.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/8201

Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,

a) den Gesetzentwurf auf Drucksache 17/1579 abzulehnen,

b) den Antrag auf Drucksache 17/6088 abzulehnen.

Berlin, den 30. November 2011

Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Christel Humme
Stellvertretnde Vorsitzende

Dorothee Bär
Berichterstatterin

Caren Marks
Berichterstatterin

Miriam Gruß
Berichterstatterin

Diana Golze
Berichterstatterin

Katja Dörner
Berichterstatterin

Das Betreuungsgeld stehe zudem im Widerspruch zu einer
auf bessere Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben

werten.
zielenden Politik. Auch würde der Wegfall des Betreuungs-
geldes die Wahlfreiheit von Eltern bezüglich der Wahl der
Kinderbetreuung nicht behindern. Wahlfreiheit werde da-
durch hergestellt, dass genügend qualitativ hochwertige und

Statt der Einführung eines Betreuungsgeldes spricht sich der
Antrag für den weiteren Ausbau eines bedarfsgerechten und
qualitativ hochwertigen Angebots an Bildungs- und Betreu-
ungsplätzen für Kinder unter drei Jahren aus. Nur so könne
Drucksache 17/8201 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Bericht der Abgeordneten Dorothee Bär, Caren Marks, Miriam Gruß, Diana Golze
und Katja Dörner

I. Überweisung
Der Gesetzentwurf auf Drucksache 17/1579 wurde in der
49. Sitzung des Deutschen Bundestages am 17. Juni 2010
dem Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
zur Beratung überwiesen.

Der Antrag auf Drucksache 17/6088 wurde in der 114. Sit-
zung des Deutschen Bundestages am 9. Juni 2011 dem Aus-
schuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zur Bera-
tung überwiesen.

II. Wesentlicher Inhalt der Vorlagen

Zu Buchstabe a

Der Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN sieht die Aufhebung des § 16 Absatz 4 SGB VIII
und damit den Verzicht auf die Einführung eines Betreu-
ungsgeldes ab dem Jahr 2013 vor.

Zur Begründung wird ausgeführt, frühkindliche Bildung sei
der Schlüssel zum lebenslangen Bildungserfolg. Insbeson-
dere für bildungsferne und zugleich einkommensschwache
Eltern biete das Betreuungsgeld jedoch einen starken An-
reiz, auf den Kitabesuch zu verzichten und die Geldleistung
in Anspruch zu nehmen. Mit einer qualitativ hochwertigen
Förderung würden Kinder mit günstigen familiären Voraus-
setzungen zusätzlich gefördert, während bei Kindern mit
weniger guten Startbedingungen Defizite vor dem Schulein-
tritt ausgeglichen werden könnten. Der wünschenswerte
Ausbau der Kindertagesbetreuung müsse vor allem vor dem
Hintergrund einer grundlegenden bildungspolitischen Neu-
bewertung der frühen vorschulischen Bildung gesehen wer-
den. Bei der Priorität auf Investitionen in frühkindliche För-
derangebote gehe es nicht um einen „Ersatz“ für Familie,
sondern um Ergänzung und Unterstützung der Ressourcen
von Familien.

Handlungsbedarf bestehe über den dringend notwendigen
quantitativen Ausbau der Kinderbetreuung hinaus insbeson-
dere mit Blick auf die Qualität der Angebote. Statt mit
einem Betreuungsgeld eine Art „Fernbleibeprämie“ für
öffentlich finanzierte Betreuungsangebote zu schaffen, soll-
ten zusätzliche Mittel vorrangig in qualitative Maßnahmen
zur Verbesserung der pädagogischen Konzepte, die Aufwer-
tung der Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern so-
wie in die Verkleinerung der Gruppengrößen fließen.
Außerdem sollte gerade mit Blick auf einkommensschwa-
che Familien die Absenkung der Elternbeiträge in Angriff
genommen werden. Die Einführung des Betreuungsgeldes
würde die finanziellen Ressourcen dafür blockieren.

ausbau schaffe ein – zumindest teilweise staatlich finanzier-
tes – Angebot, das Familien zur Unterstützung der frühen
Förderung ihrer Kinder freiwillig in Anspruch nehmen
könnten. Wenn sich Eltern gegen die Nutzung dieses Ange-
botes entschieden, könne daraus kein Anspruch auf Kom-
pensation abgeleitet werden.

Das Betreuungsgeld unterliege schließlich auch starken ver-
fassungsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf den Gleich-
heitssatz des Grundgesetzes. Eltern, die ihre Kinder nicht in
einer Betreuungseinrichtung betreuen ließen, erhielten
staatliche Zahlungen, während Eltern, die ihre Kinder be-
treuen ließen, diese Zahlungen nicht erhielten. Dies sei im
Hinblick auf den Gleichheitssatz jedenfalls solange bedenk-
lich, wie Eltern für die Kinderbetreuung auch in staatlich
unterstützten Einrichtungen Geld aufwenden müssten.

Zu Buchstabe b

Auch der Antrag der Fraktion der SPD wendet sich gegen
die Einführung des Betreuungsgeldes. Dieses würde nicht
nur jährliche Kosten in Höhe von etwa 2 Mrd. Euro verursa-
chen, sondern sei, wie mehrere Studien belegten, auch aus
sozial-, integrations- und gleichstellungspolitischer Sicht
verfehlt sowie verfassungsrechtlich problematisch.

So verfestige nach einer Expertise von Prof. Dr. Margarete
Schuler-Harms das Betreuungsgeld nicht nur die traditio-
nelle Rollenverteilung zwischen Frauen und Männern und
laufe somit dem Gleichstellungsgebot des Grundgesetzes
zuwider. Zusätzlich halte die Inanspruchnahme des Betreu-
ungsgeldes auch die Eltern von der Erwerbstätigkeit fern
und setze sie einer erhöhten Armutsgefährdung aus. Das Ar-
gument der Befürworter eines Betreuungsgeldes, Wahlfrei-
heit für die Eltern zu schaffen, überzeuge nicht. Eine echte
Wahlfreiheit erzeuge man vielmehr durch die Bereitstellung
eines umfangreicheren öffentlich geförderten Angebots an
Kinderbetreuungsmöglichkeiten.

Auch das Gutachten von Prof. Dr. Ute Sacksofsky komme
zu dem Ergebnis, dass die geplante Einführung des Betreu-
ungsgeldes gegen den Schutz der Familie nach Artikel 6
Absatz 1 des Grundgesetzes sowie gegen den Verfassungs-
auftrag zur Förderung der tatsächlichen Durchsetzung der
Gleichberechtigung von Frauen und Männern gemäß Arti-
kel 3 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes verstoße. Darüber
hinaus schaffe das Betreuungsgeld nach Erkenntnissen des
Thüringer Kindersozialberichts 2009 zur Einführung eines
Landeserziehungsgeldes einen großen Anreiz gerade für
ökonomisch schwächere Familien, ihre Kinder nicht in eine
vorschulische Bildungseinrichtung zu bringen und sei daher
auch sozial- und bildungspolitisch äußerst kritisch zu be-
gebührenfreie bzw. kostengünstige Ganztagsbetreuungs-
plätze zur Verfügung stünden. Der Kindertagesbetreuungs-

echte Wahlfreiheit hergestellt werden. Vor diesem Hinter-
grund fordert der Antrag die Bundesregierung auf, auf die

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/8201

Einführung eines Betreuungsgeldes zu verzichten und einen
Gesetzentwurf zur Streichung des § 16 Absatz 4 SGB VIII
vorzulegen sowie sich verstärkt für den bedarfsgerechten
Ausbau von Angeboten zur frühkindlichen Bildung und Be-
treuung von Kindern unter drei Jahren einzusetzen.

III. Beratungsverlauf und Beratungsergebnisse
im federführenden Ausschuss

1. Abstimmungsergebnis

Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
empfiehlt mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU
und FDP gegen die Stimmen der Fraktionen SPD, DIE
LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Ablehnung
des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/1579.

Er empfiehlt mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/
CSU und FDP gegen die Stimmen der Fraktionen SPD, DIE
LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Ablehnung
des Antrags auf Drucksache 17/6088.

2. Inhalt der Ausschussberatungen

Der Ausschuss hat in seiner 44. Sitzung am 4. Juli 2011 eine
öffentliche Anhörung zu den Vorlagen durchgeführt. Es
wurden folgende Sachverständige gehört: Prof. Dr. Michael
Klundt (Hochschule Magdeburg-Stendal, Fachbereich An-
gewandte Humanwissenschaften); Dipl.-Soz. Svenja Pfahl
(SowiTra – Institut für sozialwissenschaftlichen Transfer);
Prof. Dr. Axel Plünnecke (Institut der deutschen Wirtschaft
Köln); Prof. Dr. Ute Sacksofsky, M. P. A. (Harvard) (Johann
Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, Lehrstuhl
für Öffentliches Recht und Rechtsvergleichung); Maria
Steuer (Familien e. V.) und Dr. Klaus Zeh (Mitglied des
Thüringer Landtages).

Wegen des Ergebnisses der Anhörung wird auf das Wort-
protokoll der Sitzung vom 4. Juli 2011 verwiesen.

Der Ausschuss hat die Vorlagen sodann in seiner 53. Sit-
zung am 30. November 2011 abschließend beraten.

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN warnte vor
einer „bildungs- und gleichstellungspolitischen Katastro-
phe“ für den Fall, dass das Betreuungsgeld in der jetzt inner-
halb der Koalition angedachten Form umgesetzt werde. Der
Begriff Wahlfreiheit in diesem Zusammenhang suggeriere,
dass es einen Zwang gebe, Kinder in Kindertagesstätten be-
treuen zu lassen. In Wirklichkeit bestehe derzeit noch keine
Wahlfreiheit, weil Kitaplätze fehlten und weil der frühkind-
liche Bereich unzureichend ausgestattet sei. Es sei davon
auszugehen, dass viele Abgeordnete innerhalb der CDU/
CSU-Fraktion und innerhalb der FDP-Fraktion diese Ar-
gumentation teilten. Es gebe offenbar in der Koalition Pla-
nungen, wonach die Berufstätigkeit der Eltern keine Rele-
vanz für die Frage haben solle, ob Betreuungsgeld gezahlt
werde oder nicht. Es solle nur darauf ankommen, ob das
Kind die Kindertagesstätte besuche oder nicht. In diesem
Fall würde das Betreuungsgeld nach Ansicht der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu einer „Kita-Fernhalte-Prä-
mie“ verkommen. Beispielsweise würden berufstätige
Eltern mit einem hohen Einkommen, die ihr Kind zu einer
Tagespflege gäben, zukünftig mit 150 Euro vom Staat sub-

Prioritätensetzung. Es gehe vielmehr darum, in den Frühele-
mentarbereich, also in die Kindertagesstätten, zu investie-
ren. Der Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN sehe vor, durch eine Streichung von § 16
Absatz 4 SGB VIII den Plänen der Koalition für ein Betreu-
ungsgeld die Grundlage zu entziehen. Das Betreuungsgeld
sei in vielerlei Hinsicht ein falsches gesellschaftspolitisches
Signal.

Die Fraktion der CDU/CSU stellte fest, die Diskussion
über das Betreuungsgeld zeige, dass die Opposition unter-
schiedliche Lebensrealitäten in Deutschland nicht wahrneh-
men wolle. Es gehe darum, eine Wahlfreiheit für die Eltern
zu schaffen und ihnen nicht ein „richtiges“ oder „falsches“
Familienbild vom Staat aufoktroyieren zu lassen. Wenn der
Staat Milliardenbeträge in ein bestimmtes Modell stecke, so
gebe dies jungen Eltern das Gefühl, dass man die anderen
Modelle unter den Tisch fallen lasse. Öffentliche Diskus-
sionsbeiträge von SPD-Politikern zeigten, dass Eltern per se
unterstellt werde, dass das Betreuungsgeld nicht für die Be-
dürfnisse der Kinder, sondern für die Bedürfnisse der Eltern
ausgegeben werde. Aus der Sicht der Fraktion der CDU/
CSU müsse aber den Eltern das Vertrauen geschenkt wer-
den, dass sie das Geld in ihre Kinder investierten. Eine Ein-
engung auf ein bestimmtes Lebensmodell dürfe nicht statt-
finden.

Die Fraktion der SPD erklärte, dass sie sehr wohl die Viel-
falt und die Lebenswirklichkeit von Familien akzeptiere und
dass es für sie keinen richtigen und keinen falschen Weg ge-
be, wie Familien in Deutschland lebten. Man sei sich mit
dem Präsidenten der Bundesvereinigung der Arbeitgeber-
verbände und dem Bundesvorsitzenden des Deutschen Ge-
werkschaftsbundes darüber einig, dass die Einführung eines
Betreuungsgeldes für Mütter und Väter, die keinen Betreu-
ungsplatz für ihr ein- bis dreijähriges Kind in Anspruch
nähmen, nicht in unsere Zeit passe und zudem bildungs-
und arbeitsmarktpolitisch die falschen Signale setze. Auch
nach deren Ansicht sei es kontraproduktiv, wenn der Staat
Eltern subventioniere, die ihre Kinder nicht in öffentliche
Bildungseinrichtungen schickten. Der Streit innerhalb der
Koalitionsfraktionen über das Betreuungsgeld zeige, dass es
schwerfalle, sich hinter diesem Projekt zu versammeln. Die
Leistung müsse sozial-, integrations-, bildungs- und gleich-
stellungspolitisch als „Katastrophe“ bewertet werden. Es
gehe nicht an, dass für die Nichtinanspruchnahme einer
staatlichen Leistung eine Prämie gezahlt werde. Dies sei
auch im Hinblick auf die Artikel 3 und 6 des Grundgesetzes
verfassungsrechtlich problematisch.

Das Betreuungsgeld widerspreche der – auch von der Bun-
desregierung geteilten – Zielsetzung, die Erwerbsbeteili-
gung von Frauen zu erhöhen. Darüber hinaus widerspreche
es der Idee, Kindern von Anfang an gleiche Chancen zu ge-
ben, und auch der Idee einer Wahlmöglichkeit. Familien mit
geringem Einkommen oder Alleinerziehende hätten keine
wirkliche Wahlmöglichkeit, ob sie einer Erwerbstätigkeit
nachgingen. Diese stünden häufig vor dem Problem, ihre
Erwerbstätigkeit mit Kinderbetreuungsangeboten für sehr
kleine Kinder in Einklang zu bringen, weil es zu wenige
Krippenplätze gebe. Wenn der Staat in den Ausbau der
Krippenplätze einseitig investiere, so erfülle er damit seine
ventioniert. Vor dem Hintergrund der Diskussion über Neu-
verschuldung und Schuldenbremse sei dies eine falsche

Aufgabe, in den Bereich Bildung zu investieren. Vor diesem
Hintergrund bedürfe es keiner Kompensation an anderer

Berlin, den 30. November 2011

Dorothee Bär
Berichterstatterin

Caren Marks
Berichterstatterin

Miriam Gruß
Berichterstatterin

Diana Golze
Berichterstatterin

Katja Dörner
Berichterstatterin
Drucksache 17/8201 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Stelle. Im Rahmen der Diskussion um das Betreuungsgeld
sei auch daran zu erinnern, dass der Staat bislang einseitig
in das Familienmodell des Einverdienerhaushalts investiert
habe, zum Beispiel durch das Ehegattensplitting und durch
die kostenlose Krankenmitversicherung. Schließlich sei das
Betreuungsgeld auch unter Haushaltsgesichtspunkten nicht
vertretbar, da hier Milliardenbeträge für Fehlanreize ausge-
geben würden.

Die Fraktion der FDP führte aus, dass das Betreuungsgeld
nicht auf ihre Initiative zurückzuführen sei. Nunmehr kom-
me es auf die konkrete Ausgestaltung an. Hierbei sei von
besonderer Bedeutung, dass es verfassungsfest ausgestaltet
werde und dass Fehlanreize vermieden würden. Der Gesetz-
entwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der
Antrag der Fraktion der SPD seien abzulehnen.

Die Fraktion DIE LINKE. betonte, dass eine Wahlfreiheit
nur dann bestehe, wenn man wirklich die Wahl habe, einen
Platz in einer Kindertagesstätte in Anspruch zu nehmen
oder nicht. Erst dann habe man die Wahl, anstelle der Be-
treuung in einer Kindertagesstätte sein Kind komplett selbst
zu betreuen oder es stundenweise in eine andere Form der
Betreuung zu geben. Von einem Vorschreiben eines be-
stimmten Familienmodells oder eines Erziehungsmodells
könnte nur dann gesprochen werden, wenn eine Verpflich-
tung zur Inanspruchnahme eines Platzes in einer Kinderta-
gesstätte in Rede stünde. Unter der Voraussetzung, dass man
einen Platz in einer Kindertagesstätte habe, bestehe schon

jetzt eine Wahlmöglichkeit. Es könne deshalb nicht nach-
vollzogen werden, weshalb die Entscheidung gegen eine In-
anspruchnahme einer öffentlichen Kinderbetreuung mit
150 Euro monatlich gefördert werden solle, jedoch nicht die
Entscheidung für eine solche Kinderbetreuung. Dies könne
auch nicht mit der Anerkennung von Erziehungsleistungen
begründet werden. Eltern, die ihre Kinder stundenweise in
eine öffentliche Kinderbetreuung gäben, kämen nämlich
ihrer Erziehungspflicht genauso nach wie Eltern, die die
Kinderbetreuung anderweitig organisierten oder die die
Kinder komplett selbst betreuten.

Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend prüfe derzeit, ob das Betreuungsgeld auf Leistungen
nach dem Arbeitslosengeld II anzurechnen sei. Unabhängig
vom Ergebnis dieser Prüfung werde es durch die Einfüh-
rung des Betreuungsgeldes zu einer Schlechterstellung von
Eltern im Hartz-IV-Bezug kommen. Die Erziehungsleistung
von Eltern, die aufgrund von Erwerbslosigkeit zu Hause sei-
en, unterscheide sich nicht von der Erziehungsleistung von
Eltern, die sich aus freien Stücken zu Hause befänden.
Wenn das Betreuungsgeld nicht auf das Arbeitlosengeld II
angerechnet werde, so seien die betreffenden Eltern den-
noch oft finanziell in einer so prekären Lage, dass sie ihre
Kinder nicht in der Kita anmeldeten, weil sie den Betrag
von 150 Euro monatlich bräuchten, um ihren Alltag zu be-
streiten. Somit würden durch die Einführung des Betreu-
ungsgeldes Ungerechtigkeiten und Fehlanreize geschaffen.

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