BT-Drucksache 17/8107

Menschenrechtliche und soziale Situation der Roma in der Slowakischen Republik

Vom 8. Dezember 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8107
17. Wahlperiode 08. 12. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Annette Groth, Sevim Dag˘delen, Nicole Gohlke, Ulla Jelpke,
Dr. Lukrezia Jochimsen, Niema Movassat, Petra Pau, Dr. Petra Sitte und
der Fraktion DIE LINKE.

Menschenrechtliche und soziale Situation der Roma in der
Slowakischen Republik

Etwa 10 Prozent aller Bürgerinnen und Bürger der Slowakischen Republik ge-
hören den Gemeinschaften der Roma und Sinti an. Viele von ihnen sind von
bitterster Armut betroffen und müssen in „Roma-Siedlungen“ leben, die häufig
vergleichbar mit Slums sind. In diesen sogenannten Roma-Siedlungen gibt es
häufig keinen Strom und es fehlen grundsätzliche Hygieneeinrichtungen, wie
fließendes Wasser oder menschenwürdige Toiletten. Mitglieder der Gemein-
schaften der Roma und Sinti werden in vielen Bereichen des täglichen Lebens
ausgegrenzt und sind oft mit negativen Einstellungen der Mehrheitsgesellschaft
konfrontiert. Ein Höhepunkt dieser Ausgrenzung war der Bau einer Mauer im
ostslowakischen Dorf Ostrovany. Mit dieser Mauer sollten die Roma von den
Grundstücken ihrer Nachbarn ferngehalten werden.

Erst kürzlich hat der Europäische Gerichthof für Menschenrechte die Zwangs-
sterilisierung einer 20-jährigen Roma in der Slowakischen Republik als einen
Verstoß gegen Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK)
gerügt und zugleich eine Verletzung der Pflichten aus Artikel 8 EMRK zur Ach-
tung des Privat- und Familienlebens (Chamber judgement V.C. vs. Slovakia vom
8. November 2011) festgestellt. Die Frau war in einem staatlichen Krankenhaus
während der Geburt unter Druck gesetzt worden, einer Sterilisierung zuzustim-
men. Hintergrund des Tätigwerdens des Europäischen Gerichtshofs für Men-
schenrechte in Straßburg war eine Studie des Center for Reproductive Rights,
aus der konkrete Praktiken zur Begrenzung des Wachstum der Roma-Popula-
tion, insbesondere im Krankenhaus in Pres˘ov deutlich wurden (siehe Body and
Soul: Forced and Coercive Sterilisation and Other Assaults on Roma, http://
reproductiverights.org/sites/crr.civicactions.net/files/documents/bo_slov_part1.pdf).
Roma in der Slowakischen Republik werden besonders häufig Opfer von
Zwangssterilisierungen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Hinweise hat die Bundesregierung über das tatsächliche Ausmaß

und die Intensität der Ausgrenzung von Roma im Alltag in der Slowa-
kischen Republik?

a) Welche Maßnahmen oder Phänomene diskriminierenden Charakters
haben einen rechtlichen Hintergrund?

b) Welche Maßnahmen oder Phänomene diskriminierenden Charakters
haben einen politischen Hintergrund?

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c) Welche Maßnahmen oder Phänomene diskriminierenden Charakters be-
ruhen auf Unwissenheit und mangelnder Aufklärung der Mehrheitsge-
sellschaft?

2. Welche konkreten Aktivitäten hat die Bundesregierung ergriffen, um die
rechtliche und politische Diskriminierung von Roma in der Slowakischen
Republik abzubauen?

a) Welche Bemühungen unternimmt die Bundesregierung auf bilateraler
Ebene, um Benachteiligungen von Roma abzuschaffen?

b) Welche Bemühungen unternimmt die Bundesregierung auf europäischer
Ebene, um Benachteiligungen von Roma abzuschaffen?

3. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über das Ausmaß und die Zahl
von Zwangssterilisationen an Frauen in der Slowakischen Republik, insbe-
sondere Roma, und wann haben nach Kenntnis der Bundesregierung diese
Zwangssterilisationen begonnen (bitte nach Jahren und Krankenhäusern auf-
schlüsseln)?

4. Welche Hinweise hat die Bundesregierung über Übergriffe mit rechtsextre-
mem Hintergrund auf Roma in der Slowakischen Republik?

5. Welche Hinweise hat die Bundesregierung auf die Zusammenarbeit, Kon-
taktaufnahme und -pflege, Teilnahme an Demonstrationen, rechtsextremen
Konzerten bzw. anderen Beziehungen zwischen der NPD und sog. Autono-
men Kameradschaften und rechtsextremen bzw. Roma-feindlichen Gruppie-
rungen in der Slowakischen Republik, insbesondere den Neofaschisten der
Slowakischen Bruderschaft (Slovenská pospolitost) (bitte nach Datum, Ort,
Zweck der Zusammenkunft und teilnehmende Organisationen bzw. Namen
der Vertreter auf beiden Seiten auflisten)?

6. Wie viele gewalttätige Übergriffe haben nach Erkenntnis der Bundesregie-
rung in den letzten Jahren auf Roma in der Slowakischen Republik stattge-
funden?

a) Hat die Bundesregierung Hinweise darauf, dass die verantwortlichen slo-
wakischen Behörden eine spezielle Statistik führen, in welcher solche
Übergriffe gegenüber Roma als rassistische Übergriffe bzw. rechtsextrem
motivierte erfasst werden?

b) Hat die Bundesregierung Hinweise darauf, dass Angehörige von Polizei
und Justiz in der Slowakischen Republik während ihrer Ausbildung be-
sonders sensibilisiert werden auf die besondere Benachteiligung von Mit-
gliedern der Roma-Gemeinschaften und mithin auch notwendige Verhal-
tensformen vermittelt werden?

c) Welche unterschiedlichen Formen von Gewalttätigkeiten spielen nach
Kenntnis der Bundesregierung bei Übergriffen auf Roma eine Rolle?

7. Wie hoch ist nach Kenntnis der Bundesregierung der Anteil der Mitglieder
der Roma-Gemeinschaften, die in extremer sowie relativer Armut in der
Slowakischen Republik leben müssen?

8. Wie hoch ist nach Kenntnis der Bundesregierung der Anteil der Kinder-
armut und der sozialen Ausgrenzung von Kindern aus Roma-Gemeinschaf-
ten in der Slowakischen Republik?

9. Wie hoch ist nach Kenntnis der Bundesregierung der Anteil der Mitglieder
der Roma-Gemeinschaften, die keine Schulbildung absolviert haben und
mithin weder lesen oder schreiben können (bitte nach Alter und Region auf-
schlüsseln)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/8107

10. Welche Hinweise hat die Bundesregierung über die Lage der Mitglieder
der Roma-Gemeinschaften im Hinblick auf den Zugang zur schulischen
Grundbildung?

a) Hat die Bundesregierung Hinweise, dass Kinder aus Roma-Familien in
Sonderschulen abgedrängt werden?

b) Wie hoch ist nach Erkenntnis der Bundesregierung der prozentuale An-
teil der Roma-Kinder, die eine berufliche Ausbildung beginnen können?

c) Gibt es nach Erkenntnissen der Bundesregierung bei den ergriffenen
Berufen signifikante Unterschiede zur Gesamtbevölkerung in der
Slowakischen Republik?

d) Wie hoch ist nach Erkenntnis der Bundesregierung der prozentuale An-
teil von Roma-Kindern, die das Abitur ablegen können, und wie verhält
sich dieser Anteil im Vergleich zur Gesamtbevölkerung?

e) Wie hoch ist nach Erkenntnis der Bundesregierung der prozentuale An-
teil von Roma-Kindern, die studieren, und wie verhält sich dieser Anteil
im Vergleich zur Gesamtbevölkerung?

11. Welche Hinweise hat die Bundesregierung über die Lage der Mitglieder
der Roma-Gemeinschaften im Hinblick auf den Zugang zur berufsbilden-
den Schulausbildung?

12. Welche Hinweise hat die Bundesregierung über die Lage der Mitglieder
der Roma-Gemeinschaften im Hinblick auf den Zugang zur universitären
und fachhochschulischen Bildung?

13. Wie hat sich die Alphabetisierungsquote von Roma in der Slowakischen
Republik seit 1989 entwickelt?

14. Wie hoch ist nach Kenntnis der Bundesregierung der Anteil der Mitglieder
der Roma-Gemeinschaften, die unter vermeidbaren Krankheiten in der
Slowakischen Republik leiden?

15. Wie hat sich seit 1989 der Zugang der Mitglieder der Roma-Gemeinschaf-
ten im Hinblick auf den Zugang zum Gesundheitssystem in der Slowa-
kischen Republik entwickelt?

16. Wie haben sich seit 1989 die Säuglingssterblichkeit und die allgemeine
Lebenserwartung der Mitglieder der Roma-Gemeinschaften im Vergleich
zur allgemeinen Lebenserwartung in der Slowakischen Republik entwi-
ckelt?

17. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die aktuelle Beschäfti-
gungssituation der Mitglieder der Roma-Gemeinschaften in der Slowaki-
schen Republik?

a) Wie hoch war nach Kenntnis der Bundesregierung die Arbeitslosen-
quote der Mitglieder der Roma in den letzten zehn Jahren?

b) Gibt es nach Erkenntnissen der Bundesregierung nennenswerte Verän-
derungen in der Erwerbssituation bei den Mitgliedern der Roma-Ge-
meinschaften nach dem Beitritt der Slowakischen Republik am 1. Mai
2004 in die Europäische Union?

18. Wie hoch ist nach Kenntnis der Bundesregierung der Anteil von Roma aus
der Slowakischen Republik, die ein Gewerbe oder eine Arbeitstätigkeit in
der Bundesrepublik Deutschland sowie in anderen EU-Mitgliedstaaten auf-
genommen haben?

19. Welche rechtlichen und tatsächlichen Zugangsbeschränkungen von slowa-

kischen Staatsbürgern, insbesondere Roma, zum Arbeitsmarkt in der Bun-

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desrepublik Deutschland oder in anderen EU-Mitgliedstaaten, sind der
Bundesregierung bekannt?

20. Welche Hinweise hat die Bundesregierung auf tatsächliche Benachteiligun-
gen für Mitglieder der Roma-Gemeinschaften auf dem slowakischen Woh-
nungsmarkt?

21. Wie hat sich die Situation in den sogenannten Roma-Siedlungen seit 1989
entwickelt?

a) Wie viele Menschen leben heute in faktisch abgegrenzten Roma-Sied-
lungen im Vergleich zum Jahr 1989?

b) Wie stellt sich nach Kenntnis der Bundesregierung die Versorgung mit
Strom und Wasser in diesen Siedlungen dar?

c) Wie hat sich nach Kenntnis der Bundesregierung in den letzten Jahren
der Zustand der Häuser in diesen Siedlungen entwickelt?

d) In welchen slowakischen Gemeinden gibt es nach Kenntnis der Bundes-
regierung den höchsten Anteil von Mitgliedern der Roma-Gemeinschaf-
ten, die in solchen segregierten Roma-Siedlungen leben?

e) In welchen slowakischen Gemeinden gibt es die größten segregierten
Roma-Siedlungen, und wie viele Menschen leben insgesamt in solchen
Siedlungen?

22. Hat sich nach Erkenntnis der Bundesregierung die Lage der Roma durch
die Verabschiedung einer nationalen Roma-Strategie in der Slowakischen
Republik verbessert?

a) Wenn ja, welche konkreten Maßnahmen wurden im Hinblick auf die Er-
füllung welcher Ziele bisher ergriffen?

b) Wie hoch ist das Finanzvolumen der im Rahmen der nationalen Roma-
Strategie in der Slowakischen Republik eingesetzten Maßnahmen?

c) Wie hoch sind die Finanzmittel aus den EU-Programmen, die im Rah-
men der nationalen Roma-Strategie zur Verbesserung der Lage der
Roma in der Slowakischen Republik eingesetzt werden?

d) Welche Hinweise hat die Bundesregierung auf die Tätigkeit deutscher
Nichtregierungsorganisationen, die sich für eine Verbesserung der Lage
der Roma und Sinti in der Slowakischen Republik engagieren?

e) Haben diese deutschen Nichtregierungsorganisationen staatliche Zu-
schüsse aus EU-Programmen oder aus dem Bundeshaushalt erhalten,
und wenn ja, für welche konkreten Maßnahmen wurden diese bewilligt,
und in welcher finanziellen Höhe?

23. In welcher Form und mit welchem Ergebnis wurden auf der Ebene der EU
und im Rahmen der deutsch-slowakischen Beziehungen in besonderer
Weise die Menschenrechtslage von Roma in der Slowakischen Republik
diskutiert?

24. Inwiefern bemühte sich das Auswärtige Amt durch Anweisungen an die
deutschen Vertretungen und Konsulate speziell auf die Angelegenheiten
und die Benachteiligungen von Mitgliedern der Roma-Gemeinschaften
einzugehen?

25. Sind der Bundesregierung offizielle deutsche Einrichtungen bekannt, die
sich in der Slowakischen Republik gezielt um die Leistung konkreter Hilfe
z. B. durch Beratung von Mitgliedern der Roma-Gemeinschaften einsetz-
ten?

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26. Welche Opferberatungsstellen gibt es nach Erkenntnissen der Bundesregie-
rung in der Slowakischen Republik, und wie werden diese finanziert?

27. Welche Hinweise hat die Bundesrepublik Deutschland auf eine konkrete
politische Einflussnahme vonseiten der Regierung der Slowakischen Repu-
blik, damit die Mauer in der slowakischen Stadt Pres˘ov, die eine Roma-
Siedlung abgrenzt, wieder abgebaut wird?

28. Welche konkreten Schritte hat die Bundesregierung auf EU-Ebene und in
den deutsch-slowakischen Beziehungen unternommen, um auf den Abbau
der Mauer in der slowakischen Stadt Pres˘ov, hinzuwirken?

29. Ist nach Ansicht der Bundesregierung der Bau von solchen Mauern, die
auch aus der Tschechischen Republik bekannt sind, mit EU-Recht, insbe-
sondere der Antidiskriminierungsrichtlinie, vereinbar?

30. Welche Hinweise hat die Bundesregierung über die tatsächliche und recht-
liche Beschränkung der Freizügigkeit von Roma als Staatsbürgern der Slo-
wakischen Republik innerhalb der Bundesrepublik Deutschland und ande-
ren Mitgliedstaaten der EU (bitte nach Jahr, Anzahl der Betroffenen und
Mitgliedsland auflisten)?

31. Welche Hinweise hat die Bundesregierung über die tatsächliche und recht-
liche Beschränkung der Freizügigkeit von Roma als Staatsbürger anderer
EU-Mitgliedstaaten innerhalb der Bundesrepublik Deutschland und ande-
ren Mitgliedstaaten der EU (bitte nach Jahr, Anzahl der Betroffenen, Her-
kunftsland und betreffendem Mitgliedsland auflisten)?

32. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Zahl von Asylanträ-
gen und ihre Begründung, die von Roma aus der Slowakischen Republik in
der Bundesrepublik Deutschland und anderen Mitgliedstaaten der Europä-
ischen Union gestellt wurden?

33. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Zahl von Asylanträ-
gen und ihre Begründung, die von Roma aus anderen Mitgliedstaaten der
EU und europäischen Staaten, die keine Mitglieder der EU sind, gestellt
wurden (bitte nach Herkunftsstaat und Land der Asylantragstellung auf-
schlüsseln)?

34. Wie viele Angehörige der Roma-Gemeinschaften halten sich nach Kennt-
nis der Bundesregierung in der Bundesrepublik Deutschland sowie anderen
EU-Mitgliedstaaten auf, die ausreisepflichtig wären (bitte nach Ausreise-
grund aufschlüsseln)?

35. Wie viele Roma mussten seit dem Beitritt der Slowakischen Republik zur
Europäischen Union nach den gültigen aufenthaltsrechtlichen Bestimmun-
gen aus der Bundesrepublik Deutschland in die Slowakische Republik aus-
reisen, und in wie vielen Fällen erfolgte eine erneute Wiedereinreise?

36. Wie beurteilt die Bundesregierung vor dem Hintergrund der konkreten
Rückkehrbedingungen vor Ort derzeit die Durchführbarkeit von Abschie-
bungen von Roma in die Slowakische Republik, anderen Mitgliedstaaten
der EU insbesondere Ungarn, Rumänien, Bulgarien und Polen u. a., und
welche politischen Konsequenzen zieht sie daraus für die menschenrecht-
lichen Pflichten der Bundesrepublik Deutschland?

Berlin, den 8. Dezember 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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