BT-Drucksache 17/697

Nachhaltige Unterstützung für Haiti

Vom 10. Februar 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/697
17. Wahlperiode 10. 02. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Heike Hänsel, Jan van Aken, Christine Buchholz, Sevim
Dag˘delen, Dr. Diether Dehm, Annette Groth, Andrej Hunko, Harald Koch, Niema
Movassat, Paul Schäfer (Köln), Alexander Ulrich und der Fraktion DIE LINKE.

Nachhaltige Unterstützung für Haiti

Das katastrophale Erdbeben, das am 12. Januar 2010 die haitianische Haupt-
stadt Port-au-Prince und weitere Städte der Umgebung zu großen Teilen zer-
störte und dabei über 200 000 Menschenleben forderte, hat weltweit große
Anteilnahme ausgelöst. Über viele Jahre wird Haiti auf die Unterstützung der
internationalen Gemeinschaft angewiesen sein.

Zugleich hat die haitianische Regierung den Anspruch formuliert, selbst die
Aufbauarbeit zu koordinieren, und beklagt, dass sie bislang nicht in die Koordi-
nierung der Hilfe eingebunden sei. Nachdem sie zunächst die Kontrolle über
wichtige Infrastrukturen des Landes an die US-Armee abgegeben hatte, fühlt
sie sich nun übergangen und nicht zureichend informiert. Unterdessen hat die
US-Armee ihre Präsenz in Haiti auf ein Maß ausgebaut, dass vermuten lässt,
dass eine dauerhafte Besatzung des Landes angestrebt wird.

In einer gemeinsamen Pressekonferenz des haitianischen Präsidenten René
Préval mit dem ecuadorianischen Präsidenten Rafael Correa wurde der „Impe-
rialismus der Geberländer“ kritisiert und davor gewarnt, beim Neuaufbau die
Fehler der Vergangenheit zu wiederholen. Entwicklungskonzepte, die Haiti von
Geberländern und -institutionen verschrieben worden waren, haben in der Ver-
gangenheit zur Handlungsunfähigkeit der haitianischen Regierung, zu wirt-
schaftlichem Niedergang und damit auch dazu beigetragen, dass nach dem Erd-
beben keine schnelle Hilfe aus den Provinzen zur Verfügung stand. René Préval
betonte deshalb die Notwendigkeit, Strukturen in den Provinzen aufzubauen.

Angesichts der hohen Zahl an Versehrten, die das Erdbeben hinterlassen hat,
und vor dem Hintergrund der medizinischen Unterversorgung, die bereits vor
dem Erdbeben in Haiti bestand, wird eine der größten Herausforderungen darin
bestehen, in Haiti flächendeckend ein System medizinischer Versorgung aufzu-
bauen. Dabei kann die internationale Gebergemeinschaft auf die Erfahrungen
zurückgreifen, die Kuba in mehr als elf Jahren auf diesem Sektor gemacht hat.
Seit 1998 haben rund 6 000 Kubanerinnen und Kubaner in der Gesundheitsver-
sorgung in Haiti gearbeitet. 400 Ärztinnen und Ärzte aus Kuba waren zum Zeit-
punkt des Erdbebens in Haiti. Sie und ihre in Kuba ausgebildeten haitianischen
Kolleginnen und Kollegen waren die ersten, die nach dem Beben qualifizierte
Hilfe anbieten konnten.

Haiti ist immer noch mit knapp 900 Mio. US-Dollar verschuldet. Im Vorfeld
der für März 2010 geplanten internationalen Geberkonferenz für Haiti wird
international der Ruf nach einer vollständigen Entschuldung Haitis erhoben.
Die Hoffnungen, dass der Vorstand des Internationalen Währungsfonds (IWF)
auf seiner Beratung am 27. Januar 2010, dem Vorschlag des IWF-Präsidenten
folgend, seine Forderungen gegenüber Haiti in Höhe von 165 Mio. US-Dollar

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streichen und weitere Unterstützung in Form von Zuschüssen zusagen würde,
wurden enttäuscht. Stattdessen wurde Haiti ein zinsloses Darlehen in Höhe von
102 Mio. US-Dollar zugesagt. Die Tilgung von Verbindlichkeiten wurde bis
2011 gestundet.

Die Kosten des Wiederaufbaus werden auf über 10 Mrd. US-Dollar geschätzt.
Für die Aufbauhilfe hatte die Europäische Union bislang 300 Mio. Euro zu-
gesagt. Von der Bundesregierung sind bislang keine Angebote über die
15 Mio. Euro Soforthilfe hinaus bekannt. Auf der Geberkonferenz werden aber
sowohl von der EU als auch von ihren Mitgliedstaaten erheblich höhere
Beiträge zum Wiederaufbau in Haiti erwartet.

Die damalige Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung hatte noch 2007 die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit beendet,
gegen den fraktionsübergreifenden Widerstand einer Delegation des Ausschus-
ses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, der seinerzeit Haiti
besucht hatte.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Erwägt die Bundesregierung die Wiederaufnahme der bilateralen Entwick-
lungszusammenarbeit mit Haiti (bitte mit Begründung)?

2. In welchem Umfang leistete die Bundesregierung bislang – auch nach der Be-
endigung der bilateralen Zusammenarbeit, etwa im Rahmen regionaler Pro-
gramme – einen Beitrag zur Aufforstung und Wiederbewaldung von erosions-
anfälligen Hängen (bitte Projekte und Finanzierungsumfang nennen)?

3. In welchem Umfang will die Bundesregierung auf der Geberkonferenz im
März 2010 Beiträge zum Wiederaufbau in Haiti zusagen, und an welche
Zwecke sollen diese Beiträge gebunden sein?

4. Zu welchen Anteilen handelt es sich bei der bislang von der Bundesregie-
rung und der Europäischen Union zugesagten Sofort- und Aufbauhilfe
nach dem Erdbeben in Haiti um zusätzliche Mittel, und zu welchen Antei-
len handelt es sich um umgeschichtete Mittel?

Wofür waren die ungeschichteten Mittel bislang vorgesehen?

5. Inwiefern gibt das norwegisch-kubanische Abkommen, demzufolge Nor-
wegen die Arbeit kubanischer Ärztinnen und Ärzte in Haiti mit Medika-
menten und Apparaten im Wert von 885 000 US-Dollar unterstützt, nach
Meinung der Bundesregierung auch anderen Ländern ein nachahmenswer-
tes Beispiel?

6. Hat die Bundesregierung in diesem Sinne bereits erwogen, Kontakt mit der
kubanischen Regierung aufzunehmen (bitte mit Begründung)?

7. Setzt sich die Bundesregierung für die sofortige, vollständige und bedin-
gungslose Entschuldung Haitis gegenüber allen Gläubigern ein (bitte mit
Begründung), und welche Schritte hat sie bereits unternommen, um diesem
Anliegen Geltung zu verschaffen?

8. Unterstützt die Bundesregierung den Vorschlag des IWF-Präsidenten, die
Verbindlichkeiten Haitis beim IWF vollständig zu streichen, bevor die
Stundung 2011 ausläuft?

9. Unterstützt die Bundesregierung die Entscheidung des IWF-Vorstands,
weder die bestehenden Forderungen an Haiti in Zuschüsse umzuwandeln,
noch die zusätzliche Nothilfe in Form eines Zuschusses, sondern stattdes-
sen als zinsloses Darlehen auszureichen?

10. Wie reagiert die Bundesregierung auf Kritik von Entwicklungsorganisatio-
nen, die in diesem Zusammenhang davor warnen, die Hilfe für Haiti dürfe
nicht zu einer weiteren Verschuldung des Landes führen?

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11. Wird sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass die Koordinierung der
internationalen Hilfe vollständig auf die Vereinten Nationen übergeht und
diese die Verteilung der Hilfe in Haiti mit der haitianischen Regierung
koordiniert (bitte mit Begründung)?

12. Welche Schritte sollten nach Ansicht der Bundesregierung sofort unter-
nommen werden, damit die haitianische Regierung die vollständige Souve-
ränität und Kontrolle über die Hilfs- und Aufbauarbeiten in ihrem Land
zurückerhält?

13. Wie wird die Bundesregierung die haitianische Regierung dabei unterstüt-
zen, ihre volle Handlungsfähigkeit wiederherzustellen und ihre Souveräni-
tät wieder vollumfänglich auszuüben?

14. Wird sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass die militärische Prä-
senz der USA in Haiti beendet wird (bitte mit Begründung)?

15. Sollte das Mandat der UN-Mission MINUSTAH (Mission des Nations
Unies pour la Stabilisation en Haïti) nach Meinung der Bundesregierung
um zivile Komponenten verstärkt, oder sollte die MINUSTAH durch eine
internationale zivile Aufbaumission gänzlich ersetzt werden?

16. Unterstützt die Bundesregierung den im Zusammenhang mit der Erdbeben-
katastrophe in Haiti von belgischen Politikern unterbreiteten und vom Prä-
sidenten des Europäischen Rats unterstützten Vorschlag, eine humanitäre
Einsatztruppe der EU einzurichten?

17. Welche Vorstellungen hat die Bundesregierung von einer solchen Einsatz-
truppe?

In welchem Verhältnis sollten dabei nach Ansicht der Bundesregierung
militärische und zivile Komponenten zueinander stehen?

Berlin, den 10. Februar 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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