BT-Drucksache 17/6499

Abkommen zum Schutz der Arktis unverzüglich auf den Weg bringen - Internationale Zusammenarbeit zum Schutz der Arktis

Vom 6. Juli 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6499
17. Wahlperiode 06. 07. 2011

Antrag
der Abgeordneten Dr. Hermann Ott, Dr. Valerie Wilms, Omid Nouripour,
Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Undine
Kurth (Quedlinburg), Nicole Maisch, Dorothea Steiner, Cornelia Behm,
Harald Ebner, Bettina Herlitzius, Dr. Anton Hofreiter, Stephan Kühn, Ingrid
Nestle, Friedrich Ostendorff, Markus Tressel, Daniela Wagner und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Abkommen zum Schutz der Arktis unverzüglich auf den Weg bringen –
Internationale Zusammenarbeit zum Schutz der Arktis

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Arktis ist eines der empfindlichsten Ökosysteme der Erde. Die Folgen des
Klimawandels sind in der Arktis verstärkt spürbar und heute schon unüberseh-
bar. So findet die Erwärmung der Arktis deutlich schneller statt als auf dem
übrigen Globus. Die Temperatur in der Arktis stieg im letzten Jahrhundert um
durchschnittlich 2 °C, während sie im globalen Mittel „lediglich“ um 0,8 °C an-
stieg. Durch die fortschreitende Erwärmung und die damit verbundene Schmelze
des Eises entstehen Zugangsmöglichkeiten zum Meeresgrund und den dort vor-
handenen Rohstoffen; seltene Erden, Gold, Zink, Kohle, Eisen und 20 bis 25 Pro-
zent der weltweit noch vorhandenen Erdöl- und Erdgasvorkommen werden dort
vermutet. Besonders die Anrainerstaaten, aber auch die EU und Deutschland be-
ginnen, das enorme Rohstoffpotenzial der Region zu erkennen. Staaten melden
bereits Ansprüche an, um sich die durch die anhaltende Eisschmelze langsam
nutzbar werdenden Rohstoffe zu sichern.

Der Wettlauf um die endlichen Ressourcen unter dem ewigen Eis ist bereits in
vollem Gange. Die Anrainerstaaten der Arktis schicken jährlich neue Expedi-
tionen ins Polarmeer, denn die Seerechtskonvention UNCLOS besagt, dass ein
Staat bis zu zehn Jahre nach der Ratifizierung der Konvention Ansprüche auf die
Neufestlegung seiner Kontinentalplatten anmelden kann. Er kann so das Recht
erlangen, über die ausschließliche Wirtschaftszone (200 Seemeilen vor der
Küste) hinaus Bodenschätze auszubeuten. Die Forschungsexpeditionen sollen
den Meeresboden vermessen und so Belege für Gebietsforderungen liefern, in-
dem sie zeigen, dass die Kontinentalplatten weiter ins Meer reichen, als bisher
angenommen. Die Festlandsockelgrenzkommission der Vereinten Nationen ent-
scheidet über die Triftigkeit der von den Staaten vorgelegten wissenschaftlichen

Argumente. Allerdings ist bisher noch völlig unklar, welcher Teil der vermute-
ten Ressourcen tatsächlich außerhalb der 200-Meilen-Zone liegt.

Die Arktis ist einer der extremsten, aber auch sensibelsten Lebensräume der
Erde. Organismen, die hier leben, sind in hohem Maße an die in der Arktis herr-
schenden Extrembedingungen angepasst. Verändern sich diese Bedingungen nun
weiter so rasant oder gar schneller als im letzten Jahrhundert, ist die Biodiversität
in der Polarregion ernsthaft gefährdet. Schon heute schrumpfen Karibuherden,

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und die für viele Meeressäuger überlebenswichtigen Eisflächen werden immer
kleiner. Die Anpassungsgeschwindigkeit und die Anpassungsfähigkeit einiger
Gänsearten können mit der Geschwindigkeit des Klimawandels schon nicht mehr
Schritt halten. Eine systematische Rohstoffausbeutung würde die Region erheb-
lich zusätzlich belasten und den einzigartigen Lebensraum Arktis vermutlich
vollends zerstören. Der zu erwartende zusätzliche Schiffsverkehr birgt weitere Ri-
siken. Insbesondere die Ablagerung von Rußpartikeln sowie das illegale Löschen
von Schiffsabfällen und Treibstoffrückständen stellen eine Gefährdung dar.

Die wichtigste Veränderung in der Arktisregion ist die dramatische Eisschmelze.
Das Sommereis 2007 bedeckte nur eine Fläche von 4 Mio. Quadratmetern,
während das Meereis im Jahr 1979 noch eine Ausdehnung von durchschnittlich
7,5 Mio. Quadratmetern erreichte. Aber nicht nur die Ausdehnung, sondern auch
die Dicke des Eises verringern sich stetig. Im April 2009 war das Eis in der
Arktis so dünn wie nie zuvor. Über 90 Prozent der Eisoberfläche sind weniger
als drei Jahre alt. Verschiedene Berechnungen (darunter vom Forschungspro-
gramm der Europäischen Kommission DAMOCLES) sagen voraus, dass die
arktische See spätestens zwischen den Jahren 2020 und 2040 im Sommer eisfrei
sein könnte. Der Verlust von Meereisfläche beschleunigt den Klimawandel
durch den Albedo-Effekt gleich doppelt. Die kleiner werdende Eisfläche kann
weniger Sonnenstrahlen in die Atmosphäre zurückreflektieren, die größer wer-
dende Wasseroberfläche dagegen absorbiert die Sonneneinstrahlung, wärmt sich
dadurch auf und beschleunigt wiederum die Eisschmelze. Die Eisfläche der
Arktis spielt aufgrund dieser Eigenschaften eine Schlüsselrolle im globalen
Kühlungssystem.

Diese Veränderungen fordern die internationale Zusammenarbeit neben der
zentralen ökologischen Frage auch in zahlreichen anderen Politikfeldern. Der
Rückgang des Eises ermöglicht neue Schifffahrtsrouten, die neuen Zugänge
zum Festland werfen sicherheitspolitische Fragen auf und Streit um die end-
lichen Ressourcen könnte Spannungen zwischen den Staaten befördern.

Deutschland ist unter anderem dank seiner traditionsreichen und renommierten
Forschungsstation des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung
in Spitzbergen beobachtendes Mitglied des Arktischen Rates, wo viele der oben
genannten Fragen behandelt werden. Die Bundesregierung hat damit die Mög-
lichkeit, aktiv an der Ausgestaltung der Arktispolitik mitzuwirken.

Aus dieser Tradition hat Deutschland die Verantwortung, seine Arktispolitik
nicht von Handels- und Ressourceninteressen leiten zu lassen, sondern den
ernsthaften Umwelt- und Klimaschutz in den Mittelpunkt zu stellen. Das setzt
einen effektiven Rahmen internationaler Zusammenarbeit voraus, am besten in
Form eines Arktisvertrags, mindestens aber durch die Intensivierung der Zu-
sammenarbeit in den bestehenden Gremien. Beim Schutz und der Nutzung end-
licher Ressourcen in der Arktis spielen insbesondere auch indigene Bevölke-
rungsgruppen eine wichtige Rolle. Die Wahrung ihrer Rechte und ihre intensive
Beteiligung müssen zentraler Bestandteil der Arktispolitik sein. Angesichts der
rapide fortschreitenden Erwärmung der Arktis und vielfältiger zusätzlicher
Nutzungsansprüche muss bezweifelt werden, dass die bereits vorhandenen Ver-
einbarungen und Institutionen für den Schutz der Arktis ausreichend sind.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. dem Schutz der Arktis hohe Priorität einzuräumen und ihn über die wirt-
schaftlichen Interessen ob der in der Arktis gelegenen Rohstoffvorkommen
zu stellen;

2. auf multilateraler Ebene neue Initiativen zu ergreifen und sich konsequent
für die Durchsetzung bereits gefasster Entschlüsse zum Schutz der Arktis

einzusetzen und dabei auf die Akteure, die ein besonders großes Interesse an
den Rohstoffvorkommen der Arktis haben, aktiv zuzugehen;

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3. sich auf internationaler Ebene dafür einzusetzen, einen dem Antarktisver-
trag aus dem Jahr 1959 vergleichbareren Arktisvertrag auszuhandeln, um
die wirtschaftliche Ausbeutung und die damit einhergehende Verschmut-
zung des arktischen Meeres durch die Anrainerstaaten zu verhindern;

4. sich unabhängig davon im Rahmen der internationalen Schifffahrtsorgani-
sation (IMO) für einen anspruchsvollen „Polar Code“ zu verwenden, der
Bestandteil eines solchen Arktisschutzvertrages werden kann;

5. das ILO-Übereinkommen 169 (ILO = International Labour Organization)
über die Rechte indigener Völker umgehend zu ratifizieren;

6. sich zusätzlich verstärkt in die Beratungen des Arktischen Rats einzubrin-
gen und für die Stärkung seiner Kompetenzen einzutreten mit dem Ziel,
eine Organisation zu entwickeln, die für strittige Fragen der internationalen
Zusammenarbeit im arktischen Raum Schlichtungs- und Regulierungs-
kompetenzen hat;

7. in diesem Prozess für den Erhalt und den Ausbau der Stimme indigener
Völker im Arktischen Rat einzutreten;

8. im Rahmen der EU auf einen sicherheitspolitischen Dialog mit den anderen
Arktisanrainern hinzuwirken, der die strittigen neuen Sicherheitsfragen der
arktischen Region klären kann und somit einer Aufrüstung in der Region
entgegenwirkt;

9. aktiv für einen Beitritt der USA zum UNCLOS (United Nations Conven-
tion On The Law Of The Sea) zu werben;

10. im Rahmen der Europäischen Union für eine einheitliche Position zum
Schutz der Arktis zu entwickeln und diese über die europäischen Mit-
gliedsländer im Arktischen Rat zu vertreten;

11. sich dafür einzusetzen, den internationalen Seegerichtshof und die UN-
Meeresbodenbehörde (ISA) zu stärken und diesen Institutionen die Mög-
lichkeit einzuräumen, gegen geplante Vorhaben vorzugehen und insbeson-
dere bergbauliche Aktivitäten zu untersagen;

12. sich dafür einzusetzen, dass die kommerzielle Schifffahrt in der Arktis-
region auf ein ökologisch verträgliches Maß beschränkt wird und mögliche
neue Routen durch die Arktis als ein erster notwendiger Schritt in die
Emissions-Überwachungsgebiete einbezogen werden;

13. sich zum Schutz der Arktis zu einem ambitionierten Vorreiter beim Klima-
schutz zu machen und sich in diesem Zusammenhang intensiv für den
internationalen Klimaschutz einzusetzen, denn der Schutz der Arktis ist
unerlässlich zum Erhalt der wichtigen 2-Grad-Marke;

14. sich für ein internationales Moratorium zur Förderung fossiler (Erdöl, Erd-
gas, Methanhydrat, Kohle) und nuklearer Rohstoffe einzusetzen, um sowohl
lokale und regionale Umweltverschmutzungen als auch weitere CO2- und
Methanemissionen zu vermeiden, bis ein Abkommen zum Schutz der Arktis
endgültig geschlossen wurde;

15. die deutsche Polarforschung als wichtiges Engagement für den Schutz des
Ökosystems und als Zeichen des deutschen Engagements für die Arktis zu
stärken.

Berlin, den 5. Juli 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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