BT-Drucksache 17/6838

Stilllegung überschüssiger CO2-Emissionsrechte (Nachfrage zur Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage auf Bundestagsdrucksache 17/4970)

Vom 23. August 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6838
17. Wahlperiode 23. 08. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Ralph Lenkert, Dorothee Menzner,
Sabine Stüber und der Fraktion DIE LINKE.

Stilllegung überschüssiger CO2-Emissionsrechte
(Nachfrage zur Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage
auf Bundestagsdrucksache 17/4970)

Die Bundesregierung hat mit Antwort auf Bundestagsdrucksache 17/4970 vom
28. Februar 2011 auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. „Stilllegung
überschüssiger CO2-Emissionsrechte“ geantwortet. Die Fragen in Bezug auf die
Position der Bundesregierung zu Vorschlägen der EU-Kommission zur mög-
lichen Stilllegung überschüssiger CO2-Emissionsrechte in der dritten Handels-
periode sind nach Auffassung der Fragesteller unzureichend beantwortet worden.

Die Aussage der Bundesregierung in der Antwort zu Frage 7, die EU-Kommis-
sion habe zur Stilllegung von Emissionsrechten keinen konkreten Vorschlag un-
terbreitet, weshalb es dazu entsprechend keine Position der Bundesregierung
gebe, ist nicht nachvollziehbar. Schließlich wurde in der Vorbemerkung der
Kleinen Anfrage nicht nur direkt auf das entsprechende EU-Dokument, sondern
auch auf die Passage darin verwiesen, in dem es um die von der EU-Kommis-
sion entwickelte Option einer Stilllegung von überschüssigen Zertifikaten geht.

Beim besagten Dokument handelt sich um die „Mitteilung der Kommission an
das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozial-
ausschuss und den Ausschuss der Regionen: Analyse der Optionen zur Verrin-
gerung der Treibhausgasemissionen um mehr als 20 % und Bewertung des Risi-
kos der Verlagerung von CO2-Emissionen“ (KOM(2010) 265 endgültig, vom
26. Mai 2010). Dort werden Kosten, Nutzen und Optionen einer weiteren Sen-
kung der Treibhausgasemissionen bis auf 30 Prozent Minderung bis 2020 ge-
genüber dem Niveau von 1990 untersucht. Für den Bereich des Europäischen
Emissionshandelssystems (EHS) empfiehlt die EU-Kommission dort als Op-
tion, die Gesamtmenge an Emissionsberechtigungen zu verknappen, da durch
die Krise ein Überschuss an ungenutzten CO2-Zertifikaten (European Allow-
ances – EUA) existiere. Sie schätzt, dass infolge der Wirtschaftskrise die Un-
ternehmen 5 bis 8 Prozent ihrer Zertifikate aus dem Verpflichtungszeitraum
2008 bis 2012 in die dritte Phase des EHS von 2013 bis 2020 übertragen können.
In der Folgeeinschätzung wird prognostiziert, dass der CO2-Handelspreis im
Jahr 2020 infolgedessen von vormals geschätzten 32 Euro je Tonne CO auf
2
16 Euro je Tonne CO2 fallen wird (einschließlich Maßnahmen im Bereich er-
neuerbare Energien zur Erfüllung des 20-Prozent-Ziels, jedoch ohne Nutzung
internationaler Gutschriften). Zu einem solchen Preis aber rechnen sich in Eu-
ropa kaum noch Klimaschutzinvestitionen. Zudem könnten laut der Mitteilung
Regierungseinnahmen aus der Versteigerung um die Hälfte zurückgehen. Die
EU-Kommission stellt hier fest, dass eine knappere EHS-Obergrenze dagegen

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nicht nur die Umweltleistung des CO2-Marktes verbessert, sondern auch dessen
Anreizwirkung.

Aufgrund des genannten Überschusses schlägt die EU-Kommission als mögli-
che Option vor, bei einem Übergang zu einem Minus-30-Prozent-Ziel durch
Stilllegung von EUA eine EU-weite Reserve von 1,4 Milliarden Zertifikaten zu
bilden, die aus der insgesamt für die in der Handelsphase ab 2013 zur Versteige-
rung vorgesehenen Menge von Emissionszertifikaten fließen soll. Das Minde-
rungsziel für den Emissionshandelssektor im Zeitraum 2013 bis 2020 würde
dadurch faktisch von minus 21 Prozent auf minus 34 Prozent gegenüber dem
Jahr 2005 angehoben. Daraus ergäbe sich eine durchschnittliche Verknappung
von für die Versteigerung zur Verfügung stehenden Emissionszertifikaten um
zirka 15 Prozent. Die EU-Kommission lässt offen, ob die Zertifikatsreserve von
1,4 Milliarden EUA später gelöscht werden soll. Sie geht ferner davon aus, dass
durch die Preiseffekte der Verknappung die Erlöse der Mitgliedstaaten aus der
Versteigerung um rund ein Drittel steigen könnten. Denn sie geht davon aus,
dass die CO2-Preise stärker anziehen als versteigerte Zertifikate gekürzt werden.
Die EU-Kommission weist darauf hin, dass für Investitionen in CO2-effiziente
Zukunftslösungen von Belang sein werde, auf welche Weise die Mitgliedstaaten
die neuen Versteigerungseinkünfte nutzen würden.

Für den Nichthandelsbereich sieht die Mitteilung in der vorgeschlagenen Option
vor, die Minderungsziele von derzeit minus 10 Prozent auf minus 16 Prozent an-
zuheben, was nach Auffassung der EU-Kommission beispielsweise mithilfe der
Einführung einer CO2-Besteuerung in den Mitgliedstaaten sowie der gezielten
Verwendung der Strukturfonds und der ländlichen Entwicklungsprogramme
umgesetzt werden könnte.

Mittlerweile wurde die Option einer Stilllegung von überschüssigen Emissions-
rechten mehrfach von Spitzenbeamten der EU-Kommission sowie in EU-Doku-
menten wiederholt. So verteidigt die EU-Klimakommissarin Connie Hedegaard
in der „FAZ“ vom 10. März 2011 „die Überlegungen“ der EU-Kommission „zur
Reduzierung der Emissionsrechte“, über welche die Zeitung am 3. März 2011
berichtet hatte. Die Zertifikate würden von der Zahl der Zertifikate abgezogen,
welche die Mitgliedstaaten ab 2013 versteigerten, so Connie Hedegaard in dem
Leserbrief. Es gehe nicht darum, „die Obergrenze der Emissionen durch die Hin-
tertür stärker zu deckeln, sondern auf kosteneffiziente Art und Weise das Ziel zu
erreichen“, bis 2020 die Energieeffizienz um 20 Prozent zu verbessern. Die Still-
legung von Emissionsrechten unterstütze dieses Ziel und die Ziele des
„Fahrplans in eine kohlendioxidarme Wirtschaft bis 2050“, welcher am 8. März
2011 von der EU-Kommission beschlossen wurde. Ohne eine Verringerung der
Emissionsrechte würden Energieeinsparungen eines Unternehmens über eine
Minderung der Nachfrage zu einem Preisverfall führen, wodurch bei anderen
Unternehmen – wenn überhaupt – sehr wenig Energie eingespart werde.

Schließlich wird in der von Connie Hedegaard erwähnten Mitteilung der Kom-
mission „Fahrplan für den Übergang in eine wettbewerbsfähige CO2-arme Wirt-
schaft bis 2050“ (so genannte Klima-Roadmap der Kommission) festgestellt,
dass bei der Verwirklichung des 20-Prozent-Energieeffizienzziels die EU-Kom-
mission beobachten müsse, wie sich neue Maßnahmen auf das EHS auswirkten,
damit die Anreize des Systems erhalten blieben, mit denen Investitionen in die
Verringerung des CO2-Ausstoßes belohnt und die EHS-Sektoren auf die künftig
notwendigen Investitionen vorbereitet würden. „Diesbezüglich müssen geeig-
nete Maßnahmen geprüft werden, einschließlich der Stilllegung einer ent-
sprechenden Zahl von Zertifikaten aus dem im Zeitraum von 2013 bis 2020 zu
versteigernden Teil“, so die Kommissionsmitteilung. Dies würde auch gewähr-
leisten, dass sowohl die Sektoren, die unter das EHS fallen, als auch die übrigen

Sektoren kostengünstig zum Energieeffizienzziel beitrügen.

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Wir fragen die Bundesregierung:

1. Warum hält die Bundesregierung detailliert ausgearbeitete Vorschläge der
EU-Kommissionen, die in offiziellen Mitteilungen der EU-Kommission ge-
macht werden – wie die eingangs dargestellte Option zur Stilllegung von
Emissionsrechten ab 2013 – nicht für konkrete Vorschläge der EU-Kom-
mission zum Thema?

2. Ab welcher Klasse von Dokumenten akzeptiert die Bundesregierung kon-
krete Vorschläge der EU-Kommission als konkrete Vorschläge der EU-
Kommission?

3. Wie steht die Bundesregierung gegenwärtig zum Vorschlag des Bundesmi-
nisters für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, sich in der Europä-
ischen Union dafür einzusetzen, das gemeinsame Klimaschutzziel für 2020
ohne Vorbedingungen auf 30 Prozent Emissionsminderung gegenüber dem
Jahr 1990 zu erhöhen?

4. Teilt die Bundesregierung inzwischen die Auffassung der EU-Kommission,
dass infolge der Wirtschaftskrise die Unternehmen in der EU ungefähr 5 bis
8 Prozent ihrer Zertifikate aus dem Verpflichtungszeitraum 2008 bis 2012
in die dritte Phase des EHS von 2013 bis 2020 übertragen könnten bzw. hat
die Bundesregierung hierzu inzwischen eigene Schätzungen?

5. Teilt die Bundesregierung inzwischen die Auffassung der EU-Kommission,
dass bei Beibehaltung der gegenwärtigen Rechtslage bezüglich der EUA-
Menge in der dritten Handelsperiode der CO2-Handelspreis im Jahr 2020
infolgedessen von vormals geschätzten 32 Euro je Tonne CO2 auf ungefähr
16 Euro je Tonne CO2 fallen würde, oder macht die Bundesregierung hierzu
weiterhin keine Aussagen, und wenn ja, warum?

6. Wie steht die Bundesregierung zum Vorschlag (zur vorgeschlagenen Op-
tion) der EU-Kommission in der eingangs genannten Kommissionsmittei-
lung vom 26. Mai 2010, die Menge der für die dritte Handelsperiode vorge-
sehenen EUA um zirka 1,4 Milliarden Zertifikate stillzulegen; wird sie sich
dafür einsetzen, wenn nein, warum nicht?

7. Wie steht die Bundesregierung zu den diesbezüglichen Ausführungen der
EU-Klimakommissarin Connie Hedegaard in „FAZ“ vom 10. März 2011?

8. Wie steht die Bundesregierung zu den eingangs angeführten diesbezüg-
lichen Ausführungen in der Klima-Roadmap der EU-Kommission vom
8. März 2011?

9. Wie verläuft in den Gremien der EU-Kommission oder des Rates gegen-
wärtig die Debatte um die Stilllegung von für die dritte Handelsperiode vor-
gesehenen EUA aufgrund der krisenbedingt überschüssigen, aber übertrag-
baren EUA in der zweiten Handelsperiode?

10. Gibt es in den Gremien der EU-Kommission oder des Rates Überlegungen,
was ggf. mit stillgelegten EUA passieren soll, wenn ja, welche, und wie
steht die Bundesregierung dazu?

11. Wie steht die Bundesregierung zum Vorschlag der EU-Kommission in der
Kommissionsmitteilung vom 26. Mai 2010, die Minderungsziele für den
Nichthandelsbereich von derzeit minus 10 Prozent auf ca. minus 16 Prozent
anzuheben?

12. Welche Maßnahmen auf EU-Ebene hielte die Bundesregierung für sinnvoll,
um eine eventuelle Anhebung des Minderungsziels für den Nichthandels-
sektor auf minus 16 Prozent zu erreichen?

Drucksache 17/6838 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
13. Welche Maßnahmen auf nationaler Ebene hielte die Bundesregierung für
sinnvoll, um eine eventuelle Anhebung des Minderungsziels für den Nicht-
handelssektor auf minus 16 Prozent zu erreichen?

14. Welche Wirkung einerseits auf den CO2-Preis und andererseits auf die öko-
logische Integrität des EHS hat der massenhafte Einsatz von preiswerten
aber ökologisch fragwürdigen Emissionsgutschriften im EHS aus so ge-
nannten superkritischen Kohlekraftwerksprojekten in Ländern des globalen
Südens in Form von Certified Emission Reductions (CER) im Rahmen des
Clean Development Mechanism, und welche Haltung nimmt die Bundes-
regierung in den UN-Verhandlungen diesbezüglich ein?

15. Welche Erklärung hat die Bundesregierung für das erneute Fallen des EUA-
Preises am Handelsmarkt auf gegenwärtig nur noch 11 bis 12 Euro je Tonne
CO2?

16. Welchen EUA-Mindestpreis hält die Bundesregierung für geboten, damit
sich eine ökologische Lenkungswirkung des EHS für Maßnahmen im Be-
reich der Energieeffizienz entfalten kann, welche den Zielstellungen der
Europäischen Union entspricht?

Berlin, den 22. August 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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