BT-Drucksache 17/8030

Einsatz externer Dienstleister im Visumverfahren

Vom 30. November 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8030
17. Wahlperiode 30. 11. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sevim Dag˘delen, Ulla Jelpke, Frank Tempel und der Fraktion
DIE LINKE.

Einsatz externer Dienstleister im Visumverfahren

Eine Zusammenarbeit mit externen Dienstleistungserbringern im Visumverfah-
ren ist nach Artikel 43 des Visakodex der Europäischen Union (EU) vorgese-
hen. Privaten Unternehmen können damit Aufgaben übertragen werden, wie
z. B. Informationsübermittlung an Antragsteller/-innen über das Visumverfahren
und einzureichende Unterlagen, Erfassung der Daten und Entgegennahme und
Weiterleitung von Anträgen, Einzug der Visumgebühr, Terminvereinbarungen,
Aushändigung von Reisedokumenten und Ablehnungsbescheiden (Artikel 43
Absatz 6 Visakodex). Zusätzliche Gebühren für diese Dienstleistungen müssen
in einem angemessenen Verhältnis zu den tatsächlichen Kosten und den örtli-
chen Gegebenheiten stehen und dürfen höchstens die Hälfte der Visumgebühr in
Höhe von 60 Euro betragen (vgl. Artikel 17 Visakodex). Hoheitliche Akte, in-
haltliche Entscheidungen sowie der Zugang zum Visa-Informationssystem
(VIS) verbleiben grundsätzlich in der Zuständigkeit der Botschaften bzw. der
Konsularbediensteten, aber auch die externen Dienstleister erfassen und verar-
beiten aufgabengemäß sensible (biometrische) personenbezogene Daten.

Bei vielen deutschen Außenstellen kommen externe Dienstleister bereits jetzt
zum Einsatz, z. B. in Moskau, Minsk, Kiew, Istanbul, Ankara, Pretoria, Riad,
Manila, Kairo, Teheran, Dubai, Lagos und Peking. Nach Informationen der
Websites der Botschaften werden dabei teilweise feste, teilweise zeitabhängige
Gebühren berechnet – mitunter finden sich aber auch keine Informationen zu
den anfallenden Kosten, die über den Telefontarif abgerechnet werden, vorab
überwiesen oder in bar bezahlt werden müssen.

Kritik am Verfahren gibt es, weil Wartezeiten für eine Antragseinreichung (Ter-
minvergabe online, telefonisch oder per Brief/Mail) höchst unterschiedlich sind
und dabei in der Praxis auch die nach Artikel 9 Absatz 2 des Visakodexes in der
Regel vorgesehene Maximaldauer von zwei Wochen überschritten wird – ohne
dass in offiziellen Merkblättern auf diese Frist hingewiesen würde. Auch gibt
es mitunter fehlende, unzureichende oder falsche Informationen dazu, dass
Familienangehörige von EU-Bürger/-innen einen Anspruch auf Vorsprache in
der Botschaft in einem beschleunigten Verfahren und unter Ausschaltung eines
Callcenters haben, da sie keinerlei Antragsgebühren bezahlen müssen (vgl. EU-
Visa-Handbuch, Teil III., Punkt 3.2. ff.). Bei zeitabhängigen Gebühren kommt

es zu Überschreitungen der im Visakodex festgesetzten Höchstbeträge. Zudem
wird das Recht auf persönliche Antragseinreichung in den Konsulaten – ohne
Einschaltung eines externen, kostenpflichtigen Dienstleisters (Artikel 17
Absatz 5 Visakodex) – in der Praxis durch sehr knappe Öffnungszeiten einge-
engt bzw. muss mit erheblich längeren Wartezeiten „erkauft“ werden (z. B.
sechs bis zehn Wochen statt drei bis zehn Tage beim externen Dienstleister).
Dabei gibt es eine Verpflichtung aus dem EU-Visakodex, die Kapazitäten der

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Konsulate für die Bearbeitung von Visumanträgen so anzupassen, dass die zwei
Wochen Frist für einen Antragstermin auch in Stoßzeiten eingehalten werden
kann (vgl. auch Teil II, Punkt 3.2.2. des EU-Visa-Handbuchs).

Grundsätzlich kritisch ist das „outsourcing“ von Teilbereichen des Visumver-
fahrens, weil dies mit zusätzlichen Kosten für die Antragstellenden verbunden
ist – bereits die üblichen 60 Euro Gebühr bedeuten für die Betroffenen – je
nach Land und sozialer Stellung – eine enorme Belastung. Auch steigt die
Missbrauchsgefahr im Umgang mit höchst sensiblen Daten, wenn zusätzlich
private Unternehmen und nicht hoheitlich gebundene Personen mit der Daten-
verarbeitung befasst werden. Der direkte Kontakt zu Vertretern des deutschen
Staates, und damit unmittelbare Erklärungs-, Beschwerde-, Beratungs- oder
Nachfragemöglichkeiten, nehmen ab. Das outsourcing behindert tendenziell
den notwendigen personellen und finanziellen Ausbau überlasteter Außenstel-
len, weil solche Verbesserungen mit Verweis auf die privaten Zusatzangebote
unterbleiben und Öffnungszeiten weiter reduziert werden. Schließlich müssen
die privaten Dienstleister durch das Personal der Botschaften geschult, einge-
arbeitet und kontrolliert werden.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Für welche Auslandsvertretungen sind welche externen Dienstleister (mit
Firmensitz in welchem Land) im Rahmen des Visumverfahrens tätig, welche
konkreten Dienstleistungen werden von ihnen in welcher Weise im Einzelnen
erbracht, und wie hoch sind jeweils die Gebühren bzw. wie werden sie erhoben
(bitte einzeln auflisten und – auch im Folgenden – Auslandsvertretungen stets
nach Ländern gruppieren und nach deren Anfangsbuchstaben ordnen und auf-
listen)?

2. Von welchen Dienstleistern werden für welche Auslandsvertretungen welche
Dienste zeitabhängig, z. B. für die Dauer eines Telefonats, erhoben, und wie
hoch sind in diesen Fällen die Gebühren pro Minute, wie viele Minuten
dauert durchschnittlich der entsprechende Dienstleistungsvorgang, und wie
hoch ist das durchschnittliche Einkommen in dem jeweiligen Land (bitte ein-
zeln auflisten und Kostenangaben in Euro machen), und wie wird in diesen
Fällen durch wen sichergestellt, dass die Vorgaben des Artikels 17 des Visa-
kodexes zu den maximal zulässigen Gebühren eingehalten werden?

3. Wie kann überhaupt eine zeitabhängige Gebühr mit den maximalen Ober-
grenzen des Artikels 17 des Visakodexes vereinbar sein, wenn diese z. B. pro
Minute abgerechnet wird aber unklar ist, wie viele Minuten ein Dienstleis-
tungsvorgang maximal benötigt (bitte ausführen)?

4. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die privaten Dienstleister für
eine Einhaltung der in Artikel 17 des Visakodexes vorgegebenen Höchstgren-
zen der Kosten verantwortlich sind, oder fällt die Einhaltung dieser Vorgaben
des Visakodexes in die Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland, und
welche Regelungen werden diesbezüglich in Verträgen mit Dienstleistern ge-
troffen (bitte zu allen Unterfragen begründete Ausführungen machen)?

5. Wie wird in der Praxis generell kontrolliert, dass die Vorgaben zu den maxi-
mal zulässigen Kosten für Dienstleistungen im Visumverfahren eingehalten
werden, und wie wird insbesondere kontrolliert, dass die zusätzliche Gebühr

a) in einem angemessenen Verhältnis zu den vom externen Dienstleistungs-
erbringer gebotenen Dienstleistungen steht und

b) an die örtlichen Gegebenheiten vor Ort angepasst ist (Artikel 17 Absatz 3
des Visakodexes)

(bitte nach beiden Gesichtspunkten getrennt beantworten und auch darstel-

len, inwieweit dabei konkrete Kostenkalkulationen der Dienstleister einge-
sehen und überprüft werden)?

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6. In welchem zeitlichen und personellen Umfang sind Unterweisungen, Ein-
arbeitungen und Kontrollen von externen Dienstleistern im Visumverfahren
durch Konsularbedienstete oder andere Vertreterinnen und Vertreter der
Bundesrepublik Deutschland erforderlich, in welchem Umfang haben solche
Einarbeitungen bereits stattgefunden (bitte nach Auslandsvertretungen auf-
listen), und inwieweit erfolgen diese Einarbeitungen durch zusätzliches bzw.
das angestammte Personal, d. h. inwieweit und in welchem Umfang werden
Kapazitäten für die normale Visumbearbeitung durch die notwendige Ein-
arbeitung, Beratung und Kontrolle externer Dienstleister abgezogen?

7. Inwieweit und in welchem Umfang gibt es feststellbare Entlastungen deut-
scher Auslandsvertretungen infolge des Einsatzes externer Dienstleister im
Visumverfahren?

8. Welche Auslandsvertretungen informieren auf ihren Websites nicht voll-
ständig und umfassend über anfallende Gebühren bei Inanspruchnahme
externer Dienstleister im Visumverfahren, einzuhaltende Fristen und Aus-
nahmeregelungen, z. B. für Familienangehörige von Unionsbürgerinnen
und Unionsbürger, und was unternimmt die Bundesregierung, um dies zu
ändern?

9. Wie hat sich die personelle und finanzielle Ausstattung der Auslandsvertre-
tungen seit 2000 entwickelt (bitte nach Jahren aufgliedern und das weltweit
eingesetzte Personal bzw. die zur Verfügung stehenden Mittel für den
Bereich Visumbearbeitung, -prüfung und -erteilung benennen, auch nach
Kontinenten und den fünf wichtigsten Ländern differenzieren)?

10. Welche personellen, finanziellen, weisungsrechtlichen usw. Anstrengungen
und Vorkehrungen unternimmt die Bundesregierung, um die zeitlichen
Vorgaben des Visakodexes (z. B. Artikel 9 und Artikel 23) bzw. des EU-
Visa-Handbuchs für die Antragstellung bzw. Bearbeitung im Visumverfah-
ren einzuhalten, und inwieweit, in welchem Umfang und in Bezug auf
welche Länder bzw. Auslandsvertretungen (bitte einzeln auflisten) gib es
derzeit (noch) Verstöße mit welcher Begründung gegen diese Vorgaben?

11. Welche Erkenntnisse liegen vor zu durchschnittlichen Bearbeitungszeiten,
Zeiten bis zur Antragstellung, Visaanträge pro Bearbeiterinnen/Bearbeiter
im Visumverfahren usw. (bitte nach Ländern bzw. wo Unterschiede ersicht-
lich, auch nach Auslandsvertretungen auflisten)?

12. In welchem zeitlichen Umfang (Öffnungszeiten) sind Vorsprachen in den
Auslandsvertretungen möglich (bitte nach Ländern bzw. wo Unterschiede
ersichtlich, auch nach Auslandsvertretungen auflisten)?

13. Inwieweit wird auch in denjenigen Auslandsvertretungen eine direkte Vor-
sprache von Familienangehörigen von EU-Bürgerinnen und Bürgern – ohne
Zwischenschaltung kostenpflichtiger Dienstleister – ermöglicht, von denen
auf diese Möglichkeit nicht offiziell hingewiesen oder sie in offiziellen
Informationen sogar ausgeschlossen wird, und was unternimmt die Bundes-
regierung diesbezüglich (bitte ausführen)?

14. Wird pro Auslandsvertretung immer nur ein Anbieter für externe Dienst-
leistungen zugelassen, und wenn ja, warum?

15. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass es genügt, externe Dienstleis-
ter vertraglich dazu zu verpflichten, Datenschutzbestimmungen einzuhal-
ten, antragstellende Personen höflich zu empfangen und deren Würde zu
achten, Geheimhaltungsregelungen einzuhalten usw., um diese Vorgaben
auch in der Praxis sicherzustellen (bitte ausführen)?

a) Inwieweit und in welchem Umfang werden diese Vorgaben des Visa-

kodexes in der Praxis kontrolliert (z. B. durch (verdeckte) Kontrollen
vor Ort, Befragungen Betroffener usw.)?

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b) Inwieweit ist es realistisch, dass Beschäftigte eines privaten Unterneh-
mens diese Anforderungen ebensogut und verlässlich erfüllen können,
wie z. B. in einem besonderen Treueverhältnis stehende Beamtinnen und
Beamte oder erfahrene, festangestellte Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter?

c) Inwieweit und in welchem Umfang wird kontrolliert, dass das Personal
externer Dienstleister den obigen Anforderungen genügt und entspre-
chend ausgebildet wird, und inwieweit werden auch die Beschäftigungs-
und Lohnbedingungen dieser Unternehmen kontrolliert oder normiert,
z. B. um einer Bestechlichkeit aufgrund (zu) geringer Bezahlung vorzu-
beugen?

16. Welche Beschwerden von Bürgerinnen und Bürgern bzw. Betroffenen in
Bezug auf den Einsatz externer Dienstleister im Visumverfahren gibt es?

17. Welche Schwachpunkte und Verbesserungsmöglichkeiten sieht die Bun-
desregierung bzw. sehen die betroffenen Behörden, Bundesministerien,
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Bezug auf den Einsatz externer Dienst-
leister im Visumverfahren?

Berlin, den 30. November 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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