BT-Drucksache 17/7431

Bundesverkehrswegeplanung - Grundannahmen der Verkehrsprognose 2030

Vom 21. Oktober 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7431
17. Wahlperiode 21. 10. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Stephan Kühn, Dr. Anton Hofreiter, Dr. Valerie Wilms,
Harald Ebner, Bettina Herlitzius, Ingrid Nestle, Daniela Wagner und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Bundesverkehrswegeplanung – Grundannahmen der Verkehrsprognose 2030

Grundlage der Bundesverkehrswegeplanung sind langfristige Verkehrsprogno-
sen. Auf ihrer Basis erfolgt die Bewertung und Auswahl der zu bauenden Ver-
kehrsprojekte.

Der Gesamtverkehrsprognose des Bundesverkehrswegeplans liegen zentrale
Annahmen der soziodemographischen und wirtschaftlichen Entwicklung sowie
die Wirkung verkehrspolitischer Maßnahmen zugrunde.

Grundlage des Bundesverkehrswegeplans 2003 und der Bedarfspläne für
Bundesfernstraßen und Bundesschienenwege war die Verkehrsprognose 2015.
Bei den drei entworfenen Szenarien „Überforderungsszenario“, „Laisser-faire-
Szenario“ und „Integrationsszenario“ wurde die Umsetzung unterschiedlicher
verkehrspolitischer Maßnahmen unterstellt, wovon die Bundesregierung das
„Integrationsszenario“ zur Grundlage der weiteren Planung machte.

Die aktualisierte Verkehrsprognose des Bundesverkehrswegeplans reicht bis
2025 und wurde von einem Forschungskonsortium unter Federführung von
Intraplan Consult (München) erstellt. Herzstück der im November 2007 ver-
öffentlichten Prognose bilden die räumlichen Verflechtungsmatrizen auf Ebene
der Landkreise im Personen- und Güterverkehr für die Jahre 2004 (Analyse)
und 2025 (Prognose).

Die jüngste Entwicklung bei zentralen Annahmen lässt Zweifel an der Aus-
sagekraft und Belastbarkeit der Verkehrsprognose aufkommen. Die Bundes-
regierung geht beispielsweise davon aus, dass für den Ölpreis „real entweder
ein Rückgang oder höchstens ein leichter Anstieg“ zu erwarten sein wird und
stützt ihre Aussage auf Studien, die bis 2030 einen Rohölpreis von maximal
60 Dollar je Barrel erwarten. Aktuell bewegt sich der Rohölpreis bei über
100 Dollar je Barrel.

Auch bei der Entwicklung der Gütermenge im binnenländischen Verkehr ist eine
in der Verflechtungsprognose 2025 unterstellte Wachstumsdynamik nicht abseh-
bar. Stattdessen stagniert die transportierte Gütermenge in den zurückliegenden
Dekaden (1991: 3 656 Milliarden Tonnen; 2009: 3 702 Milliarden Tonnen).
Ähnliche Fehlannahmen gibt es bei der Verkehrsleistung des motorisierten
Individualverkehrs, die in den letzten Jahren nur geringfügig gewachsen ist
bzw. zuletzt sogar stagniert. Auch hier ist nicht erkennbar, welche Randbedin-
gungen zu einem starken Wachstum bei der Verkehrsleistung – wie in der Ver-
kehrsprognose der Bundesregierung unterstellt – führen soll.

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Damit sind auch die abgeleiteten Aussagen, die weiteres Verkehrswachstum
vorhersagen, anzuzweifeln und grundsätzlich ist zu hinterfragen, inwieweit das
in der Verkehrsprognose unterstellte Wachstum weiter Grundlage der Planung
und Entwicklung der Verkehrswege sein kann.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Geht die Prognose als notwendige Rahmenbedingung von der Erreichung
der klimapolitischen Ziele der Bundesregierung aus?

2. Wie viele Szenarien werden berechnet, und welche Annahmen (Struktur-
und Wirtschaftsdaten, Rahmenbedingungen für Verkehr, Energiepreisent-
wicklung etc.) liegen den Szenarien jeweils zugrunde?

3. Von welchem Modal Split wird jeweils in den einzelnen Szenarien im Jahr
2030 ausgegangen?

4. Wie werden die Ergebnisse der MID-Erhebung (Mobilität in Deutschland)
und die des Systems repräsentativer Verkehrserhebungen (SrV) für Städte
als Datengrundlage berücksichtigt?

Fließen Ergebnisse weiterer Erhebungen in die Prognose ein?

5. Welchen Leistungskatalog umfassen jeweils die sechs Einzellose, die im
Rahmen der Erstellung der Verkehrsprognose ausgeschrieben wurden?

6. An welche Institutionen wurden die sechs Einzellose vergeben?

7. Welche Struktur- und Wirtschaftsdaten fließen im Einzelnen in die Ver-
kehrsprognose ein?

8. Welche demographischen Grundannahmen liegen der Verkehrsprognose
zugrunde?

9. Von welcher Wirtschaftsentwicklung wird bis zum Jahr 2030 ausgegangen
(Prognose des Bruttoinlandsprodukts)?

10. Welche Annahmen zur Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ver-
kehrswachstum liegen der Prognose zugrunde?

11. In welcher Weise wird das Ziel aus dem Energiekonzept der Bundesregie-
rung, den Endenergiebedarf des Verkehrs bis 2020 um 10 Prozent und bis
2050 um 40 Prozent zu senken, bei der Verkehrsprognose berücksichtigt?

12. Welche weiteren verkehrsbezogenen Ziele und Prognosen aus dem Ener-
giekonzept der Bundesregierung werden bei der Verkehrsprognose berück-
sichtigt?

13. Wird das Ziel der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie, bis 2020 gegenüber
1999 einen Rückgang der Transportintensität um 5 Prozent im Güterver-
kehr und 20 Prozent im Personenverkehr zu erreichen, bei der Verkehrs-
prognose unterstellt?

14. Inwieweit werden die Ziele des Weißbuchs Verkehr der Europäischen
Kommission bei der Prognose 2030 berücksichtigt?

15. Welche Anteile entfallen bei den angenommenen Personen- und Tonnen-
kilometern auf Bundesschienenwegen, Bundesfernstraßen und Bundeswas-
serstraßen jeweils auf inländischen Verkehr, grenzüberschreitenden Ver-
kehr und Transitverkehr?

16. Welches Basisjahr bzw. welche Basisjahre wird oder werden bei der Ver-
kehrsprognose 2030 für Vergleichszwecke unterstellt?

17. Welche Preisentwicklung für das Autofahren und für das Bahnfahren bzw.
die Nutzung des öffentlichen Verkehrs wird im Jahr 2030 gegenüber dem

Basisjahr im Vergleich zur Steigerung der allgemeinen Lebenshaltungskos-
ten unterstellt?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/7431

18. Wird bei der Verkehrsprognose 2030 für die Bundesschienenwege unter-
stellt, dass alle Projekte des Vordringlichen Bedarfs des derzeitigen Be-
darfsplans realisiert sind, und wenn nein, welche Projekte werden als nicht
fertiggestellt unterstellt (mit der Bitte um tabellarische Aufstellung)?

19. Wird bei der Verkehrsprognose 2030 für die Bundesfernstraßen unterstellt,
dass alle Projekte des Vordringlichen Bedarfs des derzeitigen Bedarfsplans
realisiert sind, und wenn nein, welche Projekte werden als nicht fertig-
gestellt unterstellt (mit der Bitte um tabellarische Aufstellung für die Bun-
desautobahnen)?

20. Wird bei der Verkehrsprognose 2030 für die Bundeswasserstraßen unter-
stellt, dass alle Projekte des Vordringlichen Bedarfs des derzeitigen Be-
darfsplans realisiert sind, und wenn nein, welche Projekte werden als nicht
fertiggestellt unterstellt (mit der Bitte um tabellarische Aufstellung)?

21. Wird bei den Verkehrsprognosen 2030 für die Bundesverkehrswege eine
Abstufung von Bundesstraßenabschnitten, regionalen Schienennetzen und
Bundeswasserstraßen unterstellt, und wenn ja, in welchem Umfang?

22. Ist die Einrichtung eines Beirats mit Experten aus Umwelt- und Verbrau-
cherschutzverbänden bei der Erstellung der Verkehrsprognose geplant, und
wenn nein, warum nicht?

23. In welcher Weise ist, z. B. durch Gutachtenvergabe, die Übertragbarkeit
der Generalverkehrsplanung der Schweiz und der Republik Österreich auf
die Bundesrepublik Deutschland geprüft worden?

24. Welche Steigerung der Baukostenindizes pro Jahr unterstellt die Bundes-
regierung für die Verkehrsprognose 2030?

25. Von welcher Entwicklung des Erdölpreises wird bis zum Jahr 2030 ausge-
gangen, und in welcher Weise wurden Unsicherheiten einbezogen?

26. Von welchen Kraftstoffpreisen wird bis zum Jahr 2030 ausgegangen, und
in welcher Weise wurden Unsicherheiten einbezogen?

27. Von welcher Entwicklung der steuerlichen Belastungen (Kfz-Steuer, Kraft-
stoffsteuer u. a.) wird bis zum Jahr 2030 ausgegangen?

28. Wird eine Pkw-Maut in der Prognose unterstellt?

Wenn ja, welche Variante wird unterstellt?

29. Von welchen spezifischen Kosten wird insgesamt bei allen Verkehrsmitteln
ausgegangen (in Nutzer/Kilometer)?

30. Welche Steigerung der Transportkosten bei Straße, Schiene und Wasser-
straße im Jahr 2030 gegenüber dem Basisjahr wird jeweils unterstellt?

31. Welche genauen Vorgaben hinsichtlich der Berücksichtigung einer Nutzer-
finanzierung der Bundesfernstraßen durch Lkw über 12 Tonnen, Lkw unter
12 Tonnen, Reisebusse, Pkw und Motorräder wurden bei der Vergabe der
Aufträge für die Verkehrsprognose jeweils gemacht (bitte getrennte Auf-
stellung nach Fahrzeugarten)?

32. Welche Annahmen werden zu den Auswirkungen der Luftreinhalteplanun-
gen und der EU-Umgebungslärmrichtlinie getroffen?

33. Welche Annahmen werden zum CO2-Emissionshandel getroffen?

34. Von welchen jährlichen Aufwendungen für den Unterhalt der Verkehrs-
infrastruktur in Deutschland wird bis 2030 ausgegangen?

35. Wann sollen die Ergebnisse der Verkehrsprognose 2030 veröffentlicht wer-
den?

36. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass der bisherige Bun-
desverkehrswegeplan vollkommen überzeichnet war und das unterstellte

Finanzvolumen für den nächsten Bundesverkehrswegeplan deutlich niedri-
ger ausfallen muss?

Drucksache 17/7431 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
37. Stimmt die Bundesregierung der Feststellung zu, dass der Länderproporz
künftig ein untergeordnetes Kriterium bei der Aufteilung der Finanzmittel
sein darf?

Wenn nein, warum will die Bundesregierung am Länderproporz festhalten?

38. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass ein realistisches
Abbild der Projektkosten in der Laufzeit des nächsten Bundesverkehrswe-
geplans am besten dadurch erreicht wird, dass auf Basis einer Steigerung
der Baukostenindizes jeweils Preisstände zur Mitte der Laufzeit des nächs-
ten Bundesverkehrswegeplans unterstellt werden?

Wenn nein, mit Preisständen aus welchem Jahr sollen die Projekte in den
nächsten Bundesverkehrswegeplan eingehen?

39. Auf welcher Stufe (vorgeschaltet, nachgeschaltet, Projektebene, Szenarien)
soll künftig die strategische Umweltprüfung (SUP) stattfinden?

40. Wird die Bewertungsmethodik für Bedarfsplanprojekte geändert?

Wenn nein, warum nicht?

41. Hält die Bundesregierung eine kritische Prüfung der Bewertung von Reise-
zeitgewinnen für angebracht?

Wenn nein, warum nicht?

42. Plant die Bundesregierung dem Verfahren der Bundesverkehrswegepla-
nung eine gesamthafte Strategieplanung „Mobilität und Transport“ vorzu-
schalten?

43. Plant die Bundesregierung zur Beurteilung aller Langfristwirkungen einer
Strategie „Mobilität und Transport“ die Prüfung alternativer Investitions-
und Handlungsprogramme auf der Systemebene?

44. Plant die Bundesregierung eine Konzentration der Bundesverkehrswege-
planung auf das Straßen-, Schienen- und Wasserstraßennetz, das tatsäch-
lich Fernverkehrsfunktionen übernimmt sowie eine damit einhergehende
Neudefinition der Netze?

45. Plant die Bunderegierung eine langfristig angelegte Erhaltungsplanung für
die Verkehrsinfrastruktur auf den Ebenen der System- und Projektplanung
zu integrieren?

46. Wird die Erhaltungsbedarfsprognose für Bundesfernstraßen von einem
jährlichen Volumen von 3,5 Mrd. Euro pro Jahr ausgehen, ein Finanz-
bedarf, der von vielen Experten als notwendig erachtet wird, um den
Substanzverzehr zu stoppen?

47. Wie soll künftig die Koordinierung der Gesamtplanung der Bundesver-
kehrswege mit den Standortkonzepten für Häfen, Flughäfen und Güterver-
kehrszentren erfolgen?

48. Wie soll der primär und der sekundär induzierte Verkehr künftig behandelt
werden?

49. Wie sieht konkret das Anmeldeverfahren für Bedarfsplanprojekte aus?

50. Müssen die Anmelder beschreiben, welches Mobilitätsdefizit (gemeint
sind nicht Stauungen) mit dem jeweils angemeldeten Projekt behoben wer-
den soll?

Wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 21. Oktober 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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