BT-Drucksache 17/7341

Hochschulpakt 2020: Für mehr Studienplätze und gute Arbeitsbedingungen - Hochschulen sozial öffnen

Vom 18. Oktober 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7341
17. Wahlperiode 18. 10. 2011

Antrag
der Abgeordneten Nicole Gohlke, Dr. Petra Sitte, Agnes Alpers, Dr. Dietmar
Bartsch, Dr. Rosemarie Hein und der Fraktion DIE LINKE.

Hochschulpakt 2020: Für mehr Studienplätze und gute Arbeitsbedingungen –
Hochschulen sozial öffnen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Im kommenden Wintersemester 2011/2012 droht ein nie da gewesener Man-
gel an Studienplätzen. Die Hochschulrektorenkonferenz rechnet mit bis zu
500 000 Studienanfängerinnen und Studienanfängern. Damit fehlen in dem von
Bund und Ländern vereinbarten Hochschulpakt 2020 zur Schaffung zusätz-
licher Studienplätze allein im kommenden Wintersemester bis zu 50 000 Stu-
dienplätze.

Das Recht auf Zulassung steht und fällt mit der Schaffung ausreichender Stu-
dienplätze. Während derzeit immer mehr Menschen eines Jahrganges studieren
möchten, stehen nicht ausreichend Studienplätze zur Verfügung. Die Ursachen
liegen dabei in der Jahrzehnte währenden Unterfinanzierung der Hochschulen,
die sich durch die Umstellung auf die neuen Studienstrukturen Bachelor und
Master während des laufenden Betriebes noch verschärfte. In den vergangenen
15 Jahren wurden trotz steigender Studierendenzahlen rund 1 500 Professuren
abgewickelt. Der so genannte Betreuungsschlüssel – bezogen auf Hochschulleh-
rerinnen und -lehrer je Studierende/Studierender – hat sich von 1:40 auf heute
1:60 dramatisch verschlechtert. Währenddessen sind die Ausgaben pro eine Mil-
lion Studierender von 0,55 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im Jahr
1990 auf 0,42 Prozent im Jahr 2004 gesunken. Durch den prognostizierten zu-
sätzlichen Anstieg der Studierendenzahlen aufgrund geburtenstarker und dop-
pelter Jahrgänge und der durch die Aussetzung der Wehrpflicht erwarteten
zusätzlichen Studienanfängerinnen und Studienanfänger wird sich die Situation
noch dramatisch verschärfen. Bund und Länder stellen mit dem Hochschulpakt
zu wenige Studienplätze zur Verfügung. Sie verschärfen damit die Lage und ver-
ursachen Kapazitätsprobleme, die die Hochschulen veranlassen, örtliche Zulas-
sungsbeschränkungen auszusprechen.

Seit einigen Jahren werden in jedem Semester tausende Studierwillige von den
Hochschulen abgewiesen. Sie erhalten keinen Studienplatz. Die Hochschul-
zugangsberechtigung verliert zunehmend ihre wörtliche Bedeutung, nämlich

durch ihren Erwerb eine tatsächliche Berechtigung zum Zugang an die Hoch-
schule zu erhalten. Mittlerweile unterliegen die meisten Studiengänge in
Deutschland lokalen oder bundesweiten Zulassungs- und Zugangsbeschrän-
kungen.

Damit wird vielen Menschen faktisch die Freiheit der Berufswahl genommen,
die mit Artikel 12 des Grundgesetzes sichergestellt werden soll. In seinem

Drucksache 17/7341 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Numerus-clausus-II-Urteil vom 8. Februar 1977 stellte das Bundesverfassungs-
gericht deswegen fest, „dass jede Auswahl zwischen hochschulreifen Be-
werbern eine Ungleichbehandlung prinzipiell Gleichberechtigter in der Ver-
teilung von Lebenschancen darstellt und dass sich ein absoluter Numerus
clausus, der zum Ausschluss eines erheblichen Teils hochschulreifer Bewerber
vom Studium ihrer Wahl führt, am Rande des verfassungsrechtlich Hinnehm-
baren bewegt“. Das Bundesverfassungsgericht sah es als verfassungsrechtlich
unmöglich an, „Auswahlregelungen anders zu begreifen als situationsbedingte
Notmaßnahmen zur ‚Verwaltung eines Mangels‘ und sich mit Lösungen ab-
zufinden, die diese Mängelverwaltung lediglich erleichtern und die Ungleich-
behandlung verdecken oder gar stabilisieren“.

Die verschiedenen Zulassungshürden sind jedoch längst keine vorübergehende
Notmaßnahme mehr, sie sind zur Regel geworden. Zudem ist bekannt, dass auf-
grund formaler und faktischer Zugangshürden Studierende aus Arbeiterfamilien
oder Familien mit niedrigeren Einkommen an den Hochschulen stark unter-
repräsentiert sind. Viel zu viele Menschen erhalten zudem erst gar nicht das
Recht, sich um einen Studienplatz zu bewerben. Die Hochschulzugangsberech-
tigung orientiert sich weiterhin sehr einseitig am Abitur. Dies war die logische
Konsequenz aus der ständischen Gliederung des bundesdeutschen Schul-
systems, das dem Gymnasium eine besondere Funktion zuschreibt. Inzwischen
gibt es eine Vielzahl von Bildungswegen, über die eine Hochschulzugangs-
berechtigung erworben werden kann. Diese Möglichkeiten müssen ausgebaut
werden. Zudem müssen die Hochschulen für beruflich Qualifizierte weiter ge-
öffnet werden. Wer eine berufliche Ausbildung erfolgreich absolviert hat, soll
das Recht haben, sich an einer Hochschule einzuschreiben.

Wer studieren möchte, soll auch tatsächlich die Möglichkeit dazu bekommen.
Die Studieninteressierten wissen selbst am besten, für welches Fach sie sich
entscheiden sollten und welche Hochschule am besten für sie geeignet ist. Sie
kennen ihre Neigungen, Wünsche, individuelle Lebensplanung und Qualifika-
tionen. Ihr Recht auf Selbstbestimmung ist nicht nur ein Ziel an sich, es ist auch
Voraussetzung für ein optimales Studium. Dies gilt auch für das Masterstudium.
Die Entscheidung zwischen einem Masterstudium oder einem direkten Berufs-
einstieg nach dem Bachelor sollen die Studierenden selbst treffen können.
Diese wichtige Entscheidung kann nicht der Mangelverwaltung im Master-
studium überlassen werden. Dabei ist zur Kenntnis zu nehmen, dass einem gro-
ßen Teil der Studierenden das Bachelorstudium zur Berufsqualifizierung nicht
ausreicht und dass sie einen Masterstudiengang anschließen möchten. Für
einige Berufe, beispielsweise das Lehramt, ist der Bachelor zudem nicht berufs-
qualifizierend. Der Bund muss dementsprechend dafür sorgen, dass ein aus-
reichendes Angebot an Studienplätzen zur Verfügung steht.

Ungeachtet dessen waren im Wintersemester 2010/2011 rund 51 Prozent aller
grundständigen Studiengänge örtlich zulassungsbeschränkt. 1,3 Prozent der
grundständigen Studiengänge wurden in Deutschland zudem über ein Auswahl-
verfahren der Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen besetzt. Zu den
Zulassungsbeschränkungen von Masterstudiengängen liegen keine verläss-
lichen Zahlen vor. Laut dem Hochschulkompass der Hochschulrektorenkonfe-
renz sind rund 37 Prozent der Masterstudiengänge örtlich zulassungsbeschränkt.
Allerdings stehen kaum öffentlich zugängliche, transparente und systematische
Angaben über weitere Zugangsbeschränkungen (Noten, Auswahlverfahren etc.)
zu Masterstudiengängen zur Verfügung. Bund und Länder müssen möglichst
zeitnah eine Analyse vorlegen, die die Bedarfe, Kapazitäten und Bewerberzah-
len dokumentiert.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/7341

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

gemeinsam mit den Ländern unverzüglich eine Aufstockung des bestehenden
Hochschulpaktes zu vereinbaren. Der Hochschulpakt muss verlässlich ein
bedarfsdeckendes Angebot an qualitativ hochwertigen Studienplätzen sichern
und dazu beitragen, die strukturelle Unterfinanzierung des deutschen Hoch-
schulsystems zu beenden. Er muss so erweitert werden, dass auch mehr Master-
studienplätze zur Verfügung gestellt werden.

Im Rahmen der Verhandlungen sollen in der Gemeinsamen Wissenschafts-
konferenz folgende Punkte verwirklicht werden:

a) Der Hochschulpakt muss das Ziel erfüllen, Zulassungsbeschränkungen
durch ein ausreichendes Angebot an Studienplätzen überflüssig zu machen.
Dafür muss die Zahl der zusätzlich zur Verfügung gestellten Studienplätze
für das grundständige Studium auf mindestens 500 000 Studienplätze erhöht
werden.

b) Die Studienplatzkosten, die dem Pakt zugrunde gelegt werden, müssen den
realen Kosten eines durchschnittlichen Bachelor- und Masterstudiums an-
gepasst werden, sowohl im Hinblick auf die Kosten je Studienjahr, als auch
auf die Studiendauer. Dabei ist nach Fächergruppen zu unterscheiden, damit
auch in kostenintensiveren Studiengängen ausreichend neue Studienplätze
geschaffen werden können. Bei Ländern, die allgemeine Studiengebühren
erheben, sind die Einnahmen aus diesen Gebühren entsprechend vom
Bundeszuschuss abzuziehen.

c) Auf die derzeitigen Studienplatzkosten muss ein Zuschuss zur Verbesserung
der Betreuungssituation und zur Verbesserung der Lehre aufgeschlagen wer-
den.

d) Für die Hochschulen sollen im Rahmen des Hochschulpakts Anreize ge-
schaffen werden, mehr unbefristete Beschäftigungsverhältnisse im wissen-
schaftlichen Mittelbau bzw. als Juniorprofessuren mit Tenure-Track-Option,
also die Möglichkeit, nach einer befristeten Bewährungszeit eine Stelle auf
Lebenszeit zu erhalten, einzurichten. Hierzu ist eine Anschubfinanzierung
für solche Stellen vorzusehen.

e) Das Kapazitätsrecht muss erhalten und reformiert werden. Die Hochschulen
müssen weiter gerichtsfest darlegen, dass sie keine zusätzlichen Kapazitäten
besitzen, wenn sie Bewerberinnen oder Bewerber abweisen. Eine struktu-
relle Trennung der Hochschulen in Forschungsuniversitäten mit niedriger
Lehrleistung und Lehrhochschulen muss verhindert werden, indem das
Kapazitätsrecht wie bisher grundsätzlich die gleichen Anforderungen stellt.

f) Der Deutsche Bundestag wird an den Verhandlungen zum Hochschulpakt
beteiligt.

Berlin, den 18. Oktober 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.