BT-Drucksache 17/799

Erneuerbare Energien ausbauen statt Atomkraft verlängern

Vom 24. Februar 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/799
17. Wahlperiode 24. 02. 2010

Antrag
der Abgeordneten Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl,
Oliver Krischer, Undine Kurth (Quedlinburg), Dr. Hermann Ott, Dorothea Steiner,
Cornelia Behm, Winfried Hermann, Ulrike Höfken, Dr. Anton Hofreiter,
Nicole Maisch, Ingrid Nestle, Friedrich Ostendorff, Markus Tressel,
Daniela Wagner, Dr. Valerie Wilms und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Erneuerbare Energien ausbauen statt Atomkraft verlängern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Am 25. Februar 2000 hat der Deutsche Bundestag das Erneuerbare-Energien-
Gesetz (EEG) in letzter Lesung verabschiedet. Das EEG ist ein Parlaments-
gesetz, das dem parlamentarischen Grundverständnis nach auch im Parlament
geschrieben wurde. Es hat sich als so erfolgreich erwiesen, dass es sich zum
weltweiten Exportschlager entwickelt und in annähernd 50 Ländern erfolgrei-
che Nachahmer gefunden hat. Je näher sich diese Gesetze am EEG orientiert
haben, desto erfolgreicher sind sie.

Das EEG ist mit Abstand die wichtigste Maßnahme für den Klimaschutz in
Deutschland. 2008 konnten bereits 53 Millionen Tonnen CO2 mit dem EEG
eingespart werden. Die letzte Absenkung der Emissionsgrenzen („Caps“) beim
Emissionshandel sowie zukünftige Absenkungen waren und sind in ihrem Um-
fang in hohem Maße von dem erfolgreichen Ausbau der erneuerbaren Energien
abhängig.

Die durch das EEG anfallenden Mehrkosten von wenigen Euro pro Haushalt
und Monat haben sich als nutzbringende Zukunftsinvestition erwiesen. Allein
im Jahr 2008 ersparten erneuerbare Energien fossile Brennstoffkosten in Höhe
von 7,8 Mrd. Euro und vermieden externe Kosten im Umfang von 9,2 Mrd.
Euro. Das EEG wirkt durch den Merit-Order-Effekt zudem strompreissenkend.
Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
(BMU) beziffert alleine diesen Effekt auf 5 Mrd. Euro in 2006.

Wie kein anderes Instrument hat das EEG zudem den technischen Fortschritt
bei erneuerbaren Energien vorangetrieben. Es hat Deutschland weltweit den
Spitzenplatz in der Wind- und Solarenergie gesichert. Mittlerweile arbeiten in
Deutschland über 280 000 Menschen in der Erneuerbare-Energien-Branche –
das sind fast zehn Mal mehr als in der Kernenergie. Die Branche der Erneuer-

baren Energien ist in der aktuellen Wirtschaftskrise eine wichtige Stütze der
deutschen Wirtschaft.

Das EEG scheint inzwischen auch viele seiner früheren Kritiker überzeugt zu
haben. So hat beispielsweise die schwarz-gelbe Landesregierung in NRW mit
unsachlichen Argumenten lange Zeit die faktische Abschaffung des EEG gefor-
dert. Ministerpräsident Dr. Jürgen Rüttgers polemisierte sogar derart gegen das
Gesetz, dass er in Interviews behauptete, Windenergieanlagen würden mit

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Strom aus dem Netz und nicht durch den Wind betrieben, um so die Vergütung
nach EEG zu erhalten. Solche unsachlichen Attacken gegen das EEG sind in-
zwischen eher die Ausnahme.

Die technologischen Innovationen, die hierzulande über das EEG vorangetrie-
ben wurden, haben bereits Auswirkungen auf die Markteinführung erneuer-
barer Energien in einer Vielzahl von Ländern. Sie werden weiter entscheidend
dazu beitragen, dass sich die erneuerbaren Energien auch in anderen Ländern
durchsetzen können. Bei der Windenergie findet mittlerweile sogar ein Großteil
des Ausbaus im Ausland statt – undenkbar ohne die Initialzündung durch das
deutsche EEG. Die Zahlen sprechen für sich: In Europa hat alleine die Wind-
energie laut EWEA – European Wind Energy Association (2008) 108 Millio-
nen Tonnen CO2 eingespart. Global lag 2008 die Einsparung sogar bei rund 200
Millionen Tonnen. Dies wäre ohne die Innovationskraft des deutschen EEG
undenkbar gewesen.

Eine ähnliche Entwicklung ist auch für die Photovoltaik in den nächsten Jahren
zu erwarten, die entscheidend durch das EEG initiiert wurde. Wurden 1999 in
Deutschland 14 Megawatt Photovoltaik-Leistung installiert, so waren es letztes
Jahr bereits etwa 3 000 Megawatt. In diesen zehn Jahren hat die Photovoltaik-
Technologie eine immense Weiterentwicklung erlebt. Zugleich sind die Kosten
rapide gefallen. In Indien ist heute ein Solarmodul 40 Prozent günstiger als
noch vor einem Jahr. Was Deutschland hierzulande in den letzten zehn Jahren
vorangetrieben hat, ist nichts weniger als eine technologiepolitische Revolu-
tion, die die Zukunft der Energieversorgung global bereits zu verändern be-
ginnt.

Für Deutschland rechnet das BMU konservativ mit einem jährlichen Zuwachs
der installierten Leistung aus erneuerbaren Energien von 2 600 Megawatt. Bis
2020 werden demnach in Deutschland etwa 180 Milliarden Kilowattstunden
Strom aus erneuerbaren Quellen stammen; das entspricht einem Anteil von
rund 35 Prozent am Bruttostromverbrauch. Doch diese Entwicklung ist keines-
wegs ein Selbstläufer. Sie wird nur erreicht werden, wenn das Energieversor-
gungssystem auf den Ausbau der erneuerbaren Energien ausgerichtet werden.
Intelligente Netze, der Ausbau von Speichern sowie der Aufbau von Supergrids
und Smart Grids werden eine wichtige Rolle spielen. Mit Supergrids können
große Energiemengen über weite Entfernungen transportiert werden, dazu zäh-
len auch große Mengen dezentral erzeugten Stroms aus Wind- und Solaranla-
gen. Gemeinsam mit großen Wind- und Solarparks u. a. in Nordafrika sowie
mit Wasserkraftanlagen in den Alpen und Skandinavien kann mit dieser weit-
räumigen Vernetzung stetig und zuverlässig Strom aus erneuerbaren Energien
erzeugt werden.

Ebenso unabdingbar ist es, den übrigen Kraftwerkspark kompatibel mit den ab-
sehbar sehr großen installierten Leistung fluktuierender Energieträger zu ma-
chen. So rechnet das BMU bis 2020 mit mindestens 40 000 Megawatt instal-
lierter Leistung bei der Photovoltaik. Hinzu kommen die großen Kapazitäten
bei Wind-Onshore und Wind-Offshore. Es liegt auf der Hand, dass Grundlast-
kraftwerke auf Kohle- oder Atombasis mit mangelnder technischer oder ökono-
mischer Flexibilität nicht in eine zukünftige Kraftwerksstruktur passen. Lauf-
zeitverlängerung für Atomkraftwerke oder der Neubau von Kohlekraftwerken
vergrößern die kommenden Probleme anstatt zu ihrer Lösung beizutragen.
Neue Kohlekraftwerke sind überdies vor dem Hintergrund des Klimawandels
aufgrund ihres noch immer zu geringen Wirkungsgrades unverantwortlich.
Klimaschutz und jahrzehntelange zusätzliche CO2-Emissionen schließen einan-
der aus. Kohlekraftwerke mit CO2-Abscheidung sind einerseits nicht ausgereift
und andererseits ist absehbar, dass sie bis mindestens 2020 eher sogar bis 2030
weder finanziell wettbewerbsfähig noch kompatibel zu fluktuierenden Energie-

trägern sein werden.

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Deutschland muss sich heute die Energieversorgungsstruktur für die Zukunft
richten. Laufzeitverlängerungen für die veralteten Atomkraftwerke wären eine
Rückkehr in die Vergangenheit. Sie führen zu mehr Atommüll, für den es ab-
sehbar kein sicheres Endlager geben wird. Sie zementieren die Vormachtstel-
lung der großen Energiekonzerne im Markt. Und sie behindern den weiteren
Ausbau erneuerbarer Energien, indem sie die Netze mit Atomstrom „verstop-
fen“ und die Investitionsbedingungen für erneuerbare Energien verschlechtern.

Zu den entscheidenden Stärken des EEG gehört das hohe Maß an Rechtssicher-
heit, sowohl für Investoren als auch für Anlageproduzenten. Wie wichtig diese
Rechtssicherheit ist, hat man am Beispiel der Biokraftstoffe gesehen. In kürzes-
ter Zeit hat die letzte Bundesregierung die Steuerbefreiung für Biokraftstoffe
abgeschafft und zu hohe Steuern eingeführt, die zu einem hohen Schaden in der
Biokraftstoffbranche geführt hatten. Aus diesen Erfahrungen muss gelernt wer-
den, um ähnlich negative Konsequenzen im Rahmen des EEGs zu vermeiden.
Es gilt deshalb heute das EEG kosteneffizient zu gestalten, zugleich aber Inno-
vationskraft sowie die Investitionssicherheit und den Vertrauensschutz zu er-
halten. Aktuell ist dies insbesondere bei Solarstromerzeugung brisant. Etab-
lierte Solarunternehmen sind immens gewachsen und haben eine Reihe neuer
Konkurrenten gefunden. Eine Vielzahl von Technologien konkurrieren im
Wettbewerb untereinander und werden absehbar für stark fallende Kosten sor-
gen.

Nirgendwo sonst gibt es mehr Arbeitsplätze bei der Photovoltaik als in
Deutschland. Deutschland ist Solarweltmeister und verteidigt seine Spitzen-
position.

Die bisher vorliegenden Annahmen für das Wachstum der Photovoltaik wurden
regelmäßig von der Realität überholt. Ein Grund dafür ist, dass die Erzeugungs-
kosten seit Einführung des EEG stetig gefallen sind und die Vergütung durch
das EEG jährlich reduziert werden konnten. Das Innovationstempo hat sich so-
gar so sehr erhöht, dass in der letzten EEG-Novelle die jährliche Degressions-
rate deutlich angehoben werden konnte. All dies geschah immer unter der Maß-
gabe des Vertrauensschutzes, der Unternehmen Investitionssicherheit gab.
Diese Investitionssicherheit führte dazu, dass sowohl in- als auch ausländische
Unternehmen in großem Umfang in Deutschland in Produktionskapazitäten in-
vestiert haben. Vertrauen in stabile Rahmenbedingungen und eine verlässliche
Politik spielt bei diesen Investitionsentscheidungen eine wichtige Rolle. Doch
dieses Vertrauen droht durch die ebenso abrupte wie drastische außerordent-
liche Absenkung der Photovoltaik-Vergütung verloren zu gehen.

Auch die Bioenergienutzung erfordert eine Weiterentwicklung. Sie muss vor
allem im Sinne der Nachhaltigkeit optimiert und ausgebaut werden. Ökologisch
bedenkliche Monokulturen sollten zugunsten von hochbiodiversen Anbaume-
thoden umgewandelt werden. Auch für den internationalen Handel mit Bio-
energien sind soziale und ökologische Standards unverzichtbar. Eine funktio-
nierende Nachhaltigkeitsverordnung, die dies regelt, fehlt weiterhin.

Die Stromerzeugungspotenziale der Geothermie sind immens und müssen
größtenteils noch erschlossen werden. Bislang sind in Deutschland erst wenige
geothermische Stromerzeugungsanlagen in Betrieb. Hier müssen die Anreize
deutlich verbessert und die technologische Entwicklung vorangebracht werden.
Auf keinen Fall darf der Ausbau der Geothermie durch CO2-Lager verzögert
oder sogar in manchen Regionen verhindert werden.

Das EEG hat im Bereich der Wasserkraft vor allem über Nachrüstungen beste-
hender Kraftwerke eine positive Wirkung für den Artenschutz und die Durch-
gängigkeit der Gewässer angestoßen. Bei der Neuerschließung von Wasserkraft
müssen diese Kriterien weiterhin im Vordergrund stehen.

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In Deutschland gibt es zwar nutzbare Potenziale für Meeresenergien – vor
allem im Bereich der Wellenkraft. Diese werden aber nicht ausreichend ge-
nutzt, obwohl sie bereits mit Vergütungsätzen im EEG unterstützt werden. Vor
allem in der Nordsee dürften erhebliche Potenziale vorhanden sein. Potenzial-
abschätzungen sind noch oberflächlich. Die Wellenkraftwerkstechnologien so-
wie die Meeresströmungstechnologien sind noch genauso wie Osmosekraft-
werke im Pilotstadium. Gezeitenkraftwerke kommen in Deutschland aufgrund
des geringen Tidenhubs kaum in Frage.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die Rahmenbedingungen dafür zu setzen, dass der Ausbau der erneuerbaren
Energien in Deutschland beschleunigt wird und dazu

● die Energieversorgungsstruktur auf die schnellstmögliche Umstellung der
Stromversorgung auf erneuerbare Energien auszurichten,

● den Ausstieg aus der Atomenergie wie im Jahr 2001 beschlossen umzu-
setzen,

● eine Forschungsoffensive für erneuerbare Energien und Energiespartech-
nologien zu starten sowie die Mittel für Energieforschung bei erneuer-
baren Energien im Rahmen der Forschungsmittelerhöhung des Bundes
bereits im Regierungsentwurf für den Bundeshaushalt 2011 deutlich an-
zuheben,

● eine Technologiestrategie für die Photovoltaik aufzulegen, die zum Ziel
hat, die Spitzenposition der deutschen Solarwirtschaft auszubauen und
die Kosten zu senken,

● den Bau eines Supergrids in der Nordsee und für Europa voranzutreiben,

● Netzengpässe insbesondere durch eine Anreizsetzung zum beschleunig-
ten Netzausbau mit Erdkabel zu beseitigen,

● politische Unterstützung für die Desertec-Initiative zu geben,

● den Vorrang von Geothermie gegenüber CCS gesetzlich sicherzustellen;

2. das EEG weiter zu entwickeln und dazu

● die Degression bei der Photovoltaik so weiter zu entwickeln, dass einer-
seits Anreize für noch stärkere Kostensenkungen entstehen und anderer-
seits die Wirtschaftlichkeit beim Betrieb von Solaranlagen weiter ge-
währleistet wird,

● bei der kleinen Wasserkraft über EEG-Vergütungen zusätzliche Anreize
zu setzen, in ökologische Maßnahmen zu investieren,

● einen standortunabhängigen Vergütungssatz für Kleinwindenergieanla-
gen bis 10 Kilowatt in Höhe der Vergütung für Offshore-Windenergie
einzuführen sowie begleitend ein Markteinführungsprogramm für Klein-
windanlagen aufzulegen, das wissenschaftlich begleitet wird,

● Anreize zur Verstetigung setzen. Kombibonus möglichst schnell auf den
Weg bringen.

● die im EEG verankerten Boni auf die Stärkung der Innovation auszurich-
ten, z. B. Lieferung von Regelenergie aus Biomasse oder Förderung
neuer Technologien wie Kombi-Kraftwerke, hocheffiziente Biomasse-
KWK,

● die Einhaltung strenger ökologische und soziale Kriterien wie der Ver-
zicht auf Rodungen, Gentechnik und die Einhaltung von Mindestlöhnen

sicherzustellen und eine verlässliche Zertifizierung einzuführen,

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/799

● die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Errichtung von Geothermie-
Anlagen zu verbessern, um Probebohrungen mit zeitlich stark verkürztem
Genehmigungsverfahren zu ermöglichen bei Erhalt einer transparenten
Bürgerbeteiligung,

● Anreize für den Bau von Meereskraftanlagen, etwa in Verbindung mit
Offshore-Windparks zu schaffen;

3. begleitende Aktivitäten zur Förderung erneuerbarer Energien zu ergreifen,
insbesondere

● das Marktanreizprogramm stärker innovationsorientiert auszurichten und
auch im Stromsektor Innovationen bei den erneuerbaren Energien voran-
treiben und damit das EEG sinnvoll zu ergänzen,

● sich bilateral und international für die möglichst weite Verbreitung von
Stromeinspeisungssystemen einzusetzen.

● nach dem erfolgreichen Vorbild des Erneuerbare-Energien-Gesetzes für
Strom einen Gesetzesentwurf für ein Biogaseinspeisungsgesetz vorzule-
gen,

● das Repowering-Potenzial stärker zu erschließen durch den Ersatz der be-
stehenden Abstandsregelungen und durch die bundesgesetzlichen Rege-
lungen des Immissionsschutzes (Schall, Schattenwurf),

● Einfluss auf die Bundesländer zu nehmen, auf Höhenbegrenzungen für
Windenenergieanlagen zu verzichten bei gleichzeitig konsequentem Ein-
satz von Maßnahmen zur Begrenzung der Auswirkungen der Befeuerung
(Beleuchtung) von Windenergieanlagen (WEA) sowie Entwicklung von
Alternativen zur Befeuerung von WEA, auch um großflächige Pauschal-
verbote von Windkraftinvestitionen z. B. in Regionalplänen zu verhin-
dern.

Berlin, den 24. Februar 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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