BT-Drucksache 17/7565

Mauterhebung in Deutschland

Vom 28. Oktober 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7565
17. Wahlperiode 28. 10. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter, Dr. Valerie Wilms, Harald Ebner,
Bettina Herlitzius, Stephan Kühn, Ingrid Nestle, Daniela Wagner und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Mauterhebung in Deutschland

Am 4. Oktober 2011 hat der Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtent-
wicklung, Dr. Peter Ramsauer, Pläne für die Erhebung einer Pkw-Maut vorge-
stellt. Sein Parteichef Horst Seehofer hatte schon am 1. Juni 2011 im Interview
mit der „Passauer Neuen Presse“ erklärt, das Ziel einer solchen Maut sei, dass
„deutsche Kraftfahrer nicht zusätzlich belastet werden, sondern dass andere,
die unsere Straßen in Deutschland benutzen, dafür zahlen.“

Gleichzeitig lehnt der verkehrspolitische Sprecher der Fraktion der FDP, Patrick
Döring gegenüber dem „SPIEGEL“ vom 10. Oktober 2011 die Einführung einer
Pkw-Maut ab und schlägt stattdessen vor, die Grenze der Erhebung für die
Lkw-Maut im Zuge der Neuausschreibung der Toll-Collect-Verträge bis 2015
von 12 Tonnen auf 3,5 Tonnen zu reduzieren.

Der Rat der Europäischen Union hat am 12. September 2011 der überarbeiteten
Wegekostenrichtlinie zugestimmt. Mit der sogenannten Eurovignettenrichtlinie
können externe Umweltkosten, die durch Luftverschmutzung, Lärm und Staus
durch Lkw entstehen, in die Mauterhebung einbezogen werden. Die Richtlinie
soll innerhalb von zwei Jahren in nationales Recht umgesetzt werden. Gegen-
über der Einführung der Pkw-Maut gibt es auch nicht unerhebliche daten-
schutzrechtliche Bedenken.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Trifft es zu, dass dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtent-
wicklung Szenarien zur Einführung einer „e-Vignette auf Bundesautobah-
nen und Bundesfernstraßen“ vorliegen, wonach unter der Annahme, dass
100 Prozent der Fahrzeuge eine Jahresvignette für 80 Euro erwerben wür-
den, rechnerisch 253 Mio. Euro von ausländischen Fahrzeuginhabern, aber
3 160 Mio. Euro von inländischen Fahrern erbracht würden?

2. Trifft es zu, dass EU-rechtlich auch Vignetten verkauft werden müssten, die
für kürzere Perioden, z. B. für zehn Tage, wie in Österreich, gelten, und für
die entsprechend ein sehr viel geringerer Vignettenpreis gelten würde?
3. Wie bewertet die Bundesregierung unter sozialen Aspekten den Umstand,
dass mit einer Vignette, Wenigfahrer mit kleinen Autos, die regelmäßig fah-
ren und damit eine Jahresvignette bräuchten, genauso belastet würden, wie
Vielfahrer, die z. B. als Geschäftsreisende mit einem Oberklassefahrzeug,
jährlich mehrere zehntausend Kilometer auf deutschen Autobahnen zurück-
legen?

Drucksache 17/7565 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

4. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass eine Pkw-Vignette, die alle
mautpflichtigen Fahrzeuge unabhängig von Euro-Norm und CO2-Ausstoß
mit der gleichen Abgabe belegt, den umwelt- und klimapolitischen Zielen
der Bundesregierung widerspricht?

Falls nein, inwieweit wäre eine solche „Flatrate“ für alle Fahrzeuge mit den
umwelt- und klimapolitischen Zielen der Bundesregierung vereinbar?

5. Welche Abschätzungen über die absoluten Erhebungskosten für die Ein-
führung einer Pkw-Vignette liegen der Bundesregierung vor?

6. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Erhebungs-
kosten bei einem Jahresvignettenpreis von 80 Euro über dem Finanzie-
rungsbeitrag ausländischer Fahrer aus einer Pkw-Vignette liegen würden,
dass also schon eine schwarze Null nur durch Pkw-Mauteinnahmen inlän-
discher Autofahrer erreicht werden könnte?

Falls diese Auffassung nicht geteilt wird, welche Argumente sprechen aus
Sicht der Bundesregierung dafür, dass die Erhebungskosten unter den Ein-
nahmen von ausländischen Autofahrern liegen würden?

7. Welche nicht direkt monetären Kosten (Zeitaufwand für Anschaffung einer
Vignette etc., Zeitverluste bei Kontrollen) werden auf Seiten der Verkehrs-
teilnehmer bei Einführung einer Vignette anfallen?

8. Hat die Bundesregierung entsprechende Kalkulationen durchgeführt, und
auf welcher Methode?

9. Sieht die Bundesregierung auch das im Bereich des Normenkontrollrats
angewendete Standardkostenmodell als geeignet an, diese Kosten zu erfas-
sen, und wie ist diese Sichtweise begründet?

10. Welcher Nettobetrag sollte aus einer Pkw-Vignette aus Sicht der Bundes-
regierung mindestens erzielt werden, um die Investitionslinie für Bundes-
fernstraßen verstärken zu können?

11. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, um deutsche Autofahrer
durch Kompensationen zu entlasten, und wie kann rechtssicher festgelegt
werden, dass dies nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz verstößt?

12. Inwieweit hat die Bundesregierung durch Gutachten, Studien oder Bera-
tungsaufträge die europarechtlichen Fragen einer Kompensation für inlän-
dische Autofahrer prüfen lassen?

Welche Gutachten, Studien oder Beratungsaufträge an wen und mit wel-
chem Ergebnis sind dabei vergeben worden?

13. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass eine Kompensa-
tion inländischer Autofahrer notifizierungspflichtig bei der Europäischen
Kommission wäre?

14. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Haltung der
Kommission in dieser Frage genauso ablehnend sein wird, wie bei dem von
der Großen Koalition (Koalition der Fraktionen der CDU/CSU und SPD)
unternommenen Versuch, als Harmonisierungsmaßnahme für das deutsche
Güterkraftverkehrsgewerbe eine Rückerstattung in Deutschland gezahlter
Steuern auf Kraftstoffe zu erwirken?

15. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass der Straßengüter-
verkehr in Deutschland bisher nicht für die von ihm verursachten externen
Kosten aufkommt?

Wenn ja, welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung daraus?
Wenn nein, warum nicht?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/7565

16. Inwieweit hat die Bundesregierung folgenden Auftrag aus dem Energie-
konzept der Bundesregierung vom 28. September 2010 abgearbeitet, und
zu welchem Ergebnis ist sie dabei gekommen: „Emissionsabhängig ge-
spreizte Nutzerkosten setzen Anreize für einen effizienten und umweltver-
träglichen Güterverkehr. Die Bundesregierung wird prüfen, wie die Lkw-
Maut so ausgestaltet werden kann, dass von ihr verstärkt derartige Anreize
ausgehen.“

17. Welche Rechtsanpassungen aufgrund der novellierten Eurovignettenricht-
linie sind notwendig, welche Gesetze bzw. Verordnungen sollen hierfür ge-
ändert bzw. neu geschaffen werden, und wann soll diese Rechtsanpassung
erfolgen?

18. Inwiefern wird die Bundesregierung bei der Bemessung von verkehrsbe-
dingter Luftverschmutzung, von verkehrsbedingter Lärmbelastung und
Verkehrsstaukosten auf die Vorschläge des „Handbook on the estimation of
external cost in the transport sector“ (CE Delft: 2008) zurückgreifen?

19. Falls nicht auf die Berechnungsmethoden von CE Delft zurückgegriffen
werden sollte, welche alternativen Berechnungsmethoden sollen genutzt
oder entwickelt werden?

20. Kann die Internalisierung externer Kosten mit der überarbeiteten Euro-
vignette im bestehenden Lkw-Mautsystem umgesetzt werden?

21. Welche Vertragsveränderungen sind hierzu beim laufenden Vertrag mit der
Toll Collect GmbH nötig oder kann die Eurovignette erst mit der Neuaus-
schreibung der Verträge erfolgen?

22. Soll die Eurovignettenrichtlinie auch für Fahrzeuge mit einem Gesamt-
gewicht unter 12 Tonnen gelten?

a) Falls ja, welche Fahrzeuge sollen in die Mautpflicht aufgenommen wer-
den?

b) Falls nein, warum nicht?

23. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, um die Umsetzung der
Eurovignettenrichtlinie bis 2013 und die vorgeschlagene Absenkung der
Lkw-Maut im Zuge der Neuausschreibung der Toll-Collect-Verträge bis
2015 von 12 Tonnen auf 3,5 Tonnen miteinander zu verbinden?

24. Inwiefern unterstützt die Bundesregierung den Ansatz in der Eurovignetten-
richtlinie, nachdem eine entfernungsabhängige Maut das beste Instrument
zur gerechten und wirksamen Anlastung der Kosten ist, da eine Maut in
Nutzungsintensität, -ort und -zeit variabel ist und deshalb die Höhe von
Mautgebühren so festgesetzt werden kann, dass sie dem tatsächlichen Fahr-
zeuggebrauch und damit den von den Nutzern tatsächlich verursachten exter-
nen Kosten entspricht?

25. Wie hoch war die durchschnittlich erhobene Lkw-Maut im ersten Halbjahr
2011, und wie hoch dürfte der durchschnittliche Mautsatz für das Jahr 2011
bzw. 2012 nach dem geltenden Wegekostengutachten liegen?

Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die mautpflichti-
gen Lkw die von ihnen verursachten Infrastrukturkosten in voller Höhe tra-
gen sollten?

Falls diese Auffassung nicht geteilt wird, aus welchen Gründen ist eine
Unterdeckung der Wegekosten durch Lkw über 12 Tonnen gerechtfertigt?

Berlin, den 28. Oktober 2011
Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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