BT-Drucksache 17/7569

Antimuslimische Hetze

Vom 31. Oktober 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7569
17. Wahlperiode 31. 10. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dag˘delen, Andrej Hunko und der Fraktion
DIE LINKE.

Antimuslimische Hetze

In ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. „Antimusli-
mischer Rassismus und Rechtsextremismus“ (Bundestagsdrucksache 17/6910)
hatte die Bundesregierung erklärt, beim islamfeindlichen Internetportal „Politi-
cally Incorrect“ (PI) ließe sich keine rechtsextremistische Bestrebung feststel-
len, die überwiegende Mehrheit der Einträge bediene sich „keiner klassischen
rechtsextremistischen Argumentationsmuster“. Islamkritische bis hin zu muslim-
feindliche Einstellungsmuster seien insgesamt Ausdruck von Ängsten vor Über-
fremdung und müssten nicht zwangsläufig Ausdruck einer verfassungsschutz-
relevanten Bestrebung sein. Diese Bewertung der Bundesregierung löste Kritik
sowohl auf Seiten aller Oppositionsparteien, als in der Wissenschaft und Presse
aus. So sieht etwa der frühere Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung,
Prof. Dr. Wolfgang Benz, bei der Islamhasser-Bewegung deutliche Parallelen
zum Antisemitismus: „Wenn eine Minderheit öffentlich diskriminiert wird, auf-
grund ihrer Kultur, Religion oder sonstiger echter oder angedichteter Eigen-
schaften, ist das selbstverständlich Volksverhetzung […].“ (www.fr-online.de/
die-neue-rechte/internet-plattform-pi-news---prototyp-der- neuen-rechten,
10834438,10836522,view,asFitMl.html)

Die „Frankfurter Rundschau“ sieht im Blog PI-News mit bis zu 60 000 täg-
lichen Zugriffen den „Prototyp der Neuen Rechten“, die nicht mehr auf Hitler
und den Nationalsozialismus Bezug nimmt, sondern hinter einer vordergrün-
dig pro-amerikanischen und pro-israelischen Haltung gegen „Überfremdung“,
„Islamisierung“ und „EU-Fremdbestimmung“ agitiert. Anders als etwa die
NPD lehne PI die Demokratie nicht ab, sondern bekenne sich formal zum
Grundgesetz, obwohl man dessen zentrale Prinzipien außer Kraft setzen wolle,
heißt es in der „Frankfurter Rundschau“.

Beiträge antimuslimischen teilweise auch rassistischen Inhalts fänden sich bei PI
praktisch ausschließlich in den Leserkommentaren und seien auch dort die Aus-
nahme, hatte die Bundesregierung in ihrer Antwort auf Bundestagsdrucksache
17/6910 geschrieben. Tatsächlich gehören die Leserkommentatoren zumindest
teilweise einem organisierten Zusammenhang an, so dass sich die Kommentar-
spalte nicht von der sonstigen Ausrichtung des Blogs getrennt betrachten lässt.
Wie der „Berliner Zeitung“ zugespielte interne PI-Dokumente belegen, dass „PI

weit mehr ist als eine harmlose Internetseite. Es handelt sich vielmehr um eine
Organisation, die zum Teil hochkonspirativ an der Verteufelung einer ganzen
Glaubensgemeinschaft arbeitet. Die in einem internationalen Netzwerk von Islam-
hassern eine entscheidende Rolle spielt und diese noch auszuweiten gedenkt.
Die Gewaltverherrlichern und Rassisten, deren Weltbild dem des norwegischen
Massenmörders Anders Breivik ähnelt, ein Forum bietet.“ (www.berliner-
zeitung.de/newsticker/im-netz-der-islamfeinde,10917074,10930002.html).

Drucksache 17/7569 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Um PI haben sich laut der „Berliner Zeitung“ mittlerweile rund 50 Gruppen im
ganzen Bundesgebiet gebildet, auch im benachbarten Ausland existieren
solche Gruppen. Diese Gruppen sollen sich teilweise konspirativ treffen, um
Strategien zur Beeinflussung der Öffentlichkeit zu entwickeln – wie die
Störung von Diskussionsrunden über den Islam, die gezielte Verunglimpfung
von sogenannten Gutmenschen in den Kommentarspalten anderer Medien oder
die Versendung von Hassmails an politische Gegner oder Journalistinnen und
Journalisten (www.berliner-zeitung.de/newsticker/im-netz-der-islamfeinde,
10917074,10930002.html).

Nachdem die „Berliner Zeitung“ eine Vernetzung der islamfeindlichen Szene in
Deutschland mit rechtsextremen Gruppierungen im In- und Ausland belegte,
forderte selbst der Abgeordnete Ruprecht Polenz der Fraktion der CDU/CSU an-
gesichts kursierender Aufrufe zur Gewalt eine Beobachtung von PI durch den
Verfassungsschutz: „Wenn die Behörde ihre Maßstäbe aus der Überwachung
islamischer Webseiten darauf übertragen, müssten sie PI schon lange beobach-
ten“, so der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundes-
tages. Wie „SPIEGEL ONLINE“ meldete, war PI auch ein Thema bei der Be-
ratung der Leiter der Verfassungsschutzämter von Bund und Ländern Ende
September 2011 in Berlin. Bayern erwägt demnach eine Beobachtung der islam-
feindlichen Rechtspopulisten als „eine neue Form des Extremismus“, in
Hamburg wird bereits eine islamfeindliche Internetplattform beobachtet (www.
spiegel.de/spiegel/0,1518,788472,00.html).

Den Fragestellenden geht es – gerade nach der negativen Erfahrung mit der
Durchsetzung der rechtsextremen NPD mit V-Leuten – nicht um eine Geheim-
dienstüberwachung der islam- und muslimfeindlichen Szene. Anzustreben ist
nach Meinung der Fragestellenden eine gesellschaftliche Ächtung dieses Ge-
dankenguts ebenso wie jeder anderen Form von Rassismus und Antisemitismus.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Inwieweit und mit welcher Begründung hält die Bundesregierung angesichts
der zwischenzeitlichen Presseberichterstattung (siehe Vorbemerkung des
Fragestellers) weiterhin an ihrer auf Bundestagsdrucksache 17/6910 getrof-
fenen Einschätzung der Website „Politically Incorrect“ und anderer islam-
feindlicher und antimuslimischer Websites und Organisationen fest?

2. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Einschätzung des bayerischen Lan-
desamtes für Verfassungsschutz, wonach es sich bei den antiislamischen
Websites und Organisationen um eine „neue Form des Extremismus“ han-
delt?

3. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung des ehemaligen Leiters des Zen-
trums für Antisemitismusforschung, Prof. Dr. Wolfgang Benz, wonach die
Methodik der Islamhasser strukturelle Ähnlichkeiten zum Antisemitismus
aufweist?

a) Wenn ja, welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung daraus
für die präventive und repressive Bekämpfung von Islamhass und ver-
wandten politischen Strömungen?

b) Wenn nein, worin bestehen nach Meinung der Bundesregierung die Unter-
schiede zwischen der Methodik der Islamhasser und des Antisemitismus?

4. In welchen Bundesländern werden nach Kenntnis der Bundesregierung be-
reits rechtspopulistische, antiislamische und muslimfeindliche Websites und
Organisationen von Landesämtern des Verfassungsschutzes als Prüffall ein-
geordnet, und welche Websites und Organisationen sind dies?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/7569

5. In welchen Bundesländern werden nach Kenntnis der Bundesregierung
rechtspopulistische, antiislamische und muslimfeindliche Websites und
Organisationen von Landesämtern des Verfassungsschutzes als Beobach-
tungsfall eingeordnet, und welche Websites und Organisationen sind dies?

6. Inwieweit wurde auf dem Treffen der Leiter aller Landesämter für Verfas-
sungsschutz mit dem Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz
am 29. September 2011 in Berlin islamfeindliche bzw. antimuslimische
Websites und Organisationen thematisiert?

a) Wurden konkrete Beschlüsse zu dieser Thematik gefasst, und wenn ja,
welche?

b) Inwieweit gab es unter den Verfassungsschutzämtern Differenzen in der
Einschätzung islamfeindlicher bzw. antimuslimischer Websites und
Organisationen?

c) Inwieweit gab es unter den Verfassungsschutzämtern Differenzen über
den Umgang mit islamfeindlichen bzw. antimuslimischen Websites und
Organisationen?

7. Wurden islamfeindliche und antimuslimische Websites und Organisationen
zum Prüffall durch das Bundesamt oder Landesämter für Verfassungs-
schutz erklärt, und wenn ja, welche?

8. Wurden islamfeindliche und antimuslimische Websites und Organisationen
zum Beobachtungsfall durch das Bundesamt oder Landesämter für Verfas-
sungsschutz erklärt, und wenn ja, welche?

9. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über Verbindungen der
Website „Politically Incorrect“ zu in- und ausländischen Rechtsextremisten?

10. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über Verbindungen der
Website „Politically Incorrect“ zur Partei „Die Freiheit“?

11. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über Verbindungen der
Website „Polically Incorrect“ zu religiösen Gruppierungen aus dem evange-
likalen, dogmatisch-katholischen und altkatholischen Milieu bis hin zu den
Pius-Brüdern?

12. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über das organisierte Um-
feld von PI?

a) Sind der Bundesregierung die von der „Berliner Zeitung“ veröffentlich-
ten Enthüllungen über das organisierte Umfeld von PI bekannt, und
wenn ja, wie beurteilt sie diese?

b) Inwieweit führt die Existenz eines organisierten Umfeldes von PI, aus
dem sich auch die Autoren der Kommentarfunktion der Website rekru-
tieren, zu einer Änderung der auf Bundestagsdrucksache 17/6910 ge-
nannten Einschätzung der Bundesregierung über PI?

13. Inwieweit sind der Bundesregierung Kommentare oder Artikel auf PI be-
kannt, in denen Muslime als „Gesindel“, „Abschaum“ oder „Türkendreck“
bezeichnet oder in ähnlicher Weise verächtlich gemacht werden, und
inwieweit handelt es sich dabei um strafrechtliche bzw. verfassungs-
schutzrelevante Äußerungen?

14. Inwieweit sind der Bundesregierung Artikel, Kommentare oder Werbeban-
ner auf PI bekannt, in denen in rassistischer Weise gegen „Schwarze“ ge-
hetzt beziehungsweise eine Überlegenheit der „Weißen“ propagiert wird?

15. Inwieweit sind der Bundesregierung Kommentare oder Artikel auf PI be-

kannt, in denen zu Gewalt bzw. zum bewaffneten Kampf gegen den Islam
bzw. Muslime aufgerufen wird?

Drucksache 17/7569 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
16. Inwieweit sind der Bundesregierung Kommentare oder Artikel auf PI
bekannt, in denen explizit Freude oder Zustimmung über den Tod von
Muslimen ausgedrückt wurde?

17. Inwieweit sind nach Ansicht der Bundesregierung die folgenden von der
PI-Redaktion wochenlang nicht gelöschten Zitate aus der Kommentar-
spalte von PI-News geeignet, den Anfangsverdacht der Volksverhetzung zu
begründen?

– „Natürlich kann man Moslems integrieren – in den Hades! Atombom-
ben auf Mekka, bitte genau zur Hadsch!“

– „Alle Moslems werden in ihre Herkunftsländer abgeschoben bzw. in die
ihrer Eltern oder Großeltern. Der Islam wird in Deutschland verboten.
Deutsche, die zum Islam konvertieren, werden ins Arbeitslager einge-
wiesen, lebenslänglich.“

– „Mir tut es überhaupt nicht leid um diese verschleierte Kopftuch-
schlampe. Und noch dazu ein Moslem im Bauch weniger!“ (zum Mord
an der schwangeren Ägypterin Marwa el-Sherbini durch einen Rechts-
extremisten 2010 in Dresden)

– „Seht doch das positive: eine muslimische gebärmaschine weniger!“
(über eine laut „Bild“ zwangssterilisierte Marokkanerin)

– „Es müsste Mohammedanern grundsätzlich verboten sein, öffentliche
Verkehrsmittel zu nutzen.“

– „Für mich ist der Islam keine Religion, sondern eine Gewalt-Ideologie
und dementsprechend muss man ihn auch behandeln und nicht unter
dem Etikett der Religion.“ (Stefan Herre, Gründer und Betreiber des
Weblogs PI).

18. Ist der Bundesregierung der unter dem Pseudonym Michael Mannheimer
auf zahlreichen muslimfeindlichen Websites veröffentlichte „Aufruf zum
Widerstand“ vom 8. April 2011 bekannt, in dem zum bewaffneten Kampf
gegen vermeintlich proislamische Politiker, Journalisten, Richter und Pfar-
rer sowie gegen muslimische Migranten aufgerufen wird?

a) Inwieweit ist diesen Aufruf nach Ansicht der Bundesregierung geeignet,
den Anfangsverdacht der Volksverhetzung zu begründen?

b) Auf welche Reaktionen stieß der „Aufruf zum Widerstand“ in der anti-
islamischen und moslemfeindlichen Szene nach Kenntnis der Bundes-
regierung?

c) Inwieweit sieht die Bundesregierung Anzeichen dafür, dass sich Teile
der antiislamischen und muslimfeindlichen Szene durch solche Aufrufe
zu Straftaten verleiten lassen?

d) Welche weiteren Aufrufe zu Gewalt sind der Bundesregierung aus der
in- und ausländischen muslimfeindlichen Szene bekannt, und wie be-
wertet sie diese?

19. Inwieweit sieht es die Bundesregierung inzwischen als kritisch an, dass sie
eine öffentliche Debatte über angebliche „Integrationsunwilligkeit“ von
Musliminnen und Muslimen in Höhe von „vielleicht 10 bis 15 Prozent“
angestoßen hat (vgl. Bundestagsdrucksache 17/5693, Fragen 1 bis 10).

Berlin, den 31. Oktober 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.