BT-Drucksache 17/7612

Leitlinien für Transparenz und Umweltverträglichkeit bei der Förderung von unkonventionellem Erdgas

Vom 8. November 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7612
17. Wahlperiode 08. 11. 2011

Antrag
der Abgeordneten Frank Schwabe, Ingrid Arndt-Brauer, Dirk Becker, Gerd
Bollmann, Marco Bülow, Petra Ernstberger, Michael Gerdes, Iris Gleicke,
Michael Groß, Rolf Hempelmann, Christel Humme, Ulrich Kelber, Dr. Bärbel Kofler,
Ute Kumpf, Dr. Matthias Miersch, Thomas Oppermann, Ute Vogt, Waltraud Wolff
(Wolmirstedt), Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Leitlinien für Transparenz und Umweltverträglichkeit bei der Förderung von
unkonventionellem Erdgas

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Unkonventionelles Erdgas befindet sich in tiefen geologischen Schichten in Ge-
steinsporen. Im Gegensatz zu konventionellen Gasvorräten können diese nicht
mit klassischen Techniken gefördert werden, bei denen das Gas ohne weitere
technische Maßnahmen in ausreichender Menge frei einer Förderbohrung zu-
strömt. Stattdessen müssen die Gesteinsformationen durch sogenanntes Fra-
cking mit hohem hydraulischen Druck aufgebrochen werden, um zu erreichen,
dass das Gas herausströmt. Dabei wird ein Gemisch aus Wasser, Sand und che-
mischen Additiven in das Gestein gepresst. Die Bohrungen führen meist durch
Grundwasser leitende Schichten. Bevor das Erdgas herausfließt, wird das einge-
presste Frackfluid nahezu vollständig zurückgepumpt. Der zurückbleibende
Sand und die Additive halten die Risse offen.

Bei der Förderung von unkonventionellem Erdgas können Chemikalien (0,5 bis
1 Prozent) eingesetzt werden, die das Grund- und Trinkwasser gefährden. Auch
durch zu Tage gefördertes Lagerstättenwasser, durch Leckagen im Deckgebirge
oder durch unsachgemäße Entsorgung der Fracking-Fluide können Grundwas-
ser und Oberflächengewässer gefährdet werden. Zu den eingesetzten Chemika-
lien gehören unter anderem Biozide und weitere Substanzen mit toxischer, kar-
zinogener und mutagener Wirkung.

Zu den unkonventionellen Vorkommen zählen Aquifergas und Gashydrat, Gas
in dichten Sand- oder Kalksteinhorizonten (tight gas), Gas in sehr dichten Ge-
steinsformationen, wie z. B. in Schiefergesteinen und Schiefertonen (shale gas)
sowie Kohleflözgas (coalbeded methane).

Die Fracking-Technologie wird in Deutschland bei der konventionellen Förde-

rung von Erdgas schon seit Jahrzehnten eingesetzt. Bei der unkonventionellen
Förderung nimmt die Bedeutung des Frackings quantitativ und durch neue
Anwendungen zu. Im Unterschied zu den bisherigen Anwendungen treffen die
Unternehmen nun auf dichteres Gestein mit der Folge, dass Frac-Maßnahmen
häufiger angewendet werden müssen und mit einem größeren Verbrauch an
Wasser und Chemikalien gerechnet werden muss. Deshalb hat sich bei den Bür-
gerinnen und Bürgern zu Recht der Anspruch an die Politik entwickelt, diese

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Entwicklung zu überprüfen, um mögliche negative Einflüsse auf die Umwelt
und Trinkwasserqualität zu verhindern.

Bis zu einer Vollversorgung durch erneuerbare Energien kann Deutschland auf
die Nutzung von Erdgas als Brückentechnologie nicht verzichten. Hocheffi-
ziente Gaskraftwerke sind eine unverzichtbare Brücke auf dem Weg hin zu einer
vollständig auf erneuerbare Energien basierenden Energiewirtschaft. Die Er-
schließung neuer Erdgasquellen muss möglich bleiben. Heimische Lagerstätten
leisten derzeit einen nennenswerten Anteil an der Versorgungsicherheit. In
Deutschland werden ca. 15 Prozent der Gasnachfrage aus heimischer Produk-
tion gedeckt. 32 Prozent des Erdgases, das in Deutschland verbraucht wird,
stammt aus Russland, 28 Prozent aus Norwegen, 21 Prozent aus den Niederlan-
den und 5 Prozent aus sonstigen Quellen. Die Förderung in Russland und der
Transport sind mit Umweltproblemen belastet. Die unkonventionelle Förderung
von Erdgas kann einen Beitrag zur Versorgungssicherheit Deutschlands leisten
und die Brückenfunktion des Erdgases hin zu einer Vollversorgung mit erneuer-
baren Energien stärken.

Über Umweltgefährdungen durch die Förderung von unkonventionellem Erdgas
in Deutschland gibt es noch relativ wenige belastbare Erkenntnisse. Gefahren
für Mensch und Umwelt sind jedoch in allen Phasen der Förderung dieser Art
von Erdgas denkbar. Es existieren keine Leitlinien, die eine umweltverträgliche
Förderung sicherstellen. Im Vordergrund sollte dabei die Prüfung möglicher
Auswirkungen auf das Grundwasser stehen. Die Prüfung möglicher Risiken der
Förderung von unkonventionellem Erdgas und die Änderung des Rechtsrah-
mens für Leitlinien für mehr Transparenz und Umweltverträglichkeit bedürfen
Zeit und Ruhe. Aufgrund der Verfügbarkeit von Erdgas auf dem Weltmarkt
heute sollten sich die politisch Verantwortlichen diese nötige Zeit nehmen, um
mögliche Risiken für Mensch und Umwelt wissenschaftlich fundiert zu untersu-
chen.

Deshalb sollten aufgrund überwiegender öffentlicher Interessen im Sinne eines
„Moratoriums“ bis zur Gewinnung wissenschaftlich fundierter Kenntnisse,
deren Erarbeitung zurzeit auf allen politischen Ebenen bis hinauf zur EU erfolgt,
Anträge auf Projekte, in denen Frac- oder Frac-Vorbereitungsmaßnahmen ange-
wendet werden sollen, nicht entschieden werden. Probebohrungen zur Erkun-
dung ohne Fracking sollen davon nicht betroffen sein. Die beantragenden Unter-
nehmen sollten darüber hinaus bereits erteilte Erlaubnisse zur Aufsuchung frei-
willig nicht weiter nutzen, bis Klarheit über die Umweltrisiken insbesondere für
Böden, Grundwasser und Oberflächengewässer besteht. Nur so sind Unsicher-
heiten und Misstrauen in der Bevölkerung gegenüber allen Versuchen, Akzep-
tanz für diese Projekte zu bewirken, zu beseitigen und ein Dialog zwischen den
Akteuren herzustellen.

Die Gewinnung des Erdgases erfolgt auf Grundlage des Bundesberggesetzes
(BBergG). Transparenz, Öffentlichkeitsbeteiligung und die Beteiligung betrof-
fener Städte und Kommunen sind zurzeit nicht zufriedenstellend. Betroffene
Kommunen und Bürgerinnen und Bürger wurden mit vollendeten Tatsachen
konfrontiert. Auch in Nordrhein-Westfalen wurden Erlaubnisse zu gewerblichen
Zwecken erteilt, die auf die Aufsuchung von Erdgas in unkonventionellen
Lagerstätten gerichtet sind. Noch in der vergangenen Legislaturperiode wurden
unter der schwarz-gelben Landesregierung in Nordrhein-Westfalen diese Maß-
nahmen genehmigt, ohne dass hierüber die Öffentlichkeit geschweige denn das
Parlament informiert wurden. Die heutige rot-grüne Landesregierung hat hinge-
gen die Öffentlichkeit über sämtliche Vorgänge informiert und wird zunächst
untersuchen, welche Risiken bei der Förderung von unkonventionellem Erdgas
bestehen, bevor neue Tatbestände geschaffen werden. Dazu wurde eine europa-

weite Ausschreibung zu einem „Gutachten mit einer Risikostudie zur Explora-
tion und Gewinnung von Erdgas aus unkonventionellen Lagerstätten in Nord-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/7612

rhein-Westfalen und deren Auswirkungen auf den Naturhaushalt insbesondere
die öffentliche Trinkwasserversorgung“ veröffentlicht. Erst wenn die Ergebnisse
des Gutachtens vorliegen, sind Grundlagen für eine sachgerechte Entscheidung
vorhanden.

Nordrhein-Westfalen hat auch im Bundesrat eine Initiative für mehr Transparenz
und Umweltverträglichkeit gestartet und Vorschläge zur Änderung der einschlä-
gigen Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung bergbaulicher Vor-
haben (UVP-V Bergbau) vorgelegt. Gemäß der UVP-V Bergbau wird eine Um-
weltverträglichkeitsprüfung bei Erdgasprojekten erst ab einem Mindestförder-
volumen von 500 000 Kubikmeter Erdgas durchgeführt. Keine Bohrung von
unkonventionellem Erdgas erreicht dieses Fördervolumen. Deshalb sollte der
Anwendungsbereich zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung
bei Erdgasbohrungen ausgeweitet werden, so dass bei jeder Anwendung von
Frac-Maßnahmen, auch wenn sie bereits bei der Aufsuchung von Erdgas erfol-
gen, die Auswirkungen auf Umweltgüter intensiv geprüft werden. Die Umwelt-
behörden sollten beteiligt werden.

Die Förderung von unkonventionellem Erdgas ist mit anderen Nutzungen des
Untergrundes abzustimmen. Die Nutzung von Geothermie, die unterirdische
Speicherung von Kohlendioxid, Energiespeicher sowie Bohrungen nach unkon-
ventionellem Erdgas können einander nachteilig beeinflussen. Zum Beispiel
kann in gefrackten Gebieten in der Regel keine Geothermie oder Speicherung
von CO2 mehr erfolgen. Weder die Bundesraumordnungsplanung noch die Lan-
des- oder Regionalplanung berücksichtigen diese Nutzungskonkurrenz. Analog
zur oberirdischen Raumordnung, die das Miteinander verschiedener Nutzungs-
formen wie Bauen, Infrastruktur und Landwirtschaft regelt, bedarf es einer
unterirdischen Raumordnung, die die verschiedenen Nutzungen bewertet, prio-
risiert und aufeinander abstimmt. So kann geregelt werden, auf welche Art
bestimmte Gesteinsformationen in der jeweiligen Tiefe genutzt werden. Dabei
sind die relevanten Umweltanforderungen zu beachten.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

● die Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung bergbaulicher Vor-
haben (UVP-V Bergbau) und das Bundesbergrecht derart zu reformieren,
dass Öffentlichkeitsbeteiligung und umfassende Transparenz bei der Vergabe
von Aufsuchungslizenzen gewährleistet sind. Schon bei der Antragstellung
auf die Vergabe von Aufsuchungslizenzen sind die Öffentlichkeit, Wasser-
behörden, Städte und Kommunen umfassend zu informieren;

● in § 1 Absatz 2 der UVP-V Bergbau Projekte für Erdgas aus unkonventionel-
len Lagerstätten einzufügen, mit der Folge, dass für alle diese speziellen Pro-
jekte ein Verfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung durchzuführen ist. Dies
soll für die Aufsuchung und die Gewinnung gelten, da bereits bei Tiefbohrun-
gen im Rahmen der Erkundung Umwelteinwirkungen eintreten können,
wenn dabei Frac-Maßnahmen zu Testzwecken durchgeführt werden. Dabei
ist im Einvernehmen mit dem Umweltbundesamt festzulegen, inwieweit bei
Verfahren sonstiger Tiefbohrungen, von denen erhebliche schädigende Um-
weltauswirkungen zu erwarten sind, eine allgemeine Vorprüfung des Einzel-
falles nach § 3c des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung
(UVPG) vorzunehmen ist;

● zukünftig im Genehmigungsverfahren die Bedeutung des Trinkwasserschut-
zes grundsätzlich als prioritär einzustufen und dies entsprechend abzusi-
chern;

● darauf hinzuwirken, dass die verwendeten Additive und die Zusammenset-

zung der Fracturing-Fluide für jeden einzelnen Frac vollständig offengelegt
werden;

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● Regelungen zu treffen, die eine Gefährdung des Grund- und Trinkwassers
durch die eingesetzten Chemikalien verhindern;

● Fracking in sensiblen Gebieten wie zum Beispiel in Trinkwasser-Gewin-
nungsgebieten zu untersagen;

● dafür Sorge zu tragen, dass zukünftig bei der Planfeststellung von Projekten
mit unkonventionellem Erdgas grundsätzlich die Auswirkungen auf Grund-
wasser und Oberflächengewässer ein besonderes Gewicht bei allen Entschei-
dungen erhalten;

● festzulegen, dass standardisierte Auflagen und Entsorgungspläne bezüglich
der Lagerstättenwasser, Frack- und Abwässer aus den Produktionsstätten
vorzulegen sind. Die beim Fracking anfallenden Abwässer wie Frackwasser
oder Lagerstättenwasser müssen aufgefangen, fachgerecht aufbereitet und
sicher entsorgt werden. Abwässer dürfen nicht in Bohrungen zurückgepumpt
werden;

● festzulegen, dass standardisierte Auflagen vorzulegen sind, wie im Rahmen
der Erdgasförderung entstehende radioaktive Substanzen überwacht werden.
Sie dürfen nicht ins Grundwasser gelangen;

● dafür Sorge zu tragen, dass den Erwartungen des Deutschen Bundestages
Rechnung getragen wird, und im Sinne eines „Moratoriums“ bis zum Ab-
schluss eines neuen gesetzlichen Rahmens keine Fakten geschaffen werden.
Die Bundesregierung muss sich bei den Ländern dafür einsetzen, dass keine
Anträge, die Maßnahmen zur gewerblichen Erkundung, Aufsuchung und Ge-
winnung von Schiefergas mittels Frac- oder Frac-Vorbereitungsmaßnahmen
beinhalten, entschieden werden, und, sollten die beteiligten Unternehmen
eine freiwillige Aussetzung ablehnen, dass alle Erlaubnisse zur Aufsuchung
mit Frac-Maßnahmen befristet widerrufen werden können, bis wissenschaft-
liche Erkenntnisse über die möglichen Risiken und Folgen des Fracking vor-
liegen. Probebohrungen nach unkonventionellen Erdgaslagerstätten ohne
Frac-Maßnahmen unterscheiden sich hinsichtlich Technik und Verfahren in
der Regel nicht von Bohrungen nach konventionellen Lagerstätten und Geo-
thermiebohrungen und sollen insofern zulässig sein;

● sich dafür einzusetzen, dass eintretende Schäden nicht von der Allgemeinheit
getragen werden müssen. Der Betreiber muss für sämtliche Schäden unbe-
grenzt haften und sich zur Begleichung möglicher Schäden durch Rückstel-
lungen finanziell absichern. Für die Zeit nach Ende der Erdgasförderung
muss der Betreiber einen Nachsorgebeitrag für gegebenenfalls entstehende
„Ewigkeitsschäden“ hinterlegen. Deshalb muss für die Aufnahme eines berg-
baulichen Betriebes verbindlich die Leistung einer Sicherheit vorgeschrieben
werden;

● sich dafür einzusetzen, dass eine unterirdische Raumordnungsplanung ge-
schaffen wird, um das Nebeneinander verschiedener unterirdischer Nut-
zungsformen zu regeln;

● im Bundesberggesetz die Beteiligung von weiteren Betroffenen zu verbes-
sern. Gemäß § 15 BBergG ist derzeit lediglich eine Beteiligung anderer
Behörden zur Stellungnahme vorgesehen, ohne dass die Bergbehörde daran
gebunden wäre. Andere Behörden wie die zuständigen Wasserbehörden müs-
sen jedoch zukünftig verbindlich beteiligt werden;

● das Bundesberggesetz dergestalt zu ändern, dass die Gemeinden, in deren
Gebiet das Bergwerksfeld liegt, von der Entscheidung über den Antrag auf
Erteilung oder Verleihung einer Bergbauberechtigung zu unterrichten sind;

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● in § 11 Nummer 10 BbergG die Worte „im gesamten Feld“ zu streichen. Zur-
zeit kann eine Aufsuchungserlaubnis für die gesamte Fläche erteilt werden,
obwohl an einzelnen Stellen des Feldes überwiegende öffentliche Interessen
entgegenstehen. Dies sollte geändert werden.

Berlin, den 8. November 2011

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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