BT-Drucksache 17/7242

Menschenrechtssituation in der Kabylei

Vom 29. September 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7242
17. Wahlperiode 29. 09. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Andrej Hunko, Niema Movassat, Raju Sharma,
Frank Tempel und der Fraktion DIE LINKE.

Menschenrechtssituation in der Kabylei

Seit Erlangung der Unabhängigkeit Algeriens 1962 ist die Region Kabylei
einer Arabisierungspolitik durch die Zentralregierung ausgesetzt. Die mindes-
tens sieben Millionen Kabylen stellen heute als größte der vier berbersprachi-
gen Bevölkerungsgruppen des Landes etwa ein Viertel der Gesamtbevölkerung
Algeriens. Seit dem blutig niedergeschlagenen „Berber-Frühling“ von 1980
kam es in der Kabylei immer wieder zu Protesten gegen die Zentralregierung,
insbesondere wegen der Nichtanerkennung der kabylischen Sprache (Masi-
risch/Tamazight) als Amtssprache. Während einer Protestwelle zwischen 2001
und 2003 töteten algerische Sicherheitskräfte 128 zumeist jugendliche kaby-
lische Demonstranten. Mit der Forderung nach voller sprachlicher, kultureller
und politischer Autonomie bildete sich die „Bewegung für die Autonomie der
Kabylei“ (Mouvement pour l’Autonomie de la Kabylie, MAK), die am 1. Juni
2010 eine im Exil befindliche provisorische Regierung der Kabylei (Gouverne-
ment Provisoire Kabyle, GPK) unter Ferhat Mehenni ausrief.

Die traditionell laizistisch geprägte Kabylei ist in besonderem Maße Anschlä-
gen bewaffneter islamistischer Untergrundgruppen ausgesetzt, die nach Mei-
nung der GPK mit Unterstützung der Regierung operieren. Allein zwischen
dem 14. und 21. August 2011 starben bei sieben Anschlägen sieben Menschen
und über 50 wurden verletzt. Obwohl die Kabylei nur 2 Prozent der Fläche
Algeriens ausmacht, sind hier seit 2004 mehr als 30 Prozent der algerischen
Streitkräfte stationiert. Diese Sicherheitskräfte inszenieren regelmäßig groß an-
gelegte Operationen mit den modernsten Waffen, die immer ohne nennenswerte
Ergebnisse beim Bereich „Kampf gegen Terrorismus“ enden, aber Opfer unter
der Zivilbevölkerung und Waldbrände verursachen. So warnt die GPK, dass
Waffen aus Deutschland auch gegen friedliche Demonstrantinnen und
Demonstranten in der Kabylei zum Einsatz kommen und aus Deutschland ge-
lieferte Informationstechnologie zur Überwachung der Opposition Anwendung
finden können.

Trotz massiver etwa von Amnesty International beklagten Menschenrechts-
verletzungen ist Algerien ein Großabnehmer von Waffen und Rüstungsgütern
aus Deutschland. So genehmigte die Bundesregierung im Zeitraum 2000 bis
2009 Rüstungsexporte nach Algerien in Höhe von 51,9 Mio. Euro (Rüstungs-
exportbericht der Bundesregierung 2000 bis 2009). Im Sommer 2008 hatte die
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel im Rahmen einer Wirtschaftsdelegation
der algerischen Regierung Waffenlieferungen, wie Kriegsschiffe, Überwa-
chungstechnologie, Militärflugzeuge und -fahrzeuge im Gegenzug zur Beteili-
gung deutscher Firmen bei der Erschließung algerischer Öl- und Gasvorkom-
men in Aussicht gestellt (www.capital.de/politik/100012893.html).

Drucksache 17/7242 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Laut einem Bericht des „Handelsblatts“ soll die Bundesregierung inzwischen
Rüstungs- und Sicherheitsprojekten für Algerien in Höhe von 10 Mrd. Euro zu-
gestimmt haben. Die Konzerne Rheinmetall AG und MAN wollten mit ihrem
Joint Venture RMMV (Rheinmetall MAN Military Vehicles GmbH) den Trans-
portpanzer Fuchs in Algerien bauen. Bei der Daimler AG gehe es um den Ver-
kauf von Last- und Geländewagen. ThyssenKrupp AG plane den Bau von Fre-
gatten für Algerien und wolle außerdem die algerische Marine ausbilden. Außer-
dem wollten die EADS-Sicherheitssparte Cassidian, RHODE & SCHWARZ
GmbH & Co. KG und Carl Zeiss Verteidigungs- und Sicherheitselektronik für
den Grenzschutz in Algerien produzieren (www.handelsblatt.com/politik/inter-
national/deutschland-gibt-ruestung-fuer-algerien-frei/4352684.html).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie beurteilt die Bundesregierung die politische und soziale Situation in der
Kabylei?

a) Inwieweit sieht die Bundesregierung eine besondere Unterdrückung und
Benachteiligung der kabylischen Bevölkerung durch die algerische Zen-
tralregierung?

b) Inwieweit hält die Bundesregierung die Forderungen der „Bewegung für
die Autonomie der Kabylei“ nach Autonomie und Anerkennung der ka-
bylischen Sprache als Amtssprache für legitim?

c) Wie beurteilt die Bundesregierung die Haltung der algerischen Zentralre-
gierung gegenüber Autonomiebestrebungen in der Kabylei?

2. Inwieweit sind der Bundesregierung Fälle von Menschenrechtsverletzungen
durch Sicherheitskräfte und Armeeangehörige bekannt,

a) in Algerien allgemein,

b) in der Kabylei?

3. Wann und in welchen Fällen und mit welchem Ergebnis hat die Bundes-
regierung gegenüber der algerischen Regierung die Menschenrechtssituation
in Algerien im Allgemeinen und die Situation in der Kabylei im Besonderen
thematisiert?

4. Welche Beziehungen bestehen zwischen der Bundesregierung und der pro-
visorischen Regierung der Kabylei (GPK)?

a) Ist der Bundesregierung die Existenz des GPK bekannt?

b) Inwieweit gab es von Seiten des GPK Versuche einer Kontaktaufnahme
zur Bundesregierung, und wie reagierte die Bundesregierung darauf?

c) Inwieweit gab es Gespräche oder Korrespondenz zwischen der Bundes-
regierung und der GPK?

d) Inwieweit besteht die Absicht der Bundesregierung zur Aufnahme von
Beziehungen zur GPK?

e) Inwieweit erwägt die Bundesregierung eine offizielle Anerkennung der
provisorischen Regierung der Kabylei?

5. Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnisse über den Einsatz von Waffen
aus deutscher Lieferung oder Lizenz in der Kabylei?

6. Inwieweit hat die Bundesregierung die Lieferung von Rüstungsgütern ge-
genüber der algerischen Regierung an Bedingungen gebunden?

a) Inwieweit waren und sind Lieferungen von Rüstungsgütern oder die Er-
teilung von Lizenzen direkt oder indirekt an die Beteiligung deutscher
Firmen bei der Erdgas- und Erdölförderung gebunden?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/7242

b) Inwieweit waren und sind Lieferungen von Rüstungsgütern oder die Er-
teilung von Lizenzen an die Herstellung und Einhaltung der Menschen-
rechte entsprechend den „Politischen Grundsätzen der Bundesregierung
zur Erteilung von Genehmigungen für Waffenlieferungen oder Lizenz-
produktion“ vom 19. Januar 2000 gebunden?

7. Inwieweit ist die Bundesregierung bereit, die Kabylei wirtschaftlich und
kulturell direkt oder indirekt zu unterstützen?

8. Inwieweit ist die Bundesregierung bereit, Menschenrechtsverletzungen
durch die algerische Regierung und ihre Sicherheitskräfte in der Kabylei
offiziell zu verurteilen?

9. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über Aktivitäten bewaffneter
islamistischer Untergrundgruppierungen in der Kabylei?

a) Wie viele Anschläge mit wie vielen Opfern gab es in der Kabylei seit
Antritt der Regierung von Präsident Abd al-Aziz Bouteflika?

b) Inwieweit hat die Bundesregierung Erkenntnisse über Verbindungen
bewaffneter islamistischer Untergrundgruppierungen in der Kabylei zum
algerischen Staat?

Berlin, den 29. September 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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