BT-Drucksache 17/6518

Klimawandel und Migration

Vom 7. Juli 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6518
17. Wahlperiode 07. 07. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Frank Schwabe, Gerd Bollmann, Ulrich Kelber, Petra
Ernstberger, Iris Gleicke, Ute Kumpf, Thomas Oppermann, Dr. Frank-Walter
Steinmeier und der Fraktion der SPD

Klimawandel und Migration

Migration aufgrund der Folgen des globalen Klimawandels ist ein weltweit
stattfindender Prozess, der sich in Zukunft noch verstärken wird. Menschen
verlassen ihre Heimat, da die Lebens- und Umweltbedingungen aufgrund der
globalen Erderwärmung sich substantiell verschlechtert haben. Diese sozialen
Folgen des Klimawandels setzen bereits jetzt zahlreiche Staaten erheblich unter
Druck: Starke Regenfälle, Stürme und Überflutungen sowie ausbleibende Nie-
derschläge, Trinkwasserknappheit, Ernteausfälle und längere Trockenperioden
machen derzeit noch kultivierbare Lebensräume mittel- und langfristig unbe-
wohnbar. Zahlreiche Gebiete weltweit, v. a. Inseln und Küstenregionen, sind
vom globalen Klimawandel unmittelbar betroffen. Insbesondere Inselstaaten
sind in ihrer Existenz bedroht.

Die Internationale Organisation für Migration (IOM) schätzt, dass bereits bei
einem Meeresspiegelanstieg von mehr als einem Meter mehr als 360 000 Küs-
tenkilometer weltweit betroffen sind. Zirka zwei Drittel der Weltbevölkerung
leben nicht weiter als 100 Kilometer von Meeresküsten entfernt. Zudem liegen
30 der 50 größten Städte der Welt direkt an der Meeresküste. Das Internal Dis-
placement Monitoring Centre (IDMC) in Genf ermittelte 2009, dass zirka 20
Millionen Menschen aufgrund von insgesamt veränderten Umweltbedingungen
ihre Heimat zeitweilig oder dauerhaft verlassen haben. Nach Schätzungen des
Weltklimarats (IPCC = Intergovernmental Panel on Climate Change) werden
im Jahr 2050 bis zu 150 Millionen Menschen wegen der Folgen der globalen
Erderwärmung in andere Lebensräume weltweit migrieren. Experten gehen da-
von aus, dass der globale Klimawandel zu einer weltweiten Verknappung, aber
mindestens zu einer weitreichenden Verlagerung von bewohnbarem Lebens-
raum führen wird. Dies wird einschneidende Konsequenzen für die politische,
soziale und wirtschaftliche Stabilität innerhalb der betroffenen Staaten, aber
vor allem auch für die internationale Staatengemeinschaft insgesamt haben.
Dies stellt vor allem Deutschland, das sich im Rahmen der UN-Klimarahmen-
konvention zum Prinzip der gemeinsamen, aber geteilten Verantwortlichkeiten
bekennt, vor neue Herausforderungen.
Bei den Betroffenen, die wegen der Folgen des Klimawandels ihre Heimat ver-
lassen oder fliehen, handelt es sich fast immer um arme und an den Rand der
Gesellschaft gedrängte Menschen. Ein Großteil der Betroffen migriert in an-
dere Lebensräume des eigenen Staates, da ihnen die notwendigen Ressourcen
für eine grenzüberschreitende Flucht fehlen. Sie werden damit zu „Vertriebenen
im eigenen Land“, denn oft kann ihnen in den neuen Lebensräumen ebenfalls
keine ausreichende Lebensgrundlage gewährleistet werden. Andere Betroffene

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hingegen suchen neue Lebenschancen außerhalb des eigenen Staates und bewe-
gen sich über die Landesgrenzen hinweg.

Im Mai 2011 warnte der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
sicherheit, Dr. Norbert Röttgen, in „DER TAGESSPIEGEL“ vor den Folgen
des Klimawandels im Hinblick auf zu erwartende Flüchtlingsbewegungen:
„Vor denen wollen wir keine schützenden Mauern errichten, und es wird sie
auch nicht geben.“ Gleichwohl ist der rechtliche Status dieser „Klimaflücht-
linge“ bis heute ungeklärt. Eindeutige internationale Rechtsnormen für die Be-
troffenen fehlen. Gleichsam ist Migration als weitreichende, soziale Folge des
globalen Klimawandels bisher noch nicht ausreichend in Anpassungsstrategien
und Schutzinstrumente auf internationaler Ebene mit einbezogen.

Nach der Genfer Flüchtlingskonvention gilt Flucht aufgrund von Klimawandel-
folgen nicht als Asylgrund. Eine nachträgliche Änderung der Konvention
könnte nach Meinung des UN-Flüchtlingskommissariats die Gefahr bergen,
dass der etablierte Flüchtlingsbegriff und entsprechende Schutzinstrumente un-
tergraben werden. Derzeit geltende internationale Rechtsnormen bieten somit
keinen adäquaten Schutz für die Betroffenen, nicht zuletzt, weil klimabedingte
Migration in weitere sozioökonomische Ursachen wie Armut, Hunger und
Krieg um Ressourcen eingebettet ist.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welchen Stellenwert räumt die Bundesregierung dem Problem der Migra-
tion aufgrund der Folgen des globalen Klimawandels in ihrer Außen-,
Flüchtlings- und Entwicklungszusammenarbeitspolitik ein?

2. Wie viele Menschen sind und werden nach Einschätzung der Bundesregie-
rung aufgrund der klimawandelbedingten Folgen in andere Staaten emigrie-
ren und fliehen?

3. Aufgrund welcher Vorannahmen schließt sich die Bundesregierung wel-
chen Einschätzungen internationaler Organisationen und Experten an?

4. Welche Regionen und Staaten sind nach Meinung der Bundesregierung im
besonderen Maße von klimabedingter Migration betroffen?

5. Was unternimmt die Bundesregierung, um auf den Zusammenhang zwi-
schen Klimaschutz und Migration auf internationaler sowie nationaler
Ebene hinzuweisen?

6. Wie beurteilt die Bundesregierung die derzeitige Rechtslage für die Betrof-
fenen von klimabedingter Migration?

7. Wie beurteilt die Bundesregierung die bisher geltenden internationalen
Rechtsnormen und vorhandenen Schutzinstrumente hinsichtlich ihrer
Schutzwirkung für klimabedingte Migration und Flucht?

8. Inwieweit erachtet die Bundesregierung zusätzliche Protokolle oder neue
Konventionen in Ergänzung zur Genfer Flüchtlingskonvention als ausrei-
chend, um klimabedingte Migration rechtlich anzuerkennen und ihre Fol-
gen abzumildern?

9. Welche internationalen Rechtsnormen und Schutzinstrumente erachtet die
Bundesregierung als effektiv, um die Folgen klimabedingter Migration ab-
zumildern als auch Klimamigration präventiv zu verhindern?

10. Welche Kategorisierung und Definition schlägt die Bundesregierung zum
bisherigen, etablierten Flüchtlingsbegriff im Sinne der Genfer Flüchtlings-
konvention vor, um dem Umstand der klimabedingten Migration stärker

Rechnung zu tragen?

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11. Was hat die Bundesregierung im Rahmen der UNFCCC-Konferenzen
(UNFCCC = United Nations Framework Convention on Climate Change)
und in anderen internationalen Zusammenhängen bisher unternommen, um
die Rechte der von klimabedingter Migration Betroffenen festzustellen und
durchzusetzen?

12. Welche Initiativen plant die Bundesregierung in naher Zukunft, um der
Problematik der Klimamigration bei der UNFCCC-Konferenz in Durban
und der Rio+20-Konferenz stärker Rechnung zu tragen?

13. In welcher Form hat sich die Bundesregierung bisher im Rahmen der
UNFCCC-Konferenzen und ihrer Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat für
eine völkerrechtliche Regelung zum Umgang mit dem Verschwinden von
Staatsgebieten aufgrund klimawandelbedingter Ursachen eingesetzt?

14. Inwieweit setzt sich die Bundesregierung dafür ein, dass sowohl bei An-
passungsmaßnahmen als auch bei Umsiedlungen aufgrund klimawandel-
bedingter Folgen die Menschenrechte der Betroffenen gewahrt werden?

15. Wie sieht die außen- und entwicklungspolitische Zusammenarbeit der Bun-
desregierung mit betroffenen Staaten hinsichtlich klimabedingter Migra-
tion aus?

16. Welche konkreten Maßnahmen ergreift die Bundesregierung in diesen
Staaten, um das Problem klimabedingter Migration präventiv zu verhin-
dern und ihre Folge abzumildern?

17. Welche finanziellen Mittel stellt die Bundesregierung zur Verfügung, um
Anpassungsmaßnahmen an klimabedingte Migration weltweit zu ermög-
lichen?

18. Welche zukünftigen Vorhaben plant die Bundesregierung im Rahmen der
außen- und entwicklungspolitischen Zusammenarbeit, um der Problematik
der Klimamigration Rechnung zu tragen?

Was unternimmt die Bundesregierung, um die Rechte der von Klimamigra-
tion Betroffenen auf deutschem Gebiet zu klären und abzusichern?

Inwieweit plant die Bundesregierung einen Bericht zur möglichen Migra-
tion von Betroffenen nach Deutschland?

19. Wie steht die Bundesregierung zu dem Vorschlag, ein eigenes Regime zum
Schutz von Klimaflüchtlingen in Form eines Zusatzprotokolls zur Klima-
rahmenkonvention zu schaffen?

20. Wie steht die Bundesregierung zu dem Vorschlag innerhalb des UNFCCC
ein „Subregime“ für Klimaflüchtlinge zu errichten, das sich auf die ge-
meinsame, aber unterschiedliche Verantwortung von Verursacherstaaten
des Klimawandels einerseits und den Transformations- bzw. Entwicklungs-
ländern andererseits bezieht und das einen Lastenausgleich bei der Auf-
nahme und den Schutz von „Klimaflüchtlingen“ herbeiführt?

21. Wie steht die Bundesregierung zu dem wichtigsten internationalen Rah-
menwerk zum Schutz von Binnenvertriebenen, den Guiding Principles on
Internal Displacement, die explizit auf Opfer von Naturkatastrophen an-
wendbar sind?

22. Wie steht die Bundesregierung dazu, diese Leitprinzipien in nationales
Recht aufzunehmen?

23. Inwiefern ersucht die Bundesregierung gefährdete Staaten zur Aufnahme
dieser Leitprinzipien?

Drucksache 17/6518 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
24. Wie steht die Bundesregierung zu dem Vorschlag einen Weltmenschen-
rechtsgerichtshof zu errichten, der die Funktion der UN-Vertragsorgane in
Bezug auf Individualbeschwerden übernehmen könnte?

Berlin, den 6. Juli 2011

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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