BT-Drucksache 17/7615

NRO-Fazilität Afghanistan im Haushaltstitel "Förderung privater deutscher Träger"

Vom 7. November 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7615
17. Wahlperiode 07. 11. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Heike Hänsel, Jan van Aken, Christine Buchholz,
Sevim Dag˘delen, Niema Movassat, Paul Schäfer (Köln) und der Fraktion
DIE LINKE.

NRO-Fazilität Afghanistan im Haushaltstitel „Förderung privater deutscher Träger“

Im Mai 2010 hat das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung (BMZ) im Rahmen der Erhöhung der Bundeshaushaltsmittel
für den zivilen Aufbau in Afghanistan („Entwicklungsoffensive“) eine NRO-
Fazilität Afghanistan ausgeschrieben und für die Förderung von Projekten aus
diesem Haushaltstitel mehrere Grundprinzipien definiert, zu denen sich die
antragstellenden deutschen Nichtregierungsorganisationen (NRO) verpflichten
müssen.

Die Projekte müssen im Einklang mit dem Afghanistankonzept der Bundesre-
gierung von Januar 2010 und in Übereinstimmung mit dem Konzept der ver-
netzten Sicherheit stehen.

Ebenso wird eine regionale Schwerpunktsetzung vorgenommen, die sich an
dem deutschen militärischen Engagement orientiert; Projektvorschläge für die
Provinzen Balkh, Baghlan, Kunduz, Takhar und Badakhshan werden bevorzugt
berücksichtigt.

Förderberechtigt sind deutsche NRO im Sinne der Richtlinie „Förderung priva-
ter deutscher Träger“. Für 2011 sind 10 Mio. Euro Barmittel in dem Haushalts-
titel eingeplant. Die Laufzeit der Projektanträge soll bis zu vier Jahre betragen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie bewertet die Bundesregierung die Einschätzung zahlreicher NRO und
des Verbandes Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen
e. V. (VENRO), dass es, obwohl das BMZ in seiner Definition bemüht ist,
den Aspekt der Konfliktvorsorge und -bewältigung in den Vordergrund zu
stellen, beim Afghanistankonzept der Bundesregierung und beim Konzept
der Vernetzten Sicherheit vorrangig um die Durchsetzung sicherheitspoli-
tischer Ziele geht?

2. Wie bewertet die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die Einschät-
zung von VENRO, dass zivilmilitärische Zusammenarbeit keine Koopera-
tion unter Gleichen bedeutet, sondern die Unterordnung von humanitärer
Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit unter militärische Vorgaben be-

deute sowie die Forderung von VENRO nach einem Stopp jeglicher Milita-
risierung von Hilfe?

3. Wie definiert die Bundesregierung umfassend das Konzept der „Vernetzten
Sicherheit“?

Drucksache 17/7615 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

4. Ist die Bundesregierung der Meinung, dass der Ansatz der zivilmilitärischen
Zusammenarbeit in Afghanistan handlungsleitend für deutsche NRO sein
soll?

5. Worin liegt für die Bundesregierung der entwicklungsorientierte Mehrwert
der Einbindung von NRO in den Ansatz der zivilmilitärischen Zusammen-
arbeit?

6. Worin liegt für die Bundesregierung der außen- und verteidigungspoli-
tische Mehrwert der Einbindung von NRO in den Ansatz der zivilmilitä-
rischen Zusammenarbeit?

7. Wie beurteilt die Bundesregierung die Einschätzung von VENRO, dass die
vom BMZ an die Afghanistan-Fazilität geknüpften Bedingungen im Wider-
spruch zu grundlegenden und unverzichtbaren Arbeitsprinzipien, wie Un-
abhängigkeit und Unparteilichkeit, der deutschen NRO stehen (Quelle:
„Stellungnahme von VENRO zur Ausschreibung des BMZ zur NRO-Fazi-
lität Afghanistan im Rahmen des Titels Förderung privater deutscher Träger“,
Datum: 30. Juni 2010)?

8. Wie bewertet die Bundesregierung die Einschätzung von VENRO, dass die
durch die NRO-Fazilität für Afghanistan von der Bundesregierung erstmals
eingeführte politische Konditionierung von Hilfsgeldern grundsätzlich die
Rolle und das Selbstverständnis von unabhängigen NRO missachtet
(Quelle: ebd.)?

9. Sieht die Bundesregierung durch die Afghanistan-Fazilität den entwick-
lungspolitischen Standard gefährdet, der besagt, dass deutsche NRO keine
Durchführungsorganisationen der Regierung sind, sondern in eigener Ver-
antwortung arbeiten?

Wenn nein, wie begründet die Bundesregierung, dass die Afghanistan-
Fazilität den entwicklungspolitischen Konsens nicht gefährdet?

10. Wie steht die Bundesregierung zu den für die humanitäre Hilfe verbind-
lichen Prinzipien für NRO und internationalen Regierungen, dass die Hilfe
nicht mit politischen Intentionen verknüpft werden darf und humanitäre
und militärische Bereiche klar getrennt sein müssen, wie beispielsweise
festgehalten im „European Consensus on Humanitarian Aid“ von 2007,
den „Oslo Guidelines on the Use of Military in Disaster Relief“ von 2007
und – speziell zu Afghanistan – den „Guidelines for the Interaction and
Coordination of Humanitarian Actors and Military Actors in Afghanistan“
von 2008?

Wie begründet die Bundesregierung, dass die Afghanistan-Fazilität diese
verbindlichen Prinzipien nicht verletzt?

11. Wie steht die Bundesregierung zu der Kritik seitens verschiedener NRO,
unter anderem medico international e. V., dass mit der zivilmilitärischen
Zusammenarbeit auch die Unterscheidung zwischen Kombattanten und
Nichtkombattanten immer schwerer fällt und dadurch das Leben ziviler
Helfer in Krisenregionen zunehmend gefährdet wird?

12. Wie rechtfertigt die Bundesregierung die Konzentration der Projektmittel
auf die Nordprovinz Afghanistans, insbesondere auf die Region um
Kunduz?

13. Wie steht die Bundesregierung zu dem Vorwurf seitens in Afghanistan
tätiger NRO wie medico international e. V., dass die Entscheidung über die
Vergabe von Bundeshaushaltsmitteln nicht mehr an den Bedürfnissen der
Menschen und Organisationen, sondern an deren Loyalität gegenüber den

Streitkräften ausgerichtet wird, und dass in Afghanistan heute das Gros der

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/7615

Hilfe in jene Landesteile, die von strategischen Interessen sind fließt, wäh-
rend vergleichsweise ruhige Provinzen, wie das Hazarajat, wo ein sicheres
Umfeld für den Wiederaufbau bestünde, weniger von Hilfen profitieren?

14. Wie gestaltet sich bis zum 1. November 2011 der Haushaltsmittelabfluss der
Afghanistan-Fazilität in konkreten Summen?

15. Welche deutschen NRO haben Bundeshaushaltsmittel in welcher Höhe aus
der Afghanistan-Fazilität beantragt (bitte die jeweiligen NRO und die bean-
tragten Projektmittel einzeln auflisten)?

16. Für welche Entwicklungsprojekte welcher Träger wurden bis zum 1. No-
vember 2011 Bundeshaushaltsmittel aus der Afghanistan-Fazilität bewilligt
(bitte einzeln auflisten)?

17. Wodurch stehen die jeweils bewilligten Projekte, die Bundeshaushaltsmit-
tel aus der Afghanistan-Fazilität erhalten haben, in Übereinstimmung mit
dem Konzept der vernetzten Sicherheit (bitte einzeln pro Projekt erläu-
tern)?

18. Erfüllt der bisherige Haushaltsmittelabfluss die Erwartungen, die die Bun-
desregierung an die Afghanistan-Fazilität gestellt hat?

Wenn nein, welche Gründe führt die Bundesregierung für den bisherigen
geringen Haushaltsmittelabfluss an?

19. Wird die Bundesregierung an der Konditionierung der Afghanistan-Fazili-
tät im Jahr 2012 festhalten?

Berlin, den 7. November 20111

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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