BT-Drucksache 17/8157

Antibiotika-Einsatz in der Tierhaltung senken und eine wirksame Reduktionsstrategie umsetzen

Vom 14. Dezember 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8157
17. Wahlperiode 14. 12. 2011

Antrag
der Abgeordneten Dr. Wilhelm Priesmeier, Willi Brase, Petra Crone, Elvira
Drobinski-Weiß, Petra Ernstberger, Iris Gleicke, Ulrich Kelber, Ute Kumpf, Thomas
Oppermann, Holger Ortel, Heinz Paula, Rolf Schwanitz, Rita Schwarzelühr-Sutter,
Kerstin Tack, Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Antibiotika-Einsatz in der Tierhaltung senken und eine wirksame
Reduktionsstrategie umsetzen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Landeskontrollbehörden in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen haben
im November 2011 neue Studienergebnisse zum Umfang des Antibiotika-Ein-
satzes in der Nutztierhaltung vorgestellt. Die veröffentlichten Zahlen, besonders
aus den Geflügelmastbetrieben verdeutlichen eine Entwicklung bei der Verwen-
dung von Antibiotika, die Anlass zur Sorge gibt und die sehr ernst genommen
werden muss.

In tierhaltenden Betrieben ist die Höhe des Antibiotika-Einsatzes in erster Linie
vom Hygiene- und Gesundheitsstatus abhängig. Betriebe mit einem bedenk-
lichen Hygiene- und Gesundheitsstatus weisen eine signifikant erhöhte Morta-
lität von Tieren auf. Ein Zusammenhang zwischen der Bestandsgröße und der
Behandlungsintensität mit Antibiotika ist auf der Grundlage bisher verfügbarer
Daten hingegen wissenschaftlich nicht belegt. Leistungsstarke landwirtschaft-
liche Betriebe mit einem effizienten Betriebsmanagement und einem hohen
Tiergesundheitsstatus weisen die geringsten Auffälligkeiten im Umgang mit
Antibiotika auf.

Die Bundesregierung bestätigt die Anzahl der Antibiotika-Anwendungen bei
landwirtschaftlichen Nutztieren, die das Bundesamt für Risikoforschung (BfR)
als Ergebnis eines Forschungsprojekts im Jahr 2010 veröffentlicht hat. Demnach
liegt die durchschnittliche Zahl der Behandlungen pro Tier bei Schweinen beim
Faktor 5,9. Bei Milchrindern liegt er bei 2,5 und bei Mastkälbern bei 2,3.

Die Bundestierärztekammer hat im Juli 2010 ihre Leitlinien für den sorgfältigen
Umgang mit antibakteriell wirksamen Tierarzneimitteln überarbeitet. Diese
Leitlinien geben den Stand der veterinärmedizinischen Wissenschaft wieder. Sie
sind jedoch nicht eindeutig rechtswirksam verbindlich. Es ist daher dringend er-

forderlich, diese Rechtsverbindlichkeit herzustellen.

Die EU-Kommission hat am 17. November 2011 einen Aktionsplan zur Abwehr
der Antibiotika-Resistenzen veröffentlicht. Sie hat dort zwölf konkrete Maßnah-
men aufgelistet, die in den nächsten fünf Jahren umgesetzt werden sollen. Unter
anderem sind dies

Drucksache 17/8157 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

a) Maßnahmen zur Verschärfung der EU-Rechtsvorschriften für Tierarzneimit-
tel und Fütterungsarzneimittel,

b) Empfehlungen zum umsichtigen Antibiotika-Einsatz im veterinärmedizini-
schen Bereich und

c) die Verstärkung von Überwachungssystemen für Antibiotika-Resistenzen
und -Verbrauch in der Veterinärmedizin.

In vielen Nutztierbeständen wird eine zunehmenden Entwicklung von ein- oder
mehrfachresistenten Erregern gegenüber therapeutisch wichtigen antibiotischen
Wirkstoffen und gegenüber Desinfektionsmitteln beobachtet. Jede nicht fach-
und sachgerechte Anwendung antimikrobiell wirksamer Arzneimittel birgt das
Risiko zusätzlicher Resistenzentwicklungen und bedeutet somit erhebliche Ri-
siken für Tiere und Menschen.

Antibiotika sind für die Behandlung bakterieller Infektionskrankheiten in der
Human- und Tiermedizin unverzichtbar. Nutztiere und auch alle Bürgerinnen
und Bürger müssen jedoch vor antibiotikaresistenten Keimen geschützt werden.
Dies ist ein Beitrag für einen stärkeren gesundheitlichen Verbraucherschutz.

Die Kenntnisse über die Zusammenhänge zur Entstehung und Ausbreitung von
Antibiotika-Resistenzen sind gewachsen. Die in Deutschland und auf interna-
tionaler Ebene bisher ergriffenen Maßnahmen reichen allerdings nicht aus, um
der Herausforderung zunehmender Antibiotika-Resistenzen wirksam zu begeg-
nen.

Seit dem 1. Januar 2011 erfasst das Deutsche Institut für Medizinische Doku-
mentation und Information (DIMDI) die von Tierärzten bezogenen Mengen von
Antibiotika zentral in einer Datenbank. Der Erkenntnisgewinn aus den bisheri-
gen Daten des DIMDI ist aber völlig unzureichend. Er eignet sich auch nicht für
eine nationale Reduktionsstrategie.

Bereits heute bestehen mit der Tierhalter-Arzneimittel-Nachweisverordnung
(ANTHV) und der Verordnung über tierärztliche Hausapotheken (TÄHAV) um-
fangreiche gesetzliche Dokumentationspflichten für die Verordnung und An-
wendung von Arzneimitteln in der Nutztierhaltung. Die Verwendung von Anti-
biotika in Nutztierbeständen muss daher sowohl betrieblich als auch in einer
bundeseinheitlich-zentralen Datenbank erfasst werden. Das ist bereits jetzt ohne
erheblichen Aufwand möglich.

Parallel dazu ist ein durch die Wissenschaft begleitetes, betriebsbezogenes und
bundesweit einheitliches Monitoring- und Reduktionsprogramm zur Antibio-
tika-Verwendung in der Nutztierhaltung aufzubauen.

Nur eine systematische Auswertung der Antibiotika-Verwendung anhand wis-
senschaftlich begründeter Kennzahlen mit statistischen Auswertungsroutinen
ermöglicht es Problembetriebe zu identifizieren, die einen vergleichsweise hohen
Antibiotika-Verbrauch, lange Behandlungszeiten sowie außergewöhnliche Ver-
ordnungen aufweisen.

Tierhalter mit auffällig hohem Antibiotika-Verbrauch müssen verpflichtet wer-
den, zusammen mit ihrem Bestandstierarzt den Hygiene- und Gesundheitsstatus
des Tierbestandes zu verbessern. Bleiben die betrieblichen Maßnahmen zur
Sanierung erfolglos, müssen die Kontrollbehörden weitere Sanierungsmaßnah-
men anweisen und deren Umsetzung kontrollieren. Sind auch diese Maßnahmen
nicht zielführend, muss in letzter Konsequenz die Tierhaltung eingestellt werden.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/8157

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

folgende Maßnahmen zur wirksamen Reduktion des Einsatzes antibakteriell
wirksamer Arzneimittel in der Nutztierhaltung und damit zur Abwehr von Anti-
biotika-Resistenzen zu ergreifen:

1. auf Grundlage der Deutschen Antibiotika-Resistenzstrategie (DART) kon-
krete und eindeutige Zielvorgaben zur Reduktion des Antibiotika-Einsatzes
in der Nutztierhaltung zu formulieren;

2. Transparenz und Rückverfolgbarkeit der Antibiotika-Anwendungen in der
Tierhaltung zu verbessern:

a) die TÄHAV und die ANTHV und gegebenenfalls das Arzneimittelgesetz
(AMG) dahingehend zu novellieren, dass alle relevanten Daten der Anti-
biotika-Anwendungen in der Nutztierhaltung betriebsbezogen und bun-
deseinheitlich zentral erfasst werden und den zuständigen Kontrollbehör-
den bei Bedarf zeitnah zur Verfügung stehen;

b) es zu ermöglichen, dass der Tierhalter die verpflichtende Meldung der Da-
ten dem betreuenden Bestandstierarzt übertragen kann;

c) die datenrechtlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass anhand der
bereits erfassten Informationen wie des Veterinärmedizinischen Informa-
tionsdienstes für Arzneimittelanwendung, Toxikologie und Arzneimittel-
recht (VETIDATA) oder der Datenbank Herkunftssicherungs- und Infor-
mationssystem für Tiere (HI-Tier) die gemeldeten Daten einer Plausibili-
tätsprüfung unterzogen werden können und dadurch eine zeitnahe und
systematische Auswertung der Antibiotika-Anwendung in der Nutzierhal-
tung zu ermöglichen;

d) eine Rechtsverordnung zu erlassen, die die Weiterleitung von tierbe-
standsbezogenen Informationen über die Antibiotika-Anwendung an die
Kontrollbehörden unter Wahrung der datenschutzrechtlichen Vorgaben
regelt;

3. eine Rechtsverordnung zu erlassen, die den Tierhalter verpflichtet, die Mor-
talitätsraten in seiner Tierhaltung mitzuteilen;

4. die rechtlichen Grundlagen für

a) das Monitoring und

b) die risikoorientierte Auswertung von tierhaltenden Betrieben durch die
Kontrollbehörden zu schaffen und

c) die risikoorientierte Überwachung auszubauen;

5. ein zweistufiges Sanierungsprogramm für tierhaltenden Betriebe auszuarbei-
ten, welches

a) bei landwirtschaftlichen Betrieben mit auffällig hohem Antibiotika-Ver-
brauch die Beratungs- und Überwachungsmaßnahmen der Bestandstier-
ärzte verschärft und

b) bei fortwährend hohem Antibiotika-Einsatz die Anordnung behördlich
überwachter Sanierungsmaßnahmen ermöglicht;

6. die Leitlinien für den sorgfältigen Umgang mit antibakteriell wirksamen
Tierarzneimitteln der Bundestierärztekammer rechtsverbindlich zu gestalten.

Berlin, den 13. Dezember 2011
Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.