BT-Drucksache 17/6544

Geheimverträge zwischen Wissenschaftseinrichtungen und Unternehmen

Vom 7. Juli 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6544
17. Wahlperiode 07. 07. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Nicole Gohlke, Dr. Petra Sitte, Agnes Alpers, Dr. Rosemarie
Hein und der Fraktion DIE LINKE.

Geheimverträge zwischen Wissenschaftseinrichtungen und Unternehmen

Wie durch Medienberichte bekannt wurde, schloss die Deutsche Bank AG im
Jahr 2006 einen Vertrag mit der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) und der
Technischen Universität Berlin (TU) (vgl. die tageszeitung vom 30. Mai 2011,
„Wirtschaft gegen Geheimverträge“, DER TAGESSPIEGEL vom 31. Mai 2011,
„Was Firmen an Unis bestimmen dürfen“). In diesem Vertrag wurde eine For-
schungsinitiative zwischen der Deutschen Bank, der Humboldt-Universität zu
Berlin und der Technischen Universität Berlin über vier Jahre vereinbart. Die
Deutsche Bank gründete eine Forschungseinrichtung „Quantitative Products
Laboratory“ in der gemeinsame wissenschaftliche Arbeiten partnerschaftlich
mit der Humboldt-Universität zu Berlin und der Technischen Universität Berlin
durchgeführt werden sollten. Die Universitäten erhielten, neben der Infrastruk-
tur, jährlich 3 Mio. Euro zur Finanzierung von je einer Stiftungsprofessur an HU
und TU für „Angewandte Finanzmathematik“ und „Finanzmathematik“ und
weiteren Mitarbeiter- und Doktorandenstellen. Auch wenn es mittlerweile zum
Alltag gehört, dass Hochschulen und Unternehmen kooperieren, so führte dieser
Vertrag doch zu deutlicher Verunsicherung. Die Veröffentlichung des Vertrages
brachte zum Vorschein, dass der Deutschen Bank das Recht eingeräumt wurde,
bei der Berufung der Professuren mitzuentscheiden. Es wurden Mitsprache-
rechte bei der Veröffentlichung von Forschungsergebnissen vereinbart und For-
schungs- und Lehrkonzepte werden laut Vertrag zwischen den Vertragspartnern
abgestimmt. Auch Vertreter der Professorenschaft zweifeln an der Korrektheit
des Vertrages: „Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier Wissen-
schaft eingekauft werden sollte“, sagt Dr. Michael Hartmer, Geschäftsführer des
Deutschen Hochschulverbandes. Der Vertrag zwischen TU, HU und Deutscher
Bank verstoße gegen die „ehernen Grundsätze der Wissenschaftsfreiheit“ und
gehe weit über die üblichen Vereinbarungen bei Stiftungsprofessuren hinaus.
„Beim besten Willen: Das ist keine normale Drittmittelvereinbarung.“ (SPIEGEL
ONLINE, 28. Mai 2011).

Die Vereinbarungen stehen im Spannungsverhältnis mit dem grundgesetzlich
gesicherten Grundsatz der Freiheit von Forschung und Lehre. Zudem wurde
bekannt, dass eine ähnliche Kooperationsvereinbarung der Universität Bremen
mit dem Raumfahrt- und Rüstungskonzern OHB System AG die weitgehende

Streichung der so genannten Zivilklausel aus der Satzung vorsieht. Diese 1983
geschaffene Selbstverpflichtung sieht vor, dass an der Hochschule keine For-
schung zu militärischen Zwecken betrieben wird. Der Vorstandsvorsitzende der
OHB System AG Marco R. Fuchs hatte eine Zusage des Unternehmens für eine
Stiftungsprofessur unter den Vorbehalt der weitgehenden Streichung dieser
Klausel gestellt. Von der Universitätsleitung wird mit dem Argument der Unter-

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finanzierung der Universität einer Streichung der Klausel gegen den Widerstand
vieler Studierenden und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erwogen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Hat die Bundesregierung die aktuelle Berichterstattung zu dem Vertrags-
abschluss zwischen der Deutschen Bank AG und der Humboldt-Universität
zu Berlin bzw. der Technischen Universität Berlin zur Kenntnis genommen?

Welche Schlussfolgerungen zieht sie daraus?

2. Existieren nach Erkenntnissen der Bundesregierung auch an anderen Hoch-
schulen Verträge, die privaten Kooperationspartnern ähnlich weitgehende
Rechte einräumen (bitte nach Bundesländern und Hochschulen aufschlüsseln)?

3. Ist es aus Sicht der Bundesregierung mit der grundgesetzlich garantierten
Freiheit von Forschung und Lehre vereinbar, einen Vertrag zwischen einem
Unternehmen und einer staatlich finanzierten Hochschule zu schließen, der
die Abstimmung eines detaillierten Forschungs- und Lehrkonzeptes zwi-
schen den Vertragspartnern vorsieht (bitte begründen)?

4. Ist es aus Sicht der Bundesregierung mit der grundgesetzlich garantierten
Freiheit von Forschung und Lehre vereinbar, einen Vertrag zwischen einem
Unternehmen und einer staatlich finanzierten Hochschule zu schließen, der
dem Unternehmen die Mitwirkung in der oder den Berufungskommissionen
ermöglicht (bitte begründen)?

5. Ist es aus Sicht der Bundesregierung mit der grundgesetzlich garantierten
Freiheit von Forschung und Lehre vereinbar, einen Vertrag zwischen einem
Unternehmen und einer staatlich finanzierten Hochschule zu schließen, der
festlegt, dass die Besetzungen der Professuren im Einvernehmen mit dem
Unternehmen erfolgen sollen (bitte begründen)?

6. Ist es aus Sicht der Bundesregierung mit der grundgesetzlich garantieren
Freiheit von Forschung und Lehre vereinbar, einen Vertrag zwischen einem
Unternehmen und einer staatlich finanzierten Hochschule zu schließen, der
die Universität dazu auffordert, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des
Unternehmens den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Universität
gleichzustellen (bei ähnlicher Qualifikation), ihnen Lehraufträge zu geben
und sie zu Prüfungen heranzuziehen (bitte begründen)?

7. Ist es aus Sicht der Bundesregierung mit der grundgesetzlich garantierten
Freiheit von Forschung und Lehre vereinbar, einen Vertrag zwischen einem
Unternehmen und einer staatlich finanzierten Hochschule zu schließen, der
festlegt, dass die Forschungsinitiative – der die Sonderprofessuren angeglie-
dert sind – von einem Lenkungsausschuss geleitet wird, der zu gleichen
Anteilen vom Unternehmen und der Hochschule besetzt ist und mit einfacher
Mehrheit entscheidet – im Falle von Stimmengleichheit aber die Stimme des
Mitarbeiters des Unternehmens den Ausschlag gibt (bitte begründen)?

8. Ist es aus Sicht der Bundesregierung mit der grundgesetzlich garantierten
Freiheit von Forschung und Lehre vereinbar, einen Vertrag zwischen einem
Unternehmen und einer staatlich finanzierten Hochschule zu schließen, der
der Hochschule vorschreibt die Forschungsergebnisse mindestens 60 Tage
vor der Weitergabe an Dritte dem Unternehmen zur Freigabe vorzulegen
und die Freigabe nur erfolgt, sofern die Interessen des Unternehmens nicht
berührt sind (bitte begründen)?

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9. Ist es aus Sicht der Bundesregierung mit der grundgesetzlich garantierten
Freiheit von Forschung und Lehre vereinbar, einen Vertrag zwischen einem
Unternehmen und einer staatlich finanzierten Hochschule zu schließen, der
die Universität darauf festlegt, in ihren eigenen Publikationen auf die Ko-
operationen mit dem Unternehmen hinzuweisen und der dem Unternehmen
gleichzeitig gestattet, das Vertragsverhältnis zu Werbezwecken zu nutzen
(bitte begründen)?

10. Ist es aus Sicht der Bundesregierung mit der grundgesetzlich garantierten
Freiheit von Forschung und Lehre vereinbar, einen Vertrag zwischen einem
Unternehmen und einer staatlich finanzierten Hochschule zu schließen, der
es dem Unternehmen ermöglicht, Studierende an der Hochschule mit kon-
kreten Karriereangeboten anzusprechen, eine spezifischen Kontakttag pro
Jahr für die Studierenden anzubieten, Unternehmenspräsentationen und Ge-
spräche bezüglich eines Eintritts in die Deutsche Bank AG mit geeigneten
und interessierten Studierenden durchzuführen als auch Personalmarketing-
maßnahmen an der Hochschule durchzuführen, um neue Mitarbeiter an der
Hochschule zu rekrutieren (bitte begründen)?

11. Ist es aus Sicht der Bundesregierung mit der grundgesetzlich garantierten
Freiheit von Forschung und Lehre vereinbar, einen Vertrag zwischen einem
Unternehmen und einer staatlich finanzierten Hochschule zu schließen, in
dem sich die Hochschule verpflichtet, während der Vertragsdauer keine
gleichartige oder ähnliche Kooperation mit anderen Unternehmen im glei-
chen Geschäftsfeld einzugehen (bitte begründen)?

12. Wenn alle Fragen mit ja beantwortet wurden, wo sieht die Bundesregierung
unter derzeitigen Bedingungen Einflussmöglichkeiten bei Vertragsab-
schlüssen wie diesen, um die Freiheit von Forschung und Lehre an öffent-
lich finanzierten Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen zu gewähr-
leisten (bitte begründen)?

13. Welchen Handlungsbedarf sieht die Bundesregierung bezüglich ihrer Ein-
wirkungsmöglichkeiten auf die Länder, um zukünftig Vertragsabschlüsse
wie diese vermeiden zu können?

Wenn ja, bitte auflisten, wenn nein, bitte begründen?

14. Ist es aus Sicht der Bundesregierung mit der grundgesetzlich garantierten
Freiheit von Forschung und Lehre vereinbar, dass ein Unternehmen die
weitgehende Streichung der Zivilklausel zur Bedingung für eine Förderung
einer Stiftungsprofessur macht?

15. Wie bewertet die Bundesregierung die finanzielle Situation der deutschen
Hochschulen vor dem Hintergrund, dass diese Situation im vorliegenden
Fall aus Bremen das zentrale Argument für den Zwang zur Einwerbung
von Drittmitteln auch gegen satzungsmäßige Grundsätze der Universität
ist?

16. Sieht die Bundesregierung Zivilklauseln als Eingriff in die Freiheit von
Forschung und Lehre oder als Schutz dieser Freiheit vor dem Eingriff
Dritter (bitte begründen)?

17. Sieht die Bundesregierung den Ruf der deutschen Universitätslandschaft
durch einen derartigen Einfluss privater Unternehmen beschädigt (bitte be-
gründen)?

18. Wie will die Bundesregierung sicherstellen, dass Kooperationen mit Dritten
die grundgesetzliche Wissenschaftsfreiheit zukünftig nicht beeinträchtigen?

Drucksache 17/6544 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
19. Inwiefern unterstützt die Bundesregierung Vorschläge, Verträge über Ko-
operationen öffentlicher Wissenschaftseinrichtungen und Hochschulen mit
privaten Unternehmen im Namen der Transparenz grundsätzlich offenzu-
legen (bitte begründen)?

20. Wie ist die Proportion von Sonder- und Stiftungsprofessuren gegenüber
den grundständig haushaltsfinanzierten Professuren (nach Hochschulart
und Fächergruppe)?

21. Wurden nach Kenntnis der Bundesregierung die beiden Professoren der
Deutschen Bank AG befristet berufen, wie das in ähnlichen Fällen teilweise
gängige Praxis ist?

22. Welche Stiftungs- und Sonderprofessuren wurden nach Kenntnis der
Bundesregierung von privaten Unternehmen und Stiftungen unter Beteili-
gung außeruniversitärer Forschungseinrichtungen eingerichtet (bitte auf-
listen)?

23. War die Bundesregierung an Verhandlungen mit privaten Unternehmen
über die Einrichtung entsprechender Sonderprofessuren an außeruniversi-
tären Einrichtungen beteiligt?

24. Plant die Bundesregierung eine Offenlegung der entsprechenden Verträge?

Wenn nein, warum nicht?

25. Wird die Bundesregierung Maßnahmen in ihrem Einflussbereich der außer-
universitären Forschung treffen, um weitgehende Eingriffe in die Auto-
nomie der Wissenschaftseinrichtung von Seiten privater Geldgeber, wie im
vorgenannten Fall, zu verhindern (bitte begründen)?

26. Wird die Bundesregierung in ihrem Einflussbereich Maßnahmen treffen,
dass die unter Einflussnahme von Stiftern und privaten Geldgebern berufe-
nen Professorinnen und Professoren zukünftig lediglich für die Dauer der
privaten Finanzierung beschäftigt werden?

Wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 7. Juli 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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