BT-Drucksache 17/8158

Chancen der Nanotechnologien nutzen und Risiken für Verbraucher reduzieren

Vom 14. Dezember 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8158
17. Wahlperiode 14. 12. 2011

Antrag
der Abgeordneten Rita Schwarzelühr-Sutter, René Röspel, Willi Brase, Petra
Crone, Elvira Drobinski-Weiß, Petra Ernstberger, Iris Gleicke, Ulrich Kelber,
Ute Kumpf, Thomas Oppermann, Holger Ortel, Heinz Paula, Dr. Wilhelm
Priesmeier, Kerstin Tack, Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Chancen der Nanotechnologien nutzen und Risiken für Verbraucher reduzieren

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Nanotechnologien sind ein Sammelbegriff für eine Vielzahl von Anwendun-
gen, Innovationen und Entwicklungen, die sich typischerweise mit Struktu-
ren und Prozessen in der Dimension von 1 bis 100 Nanometern befassen. Im
Mittelpunkt der aktuellen politischen und wirtschaftlichen Diskussion stehen
die gezielt beziehungsweise gewollt erzeugten Nanomaterialien sowie deren
Verwendung. Nanotechnologien zeichnen sich durch vielseitige Anwen-
dungsbereiche aus. Neben ihrem Einsatz im Energie-, Material- oder Ge-
sundheitsbereich halten Nanotechnologien einen rasanten Einzug in den All-
tag von Verbraucherinnen und Verbraucher.

Das Interessante an der Nanotechnologie ist die Kleinheit des Materials. Aus
der Nanoskaligkeit der Partikel resultieren dabei neue Eigenschaften, mit de-
nen die Herstellung von bekannten Produkten optimiert oder ihr Nutzen ver-
bessert werden kann. Zum Beispiel können Materialien in Nanogröße härter
oder elektrisch leitfähiger werden als das gleiche Material bei höherer Ska-
ligkeit. Die neuen Eigenschaften können für Mensch und Umwelt aber auch
problematisch sein, wenn toxische oder kanzerogene Potenziale auftreten
und sie vermehrt in der Luft, dem Abwasser oder dem Abfall zu finden sind.
Nanomaterialien können auch die Struktur von Feinstäuben wie Asbest an-
nehmen. Derzeit gibt es keinen Grund für eine pauschale Warnung oder Ent-
warnung, was die potenzielle Gefährlichkeit von Nanomaterialien angeht.

2. Auch wenn bisher keine konkrete Gefahr nachgewiesen werden konnte, sieht
der Sachverständigenrat für Umweltfragen in seinem Gutachten vom Sep-
tember 2011 bei einigen Produkten und Verwendungen aus Vorsorgegesichts-
punkten einen „Anlass zur Besorgnis“. So ist zum Beispiel nicht ausgeschlos-
sen, dass Nanosilber in Produkten mit zweifelhaftem Zusatznutzen – wie zum
Beispiel Socken mit Nanosilber – auf lange Sicht zu Resistenzen von Bakte-

rien führt und damit seinen sinnvollen Einsatz im Gesundheitsbereich gefähr-
den könnte. Deshalb bedarf es einer möglichst frühzeitigen Risikobewertung
jedes nanoskaligen Materials. Zu einigen schon länger auf dem Markt befind-
lichen Materialien liegen heute schon Studien zur Toxikologie und Exposi-
tion vor, bei vielen Materialien ist heute über deren toxikologisches Profil
und ihr Verhalten in der Umwelt kaum etwas bekannt. Daher kommt es da-

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rauf an, dass die Hersteller frühzeitig umfassende und aussagefähige Daten
zu den Risiken von Nanomaterialien ermitteln und öffentlich zugänglich
machen. Solange keine wissenschaftliche Risikobewertung vorliegt und eine
gesetzliche Regelung im europäischen Chemikalienrecht noch fehlt, ist dies
ein wichtiger Schritt hin zu Transparenz und Akzeptanz in der breiten Öffent-
lichkeit.

3. Nanotechnologie gilt allgemein als Schlüsseltechnologie, von der Anstöße zu
innovativen Entwicklungen in den verschiedensten technologischen Berei-
chen und gesellschaftlichen Anwendungsfeldern zu erwarten sind. Dabei
zeichnen sich sinnvolle und hilfreiche Anwendungen etwa im Bereich Um-
welt und Energie sowie im Gesundheitswesen ab. Auch wenn viele Bereiche
der Nanotechnologien noch der Grundlagenforschung zuzurechnen sind, gibt
es inzwischen viele verbrauchernahe Produkte mit Nanomaterialien. Auf
dem Markt sind zum Beispiel Lacke, Kosmetika, Kleidungsstücke, Filter
oder Computerchips. Aber auch in der Medizin werden Nanomaterialien be-
reits in der Diagnostik und in der Tumorbehandlung angewendet, ein deut-
sches Unternehmen erhielt vor kurzem erstmals die Zulassung für eine Tumor-
therapie.

4. Trotz der rasanten Verbreitung können Verbraucherinnen und Verbraucher
heute meistens nicht erkennen, ob sie oder er ein Produkt mit Nanomaterial
kauft. Teilweise wird mit dem Zusatz „Nano“ geworben, sogar dann, wenn
keine Nanomaterialien enthalten sind, teilweise wird ihre Verwendung nicht
ausgewiesen. Über die Wirkungsweise und die spezifischen Vorteile werden
Verbraucherinnen und Verbraucher häufig nicht informiert. Derzeit gibt es
keine generelle Kennzeichnungspflicht für nanohaltige Produkte. Für Le-
bensmittel wurde in der im Sommer 2011 beschlossenen EU-Lebensmittel-
informationsverordnung eine Pflicht zur Kennzeichnung aufgenommen. Für
Kosmetika gilt ab 2013 eine verpflichtende Kennzeichnung auf EU-Ebene.
Andere verbrauchernahe Produkte wie Lebensmittelverpackungen, Wasch-
und Haushaltsmittel und Textilien können ohne einen Hinweis auf Nano-
material auf den Markt gebracht werden. Um Verbraucherinnen und Ver-
braucher angemessen zu informieren sollte die Kennzeichnung auf alle ver-
brauchernahen Produkte ausgeweitet werden.

5. Es gibt derzeit keine Übersicht über Nanoprodukte, Art und Menge der in ih-
nen enthaltenen Nanomaterialien oder über deren Spezifikation. Behörden
verfügen bisher nicht über ausreichende Informationen darüber, welche Pro-
dukte mit Nanomaterialien in Deutschland hergestellt oder in Verkehr ge-
bracht werden. Die für Sicherheitsfragen zuständigen Behörden, die bei Ge-
fahrenabwehr aktiv werden müssten, benötigen einen Überblick über auf
dem Markt befindliche Nanoprodukte, um im Rahmen von Risikomanage-
mentmaßnahmen schnell reagieren zu können.

Deshalb sind ein öffentliches Produktregister und eine Meldepflicht erforder-
liche und angemessene Maßnahmen. Im Sinne der Markttransparenz sollten
sich Verbraucherinnen und Verbraucher in einem öffentlich zugänglichen
Produktregister über alle auf dem Markt befindlichen verbrauchernahen Pro-
dukte mit Nanomaterialien informieren können. Dabei werden die Vorteile
der eingesetzten Nanopartikel dargestellt. Ebenso soll darüber informiert
werden, wie mögliche Risiken minimiert wurden. Bei diesem öffentlichen
Produktregister sollen Einschränkungen für die Veröffentlichung technischer
Details möglich sein, wenn dies Betriebsgeheimnisse berührt und die für die
Verbraucher wesentlichen Informationen gewährleistet sind. Ein solches
Produktregister sollte EU-weit eingeführt werden. Wenn seine Einführung
verzögert wird, sollte ein nationales Register, welches mit einem zukünftigen

europäischen Produktregister zu harmonisieren wäre, erwogen werden.

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Auf dieser Informationsplattform, welche durch die zuständigen Bundesbe-
hörden laufend aktualisiert wird, sollte, wie bereits im Antrag auf Bundes-
tagsdrucksache 16/12695 gefordert, ebenfalls die Bevölkerung, Politik und
Wirtschaft über geltende Bestimmungen, Vorschriften und Empfehlungen in-
formiert werden.

6. Auf dem Gebiet der Nanotechnologien ist die Bundesrepublik Deutschland
weltweit mit an der Spitze. Einen wesentlichen Beitrag dazu leistete die kon-
sequente und möglichst transparente Förderpolitik der letzten Jahrzehnte und
eine kritisch-progressive Begleitung durch den Bundestag. Etwa die Hälfte
der in Europa ansässigen Unternehmen in diesem Bereich stammt aus
Deutschland. Das Weltmarktpotenzial für nanobasierte Produkte allein im
Bereich Umwelt und Energie wird laut einer Studie auf 57 Mrd. Euro im Jahr
2015 geschätzt. In Deutschland waren 2010 in dem gesamten Bereich Nano-
technologie über 960 Unternehmen aktiv. Mehr als zwei Drittel davon sind
kleine oder mittlere Unternehmen (KMU). 2007 lag der durch deutsche Fir-
men in diesem Segment generierte Umsatz bei ca. 33 Mrd. Euro.

Auf Grund der langjährigen nationalen Unterstützung der Nanotechnologien
steht Deutschland heute weltweit bei der Forschungsförderung auf Platz drei
hinter den USA und Japan. Dabei profitiert Deutschland von einer exzellen-
ten Forschungslandschaft aus außeruniversitären Forschungseinrichtungen
und Hochschulen. Positiv für den Stand der Nanotechnologie sind auch die
frühzeitigen Impulse verschiedener Organisationen. Zu nennen sind dabei die
kontinuierliche Arbeit verschiedener Bundesbehörden, gesellschaftlicher
Gruppen und Industrieverbände. Besonders hervorzuheben ist dabei auch die
Arbeit der Nano-Kommission, welche 2006 vom damaligen Bundesminister
für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Sigmar Gabriel ins Leben
gerufen wurde. In dieser Kommission arbeiteten Vertreterinnen und Vertreter
aus der öffentlichen Verwaltung, der Wissenschaft, Wirtschaft und gesell-
schaftlichen Gruppen gemeinsam an Fragestellungen der Nanotechnologie.
2011 hat die Kommission ihren Endbericht vorgestellt.

7. Die Sicherheitsforschung und die ethische und soziale Begleitforschung sind
in den Nanotechnologien besonders wichtig. Die Vorgängerregierungen haben
dafür gesorgt, dass diese Gelder signifikant erhöht wurden. Derzeit werden
für die Sicherheitsforschung ca. 6,2 Prozent der Bundesmittel für Nanotech-
nologien ausgegeben. Wenn man aber die Gesamtförderung der Nanotechno-
logie zum Vergleich heranzieht, wird für Sicherheitsforschung aber nur
3,5 Prozent der Mittel verwandt. In Anbetracht der großen Wissenslücken,
aber auch der enormen Chancen dieser Materialien muss dieser Anteil deut-
lich erhöht werden. Der Deutsche Bundestag hat deshalb im Jahre 2009 be-
schlossen, diesen Anteil bis 2012 auf mindestens 10 Prozent zu erhöhen
(Bundestagsdrucksache 16/12695). Zum jetzigen Zeitpunkt steht zu befürch-
ten, dass dieses Ziel nicht eingehalten wird. Wir brauchen eine ressortüber-
greifende, wichtige Akteure der öffentlichen Forschung einbeziehende Stra-
tegie auf dem Feld der Sicherheitsforschung, die in einem offenen, für
Anregungen aus der Gesellschaft offenen Prozess erarbeitet werden muss.

8. Rechtsvorschriften müssen den mit Nanomaterialien verbundenen möglichen
Risiken Rechnung tragen. Dazu muss kontinuierlich geprüft werden, ob eine
Anpassung der derzeitigen nationalen und europäischen Rechtsvorschriften,
beispielsweise in Bezug auf bestehende Schwellenwerte, notwendig werden
könnte. Große Bedeutung kommt hierbei angemessenen Test- und Risikobe-
wertungsmethoden zu, da auf deren Grundlage über Rechtsvorschriften, Ver-
waltungsentscheidungen sowie die Verpflichtungen von Herstellern und Ar-
beitgebern entschieden wird. Dazu müssen Wissenslücken möglichst schnell

geschlossen werden, um zu einer verlässlichen Bewertung von möglichen
Gefahren bei der Verwendung von Nanomaterialien zu kommen.

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9. Solange die möglichen Risiken der jeweiligen Nanopartikel aber nur unge-
nügend untersucht sind, gebieten Vernunft und Vorsorgeprinzip, dass die
Verbreitung von künstlich hergestellten freien Nanopartikeln in Gewässer,
Luft, Böden und Abfall so weit wie möglich vermieden wird. Hierbei spielt
die Herstellung und Entsorgung von Produkten mit Nanopartikeln, auch im
Hinblick auf den Arbeitsschutz, eine besondere Rolle. Solange keine Risi-
kobewertungen vorliegen sollte das gezielte Einbringen von Nanopartikeln
in Lebensmitteln unterbleiben und die Verwendung von Nanoprodukten, die
in besonders engen Kontakt mit dem menschlichen Körper gelangen, der
Kennzeichnung und einem vorläufigen Zulassungsverfahren unterliegen.
Fehlinvestitionen und Folgekosten für Gesellschaft und Wirtschaft und
irreparable Schäden können so vermieden werden.

10. Im Juni dieses Jahres warnte das Bundesinstitut für Risikoforschung (BfR)
vor dem Einsatz von Nanosilber. „Nanosilber gehört nicht in Lebensmittel,
Textilien und Kosmetika“ titelte das BfR. Das Bundesinstitut war zu dem
Schluss gekommen, dass in Bezug auf die Toxizität von Nanosilber zu viele
Fragen noch offen sind. Es empfahl daher, auf den Einsatz von Nanosilber
in Lebensmitteln und Bedarfsgegenständen so lange zu verzichten, bis eine
ausreichende Datenlage eine Bewertung erlaubt. Trotz der Warnung des
BfR hat die Bundesregierung bisher keine Konsequenzen gezogen und
entsprechende Maßnahmen ergriffen. Verbraucherinnen und Verbraucher
kaufen daher weiterhin Produkte mit Nanosilber, ohne dass deren Unbe-
denklichkeit belegt ist. Das Einschreiten des Staates ist aufgrund des Vor-
sorgeprinzips notwendig.

11. In der Vergangenheit wurden staatliche Schutzmaßnahmen häufig erst dann
ergriffen, wenn die schädlichen Wirkungen eines neuen Stoffs oder eines
neuen Produktes mit hinreichender Wahrscheinlichkeit wissenschaftlich be-
legt werden konnten. Fehlten wissenschaftliche Erkenntnisse, die einen
kausalen Zusammenhang zwischen einem Stoff, einem Produktionsverfah-
ren oder einem Produkt einerseits und einem Schaden andererseits bewei-
sen, wurden oft keine Schutzmaßnahmen ergriffen. In der Zwischenzeit hat
sich jedoch der Gedanke des Vorsorgeprinzips durchgesetzt, wonach Risi-
ken für Mensch und Umwelt – unter sorgsamer Abwägung von Kosten und
Nutzen – so weit wie möglich auch dann präventiv vermieden werden soll-
ten, wenn noch wissenschaftliche Unsicherheiten vorhanden sind und ein
abstrakter Anlass zur Besorgnis besteht.

12. In seinem Gutachten „Vorsorgestrategien für Nanomaterialien“ stellt der
Sachverständigenrat für Umweltfragen fest, dass in vielen Rechtsbereichen
noch immer rechtliche Eingriffsgrundlagen fehlen, um im Bereich der
Nanotechnologie staatliches Handeln im Sinne des Vorsorgeprinzips zu er-
möglichen. Wo keine Regulierung vorhanden ist, muss nach wie vor eine
hinreichende Gefahr nachgewiesen werden. Damit trägt der Staat die Be-
weispflicht für die Gefährlichkeit eines Stoffes oder Produktes und nicht der
Hersteller die Beweislast für dessen Ungefährlichkeit.

Grundsätzlich tragen zwar die Hersteller die Verantwortung für die Sicher-
heit ihrer Produkte, was in der gesetzlich geregelten Produktverantwortung
und den Vorgaben des Haftungsrechts zum Ausdruck kommt. In besonders
sensiblen Bereichen oder wenn Anhaltspunkte für ein Risiko bestehen,
muss bei einem bestehenden Wissensdefizit jedoch der Staat handeln und
das Vorsorgeprinzip anwenden. Hierzu bedarf es einer auf naturwissen-
schaftliche Sachverhalte gestützten Risikoermittlung und Risikobewertung.

13. Als Maßnahmen kommen der Abbau von Wissenslücken durch Risikofor-
schung, rechtsverbindliche Haftungsregelungen, Informations- und Kenn-

zeichnungspflichten, aber auch Zulassungsverfahren mit Umkehr der Be-
weislast in Frage. Im Lebensmittelbereich sollte auf EU-Ebene das für

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/8158

neuartige Lebensmittel geltende Zulassungsverfahren auf Produkte mit
Nanomaterialien ausgeweitet werden, wie es in den Verhandlungen über die
EU-Verordnung über neuartige Lebensmittel („Novel Food-Verordnung“)
vorgesehen war. Wenn in anderen Bereichen eine Kontrolle vor Markt-
eintritt nicht als notwendig erachtet wird, sollte zumindest eine vorsorge-
orientierte Eingriffsgrundlage für auf dem Markt befindliche Produkte vor-
handen sein, damit im Falle einer abstrakten Besorgnis die Herstellung,
Vermarktung oder Verwendung erforderlichenfalls beschränkt werden
kann.

14. Wie viele andere neuen Technologien wirft auch die Nanotechnologie ethi-
sche Fragen auf. Auf nationaler wie auch auf europäischer und internationa-
ler Ebene wurden Gremien eingesetzt, die sich mit den ethischen Fragen und
der Bewertung der Chancen und Risiken der Nanotechnologie beschäftigen.
Thematisiert werden beispielsweise mögliche Eingriffe in die Privatsphäre
sowie die neuen Möglichkeiten und Risiken im Gesundheitssektor beim
Einsatz der Nanotechnologie. Viele dieser Fragen sind in ihren Grundsätzen
bereits in anderen Technologiefeldern behandelt worden. Die Ergebnisse
dieser Diskurse sollten in die gesellschaftlichen Diskussionen um die
Chancen und Risiken der Nanotechnologie einbezogen werden.

15. Akzeptanz ist eine zentrale Grundvoraussetzung der Anwendung jeglicher
Innovation. Die Nanotechnologie hat in Deutschland eine relativ hohe Ak-
zeptanz in der Bevölkerung. Hierbei wird aber zwischen Produktgruppen
unterschieden. Abgelehnt wird zum Beispiel der Einsatz von Nanotechno-
logie in Lebensmitteln. Zentrale Voraussetzung für Akzeptanz ist Transpa-
renz. Allerdings können Rückrufaktionen diese Akzeptanz nachhaltig ge-
fährden. Dem kann mit umfassender Information und Transparenz, aber
auch mit verstärkter präventiver Risikoforschung, deren Ergebnisse in an-
gemessener Weise der Gesellschaft zu vermitteln sind, entgegengetreten
werden. Um Unsicherheiten zu begegnen, ist auch die Wirtschaft gefordert.
Das von vielen Seiten geforderte Produktregister ist ein gutes Mittel zur Er-
höhung dieser Transparenz.

16. Die Nanotechnologie erfordert, wie andere Schlüsseltechnologien auch,
fach- und ressortübergreifendes Denken. Dieser Herausforderung muss be-
reits in der Ausbildung Rechnung getragen werden. Für die Risikobewer-
tung werden zudem verstärkt Toxikologinnen und Toxikologen benötigt.
Für den gesamten Ausbildungsbereich sind die Länder gefragt, der Bund
sollte diese – wo möglich – unterstützen.

II. Der Deutsche Bundestag erwartet,

dass endlich alle Forderungen des durch den Bundestag verabschiedeten An-
trags auf Bundestagsdrucksache 16/12695 umgesetzt werden, insbesondere
das Ziel, die Sicherheitsforschung bis 2012 auf mindestens 10 Prozent zu er-
höhen.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

● dem Thema Sicherheit höchste Priorität beizumessen, da diese eine Grund-
voraussetzung für die Nutzung der Nanotechnologie und deren Akzeptanz in
der Wirtschaft und bei Verbraucherinnen und Verbrauchern ist;

● im Ministerrat der EU die sofortige Einrichtung eines Nanoproduktregisters
zu fordern und parallel dazu mit der Erarbeitung eines nationalen Nano-
produktregisters zu beginnen, um dieses gegebenenfalls bis 2013 online zu
stellen;

Drucksache 17/8158 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

● eine Kennzeichnungspflicht bei nanoskaligen Inhaltstoffen mit dem Zusatz
„nano“ auf allen verbrauchernahen Produkten zu prüfen, in denen Nano-
materialien nicht fest eingebunden sind;

● sich dafür einzusetzen, dass die Erarbeitung einer anwendbaren, tragfähigen
und international anerkannten Definition von Nanopartikeln beschleunigt
wird; als ersten Schritt sich zur Definition der EU-Kommission für Nano-
materialien zu positionieren und zu prüfen, welche Konsequenzen eine Ein-
beziehung natürlicher Materialien und die Ausweitung auf bis zu 300 Nano-
meter nach dem Stand der Technik mit sich bringen würde;

● das Produkt-, Stoff- und Umweltrecht auf nanospezifische Regelungslücken
und allgemeine Vorsorgedefizite zu prüfen und auf EU- und gegebenenffalls
nationaler Ebene Vorschläge für eine kohärente Gesetzgebung für nano-
skalige Stoffe und Produkte vorzulegen. Dabei ist sicherzustellen, dass jeden-
falls eine vorsorgeorientierte Eingriffsgrundlage der Behörden für auf dem
Markt befindliche Produkte vorhanden ist;

● sich auf EU-Ebene für eine Neuaufnahme der Verhandlungen über die Ver-
ordnung über neuartige Lebensmittel und ein Zulassungsverfahren sowie die
Kennzeichnung für Nanolebensmittel einzusetzen;

● zu prüfen, wie eine sachgerechte Entsorgung von synthetischen Nanomate-
rialien sichergestellt werden kann, ohne dass gefährliche Nanopartikel in die
Umwelt gelangen;

● darauf hinzuwirken, dass verstärkt verbesserte Messverfahren und Messtech-
niken zur Identifizierung von Nanomaterialien in Wasser, Boden und Luft
entwickelt und eingesetzt werden. Wichtig sind dabei standardisierte Testver-
fahren, um die Ergebnisse vergleichbar zu machen;

● die Sicherheitsforschung noch stärker als bisher finanziell zu fördern, indem
der Anteil der Sicherheitsforschung bis 2015 an den vorgesehenen Gesamt-
ausgaben auf mindestens 10 Prozent erhöht wird. Grundlage bildet eine res-
sortübergreifende, auch Forschungsorganisationen einbeziehende Strategie
auf dem Feld der Sicherheitsforschung die in einem offenen, für Anregungen
aus der Gesellschaft offenen Prozess erarbeitet werden muss;

● dem Fachkräftemangel technologieübergreifend zu begegnen und angesichts
der zurzeit im Ingenieurbereich fehlenden Fachkräfte Strategien zu ent-
wickeln, wie bei jungen Menschen Interesse für diese Berufe und für Nano-
technologien geweckt werden kann.

Berlin, den 13. Dezember 2011

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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