BT-Drucksache 17/7869

Überwindung des Stillstandes in der konventionellen Rüstungskontrolle in Europa

Vom 22. November 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7869
17. Wahlperiode 22. 11. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Uta Zapf, Dr. h. c. Gernot Erler, Petra Ernstberger, Iris Gleicke,
Ute Kumpf, Dr. Rolf Mützenich, Thomas Oppermann, Dr. Frank-Walter Steinmeier
und der Fraktion der SPD

Überwindung des Stillstandes in der konventionellen Rüstungskontrolle
in Europa

Seit längerer Zeit ist ein Stillstand bei der konventionellen Rüstungskontrolle in
Europa zu beobachten. Der 1990 unterzeichnete und 1992 in Kraft getretene
Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE-Vertrag) wird, seitdem
Russland den Vertrag 2007 suspendiert hat, nur noch von den anderen Vertrags-
staaten implementiert („zu 29“-Implementierung). Der Vertrag über den Offe-
nen Himmel (Open Skies Treaty) wird zwar noch implementiert, die Verhand-
lungen über seine Weiterentwicklung und Modernisierung kommen jedoch
nicht voran, da die Türkei wegen des Dissenses über den Beitritt Zyperns nur
noch technische Entscheidungen zulässt. Das politisch verbindliche Wiener
Dokument 1999 Der Verhandlungen über vertrauens- und sicherheitsbildende
Maßnahmen (WD 99) wird weiter implementiert, die angestrebte Modernisie-
rung beschränkt sich jedoch bisher lediglich auf technische Fragen.

Der Verhandlungsprozess und der KSE-Vertrag haben beträchtlich zu Stabilität,
Sicherheit und Frieden in Europa während und nach dem Ende des Ost-West-
Konfliktes beigetragen. Es wurde Vertrauen zwischen den ehemaligen Gegnern
aufgebaut und es wurde massiv Rüstung abgebaut. Die vom KSE-Vertrag erfass-
ten fünf Kategorien – Panzer, gepanzerte Kampffahrzeuge, Artillerie, Kampf-
flugzeuge und Angriffshubschrauber – wurden soweit abgerüstet, dass in vielen
Vertragsstaaten die vertraglich möglichen Höchstgrenzen teilweise deutlich
unterschritten wurden. Der Vertrag hat dazu beigetragen, dass auf strategischer
Ebene in Europa keine Bedrohung mehr besteht. Sicherheit in Europa ist aber
kein Selbstläufer, sondern muss weiterhin kooperativ bearbeitet und erneuert
werden. Deshalb ist eine Fortentwicklung der Regime vor dem Hintergrund der
neuen Herausforderungen in Europa notwendig. Dazu kommt, dass die fünf
Kategorien nicht mehr die militärisch relevanten Fähigkeiten auf der gesamt-
europäischen Ebene und damit auch keine Bedrohung mehr darstellen.

Zwar sind Russland und die Europäische Union inzwischen Partner, Russland
und die NATO kooperieren im NATO-Russland-Rat. Jedoch fühlt sich Russland
in ein gesamteuropäisches Sicherheitssystem nicht vollständig integriert, und

deshalb sind die Beziehungen nicht spannungsfrei. Die NATO hat die Ratifizie-
rung des angepassten KSE-Vertrages (AKSE) an Fortschritte bei der Lösung
der subregionalen Konflikte gebunden. Dadurch hat sie auch dazu beigetragen,
dass Russland den KSE-Vertrag suspendiert hat.

Die Beziehungen auf strategischer Ebene müssen durch eine konsequente part-
nerschaftliche Politik zwischen der NATO und Russland verbessert werden.

Drucksache 17/7869 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Aufgrund der sich verändernden sicherheitspolitischen Herausforderungen und
der deswegen veränderten militärischen Fähigkeitsspektren (Führungsfähig-
keit, Verlegefähigkeit, Durchhaltefähigkeit, Logistik) können neue Unsicher-
heiten und Misstrauen in Europa entstehen. Um diesen vorzubeugen, müssen
diese neuen Herausforderungen in einen neuen rüstungskontrollpolitischen
Kontext integriert werden.

Subregionale Konflikte wie in Georgien und der Republik Moldau haben wesent-
lich zum heutigen Stillstand konventioneller Rüstungskontrolle in Europa ge-
führt. Umgekehrt ist konventionelle Rüstungskontrolle ein unverzichtbares
Element von Konfliktregulierung, wie der Vertrag von Florenz (1996) zeigt, der
durch die Fixierung bestimmter militärischer Kräfteverhältnisse zwischen Ser-
bien, Montenegro, Kroatien und Bosnien-Herzegowina die regionale Stabilität
in Südosteuropa sichert. Daher ist zu überlegen, ob nicht subregionale Rüstungs-
kontrolle auch in den anderen Konflikten Gesamteuropas (Bergkarabach,
Georgien – Abchasien/Südossetien – Transnistrien) eine stabilisierende Rolle
spielen kann.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Vorschläge hat die Bundesregierung zur Überwindung des Still-
standes bei dem Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa, beim
Wiener Dokument 1999 und beim Open Skies Vertrag entwickelt bzw. vor-
gelegt?

Welche Vorschläge kamen aus dem Auswärtigen Amt, welche aus dem
Bundesministerium der Verteidigung, und welche aus dem Bundeskanzler-
amt?

2. Werden in diesen Vorschlägen militärische Fähigkeiten als Ansatzpunkte
für die Weiterentwicklung der konventionellen Rüstungskontrolle be-
schrieben, und wenn ja, welche?

3. Welche weiteren nationalen Vorschläge wurden vorgelegt?

4. Auf welchen Ebenen und in welchen Institutionen will die Bundesregie-
rung handeln, um den gegenwärtigen Stillstand zu überwinden?

5. Welche informellen Foren hält die Bundesregierung für geeignet, in denen
künftig Gespräche stattfinden sollen?

6. Mit welchen Partnern im Bündnis kooperiert die Bundesregierung, um
innerhalb des Bündnisses neue Konzepte für eine Weiterentwicklung der
konventionellen Rüstungskontrolle in Europa voranzutreiben?

7. Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass aufgrund der geringeren Be-
drohungen eine zukünftige Vereinbarung nicht mehr rechtsverbindlich sein
muss, und dass eine politisch bindende Vereinbarung ausreicht?

Wie stellt sich die Bundesregierung unter diesen Bedingungen die weitere
Aufrechterhaltung von Begrenzungen und die Weiterentwicklung von Ver-
einbarungen über Begrenzungen vor?

8. Welche militärischen Fähigkeiten sind nach Ansicht der Bundesregierung
für künftige Verhandlungen über eine konventionelle Rüstungskontrolle in
Europa von Bedeutung, wie definiert die Bundesregierung diese militäri-
schen Fähigkeiten?

9. Finden bereits Gespräche oder Verhandlungen in der NATO über neue
Dimensionen statt?

10. Finden bereits Gespräche oder Verhandlungen mit Russland über neue

militärische Fähigkeiten statt?

Wenn ja, über welche Fähigkeiten?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/7869

11. Welche militärischen Fähigkeiten sollten aus welchen sicherheitspolitischen
Gründen nach Ansicht der Bundesregierung in Verhandlungen einbezogen
werden, und wie denkt die Bundesregierung über diese Vorstellungen?

12. Welche militärischen Fähigkeiten sollten nach Kenntnis der Bundesregie-
rung auf Wunsch Russlands in Verhandlungen einbezogen werden?

13. Welche Position vertritt die Bundesregierung bezüglich einer Integration
der Regime von Wiener Dokument 1999 und konventioneller Rüstungs-
kontrolle in ein einziges Regime, und welche Positionen vertritt die NATO
bzw. Russland?

14. Welche Rolle spielen nach Ansicht der Bundesregierung das Prinzip des
Host-Nation Consent?

15. Wie ist das Verhältnis von gesamteuropäischer und subregionaler Rüstungs-
kontrolle in Europa?

16. Welche Rolle spielen die regionalen Konflikte in Gesamteuropa für die
Weiterentwicklung der konventionellen Rüstungskontrolle in Europa?

17. Welche regionalen Konflikte sollten aus welchen Gründen aus Sicht der
Bundesregierung in Verhandlungen über eine europäische konventionelle
Rüstungskontrolle einbezogen werden?

18. Wie beurteilt die Bundesregierung die Wirkung der regionalen Rüstungs-
kontrolle in Südosteuropa (Vertrag von Florenz)?

Kann dieser Vertrag nach Ansicht der Bundesregierung ein Modell für die
Stabilisierung weiterer regionaler Konflikte im OSZE-Raum (OSZE: Orga-
nisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) darstellen?

19. Welche Rolle spielten und spielen die vertrauensbildenden und Trans-
parenz fördernden OSZE-Mechanismen in konkreten Konfliktsituationen
(z. B. Georgien), und hat die Bundesregierung diese Mechanismen evalu-
iert?

Wenn ja, mit welchem Ergebnis (bitte mit Aufzählung konkreter Bei-
spiele)?

20. Für welche vertrauensbildenden und transparenzfördernden Mechanismen
setzt sich die Bundesregierung im Falle der regionalen Konflikte im OSZE-
Raum ein?

Welche hat sie zur Bearbeitung der Konflikte vorgeschlagen oder beabsich-
tigt sie vorzuschlagen?

Berlin, den 22. November 2011

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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