BT-Drucksache 17/7686

EUFOR Libya und die Zusammenarbeit mit dem Libyschen Übergangsrat in Fragen der Grenzsicherung

Vom 9. November 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7686
17. Wahlperiode 09. 11. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sevim Dag˘delen, Jan van Aken, Christine Buchholz, Annette
Groth, Heike Hänsel, Andrej Hunko, Niema Movassat und der Fraktion DIE LINKE.

EUFOR Libya und die Zusammenarbeit mit dem Libyschen Übergangsrat
in Fragen der Grenzsicherung

In den Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Libyen nahmen
Fragen der Migration bis zum Ausbruch des libyschen Bürgerkriegs eine heraus-
ragende Rolle ein. Hatten insbesondere Marokko und Tunesien, aber auch Alge-
rien und Ägypten im Sinne der EU-Vorverlagerungsstrategie im „Kampf gegen
die illegale Migration“ die Ausreise ihrer eigenen Staatsbürgerinnen und Staats-
bürger sowie die Ein- und Ausreise von Transitmigrantinnen und -migranten
weitgehend unterbunden, konzentrierten sich die illegalen Einreisen über das
Mittelmeer zunächst zunehmend auf die Route zwischen Libyen und Lam-
pedusa. Die Zusammenarbeit verbesserte sich erst, nachdem Libyen 2004 von
Italien umfangreiche Ausstattungshilfe (darunter neben Geländewagen, Spür-
hunden, Unterwasser- und Nachtsichtkameras auch die Ausstattung für Flücht-
lingscamps in der Wüste und 1 000 Leichensäcke) zugesichert bekam und darauf-
hin Ende 2004 eine EU-Expertenkommission zur Grenzsicherung in Libyen
empfing. Eine Folgemission fand 2007 unter der Leitung der mittlerweile ge-
gründeten EU-Grenzschutzagentur Frontex statt. Erst später wurde öffentlich,
dass in den Jahren 2005 und 2006 Angehörige von Spezialkräften der deutschen
Polizei und der Bundeswehr – angeblich ohne Zustimmung der Bundesregie-
rung – an der Fortbildung libyscher Sicherheitskräfte beteiligt waren. Dennoch
ebbte die Migration von Libyen über Lampedusa/Sizilien erst im Jahr 2009 deut-
lich ab, nachdem Muammar al-Gaddafi (Berichten zufolge unter Vermittlung
von Frontex) Ende 2009 die Zusammenarbeit mit Italien weiter intensivierte,
italienische Sicherheitskräfte in libyschen Küstengewässern duldete und von
diesen aufgegriffene Boote mit Flüchtlingen anlanden und den libyschen Behör-
den übergeben ließ. Im Juni 2010 unterzeichneten die EU-Kommission und
Libyen ein „Memorandum of Understanding“, welches technische Unterstüt-
zung u. a. im Bereich des „Migrationsmanagements“ und finanzielle Unterstüt-
zung in Höhe von 60 Mio. Euro vorsah. Zuletzt besuchten der EU-Kommissar
für Erweiterung und Europäische Nachbarschaftspolitik Sµµtefan Füle und die
EU-Kommissarin für Innenpolitik Cecilia Malmström vom 4. bis 6. Oktober
2010 Tripolis, um mit der libyschen Regierung über eine bessere Zusammen-
arbeit im Bereich des Grenzschutzes zu verhandeln.
Auch der Nationale Übergangsrat signalisierte früh, künftig mit der EU in Fra-
gen des Migrationsmanagements zu kooperieren und unterzeichnete bereits
Mitte Juni 2011 ein entsprechendes Übereinkommen mit Italien. Zu diesem
Zeitpunkt waren die Truppen des Übergangrates bereits mehrfach durch ein
menschenverachtendes Vorgehen gegen Migranten aus den südlichen Nachbar-
staaten und anderen afrikanischen Staaten in Erscheinung getreten. Die EU hatte

Drucksache 17/7686 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

bereits Anfang März 2011 eine Mission unter der Leitung Agostino Miozzos mit
einem von der italienischen Regierung bereitgestellten Flugzeug nach Libyen
entsandt, mit der Aufgabe, „die humanitäre Lage“ zu prüfen. Im Mai 2011
wurde unter der Leitung Agostino Miozzos in Bengasi in Anwesenheit der
Hohen Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik Catherine Ashton
ein „EU-Büro“ eröffnet, welches die Koordination mit und Unterstützung des
Übergangrates, durch die EU verbessern sollte. Bei dieser Gelegenheit traf sie
sich auch mit dem Vorsitzenden des Übergangsrates, um mit ihm u. a. „über die
Unterstützung beim Grenzmanagement und Sicherheitsreform“ zu diskutieren.
Diese Unterstützung sei nicht nur für den Augenblick, sondern langfristig ge-
plant, so Catherine Ashton in einer anschließenden Pressemitteilung (A 197/11).
Unmittelbar nach der Eroberung Tripolis durch die Rebellen des Übergangsrates
eröffnete die EU am 31. August 2011, wiederum unter Leitung Agostino
Miozzos, ein Büro in der libyschen Hauptstadt, das die Eröffnung einer EU-Bot-
schaft (Delegation) vor Ort vorbereiten sollte. Bereits zuvor hatte die EU Ope-
rationspläne für eine EU-Militärmission (EUFOR Libya) ausarbeiten lassen und
am 1. April 2011 einen Vorbehaltsbeschluss des Rates für eine solche Mission
erwirkt. Diese solle die humanitäre Hilfe in der Region unterstützen und erst
durch eine entsprechende Anfrage durch das Office for the Coordination of
Humanitarian Affairs (OCHA) aktiviert werden. Eine solche Anfrage blieb bis
heute aus, EUFOR Libya wird auf der Homepage des Rates jedoch weiterhin als
EU-Mission geführt.

Anlässlich des Todes des ehemaligen Staatsführers Muammar al-Gaddafi er-
klärte Catherine Ashton am 20. Oktober 2011, die EU hätte „seit dem Beginn
der Krise auf der Seite des libyschen Volkes bei seinem Eifer nach Freiheit“ ge-
standen und dass, ebenfalls „seit dem Beginn der Krise“, humanitäre Teams der
Kommission in Libyen tätig gewesen seien. Zudem hätte die EU humanitäre
Hilfe im Umfang von 156,5 Mio. Euro bereitgestellt. Seit dem 10. September
2011 sei eine „EU-Mission“ in Libyen aktiv, um „in enger Zusammenarbeit mit
dem Übergangsrat“ unmittelbare Unterstützung vorzubereiten. Außerdem habe
die EU bereits „Experten aus den Bereichen Kommunikation, Zivilgesellschaft,
Beschaffung, Grenzmanagement und Sicherheit“ entsandt, die dort aktiv seien.
In derselben Pressemitteilung stellte sie 25 Mio. Euro „für den unmittelbaren
Stabilisierungsbedarf, darunter auch die Wiederaufnahme der Programme im
Bereich der Migration, die mit Beginn des Konfliktes eingestellt wurden“, in
Aussicht.

In ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. (Bundestags-
drucksache 17/7349) teilte die Bundesregierung am 13. Oktober 2011 auf die
Frage nach der „Zusammenarbeit im Bereich der Migration und Migrations-
kontrolle“ mit, dass sie plane, sich an der Polizeiausbildung in Libyen zu betei-
ligen und diese in entsprechende Pläne der EU und der UN einzupassen, welche
hierüber „direkte Gespräche mit dem Nationalen Übergangsrat“ führten. Am
19. September 2011 hatte der UN-Generalsekretär den Deutschen Walter Wolf
zum UN-Polizeiberater für Libyen erklärt.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Verfolgte die Anfang März 2011 unter der Leitung Agostino Miozzos ent-
sandte EU-Mission ausschließlich humanitäre Ziele, bzw. welche waren dies
im Einzelnen?

2. Ab wann gehörten dieser und den folgenden Missionen unter Agostino
Miozzos Leitung auch Sicherheitsberater und Sicherheitsexperten an?

3. Ab wann gehörten dieser und den folgenden Missionen unter Agostino
Miozzos Leitung auch Berater und Experten für den Polizeiaufbau an?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/7686

4. Ab wann gehörten dieser und den folgenden Missionen unter Agostino
Miozzos Leitung auch Berater und Experten für den Grenzschutz an?

5. Ab wann gehörten dieser und den folgenden Missionen unter Agostino
Miozzos Leitung auch Berater und Experten in den Bereichen „Kommuni-
kation“ und Zivilgesellschaft an, um welche Art von Experten handelte es
sich, und worin bestanden ihre Tätigkeiten?

6. Gingen Informationen und Berichte der Missionen unter der Leitung
Agostino Miozzos in die Planung für den Einsatz EUFOR Libya ein, oder
kann die Bundesregierung dies ausschließen?

7. Verfolgten die EU-Büros in Bengasi und Tripolis eine rein humanitäre
Zielsetzung, bzw. was genau beinhaltetet diese?

8. Wird die EU-Delegation, die aus dem EU-Büro in Tripolis hervorgehen
soll, rein humanitäre Zielsetzungen verfolgen, und was beinhaltet dies im
Einzelnen (bitte unter Angabe der geplanten Aufgaben der EU-Delega-
tion)?

9. Wann genau endete nach Auffassung der Bundesregierung das rein huma-
nitäre Mandat der EU-Missionen und -Büros?

10. Betrachtet die Bundesregierung Unterstützung bei der Grenzsicherung
ebenfalls als humanitäre Maßnahme?

11. Betrachtet die Bundesregierung Unterstützung beim Polizeiaufbau eben-
falls als humanitäre Maßnahme?

12. Kann eine deutsche Hilfe beim Polizeiaufbau auch zur Verbesserung der
Grenzsicherung beitragen?

13. Was für ein Flugzeug stellte die italienische Regierung Anfang März 2011
dem Europäischen Auswärtigen Dienst für den Transport der EU-Mission
unter Leitung Agostino Miozzos zur Verfügung, und welchem Ministerium
unterstand dessen Besatzung?

14. Welche weiteren Transportkapazitäten wurden für den Transfer der EU-
Missionen, der EU-Berater und EU-Experten genutzt, die seit Beginn des
Konfliktes in Libyen aktiv waren und sind?

15. Aus welchen Ländern stammten die von Catherine Ashton angesprochenen
„Zivilschutz-“ und „humanitären“ Teams, die laut Catherine Ashton seit
Beginn des Konfliktes in Libyen aktiv waren, und welchen Organisationen
und/oder Ministerien unterstanden diese?

16. Gehörten diesen Teams auch „Experten aus den Bereichen Kommuni-
kation, Zivilgesellschaft, Beschaffung, Grenzmanagement und Sicherheit“
an?

17. Welche Truppenteile aus den Mitgliedstaaten sind aktuell für den Einsatz
EUFOR Libya vorgesehen?

18. In welchem Maße werden diese Einheiten gegenwärtig in Bereitschaft ge-
halten, und welche Zeitspanne ist zwischen dem politischen Entschluss, die
Mission EUFOR Libya zu aktivieren, und dem Beginn des Einsatzes vor-
gesehen?

19. Wann wurde der Operationsplan für EUFOR Libya zuletzt überarbeitet?

20. Wurden für EUFOR Libya bereits Kommandostrukturen, Einsatzhaupt-
quartiere oder Ähnliches eingerichtet, wenn ja, wann, und wo?

21. Zu welchen Zeitpunkten standen diese in Kontakt mit den EU-Missionen
und -Büros unter Leitung Agostino Miozzos, den „Zivilschutz-“ und

„humanitären“ Teams sowie den genannten EU-Beratern und -Experten?

Drucksache 17/7686 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
22. Ist eine Aktivierung der Mission nach Auffassung der Bundesregierung
weiterhin von einer Anfrage von OCHA abhängig, und wird das auch noch
so sein, wenn eine Übergangsregierung in Libyen gebildet wurde?

23. Wie bewertet die Bundesregierung die von Catherine Ashton angestrebte
„Wiederaufnahme der Programme im Bereich der Migration, die mit Be-
ginn des Konfliktes eingestellt wurden“?

24. In welchen Dienstverhältnissen stand und steht der zum UN-Polizeiberater
für Libyen berufene deutsche Polizeibeamte Walter Wolf zum Bundes-
ministerium des Innern bzw. anderen deutschen Bundesministerien, und
welche Formen der Kommunikation und Koordination haben zwischen den
Bundesministerien und Walter Wolf hinsichtlich seiner Tätigkeiten in
Libyen bisher stattgefunden bzw. sind in Zukunft vorgesehen?

25. Sind mit der Aussage der EU, die Unterstützung der libyschen Grenzsiche-
rung schreite voran, nur die lybischen Seegrenzen gemeint oder auch die
Landesgrenzen Libyens mit Tunesien, Algerien, Mali, Tschad, Niger,
Sudan und Ägypten?

a) Gegen welche Art der Bedrohungen bzw. unter Zugrundelegung wel-
cher Sicherheitslage plant die EU eine Grenzsicherungsmission?

b) Umfasst die europäische Mission zur Grenzsicherung nur Maßnahmen
zur Abwehr von Flüchtlingen und Migranten, oder sieht sie auch Maß-
nahmen zur Abwehr gewalttätiger Angriffe der Nachbarstaaten vor
(bitte nach jeweiligem Zweck der Maßnahme und vorgesehener Mittel,
die zur Anwendung kommen sollen, auflisten)?

26. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung zu den aus dieser europä-
ischen Grenzsicherungsmission eventuell erwachsenden Konflikten zwi-
schen Libyen und seinen Nachbarstaaten und deren völkerrechtlichen,
außen- und sicherheitspolitischen Implikationen auf Deutschland und die
EU?

27. Für welche konkreten Aufgabenbereiche plant bzw. entsendete bereits die
EU Experten für die Grenzsicherung nach Libyen (bitte je nach Aufgaben-
bereich auflisten)?

28. Wie hoch ist die Anzahl der bislang bereits entsandten EU-Experten, und
welchen Aufgabenbereich und Einsatzzweck erfüllen diese (bitte je nach
zivilen bzw. polizeilich-militärischen Kräften auflisten)?

29. Wie hoch ist die Anzahl deutscher Teilnehmerinnen und Teilnehmer unter
den entsandten Experten, und mit welchen Aufgaben sind sie betraut?

Berlin, den 9. November 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.