BT-Drucksache 17/6457

Wirtschaftsmacht Handwerk - Kein Wachstum in Deutschland ohne das Handwerk

Vom 6. Juli 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6457
17. Wahlperiode 06. 07. 2011

Antrag
der Abgeordneten Dr. Joachim Pfeiffer, Lena Strothmann, Peter Altmaier,
Peter Aumer, Thomas Bareiß, Veronika Bellmann, Klaus Brähmig, Cajus Caesar,
Marie-Luise Dött, Ingrid Fischbach, Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land),
Erich G. Fritz, Dr. Michael Fuchs, Dr. Matthias Heider, Ernst Hinsken,
Robert Hochbaum, Dieter Jasper, Andreas Jung (Konstanz), Jürgen Klimke,
Jens Koeppen, Andreas G. Lämmel, Ulrich Lange, Dr. h. c. Hans Michelbach,
Dr. Mathias Middelberg, Stefan Müller (Erlangen), Michaela Noll, Dr. Georg Nüßlein,
Franz Obermeier, Rita Pawelski, Ulrich Petzold, Eckhardt Rehberg, Dr. Heinz
Riesenhuber, Albert Rupprecht (Weiden), Anita Schäfer (Saalstadt), Nadine Schön
(St. Wendel), Dr. Frank Steffel, Kai Wegner, Volker Kauder, Gerda Hasselfeldt und
der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Paul K. Friedhoff, Claudia Bögel, Dr. Erik Schweickert,
Klaus Breil, Rainer Erdel, Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-Michael Goldmann,
Dr. Christel Happach-Kasan, Dr. Martin Lindner (Berlin), Christian Lindner,
Dr. Hermann Otto Solms, Rainer Brüderle und der Fraktion der FDP

Wirtschaftsmacht Handwerk – Kein Wachstum in Deutschland ohne das Handwerk

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Einer der facettenreichsten Wirtschaftszweige und ein Kernstück der deutschen
Wirtschaft ist das Handwerk. In über 140 Berufen sind technisches Verständnis,
Kreativität und Flexibilität gefragt und in über 100 Ausbildungsberufen werden
junge Menschen ausgebildet und auf ihr Berufsleben vorbereitet. Die Anfor-
derungen werden jedoch auch im Handwerk immer höher, insbesondere im
technisch-elektronischen Bereich. Die Vielzahl der neuen modernen Berufe in
den letzten Jahren im Handwerk zeugen davon. Gerade mit dem Handwerk hat
das duale Ausbildungssystem in Deutschland ein starkes Fundament, um das
uns unsere europäischen Nachbarn beneiden. Bei jungen Menschen ist die
Attraktivität des Handwerks durch die stabile Ausbildungsquote belegt. Umge-
kehrt zeigt diese Quote die Verantwortung der Unternehmer und Unternehme-
rinnen für die junge Generation und ihre Weitsicht hinsichtlich der Fachkräfte-
sicherung im eigenen Betrieb. Dazu gehört auch die Notwendigkeit, in der
Zukunft verstärkt das Potenzial der Frauen zu nutzen, sowohl als selbständige

Unternehmerinnen, als Führungskräfte in einem Betrieb und auch grundsätzlich
den Mädchen und Frauen die Perspektiven für einen handwerklichen Beruf zu
eröffnen. Das Handwerk nutzt bereits erfolgreich das Potenzial der Menschen
mit Migrationshintergrund. Es setzt auf Vielfalt und will auch in Zukunft die
Chancen der dualen Ausbildung und der Beschäftigung im Handwerk für die-
sen Personenkreis bekannter machen.

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Das Unternehmertum im Handwerk hat Zukunft, denn Innovationsfreude, regio-
nale Verbundenheit und unmittelbare Nähe zum Kunden sind hier gegeben.
Unverzichtbar sind jedoch Leistungsbereitschaft und überzeugende Qualität.
Die beruflichen Perspektiven und Karrieremöglichkeiten sind im Handwerk
ebenso vielfältig wie in anderen Wirtschaftszweigen, zumal attraktive berufliche
Weiterbildungsangebote bestehen und auch eine Verknüpfung mit akade-
mischen Studiengängen möglich ist.

Die qualitativ hochwertige berufliche Bildung in handwerklichen Ausbildungs-
berufen ist ein Qualitätsmerkmal für die deutsche Wirtschaft; der Meisterbrief
ist dabei ein Ausweis hoher Qualität.

Das Handwerk hat etliche Wirtschaftskrisen überstanden, darunter langjährige,
tiefgreifende und sogar strukturverändernde Krisen, wie z. B. im Baugewerbe
ab Mitte der 90er-Jahre, als fast 700 000 Arbeitsplätze innerhalb eines Jahr-
zehnts verloren gingen. Die Wirtschaftskrise infolge der Finanzkrise von 2008
gilt in Deutschland als überwunden. Dies gilt auch für den Wirtschaftszweig
Handwerk und dennoch gibt es trotz der verbesserten wirtschaftlichen Lage
noch genügend Herausforderungen.

So müssen sich kleine und mittlere Betriebe mit vorwiegend regionaler Ver-
wurzelung weiterhin mit europäischen Mitbewerbern auseinandersetzen und
sich auf dem Markt neu positionieren und behaupten. In diesem Zusammen-
hang sollten die Vereinbarungen zu Basel III zur Eigenkapitalausstattung von
Kreditinstituten sich auf die Finanzierungsmöglichkeiten kleiner und mittlerer
Betriebe nicht unangemessen auswirken oder die Kreditversorgung beeinträch-
tigen.

Insbesondere die sichere Energieversorgung ist im Handwerk ein wichtiges
Thema. Nicht nur die energieintensive produzierende Industrie wird durch die
eventuelle Verteuerung der Energie belastet, auch das energieintensive Hand-
werk und kleine Handwerksbetriebe können den steigenden Kostendruck nicht
ohne weiteres ausgleichen. Auch andere Kostenfaktoren wie beispielsweise die
Rohstoffpreise spielen im Handwerk eine immer wichtigere Rolle.

Vorbildlich hat das Handwerk gesellschaftliche Fragen aufgegriffen und dabei
auch neue Tätigkeitsfelder und Marktchancen erschlossen, sei es im Klima-
schutz oder im Energiesparbereich durch Engagement bei Gebäudesanierungen.
Auch allgemein im Bereich der erneuerbaren Energien, z. B. durch den Bau von
Windparks oder im Bereich der Elektromobilität, sind diese zukunftsträchtigen
Märkte ohne das Handwerk nicht denkbar. Im unmittelbaren Lebensumfeld vie-
ler Menschen sind neue Tätigkeitsfelder für das Handwerk im Kontext des
demografischen Wandels, z. B. durch den Bau seniorengerechter Wohnungen,
nicht mehr wegzudenken.

Der demografische Wandel wird sich andererseits auch auf die Fachkräftesiche-
rung im Handwerk auswirken, da die Anzahl qualifizierter Jugendlicher zu-
künftig sinken wird und in der Folge somit weniger Fachkräfte für die Betriebe
zur Verfügung stehen werden. Innovationen und Wachstum im Wirtschafts-
zweig Handwerk sind nur möglich, wenn es ausreichend Fach- und Führungs-
kräfte gibt.

Im Handwerk arbeiten in 988 000 Betrieben ca. 4,73 Millionen Menschen und
fast 440 000 Lehrlinge. Somit sind 11,7 Prozent der Erwerbstätigen und
29,3 Prozent aller Auszubildenden in Deutschland im Handwerk tätig. Sie er-
wirtschafteten 2010 einen Umsatz von rund 492 Mrd. Euro. Für dieses Jahr
rechnet das Handwerk mit einem Wachstum von gut 3 Prozent. Die Zahl der
Arbeitsplätze im Handwerk wird voraussichtlich um 25 000 zunehmen. Der
Motor für Wachstum, Beschäftigung und Ausbildung in Deutschland wird

somit auch durch das Handwerk mit angetrieben.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/6457

Die Betriebsübergaben infolge eines betriebsinternen Führungswechsels und
auch Existenzgründungen mit tragfähigen Konzepten spielen eine Schlüssel-
rolle für die Zukunftsfähigkeit des Handwerks in Deutschland. Betriebswirt-
schaftliche Kenntnisse, Marketing und Kundenbindung sind Felder, in denen
sich moderne Unternehmer und Unternehmerinnen des Handwerks auskennen
müssen, wenn sie im regionalen oder auch europäischen Wettbewerb bestehen
möchten.

Die Bereitschaft zur Unternehmensgründung bzw. -übernahme, die Begeiste-
rung für das Unternehmertum im Handwerk und die entsprechenden Bera-
tungsmöglichkeiten müssen weiterhin unterstützt werden. Die Bereitschaft,
Jugendliche auszubilden und Beschäftigte einzustellen, muss durch Entbüro-
kratisierung, steuerliche Entlastungen und Fördermöglichkeiten erhalten bzw.
gesteigert werden.

II. Der Deutsche Bundestag begrüßt

die Aktivitäten und Maßnahmen der Bundesregierung zur Stärkung des Hand-
werks, darunter

– die im Rahmen der internationalen Wirtschafts- und Finanzkrise zur Stabili-
sierung der Wirtschaft verabschiedeten Konjunkturpakete I und II, insbeson-
dere mit der herausragenden Wirkung auf den Baubereich durch das kom-
munale Investitionsprogramm;

– die mit dem Konjunkturpaket I erfolgte Verdopplung der Steuerermäßigung
für Bürger, die Handwerkerleistungen nach § 35a des Einkommensteuerge-
setzes (EStG) in Anspruch nehmen;

– die mit dem Konjunkturpaket I erfolgte Aufstockung der Fördermittel für
das CO2-Gebäudesanierungsprogramm;

– die Neuregelungen zur Erbschafts- und Unternehmensteuer;

– die Förderung der Maßnahmen der Berufsorientierung von Jugendlichen,
insbesondere das Programm zur Berufsorientierung in überbetrieblichen und
vergleichbaren Berufsbildungsstätten (BOP), welches die Erprobung von
Handwerksberufen ermöglicht;

– die Maßnahmen des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes;

– die geplanten Vereinfachungen laut Steuervereinfachungsgesetz.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, im Rahmen der
bestehenden Haushaltsmittel

1. die Steuerermäßigung für haushaltsnahe Dienstleistungen und Handwerker-
leistungen nach § 35a EStG auf Basis der Untersuchung des Bundesrech-
nungshofs zur Wirksamkeit als Instrument gegen die Schwarzarbeit zu
evaluieren;

2. im Rahmen der Fortentwicklung des Energiekonzepts zu prüfen, wie die
wirtschaftliche und im Sinne der energetischen Einsparung anspruchsvolle
Gebäudesanierung vorangetrieben werden kann (einschließlich der im
Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP vereinbarten Mietrechts-
änderung) und wie ferner unangemessene Belastungen für energieintensive
Betriebe vermieden werden können;

3. das Vergaberecht auch nach Prüfung des von der EU-Kommission vorgeleg-
ten Grünbuches so weiterzuentwickeln, dass sich auch kleinere Handwerks-
betriebe an den Ausschreibungen mit Erfolgsaussichten beteiligen können

und im Vergabeverfahren durchgängig Rechtsschutz haben;

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4. zu prüfen, ob die einheitliche Umsatzgrenze bei der Ist-Besteuerung von
über 500 000 Euro möglichst über 2011 hinaus beibehalten werden kann;

5. entsprechend den Festlegungen im Koalitionsvertrag sobald wie möglich
Gesetzentwürfe vorzulegen, um kleine und mittlere Einkommen stärker zu
entlasten und den sog. Mittelstandsbauch weiter abzubauen;

6. nach Möglichkeit Elemente zu vermeiden, welche die Substanz von Betrie-
ben besteuern;

7. bestehende Förderprogramme für kleine und mittlere Unternehmen sind
nach dem Vorbild des Zentralen Innovationsprogramms Mittelstand (ZIM)
ggf. zu straffen und transparenter zu gestalten. Außerdem soll geprüft wer-
den, sie deutlicher an die Bedürfnisse des Handwerks anzupassen und stär-
ker auf die Existenzgründungen und die Unternehmensnachfolge zu fokus-
sieren;

8. Mädchen und Frauen bei der Entscheidung zu technischen und elektro-
nischen Handwerksberufen zu unterstützen sowie

9. Unternehmerinnen im Handwerk bei der Existenzgründung und bei Be-
triebsübernahmen durch gezieltere Ansprache zu fördern.

Berlin, den 6. Juli 2011

Volker Kauder, Gerda Hasselfeldt und Fraktion
Rainer Brüderle und Fraktion

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