BT-Drucksache 17/6755

Hungerkatastrophe in Ostafrika - Deutscher Beitrag zur ländlichen Entwicklung und Herstellung von Ernährungssouveränität in Afrika

Vom 3. August 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6755
17. Wahlperiode 03. 08. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Niema Movassat, Christine Buchholz, Annette Groth, Heike
Hänsel, Andrej Hunko, Stefan Liebich und der Fraktion DIE LINKE.

Hungerkatastrophe in Ostafrika – Deutscher Beitrag zur ländlichen Entwicklung
und Herstellung von Ernährungssouveränität in Afrika

Weltweit hungern knapp eine Milliarde Menschen, der Großteil davon in Ent-
wicklungsländern. Knapp 80 Prozent der Hungernden leben auf dem Land, die
meisten von ihnen in kleinbäuerlichen Strukturen. Obwohl sie also selbst Nah-
rung produzieren, sind sie nicht in der Lage, sich von dem, was sie anbauen, ern-
ten und verkaufen ausreichend zu ernähren. Der Weltagrarbericht 2008 kam zum
Schluss, dass es lokale Lösungen für die Ernährungsfrage geben muss. Vielen
Kleinbauern stünden keine ausreichenden Lager- und Transportmöglichkeiten
zur Verfügung, so dass bereits eingebrachte Ernten oftmals unbrauchbar wür-
den. Großflächige Landnahme, Nahrungsmittelspekulation, die verstärkte Nut-
zung von Agrarflächen zur Produktion von Agrarrohstoffen und (subventio-
nierte) Billigexporte aus den Industriestaaten gefährden die Ernährungssouverä-
nität der ländlichen Bevölkerung zusätzlich.

Auf dem G8-Gipfel von L’Aquila im Jahr 2009 verpflichteten sich die G8 und
fünf weitere Geberländer, 22 Mrd. US-Dollar für die Finanzierung der Landwirt-
schaft und der Ernährungssicherheit bereitzustellen, davon 6 Mrd. US-Dollar
zusätzliches Geld. Vereinbart wurde, die Mittel innerhalb von drei Jahren bereit-
zustellen, sich auf eine Reihe von Grundsätzen bezüglich der Verwendung dieser
Mittel zu einigen und die Transparenz und Rechenschaftslegung im Hinblick auf
die Verpflichtungen zu gewährleisten.

Vier Monate nach dem Gipfel von L’Aquila, auf dem Welternährungsgipfel von
Rom, einigten sich die G8 und andere Geber auf die „Rom-Prinzipien“: Investi-
tionen in länderspezifische Projekte, strategische Koordination, ein ganzheitli-
ches Konzept, Stärkung und Finanzierung multilateraler Instrumente sowie
nachhaltiges Engagement.

Im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP hat die Bundesregierung
die ländliche Entwicklung als zentrales Anliegen der Entwicklungszusammen-
arbeit herausgestellt. In dem im November 2010 vorgestellten Konzept zur Ent-
wicklung ländlicher Räume und ihrem Beitrag zur Ernährungssicherung wurde
die Ernährungssouveränität zu einem Kernanliegen des Bundesministeriums für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) erhoben. Vor dem
Hintergrund der gewaltigen Hungerkatastrophe in Ostafrika, von welcher ak-

tuell zwölf Millionen Menschen betroffen sind, muss der entwicklungspolitische
Beitrag zur Ernährungssouveränität jedoch erneut auf den Prüfstand gestellt
werden.

Drucksache 17/6755 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Mittel hat die Bundesregierung für den Bereich ländliche Ent-
wicklung in afrikanischen Ländern in den Jahren 2001 bis 2010 zur Verfü-
gung gestellt (bitte nach Jahren und Ländern aufschlüsseln)?

Wie viele dieser Mittel sind in die kleinbäuerliche Entwicklung geflossen?

2. Mit welchen Entwicklungsländern in Afrika wurden Maßnahmen der Ent-
wicklungszusammenarbeit zur ländlichen Entwicklung zwischen den Jah-
ren 2001 bis 2010 als Schwerpunkt über Regierungsverhandlungen festge-
legt und auch schon umgesetzt, und für welche Länder existieren derzeit
Sektorschwerpunktstrategiepapiere im Bereich der ländlichen Entwicklung
und werden umgesetzt?

3. Welche internationalen Finanzzusagen hat die Bundesregierung seit dem
Jahr 2000 für den Bereich ländliche Entwicklung in Entwicklungsländern
gemacht (bitte in genauen Eurobeträgen und separate Aufzählung aller Kon-
ferenzen, auf denen entsprechende Zusagen gemacht worden sind)?

4. In welchem Umfang sind die internationalen Finanzzusagen bereits erfüllt
worden (bitte Angabe in Summe und Prozent für die jeweilige Finanzzusage
und bei multilateralen Organisationen nach Institutionen bzw. in der bilate-
ralen Zusammenarbeit nach Ländern)?

5. Inwiefern wurden Deutschlands auf dem G8-Gipfel von L’Aquila im Jahr
2009 eingegangenen finanziellen Verpflichtungen bereits erfüllt, und in
welche Programme, Projekte und Aktivitäten sind die in diesem Zusam-
menhang zur Verfügung gestellten Mittel geflossen (bitte Angaben in Euro
und detaillierte Aufstellung)?

6. Inwiefern sind die auf dem Welternährungsgipfel von Rom vereinbarten
„Rom-Prinzipien“ bereits berücksichtigt, umgesetzt und angewandt wor-
den, und worin lag der deutsche Beitrag diesbezüglich?

7. In welchem Umfang sind Entwicklungshilfegelder in den Jahren 2001 bis
2010 nach Äthiopien, Somalia, Djibouti, Kenia, Uganda und Tansania ge-
flossen, und welche weiteren Mittel sind für die Förderung der ländlichen
Entwicklung in der Region bereits eingeplant (bitte nach Jahren und Län-
dern aufschlüsseln)?

8. Wie viel Prozent dieser Mittel waren jeweils für den Bereich ländliche Ent-
wicklung vorgesehen, und wie viel Prozent hiervon sind für Maßnahmen in
diesem Bereich bereits verwendet worden (bitte nach Jahren und Ländern
aufschlüsseln)?

9. Welche Programme, Projekte, Maßnahmen oder Aktivitäten im Bereich der
Unterstützung ländlicher Entwicklung wurden mit diesen Mitteln konkret
unterstützt (bitte nach Ländern aufschlüsseln)?

10. Welche genauen Beiträge wurden seitens der Bundesrepublik Deutschland
zwischen 2005 und 2010 jeweils jährlich an das Welternährungsprogramm
(WFP) der Vereinten Nationen gezahlt?

11. Ab welchem Zeitpunkt genau wurde die Bundesregierung von einer mögli-
chen Hungerkatastrophe in Ostafrika unterrichtet bzw. ab welchem Zeit-
punkt war ihr über welche Quellen bekannt, dass es 2011 sehr wahrschein-
lich zu einer größeren Hungersnot in Ostafrika kommen würde, und welche
vorbereitenden Maßnahmen gegen die drohende Hungersnot hat sie getrof-
fen?

12. Auf welche Höhe wurde in den Planungen der Bundesregierung für das

Haushaltsjahr 2011 ursprünglich der deutsche Beitrag für das Welternäh-
rungsprogramm festgelegt?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/6755

13. In welcher genauen Höhe wurden bis jetzt zusätzliche Mittel für die Be-
kämpfung der derzeitigen Hungersnot in Ostafrika zur Verfügung gestellt?

a) Welche weiteren Mittel zur Bekämpfung der Hungersnot sind vorgese-
hen?

b) In welchen finanziellen Schritten ist die Bundesregierung bis zum jetzi-
gen Betrag gekommen?

c) Was war die Berechnungsgrundlage für den Umfang der zusätzlichen
Mittel?

14. Inwiefern und in welcher Höhe wurden bereits für Maßnahmen der ländli-
chen Entwicklung (oder auch andere Sektoren der Entwicklungszusammen-
arbeit) eingeplante Gelder für aktuelle Nothilfemaßnahmen umgeschichtet
und ausgegeben?

Wie wird sichergestellt, dass für bereits geplante langfristige Maßnahmen
im Bereich der ländlichen Entwicklung weiterhin ausreichend Mittel zur
Verfügung stehen?

15. An welche Organisationen, in welche Länder und in welche Bereiche flie-
ßen in welchem jeweiligen Umfang die innerhalb der letzten zwei Monate
bewilligten Geldmittel gegen die Hungerkatastrophe in Ostafrika (bitte de-
tailliert aufschlüsseln)?

16. Wie gewährleistet die Bundesregierung und insbesondere das BMZ, dass
der Fokus auf ländliche Entwicklung und Ernährungssouveränität langfris-
tig gesichert ist (vgl. 5-Jahres-Initiative der USA)?

17. Welche Maßnahmen und/oder Initiativen wurden von der Bundesregierung
auf nationaler, EU- und/oder internationaler Ebene bisher ergriffen bzw. ge-
startet, um die Nahrungsmittelpreisschwankungen einzuhegen?

18. Welche Maßnahmen und/oder Initiativen wurden von der Bundesregierung
auf nationaler, EU- und/oder internationaler Ebene bisher ergriffen bzw. ge-
startet, um gegen die zunehmende Spekulation mit Nahrungsmitteln vorzu-
gehen?

a) Wie bewertet die Bundesregierung die Problematik der Nahrungsmittel-
spekulationen?

b) Unterstützt die Bundesregierung die Forderung von Nichtregierungsor-
ganisationen (u. a. WEED, Misereor, Oxfam), exzessiven Spekulationen
an den Warenterminbörsen mit Positionslimits vorzubeugen, die Trans-
parenz zu verbessern und den außerbörslichen Handel (OTC) zu regulie-
ren?

19. Inwiefern hält es die Bundesregierung für notwendig und angemessen, re-
gulierende Maßnahmen vor allem auch im Finanzsektor zu ergreifen bzw.
auch auf EU-Ebene oder international zu initiieren, um gegen das zuneh-
mende Problem des „Landgrabbing“ durch multinationale Konzerne wir-
kungsvoll und effektiv vorzugehen?

20. Welchen Zusammenhang sieht die Bundesregierung zwischen der vermehr-
ten Nutzung von Agrarflächen zum Anbau von Pflanzen für Agrotreibstoffe
und der vermehrten Landnahme sowie steigenden Nahrungsmittelpreisen?

Drucksache 17/6755 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
21. Teilt die Bundesregierung die von Günter Nooke, dem Persönlichen G8-
Afrika-Beauftragten der Bundeskanzlerin, in einem Interview in der
„Frankfurter Rundschau“ vertretene Auffassung, dass auch Landverkäufe
an China Schuld an der gegenwärtigen Nahrungskrise in Afrika sind?

a) Worin sieht die Bundesregierung ansonsten die Ursachen der derzeitigen
Hungerkatastrophe?

b) Inwiefern spielen nach Ansicht der Bundesregierung Preissteigerungen
von Agrarrohstoffen durch Nahrungsmittelspekulationen und eine Ver-
nachlässigung der ländlichen Entwicklung eine Rolle?

22. Wodurch erklärt sich, dass die Bundesregierung heute in den meisten ihrer
Äußerungen und Strategiepapieren lediglich noch den Begriff und das Ziel
der „Ernährungssicherheit“ verwendet und verfolgt und nicht mehr das viel
umfassendere und nachhaltigere Konzept der „Ernährungssouveränität“ für
Entwicklungsländer anstrebt, wie es noch im Koalitionsvertrag zwischen
CDU, CSU und FDP von 2009 steht?

23. Wie stellt die Bundesregierung sicher, dass Investitionen in Programme zur
ländlichen Entwicklung, die gegenwärtigen Nahrungsmittelpreisspitzen
dämpfen und zur Herstellung von Ernährungssouveränität, insbesondere in
ländlichen Regionen, in den Partnerländern beitragen?

Berlin, den 3. August 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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