BT-Drucksache 17/7249

Regionale Produktions-, Verarbeitungs- und Vermarktungsstrukturen stärken

Vom 28. September 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7249
17. Wahlperiode 28. 09. 2011

Antrag
der Abgeordneten Cornelia Behm, Friedrich Ostendorff, Markus Tressel,
Harald Ebner, Bärbel Höhn, Undine Kurth (Quedlinburg), Nicole Maisch,
Hans-Josef Fell, Bettina Herlitzius, Dr. Anton Hofreiter, Sylvia Kotting-Uhl,
Oliver Krischer, Stephan Kühn, Ingrid Nestle, Dr. Hermann E. Ott,
Dorothea Steiner, Daniela Wagner, Dr. Valerie Wilms und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Regionale Produktions-, Verarbeitungs- und Vermarktungsstrukturen stärken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Green New Deal ist die dringend notwendige Richtungsentscheidung für
eine wirklich nachhaltige Wirtschaftsordnung. Der Green New Deal ist unsere
grüne Antwort auf die sich immer bedrohlicher verstärkenden aktuellen ökolo-
gischen, sozialen und ökonomischen Krisen. Mit ihm wollen wir ein neues
Fundament für nachhaltiges Wachstum legen, das Arbeitsplätze und Wohlstand
schafft sowie Perspektiven für die nachfolgenden Generationen eröffnet. Dabei
spielen ländliche Räume mit ihrer spezifischen Wirtschaftsstruktur eine beson-
dere Rolle.

Der Auf- und Ausbau regionaler Wirtschaftskreisläufe und Wertschöpfungs-
ketten für Lebensmittel, Verbrauchsgegenstände und Dienstleistungen ist ein
wichtiger Baustein, um den Green New Deal durch die Erschließung kleintei-
liger, dezentral strukturierter Wirtschaftspotentiale in ländlichen Räumen zu
verankern und lebenswerte, zukunftsfähige Regionen zu erhalten. Gleichzeitig
wird die Eigenständigkeit ländlicher Regionen gestärkt. Denn je häufiger ein
Euro innerhalb der Region die Hand wechselt, desto mehr Wertschöpfung, qua-
lifizierte Arbeits- und Ausbildungsplätze und regionale Entwicklungsperspek-
tiven werden geschaffen.

In regionalen Wertschöpfungsketten und Wirtschaftskreisläufen werden Trans-
port-, Energie- und Versorgungsstrukturen ressourcensparend umgebaut. Wirt-
schaftliche Aktivitäten in der Region und für die Region bieten außerdem eine
Reihe von Ansatzpunkten, ökologisch nachhaltiger zu arbeiten und neue ver-
braucherorientierte Vertriebswege zu schaffen. Darüber hinaus gibt der Aufbau
regionaler Wirtschaftskreisläufe Menschen die Chance, mit ihrem Engagement
und Konsumverhalten Verantwortung für ihre Gemeinde und ihre Region zu

übernehmen. Das schafft neues Selbstbewusstsein vor Ort und ist fruchtbarer
Boden für unternehmerische Tätigkeit und ein verstärktes Bürgerengagement.
Diese Potentiale müssen genutzt und innovativ weiterentwickelt werden.

Zu den zentralen politischen Aufgaben gehören in diesem Zusammenhang die
Stärkung und der Ausbau regionaler Produktions-, Verarbeitungs- und Ver-
marktungsstrukturen. Durch die räumliche Nähe werden Ressourcen effizienter

Drucksache 17/7249 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

genutzt, Innovationen beschleunigt und Produkte ständig verbessert. Gleichzei-
tig ist diese Nähe der Schlüssel zu mehr Verbrauchervertrauen.

Der Deutsche Bundestag setzt sich deshalb für eine Stärkung der regionalen,
branchenübergreifenden Vernetzung sowie der Regionalvermarktung ein.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

– neue Strategien für die Regionalvermarktung zu entwickeln;

– dazu eng mit den zivilgesellschaftlichen Akteuren wie etablierten Regional-
vermarktungsinitiativen, dem Aktionsbündnis Tag der Regionen, dem Bun-
desverband der Regionalbewegungen e. V., den Öko-Anbauverbänden, den
berufsständischen Vertretungen und in der Regionalvermarktung aktiven
Unternehmen zusammenzuarbeiten;

– im Rahmen der europarechtlichen Bestimmungen die Vorbildfunktion des
öffentlichen Beschaffungswesens bei der Verwendung von Regionalproduk-
ten zu stärken und über die Versorgung von Kitas, (Hoch-)Schulen, Alten-
heimen, Kliniken und öffentlichen Verwaltungen effiziente Absatzstrukturen
aufzubauen;

– mit Beratung und Anreizen die öffentliche Verwaltung auf Bundes-, Länder-
und kommunaler Ebene dafür zu sensibilisieren, dass für Beschaffungsauf-
träge die Ortsnähe ein leistungsbezogenes Kriterium bei der Ausschreibung
sein kann;

– sich für die Entwicklung und Einführung eines einheitlichen und überprüf-
baren Kriterien- und Kontrollsystems zur Bewertung von Regionalsiegeln
stark zu machen, damit Verbraucherinnen und Verbraucher glaubwürdige re-
gionale Produkte erkennen können;

– sich im Rahmen des Planungsausschusses für Agrarstruktur und Küsten-
schutz (PLANAK) dafür einzusetzen, dass über die Gemeinschaftsaufgabe
zur Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes (GAK) wieder
gezielt regionale Verarbeitungs- und Vermarktungsstrukturen gefördert wer-
den;

– dabei in den entsprechenden Förderkriterien der GAK auf Mindestanteile für
Ökobetriebe bzw. -produkte zu achten, um die besonderen Vorzüge der
ökologischen Wirtschaft in Bezug auf die Nachhaltigkeit gezielt weiterzuent-
wickeln;

– ein neues Bundesprogramm „Regionalvermarktung“ zu schaffen, das die
regionale Vermarktung von Lebensmitteln, Verbrauchsgegenständen und
Dienstleistungen mit einem Mix aus Öffentlichkeitsarbeit, Verbraucherinfor-
mationskonzepten, Beratung, Forschung und Wissensvermittlung stärkt;

– die Vernetzung und den Aufbau von Regionalvermarktungssystemen zu un-
terstützen und auszubauen;

– gemeinnützige Dorfladeninitiativen zu unterstützen und dafür Prüfungs-
pflicht und Zwangsmitgliedschaft in Prüfverbänden für kleine Genossen-
schaften mit marginalen Gewinnen abzuschaffen.

Berlin, den 28. September 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/7249

Begründung

Klare Ziele und Strategien können wie beim Ökolandbau helfen, das „Nischen-
Image“ der Regionalvermarktung zu überwinden. Ein entscheidender Akteur
bei der Realisierung von Regionalvermarktungskonzepten ist der Einzelhandel.
Wenn Einzelhandelsflächen neu ausgewiesen oder neu belegt werden, erhalten
gerade im ländlichen Raum viel zu oft Discountanbieter den Zuschlag. Deren
Sortimente sind jedoch in der Regel starr. Außerdem sind ihre Logistikanforde-
rungen auf überregionale Lieferanten zugeschnitten, so dass sie regionalen An-
bietern kaum Absatzchancen bieten. Neue Konzepte und Strategien können
ausreichende Schnittstellen für regionale Belieferungsstrukturen schaffen und
helfen, auch in den Vertriebsstrukturen auf Klasse statt Billigmasse zu setzen.

Dem öffentlichen Beschaffungswesen kommt beim Absatz von Regionalpro-
dukten eine Vorbildfunktion zu. Über die Versorgung von Kitas, (Hoch-)Schu-
len, Altenheimen, Kliniken und öffentlichen Verwaltungen können effiziente
Absatzstrukturen aufgebaut werden.

Vielen öffentlichen Verwaltungen auf Bundes-, Länder- und kommunaler
Ebene ist nicht bewusst, dass die Ortsnähe ein leistungsbezogenes Kriterium
für die Vergabe sein kann. Deshalb müssen Gemeinden mehr Praxishilfen, Be-
ratung und Service angeboten werden, damit sie ihren Handlungsspielraum
besser nutzen können. Auf eine Nichtdiskriminierung anderer Marktteilnehmer
ist dabei streng zu achten.

Regionalität ist ein neuer Trend bei Verbraucherinnen und Verbrauchern. Gut
50 Prozent sind bereit, dafür auch tiefer in die Tasche zu greifen. Dieses Be-
kenntnis führt dazu, dass bei Bewerbung und Auslobung von Produkten häufig
der Eindruck von Regionalität vermittelt wird, obwohl die Produkte nicht aus
der Region stammen. Diesem Missbrauch muss ein Riegel vorgeschoben wer-
den. Die Entwicklung und Einführung eines einheitlichen und überprüfbaren
Kriterien- und Kontrollsystems zur Bewertung von Regionalsiegeln erhöht de-
ren Glaubwürdigkeit.

Unter Rot-Grün wurden im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesse-
rung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes gezielt regionale Verarbeitungs-
und Vermarktungsstrukturen gefördert. Dieser Schwerpunkt ist im aktuellen
Förderkatalog nicht mehr enthalten. Regionalvermarktung erfordert von Unter-
nehmen aber nicht weniger, sondern mehr Leistung. Neben der Förderung für
entsprechende Investitionen sollten insbesondere Beratungs- und Schulungs-
maßnahmen gefördert werden, um den beteiligten Unternehmen möglichst
schnell die erforderlichen Kompetenzen (Marketing, Logistik etc.) vermitteln
zu können. Auch die Etablierung leistungsfähiger Regionalmarkenkonzepte ist
ein kostenintensiver Prozess, der durch Förderung erleichtert bzw. beschleunigt
werden kann.

Mit einem Bundesprogramm „Regionalvermarktung“ kann darüber hinaus die
bundesweite Vernetzung von Regionalvermarktungsinitiativen vorangebracht
und ein Best-Practice-Austausch gesichert werden. Um den Absatz von Regio-
nalprodukte auch über geförderte Projektphasen hinaus dauerhaft zu sichern,
sollen über ein Bundesprogramm umfassende Verbraucherinformationskonzepte
entwickelt und umgesetzt werden, mit denen die besonderen Stärken regionaler
Qualitätsprodukte vermittelt werden. Die Förderung der Regionalvermarktung
bedarf eines eigenen Bundesprogramms. Eine Integration in das Bundespro-
gramm „Ökologischer Landbau und andere Formen nachhaltiger Landwirt-
schaft“ stellt keine adäquate Alternative dar, da der Ökologische Landbau als das
Leitbild für eine nachhaltige und zukunftsfähige Landwirtschaft keine mit Regi-
onalprodukten vergleichbare Produktkategorie darstellt.
Ehrenamtlich getragene Dorfladeninitiativen erweisen sich in ländlichen Regio-
nen, in denen eine ortsnahe Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs durch

Drucksache 17/7249 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
den Einzelhandel nicht mehr vorhanden ist, zunehmend als Anker zur Sicherung
der wohnortnahen Versorgung. Ihre Attraktivität wird durch das Angebot an
regionalen Produkten entscheidend gesteigert und damit ihre finanzielle Trag-
fähigkeit unterstützt. Mit der Abschaffung der Prüfungspflicht und der Zwangs-
mitgliedschaft in Prüfverbänden für kleine Genossenschaften mit marginalen
Gewinnen kann engagierten Akteuren vor Ort eine Rechtsform geboten werden,
die die Existenz solcher Initiativen unterstützt und absichert.

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.