BT-Drucksache 17/8183

Millennium-Entwicklungsziele ernst nehmen - Infektionserkrankungen wirksam durch eine nationale und europäische Förderung von Product Development Partnerships bekämpfen

Vom 14. Dezember 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8183
17. Wahlperiode 14. 12. 2011

Antrag
der Abgeordneten René Röspel, Karin Roth (Esslingen), Dr. Ernst Dieter
Rossmann, Willi Brase, Ulla Burchardt, Petra Ernstberger, Michael Gerdes, Iris
Gleicke, Klaus Hagemann, Oliver Kaczmarek, Ute Kumpf, Caren Marks,
Thomas Oppermann, Florian Pronold, Mechthild Rawert, Marianne Schieder
(Schwandorf), Swen Schulz (Spandau), Dagmar Ziegler, Dr. Frank-Walter
Steinmeier und der Fraktion der SPD

Millennium-Entwicklungsziele ernst nehmen – Infektionserkrankungen wirksam
durch eine nationale und europäische Förderung von Product Development
Partnerships bekämpfen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

2001 wurden auf Ebene der Vereinten Nationen die sogenannten Millennium-
Entwicklungsziele beschlossen. Mit ihnen hat sich die internationale Staaten-
gemeinschaft auf acht Ziele zur Verbesserung der Lage von Menschen in armen
Ländern bis 2015 verständigt.

Fast die Hälfte aller Todesfälle in armen Ländern ist auf Infektionskrankheiten
zurückzuführen. Rund 90 Prozent davon werden durch Durchfall- und Atem-
wegserkrankungen bei Kindern, HIV/AIDS, Tuberkulose, Malaria und Masern
verursacht. Um die Situation der Menschen in diesen Ländern zu verbessern,
haben sich alle Staaten in den Millennium-Entwicklungszielen auch die Be-
kämpfung dieser vernachlässigten Infektionskrankheiten zum Ziel gesetzt. Die
Reduzierung von Infektionskrankheiten ist damit eine globale Aufgabe. Fest
steht auch, dass Infektionskrankheiten keine Grenzen kennen. Es liegt also
auch in unserem wohlverstandenen Eigeninteresse, beispielsweise eine Aus-
breitung von multiresistenter Tuberkulose rechtzeitig zu bekämpfen.

Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler arbeiten an Fragestellungen,
die das Potenzial für die Entwicklung von Impfstoffen oder Verhütungs-, Heil-
und Diagnosemitteln für Infektionskrankheiten haben. Oft befinden sich diese
Arbeiten noch im Stadium der Grundlagenforschung. Um aus diesem Wissen
ein neues Produkt zu erstellen, müssen diese Stoffe in kosten- und zeitinten-
siven klinischen Studien auf ihre Tauglichkeit hin geprüft werden. Viele dieser
Stoffe erweisen sich in diesen Studien leider als unwirksam. Geldgeber, insbe-
sondere private Unternehmen, sind bei der Finanzierung dementsprechend zu-

rückhaltend. Insbesondere, weil sie auch einen erfolgreichen Wirkstoff in den
armen Ländern nicht gewinnbringend verkaufen könnten. Deshalb wurde in
den letzten Jahren nur eine geringe Zahl an neuen Impfstoffen und Medikamen-
ten für die Menschen in ärmeren Ländern entwickelt.

Um diesem Dilemma zu begegnen, wurden verschiedene innovative Wege ent-
wickelt, die sich in unterschiedlichen Stadien der Umsetzung befinden.

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Einen möglichen Ansatz, die Entwicklung von Impfstoffen und Medikamenten
für die sogenannten vernachlässigten Krankheiten (neglected tropical diseases)
zu fördern, bildet die Idee eines Health Impact Fund (HIF). Das bestehende Pa-
tentsystem bietet zwar Anreize für die Erforschung und den Vertrieb neuer
Wirkstoffe, doch es lässt gerade in Märkten mit geringer Kaufkraft auch Ver-
sorgungslücken. Der Health Impact Fund ist ein Ansatz, diese Lücken zu
schließen und die weltweite Versorgung mit neuen Medikamenten zu verbes-
sern. Von Staaten finanziert, böte der HIF Patentinhabern die Möglichkeit, auf
Monopolpreise zugunsten von Prämien zu verzichten, deren Höhe sich nach
den globalen Auswirkungen ihres neuen Produkts richtet. Ein Unternehmen,
das ein Medikament beim HIF melden würde, würde sich verpflichten, es welt-
weit zum Kostenpreis anzubieten. Im Gegenzug erhielte es für eine bestimmte
Zeit Prämien auf Basis der gemessenen Auswirkungen des Medikaments auf
die Weltgesundheit. Die Meldung beim HIF wäre freiwillig, und Patentrechte
blieben den Meldern erhalten.

Ein anderes Modell bietet schon das Beispiel der TuBerculosis Vaccine Initia-
tive (TBVI), ein Verbund von mehreren europäischen Forschungsinstituten, die
einen Impfstoff gegen Tuberkulose entwickeln. Grundidee der TBVI ist eine
Vorfinanzierung der sehr teuren klinischen Phasen durch einen Kredit der Euro-
päischen Investitionsbank mit einer Bürgschaft durch die EU oder deren Mit-
gliedstaaten. Das Modell der TBVI entspricht ganz dem Grundgedanken des
Europa-2020-Programms, und eine Verankerung in das 8. Forschungsrahmen-
programm („Horizon 2020“) würde den europäischen Zielen dienen.

Die wohl am weitesten vorangekommene Initiative sind die sogenannten Pro-
duct Development Partnerships (PDPs). Im Rahmen von PDPs arbeiten Ver-
treterinnen und Vertreter aus Wissenschaft, Wirtschaft, Nichtregierungsorgani-
sationen und staatlichen Stellen eng zusammen, um am Ende ein erfolgreiches
und auch für die Menschen in den ärmeren Ländern erschwingliches Produkt
gegen Infektionskrankheiten auf den Markt zu bringen. Im Idealfall umfasst
diese Zusammenarbeit den gesamten Innovationszyklus von der Idee bis zum
fertigen Produkt. Finanziert werden diese Gemeinschaften von Staaten und/
oder Stiftungen, Unternehmen bringen Sachleistungen ein und die Wissen-
schaft stellt Forschungsergebnisse zur Verfügung. Als besonders schwierig bei
der Suche nach finanziellen Sponsoren hat sich dabei der Schritt von der klini-
schen Phase IIa (Überprüfung des Konzepts) zu Phase IIb (Findung der geeig-
neten Applikationsform) erwiesen. Mittlerweile haben sich verschiedene PDPs
mit unterschiedlichen Produktportfolios gegründet. Erste Produkte sind bereits
auf dem Markt und neue Produkte sind in Aussicht. Die PDPs stellen damit ein
erfolgversprechendes und innovatives Konzept zur Bekämpfung von Infek-
tionskrankheiten dar.

Nach längeren Kompetenzstreitereien wurde innerhalb der Bundesregierung
entschieden, dass die Forschungsförderung im Bereich der vernachlässigten In-
fektionskrankheiten durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung
(BMBF) koordiniert und gefördert werden soll. Der Deutsche Bundestag hat
erstmalig für das Haushaltsjahr 2011 Gelder für PDPs im Einzelplan 30 zur
Verfügung gestellt. Für den Zeitraum 2011 bis 2014 werden hierzu 20 Mio.
Euro bereitgestellt. Gefördert werden sollen dabei PDPs, die sich mit Infek-
tionskrankheiten mit besonderem Bezug zu Kindern beschäftigen. Durch diese
thematische Eingrenzung des BMBF können leider keine PDPs im Bereich Tu-
berkulose und HIV/AIDS gefördert werden. Das ist sehr bedauerlich. Ärgerlich
ist darüber hinaus, dass sich der Start der gesamten Förderausschreibungen auf
Grund von Streitigkeiten innerhalb der Bundesregierung um mehrere Monate
verzögert hat.
Die starke Eingrenzung der PDP-Förderung der Bundesregierung ist dem ver-
gleichsweise geringen finanziellen Förderumfang geschuldet und beweist die

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/8183

Zaghaftigkeit der Förderung eines innovativen Instruments im Kampf gegen
schwerste Krankheiten durch die Bundesregierung. Die jährliche Förderung in
Höhe von 5 Mio. Euro ist im Vergleich zur Förderung anderer europäischer
Staaten wie zum Beispiel Großbritannien mit 53 Mio. Euro oder die Nieder-
lande mit 13 Mio. Euro gering und für eine der weltweit größten Industrie-
nationen unangemessen. Den weltweit enormen Herausforderungen im Bereich
der Infektionskrankheiten und den hohen Kosten, die bei der Pharmaentwick-
lung entstehen, wird die deutsche Förderung nicht einmal ansatzweise gerecht.
Um die international vereinbarten Ziele im Bereich der Bekämpfung von Infek-
tionskrankheiten in naher Zukunft auch nur ansatzweise zu erreichen, muss
deshalb neben der Erhöhung der nationalen Mittel geprüft werden, inwieweit
auch andere Finanzquellen für die Finanzierung von PDPs zur Verfügung ste-
hen.

Als ein thematischer Schwerpunkt für das aktuell in Brüssel in Planung befind-
liche 8. Forschungsrahmenprogramm („Horizon 2020“) wird im 2. Leitlinien-
papier der Bundesregierung vom 17. Juni 2011 das Thema Gesundheit genannt.
Nach Vorstellung der EU-Kommissarin sollen darüber hinaus verstärkt Innova-
tionen gefördert werden, die sich in marktfähige Produkte übertragen lassen.
Auch die Förderung einer engen Zusammenarbeit mit der Industrie sowie mit
Ländern außerhalb der Europäischen Union – bei PDPs der Normalfall – sind
Teil des geplanten Forschungsrahmenprogramms. Bisher werden PDPs nur im
geringen Umfang durch das europäische Forschungsrahmenprogramm finan-
ziert. PDPs sind aber ein innovatives Konzept zur Entwicklung von Impfstoffen
und Heil- und Präventionsmitteln gegen Infektionskrankheiten und zur Über-
windung der oft beklagten Lücke zwischen Idee, Produkt und Implementie-
rung. Eine Finanzierung von PDPs und anderen innovativen Ideen und Konzep-
ten zur Entwicklung von Medikamenten zur Bekämpfung von vernachlässigten
Krankheiten durch die Europäische Union muss in das nächste Forschungsrah-
menprogramms aufgenommen werden.

II. Der Deutsche Bundestag begrüßt

● die bisherigen internationalen wie nationalen Anstrengungen im Kampf ge-
gen Infektionskrankheiten;

● die Leistung der PDPs, ihrer Mitglieder und anderer beteiligter Forschungs-
einrichtungen bei der Bereitstellung von erschwinglichen Produkten gegen
Infektionskrankheiten in Entwicklungsländern;

● im Grundsatz die Förderung von PDPs durch das Bundesministerium für
Bildung und Forschung;

● die Entwicklung anderer innovativer Instrumente zur Förderung von For-
schung und Entwicklung für Medikamente gegen vernachlässigte Krank-
heiten wie z. B. die TBVI oder den HIF.

III. Der Deutsche Bundestag bedauert,

● dass die Bundesregierung ihrer internationalen Verantwortung im Kampf ge-
gen Infektionskrankheiten zur Erreichung der Millennium-Entwicklungs-
ziele bisher nicht hinreichend nachgekommen ist;

● dass beim Thema Gesundheit in Entwicklungsländern keine konsequente
Zusammenarbeit zwischen den befassten Bundesministerien stattfindet und
Ressortegoismen einer nachhaltigen Strategie zur Bekämpfung von Infek-
tionskrankheiten entgegenstehen;

● dass die Bundesregierung lediglich 20 Mio. Euro für einen Zeitraum von

vier Jahren zur Förderung der PDPs bereitstellen will und im Haushalts-
entwurf 2012 diese Summe sogar nicht einmal mehr im Einzelnen aufge-

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führt wird, sondern im Gesamttitel Volkskrankheiten (Titel 685 30) unter-
geht.

IV. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

● eine schnelle Umsetzung der nationalen Förderausschreibung für PDPs zu
gewährleisten;

● dem Deutschen Bundestag einen Vorschlag zu unterbreiten, wie in den
nächsten vier Jahren mindestens 100 Mio. Euro zur Förderung von PDPs zur
Verfügung gestellt werden können;

● auf europäischer Ebene dafür Sorge zu tragen, dass PDPs und andere inno-
vative Instrumente wie z. B. die TBVI und die Weiterentwicklung der Idee
eines HIF durch europäische Programme und hierbei insbesondere im
8. Forschungsrahmenprogramm („Horizon 2020“) gefördert werden;

● bei den anderen europäischen Mitgliedstaaten für eine verstärkte nationale
Förderung von PDPs und anderen innovativen Instrumenten zu werben und
sich für eine Bürgschaftsregelung für die TBVI auf europäischer Ebene ein-
zusetzen;

● dazu beizutragen, dass Deutschland entsprechend seiner Verantwortung auf
internationaler Ebene vertreten ist und mittelfristig größere Verantwortung
auch in hohen Leitungspositionen von internationalen Organisationen im
Bereich Gesundheit in Entwicklungsländern übernimmt;

● ein Konzept vorzulegen, wie die Karrierechancen und die internationale
Vernetzung von Nachwuchswissenschaftlern in den Bereichen der Tropen-
medizin und Infektionsbiologie verbessert werden können. Hierbei sollte
auch das neu geschaffene Deutsche Zentrum für Infektionsforschung (DZIF)
mit einbezogen werden;

● sicherzustellen, dass das Thema globale Gesundheit ein wesentlicher Be-
standteil des 8. Forschungsrahmenprogramms („Horizon 2020“) wird.

Berlin, den 14. Dezember 2011

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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