BT-Drucksache 17/6454

Arbeitsmarktpolitik an den Herausforderungen der Zeit orientieren - Weichen für gute Arbeit, Vollbeschäftigung und Fachkräftesicherung stellen

Vom 5. Juli 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6454
17. Wahlperiode 05. 07. 2011

Antrag
der Abgeordneten Katja Mast, Gabriele Lösekrug-Möller, Anette Kramme,
Bernhard Brinkmann (Hildesheim), Petra Crone, Petra Ernstberger, Iris Gleicke,
Hubertus Heil (Peine), Gabriele Hiller-Ohm, Petra Hinz (Essen), Josip Juratovic,
Angelika Krüger-Leißner, Ute Kumpf, Thomas Oppermann, Anton Schaaf,
Silvia Schmidt (Eisleben), Ottmar Schreiner, Dr. Frank-Walter Steinmeier und
der Fraktion der SPD

Arbeitsmarktpolitik an den Herausforderungen der Zeit orientieren –
Weichen für gute Arbeit, Vollbeschäftigung und Fachkräftesicherung stellen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Fairness muss der Dreh- und Angelpunkt echter Reformen am Arbeitsmarkt
sein. Fairness ist der Schlüssel für gute Arbeit. Wir brauchen eine neue Ordnung
auf dem Arbeitsmarkt. Trotz des wirtschaftlichen Aufschwungs, der derzeit
nach der schweren Krise der letzten Jahre ordentlich in Fahrt kommt, ist Fairness
auf dem Arbeitsmarkt noch lange nicht erreicht. Insbesondere jungen Men-
schen, Frauen, Migrantinnen und Migranten und Langzeitarbeitslosen wird der
Zugang zu Arbeit und Beschäftigung oftmals erschwert. Besondere Unterstüt-
zung benötigen auch junge Menschen, deren Lese- und Schreibkenntnisse
grundlegende Lücken aufweisen. Statt die finanziellen Mittel zu kürzen und den
arbeitsmarktpolitischen Instrumentenkasten zusammenzustreichen, brauchen
wir gerade jetzt eine Arbeitsmarktpolitik, die Chancen eröffnet und damit Teil-
habe am gesellschaftlichen Leben für alle ermöglicht. Nur so können wir den
Fachkräftebedarf der Zukunft sichern und das Ziel der Vollbeschäftigung in
Deutschland erreichen.

a) Gesetzentwurf der Bundesregierung wird den Herausforderungen auf dem
Arbeitsmarkt nicht gerecht

Der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf eines „Gesetzes zur Verbesse-
rung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt“ (Bundestagsdrucksache 17/
6277) erfüllt die Voraussetzungen für notwendige Reformen am Arbeitsmarkt
nicht. Insbesondere bietet er keine erfolgversprechende Ausgestaltung des
arbeitsmarktpolitischen Instrumentariums, sondern schränkt die Strategie des
Förderns in der Arbeitsmarktpolitik massiv ein.
Versprochen wird eine effektivere und effizientere Arbeitsmarktpolitik durch
mehr Entscheidungsfreiheit vor Ort. Praktisch bedeutet das: Die Rechtsansprü-
che der Arbeitslosengeld-I-Berechtigten z. B. auf Existenzgründungszuschuss
werden von Pflicht- in Ermessensleistungen umgewandelt. Da gleichzeitig der
Bundesagentur für Arbeit die finanzielle Basis entzogen wird, werden be-
stimmte Förderleistungen mangels Geld nicht gewährt werden können. Statt
echtem Ermessen wird es häufig ein kategorisches Nein geben.

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Auch Forderungen nach mehr Wirkungsorientierung, Bürokratieabbau, Flexibi-
lität oder Stärkung dezentraler Handlungskompetenz sind nur das Etikett, hinter
dem sich die Umsetzung von unsozialen Sparbeschlüssen der Bundesregierung
verbirgt. Handlungsleitend ist der Rotstift. Der Gesetzentwurf hat nicht verbes-
serte Eingliederungschancen in Ausbildung und Arbeit zum Ziel, sondern die
Anpassung und Steuerung der Arbeitsmarktinstrumente nach Kassenlage.

Die Bundesregierung verteidigt die Kürzung der Mittel für aktive Arbeitsmarkt-
politik, die insbesondere die steuerfinanzierten Leistungen für Arbeitslosen-
geld II betreffen, mit dem Verweis auf die sinkende Zahl der Arbeitslosen. Doch
der Aufschwung am Arbeitsmarkt geht größtenteils an Langzeitarbeitslosen und
benachteiligten Gruppen vorbei. Deshalb sind bei sinkender Arbeitslosigkeit
höhere Pro-Kopf-Aufwendungen für eine erfolgreiche Integration in den Ar-
beitsmarkt nötig. Nicht weniger, sondern zielgerichtete Arbeitsmarktpolitik
muss der Anspruch sein. Gerade jetzt besteht die Chance, auch jene in Beschäf-
tigung zu bringen, die am Rand stehen. Hierzu gehört auch, die Betreuung
Arbeitsloser zu verbessern, denn je besser sich Vermittler um die Einzelnen
kümmern können, desto schneller kommen sie wieder in Beschäftigung.

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung wird darüber hinaus auch den künfti-
gen Herausforderungen nicht gerecht. Gerade für Personen mit besonderen Ver-
mittlungsschwierigkeiten wie Geringqualifizierte, Migrantinnen und Migranten,
Frauen und Ältere fehlt es an spezifischen Förderansätzen.

Die Gefahren eines gespaltenen Arbeitsmarktes werden weder erkannt noch
angegangen. Der deutsche Arbeitsmarkt wird künftig mehr als heute ein Fach-
kräftearbeitsmarkt sein. Der Strukturwandel und der globale Wettbewerb
machen lebensbegleitendes Lernen immer wichtiger. Kein Talent darf verloren
gehen. Deshalb brauchen wir in Deutschland nachhaltige Qualifizierungs- und
Weiterbildungsinitiativen und eine kluge Verknüpfung von Arbeitsmarkt- und
Bildungspolitik. Stattdessen schaut die Bundesregierung zu, wenn sich Jahr für
Jahr Jugendliche vergeblich auf einen Ausbildungsplatz bewerben und als soge-
nannte Altbewerberinnen und Altbewerber in Warteschleifen verharren.

Auch bei der Integration von Langzeitarbeitslosen in Beschäftigung lässt die Re-
gierung Tatkraft vermissen. Durch das Streichen der Arbeitsbeschaffungsmaß-
nahmen (ABM), der Arbeitsgelegenheit in der Entgeltvariante und die massive
Verschlechterung der Förderkonditionen für das Instrument JobPerspektive (Be-
schäftigungszuschuss) werden die Perspektiven für Menschen, die am Rande
des Arbeitsmarktes stehen, statt verbessert verschlechtert. Gerade hier jedoch
bescheinigen die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) in ihrem Bericht
„Deutschland, ein beschäftigungsorientierter Ansatz“ sowie die Bertelsmann
Stiftung in ihrem Papier „Soziale Gerechtigkeit in der OECD – Wo steht
Deutschland?“ dringenden Handlungsbedarf (OECD = Organisation für wirt-
schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung). Deutschland weise eine der
höchsten Raten von Langzeitarbeitslosen unter den Industrieländern auf. Beun-
ruhigend ist auch, dass Deutschland entgegen einer weit verbreiteten Einschät-
zung insbesondere bei der Jugendarbeitslosigkeit in einem Vergleich der OECD
schlecht dasteht. So sind Jugendliche im Alter von 20 bis 24 Jahren und junge
Erwachsene im Alter von 25 bis 29 Jahren mit einer Arbeitslosenquote von
14 beziehungsweise 17 Prozent stark von Arbeitslosigkeit betroffen (Studie „Er-
werbstätigkeit im Lebenszyklus“ der Bertelsmann Stiftung).

Auch wird der Gesetzentwurf in anderer Hinsicht den eigenen Ansprüchen nicht
gerecht. Den Ergebnissen der wissenschaftlichen Bewertung der arbeitsmarkt-
politischen Instrumente beispielsweise durch das Institut für Arbeitsmarkt und
Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit wird kaum gefolgt. Es ist
nicht nachvollziehbar, dass ein erfolgreiches Instrument wie der Existenzgrün-

dungszuschuss, der den Weg aus der Arbeitslosigkeit in eine selbständige
Existenz ermöglichen soll, massiv beschnitten wird. Umgekehrt weisen die For-

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schungsergebnisse zum Vermittlungsgutschein auf Probleme mit diesem Instru-
ment hin. Trotzdem bleibt er im Unterschied zum Existenzgründungszuschuss
eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht. Hinzu kommt, dass die ein-
zelnen Arbeitsmarktinstrumente fast ausschließlich danach beurteilt werden, ob
eine unmittelbare Integration in Arbeit gelingt. Andere Zieldimensionen, wie die
soziale Stabilisierung des Arbeitsuchenden oder die Erzielung von Integrations-
fortschritten, bleiben außen vor.

Arbeitsmarktpolitische Instrumente müssen auf die individuelle Situation zu-
geschnitten sein und brauchen Zeit, um zu wirken. Genau diese Zeit will die
Bundesregierung nicht gewähren. Damit macht die Bundesregierung mit ihrem
Gesetzentwurf Möglichkeiten einer chancenorientierten Arbeitsmarktpolitik
von vornherein zunichte.

b) Zielgerichtete Arbeitsmarktpolitik verhindert die Prekarisierung von Be-
schäftigung, stellt Bildung in den Mittelpunkt und eröffnet neue Chancen für
Langzeitarbeitslose

Die Spaltung des Arbeitsmarktes mit Langzeitarbeitslosigkeit einerseits und
fehlenden Fachkräften andererseits muss verhindert werden. Eine Strategie der
Vollbeschäftigung muss das Fördern in den Mittelpunkt stellen und darf nicht
auf das Fordern reduziert werden.

Eine leistungsfähige Arbeitsvermittlung ist eine öffentliche Pflichtaufgabe, die
dazu beiträgt, einen hohen Beschäftigungsstand in guter Arbeit zu erreichen.
Der Erfolg der Arbeitsmarktpolitik kann und darf nicht nur an der schnellen und
unmittelbaren Integration in irgendeine Arbeit oder Beschäftigung gemessen
werden. Vielmehr müssen die Herausforderungen des demographischen Wan-
dels angenommen werden. Hierzu gehört, dass die Arbeitsmarktpolitik stärker
auf die Bedürfnisse von gesundheitlich eingeschränkten Arbeitsuchenden ein-
geht.

Es ist die Aufgabe der Arbeitsförderung und der Arbeitsvermittlung, Menschen
darin zu unterstützen, einer qualifizierten und existenzsichernden Erwerbsarbeit
nachgehen zu können und Arbeitslosigkeit zu verkürzen oder zu verhindern. Die
Forderung, Gestaltungsmöglichkeiten vor Ort durch im Einzelfall flexibel aus-
gestaltbare Instrumente Rechnung zu tragen, um passgerecht auf den spezifi-
schen Einzelfall eingehen zu können, ist die eine Seite der Medaille. Die andere
Seite der Medaille ist, Rechtssicherheit für Anwender und Arbeitsuchende her-
zustellen. Arbeitsmarktpolitik muss verlässlich sein. Rechtsansprüche entspre-
chen der Beitragsfinanzierung. Auf die besondere Bedeutung des Förderinstru-
mentariums weist auch das IAB in seinem aktuellen Kurzbericht 14/2011 hin.

Notwendig ist eine Arbeitsmarktpolitik, die Bildung und berufliche Qualifizie-
rung in den Mittelpunkt rückt. Erforderlich ist eine Kultur der „2. Chance“ und
des sozialen Aufstiegs. Damit kommt auf die Arbeitsmarktpolitik mittel- und
langfristig eine neue Aufgabe zu: Sie wird stärker vorsorgend aktiv werden und
Bildung im Berufsverlauf mit organisieren. Hierzu ist es notwendig, langfristig
auch die Finanzierungsbasis zu erweitern – dort, wo gesellschaftlich notwendige
Aufgaben wahrgenommen werden, sollte es auch langfristig zur Steuerfinanzie-
rung kommen. Nur so kann die Arbeitslosenversicherung zur Arbeitsversiche-
rung weiterentwickelt werden. Aber schon heute gilt, jeder Euro der in vorsor-
gende Arbeitsmarktpolitik investiert wird, wird später um ein Vielfaches
eingespart, da Arbeitslosigkeit vermieden wird.

Laut der von der Prognos AG durchgeführten Studie „Arbeitslandschaft 2030 –
Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrise“ könnte durch eine höhere Bil-
dungsbeteiligung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern die Fachkräfte-
lücke um 1,4 Millionen reduziert werden. Qualifizierung darf deshalb nicht nur

am Anfang des Berufslebens stehen, sie muss künftig stärker während des ge-

Drucksache 17/6454 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

samten Erwerbslebens erfolgen. Unterbrochene Erwerbsverläufe nehmen zu,
immer häufiger müssen Schwierigkeiten beim Übergang zwischen verschiede-
nen Lebensphasen und Erwerbsformen (Ausbildung, Familie, Arbeitslosigkeit,
Selbständigkeit) bewältigt werden. Deshalb muss es Ziel einer zukunftsweisen-
den Arbeitsmarktpolitik sein, den Erhalt und die Erweiterung der individuellen
Beschäftigungsfähigkeit besser zu fördern.

Unverzichtbar ist überdies ein leistungsfähiger, öffentlich geförderter Arbeits-
markt beziehungsweise sozialer Arbeitsmarkt. Dieser eröffnet insbesondere
Langzeitarbeitslosen mit mehrfachen Vermittlungshemmnissen eine neue Pers-
pektive auf Beschäftigung, die sie ohne Förderung nicht hätten. Die Integration
von Langzeitarbeitslosen in den regulären Arbeitsmarkt mit einem individuellen
Zuschuss, der sich an der Leistungsfähigkeit orientiert, ist dabei ein richtiger
Ansatz. Zentrale Bedeutung hat die Konzentration auf eine eng definierte Ziel-
gruppe. Die öffentlich geförderte Beschäftigung dient nicht nur dem Ziel, die
Beschäftigungsfähigkeit der Menschen zu erhalten beziehungsweise wieder her-
zustellen. Sie dient auch der Integration und ermöglicht die Teilhabe am Arbeits-
und Sozialleben.

Es geht darum, gute Arbeitsplätze zu schaffen und Menschen ein auskömm-
liches Einkommen zu ermöglichen. In seiner Untersuchung „Fünf Jahre SGB II:
Eine IAB-Bilanz“ (SGB II = Zweites Buch Sozialgesetzbuch) beschreibt das
IAB die Problematik deutlich. Demnach gibt es einen Sockel an Langzeitarbeits-
losen, die den Ausstieg aus der Hilfebedürftigkeit nicht schaffen. Von den Be-
darfsgemeinschaften, die im Januar 2005 Arbeitslosengeld II bezogen, waren
drei Jahre später immer noch 45 Prozent auf Arbeitslosengeld II angewiesen.
Bei einem Drittel der Langzeitarbeitslosen liegt die letzte sozialversicherungs-
pflichtige Beschäftigung sechs oder mehr Jahre zurück. Viele haben gesundheit-
liche Beschwerden. Hier muss Arbeitsmarktpolitik, die neue Perspektiven er-
öffnen und Chancen schaffen soll, ansetzen.

Schließlich muss die Arbeitsmarktpolitik ausreichend und dauerhaft mit finan-
ziellen Mitteln ausgestattet werden, damit sie den an sie gerichteten Ansprüchen
gerecht werden kann.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

nach Maßgabe der nachfolgenden Anforderungen anstelle des Entwurfs eines
„Gesetzes zur Leistungssteigerung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente“
zeitnah einen neuen Gesetzentwurf vorzulegen und entsprechende Initiativen zu
starten:

1. Ausbildung, Bildung, Qualifizierung und lebensbegleitendes Lernen zur
Deckung des Fachkräftebedarfs und zur Schaffung von neuen Chancen auf
dem Arbeitsmarkt fördern;

2. öffentlich geförderte Beschäftigung ausbauen: Perspektiven für Langzeit-
arbeitslose ohne Chance auf ungeförderte Beschäftigung;

3. besondere Angebote für Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund,
Ältere, Jugendliche, Menschen mit Behinderung und solche, die gesundheit-
lich eingeschränkt sind, unterbreiten;

4. Rechtsansprüche von Arbeitsuchenden insbesondere auf Förderung von Bil-
dung und Weiterbildung und Verbesserung der Voraussetzung für mehr Inno-
vation in der Arbeitsmarktpolitik stärken;

5. einen guten Förderrahmen für eine zielgerichtete Arbeitsmarktpolitik schaf-
fen;
6. gute Arbeit fördern, Arbeitgeberzuschüsse auf neue Basis stellen;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/6454

7. Verfahren zur wissenschaftlichen Bewertung des arbeitsmarktpolitischen In-
strumentariums verbessern.

Zu Nummer 1

Ausbildung, Bildung, Qualifizierung und lebensbegleitendes Lernen zur
Deckung des Fachkräftebedarfs und zur Schaffung von neuen Chancen auf dem
Arbeitsmarkt fördern

● Die Arbeitslosenversicherung wird perspektivisch zu einer Arbeitsversiche-
rung entwickelt. Eine solche Arbeitsversicherung, die neben Arbeitnehme-
rinnen und Arbeitnehmern beispielsweise auch Solo-Selbständige einbe-
zieht, dient der Sicherung der Beschäftigungsfähigkeit und begründet ein
Recht auf Bildung und Weiterbildung. Als erster Schritt ist hierfür ein Recht
auf eine umfassende Bildungsberatung durch die Agentur für Arbeit zu rea-
lisieren.

● Ergänzend zu den nachfolgend aufgeführten Regelungen konzipiert die Bun-
desregierung ein Programm „2. Chance“ für Jugendliche und legt dieses dem
Deutschen Bundestag bis 31. Dezember 2011 vor. Es soll dadurch jedem
Jugendlichen der Einstieg in den Aufstieg ermöglicht werden. Kein junger
Mensch soll ohne Ausbildung ins Erwerbsleben gehen. Zielgruppe sind die
1,5 Millionen jungen Menschen zwischen 20 und 29 Jahren ohne Schul- und
Berufsabschluss. Zentraler Baustein des Programms ist ein Rechtsanspruch
auf Ausbildung. Zusätzlich enthält das Programm konkrete Vorschläge, die
sicherstellen sollen, dass junge Menschen nicht in Warteschleifen ohne Per-
spektive hängen bleiben.

● § 3 Absatz 2 SGB II wird geändert: Jugendliche ohne Ausbildung werden
vorrangig in Ausbildung vermittelt. Eine Vermittlung in Arbeit ist nachran-
gig.

● Die Kapazitäten der Berufsberatung werden ausgebaut.

● Die erweiterte Berufsorientierung nach § 421q SGB III wird fortgeführt.
Gleichzeitig werden die Angebote der Berufsorientierung bzw. der erweiter-
ten Berufsorientierung stärker als bisher auf die Bedürfnisse besonderer Ziel-
gruppen ausgerichtet. Dabei sind Jungen und Mädchen gezielt zu einem er-
weiterten Berufswahlspektrum hinzuführen. Die Durchführung ist von einer
Kofinanzierung unabhängig.

● Wer über keinen Schulabschluss verfügt, hat einen Rechtsanspruch auf das
Nachholen des Hauptschulabschlusses oder eines gleichwertigen Schulab-
schlusses. Ein niedrigschwelliger Zugang außerhalb von berufsvorbereiten-
den Bildungsmaßnahmen wird ermöglicht. Zudem sollte hier auch dem
Grundverständnis Rechnung getragen werden, dass Alphabetisierung und
Grundbildung eine Voraussetzung zur dauerhaften Integration in den Arbeits-
markt sind.

● Die Regelungen zur Berufseinstiegsbegleitung (§ 421s SGB III) werden fort-
geführt und das Instrument bedarfsgerecht zur Verfügung gestellt. Es wird
stärker auf Jugendliche mit besonderem Förderbedarf konzentriert. Für be-
stimmte Jugendliche wird die gesetzliche Möglichkeit einer Begleitung auch
an der zweiten Schwelle beim Übergang von der Ausbildung in den Beruf er-
öffnet.

● Die Einstiegsqualifizierung (EQJ) (§ 235b SGB III) wird besser als bisher auf
Jugendliche konzentriert, die noch keine Ausbildung aufnehmen können.
Eine erhöhte Förderung sollte gewährt werden, wenn nach Teilnahme an ei-
ner Einstiegsqualifizierung direkt eine Übernahme in ein Ausbildungsver-

hältnis erfolgt. Die Förderinhalte werden so ausgestaltet, dass sie bei einer

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anschließenden Ausbildung auf die Ausbildungszeit angerechnet werden
können. EQJ sind ein Regelinstrument ohne Befristung.

● Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen (§ 61 SGB III) werden auf solche
Jugendlichen beschränkt, die eine zusätzliche Vorbereitung benötigen, weil
sie ansonsten nicht in eine Ausbildung vermittelt werden könnten. Die För-
derinhalte werden so ausgestaltet, dass sie bei einer anschließenden Ausbil-
dung auf die Ausbildungszeit angerechnet werden können. Der Praxisanteil
der berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen soll erhöht werden können,
je nach individuellem Bedarf.

● Unternehmen müssen besser als bisher dafür gewonnen werden, junge
Menschen mit Migrationshintergrund auszubilden. Die Erfahrungen aus er-
folgreichen Programmen und Modellprojekten für Ausbildungssuchende mit
Migrationshintergrund werden in die langfristige Förderung übernommen.
Dort, wo eine betriebliche Ausbildung nicht realisiert werden kann, wird ein
entsprechendes Angebot an über- oder außerbetrieblicher Berufsausbildung
zur Verfügung gestellt.

● § 242 SGB III (außerbetriebliche Berufsausbildung) wird geändert: Bei so-
zial benachteiligten Jugendlichen kann von dem Erfordernis der vorherigen
Teilnahme an einer nach Bundes- oder Landesrecht auf einen Beruf vorberei-
tenden Maßnahme mit einer Mindestdauer von sechs Monaten ohne zeitliche
Begrenzung der Gültigkeit der Regelung abgesehen werden. Die Praxispha-
sen je Ausbildungsjahr sollen so hoch wie möglich sein.

● Die Förderung von ausbildungsbegleitenden Hilfen (§ 241 SGB III) wird er-
weitert. Unterstützt werden auch Auszubildende, denen ohne Förderung ein
Abbruch ihrer zweiten Berufsausbildung drohen würde und für die diese für
eine erfolgreiche und nachhaltige berufliche Integration erforderlich ist.

● Die sozialpädagogische Begleitung und organisatorische Unterstützung be-
trieblicher Berufsausbildung und Berufsausbildungsvorbereitung nach § 243
SGB III bleibt zunächst als Förderleistung erhalten.

● Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die keine berufliche Qualifikation ha-
ben und die in ihrem Unternehmen einen Berufsabschluss in der Tätigkeit er-
werben wollen, die sie verrichten, erhalten einen Anspruch auf Förderung zur
Erlangung dieses Abschlusses. Eine solche Förderung ist auch zu gewähren,
wenn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht in dem Beruf, den sie einst
gelernt haben, tätig sind und nun einen Berufsabschluss in dem ausgeübten
Beruf anstreben. Vergleichbare Förderansprüche erhalten Arbeitsuchende.

● Dort, wo sich das Berufsbild im Laufe der Jahre geändert hat oder aber die
Berufsbilder national voneinander abweichen und daher eine Anerkennung
oder Teilanerkennung eines ausländischen Abschlusses nicht möglich ist, be-
steht Anspruch auf eine Anpassungsqualifizierung/Nachqualifizierung auf
das heutige Niveau der beruflichen Ausbildung.

● Zur Förderung des dritten Ausbildungsjahres für die berufliche Weiterbil-
dung in der Alten- und Krankenpflege wird mit den Bundesländern zügig
eine tragfähige Grundlage für die Finanzierung erarbeitet. Für den Übergang
wird bis Ende 2013 die Förderung durch die Bundesagentur für Arbeit ver-
längert.

● Es wird gewährleistet, dass in jedem Jobcenter eine Reha-Beraterin bzw. ein
Reha-Berater als Ansprechpartner zur Verfügung steht.

● Es wird sichergestellt, dass das Sonderprogramm WeGebAU (Weiterbildung
Geringqualifizierter und beschäftigter älterer Arbeitnehmer in Unternehmen)
ohne eine zeitliche Befristung als Instrument sowohl im SGB III als auch im

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/6454

SGB II fest verankert wird. Notwendige gesetzliche Anpassungen werden
vorgenommen.

Zu Nummer 2

Öffentlich geförderte Beschäftigung ausbauen: Perspektiven für Langzeitar-
beitslose ohne Chance auf ungeförderte Beschäftigung

● Die öffentlich geförderte Beschäftigung wird ausgebaut, um mehr Menschen
ohne Chance auf eine reguläre, ungeförderte Arbeit eine neue Perspektive zu
eröffnen. Soweit möglich werden durch marktnahe Einsatzfelder die Chan-
cen auf einen späteren Übergang in reguläre Beschäftigung ohne flankie-
rende Förderung erhöht. Zielgruppe sind Langzeitarbeitslose mit mindestens
zwei weiteren Vermittlungshemmnissen.

● Die Zielgruppenorientierung wird geschärft und verbessert. Die Bundesre-
gierung legt dem Deutschen Bundestag parallel zum neuen Gesetzentwurf
aktuelle Daten vor, die die Zielgruppe für öffentlich geförderte Beschäfti-
gung abbilden.

● Die Fördermöglichkeiten im Rahmen der JobPerspektive (Beschäftigungszu-
schuss) werden erweitert. In begründeten Einzelfällen ist ein Minderleis-
tungsausgleich von bis zu 75 Prozent zulässig. Die Notwendigkeit der Förde-
rung und die Höhe der Minderleistung werden jährlich überprüft und der
Beschäftigungszuschuss entsprechend angepasst. Bei entsprechendem För-
derbedarf ist eine Förderung über einen längeren Zeitraum möglich. Wie bei
Integrationsunternehmen auch können notwendige Investitionskosten zur
Schaffung von Arbeitsmöglichkeiten, der erforderlichen Anpassung und
Ausstattung von Arbeitsplätzen übernommen werden.

● Als für die öffentlich geförderte Beschäftigung zentrale Kriterien wird Fol-
gendes gesetzlich verankert:

– In Beiräten wirken die Akteure des Arbeitsmarktes wie Gewerkschaften,
Arbeitgeber usw. verbindlich bei der Identifizierung von Einsatzfeldern
für die öffentlich geförderte Beschäftigung mit (Zustimmungserforder-
nis). Sie überprüfen die Einhaltung der Vereinbarungen jährlich mit Veto-
recht.

– Öffentlich geförderte Beschäftigungen werden sozialversicherungspflich-
tig und tariflich entlohnt. Dort, wo dies in Ermangelung eines tariflichen
Lohnes nicht möglich ist, ist eine ortsübliche Entlohnung Fördervoraus-
setzung. Unterste Haltelinie ist der jeweils gültige Mindestlohn.

– Die Annahme des Beschäftigungsangebotes ist freiwillig.

– Mit den Arbeiten sollen vor allem Dritte (Unternehmen, Handwerker, Trä-
ger der freien Wohlfahrtspflege, Kommunen) beauftragt werden.

– Overheadkosten, sozialpädagogische Begleitung und flankierende Quali-
fizierung (sozialintegrative Leistungen) können in dem erforderlichen
Umfang übernommen werden.

– Soweit durch eine öffentlich geförderte Beschäftigung die Zahlung von
Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld entfällt, ist eine Aktivierung passiver
Mittel (Passiv-Aktiv-Tausch) möglich.

● Arbeitsgelegenheiten werden in der Regel in der Entgeltvariante durchge-
führt. Sie kommen dort zum Einsatz, wo im Gegensatz zur JobPerspektive
nicht der Minderleistungsausgleich im Mittelpunkt steht, sondern die Schaf-
fung von zusätzlicher Beschäftigung. Die Durchführung von Arbeitsgelegen-

heiten in der Mehraufwandsvariante wird auf das unumgängliche Maß
beschränkt. Sie kommen nur im Ausnahmefall zum Einsatz. Sie sind aus-

Drucksache 17/6454 – 8 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

schließlich ein Instrument, welches dazu dient, auf eine Beschäftigung vor-
zubereiten, indem beispielsweise eine fehlende Tagesstrukturierung des Ar-
beitsuchenden wiederhergestellt wird.

● Die Förderung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in der Arbeitslosenver-
sicherung bleibt weiterhin möglich.

Zu Nummer 3

Besondere Angebote für Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund, Ältere,
Jugendliche, Menschen mit Behinderung und solchen, die gesundheitlich einge-
schränkt sind, unterbreiten

● In der praktischen Umsetzung wird § 1 SGB III stärker als bisher Rechnung
getragen. Insbesondere werden in den Jobcentern und Agenturen für Arbeit
die Schwierigkeiten von Alleinerziehenden auf dem Arbeitsmarkt verstärkt
in den Fokus genommen. Die Unterstützung hat sich an der individuellen Le-
benssituation und den jeweiligen Bedürfnissen der Alleinerziehenden auszu-
richten und nimmt beispielsweise auf die Notwendigkeit der Betreuung von
kleinen Kindern besondere Rücksicht. Unterstützungsangebote werden eng
mit den Trägern der Kinder- und Jugendhilfe sowie anderen Hilfesystemen
abgestimmt.

● § 1 SGB III sowie § 1 Absatz 1 Nummer 3 SGB II werden erweitert: Neben
der Beseitigung bestehender Nachteile von Frauen wird auch die Förderung
von Menschen mit Migrationshintergrund, Älteren, Jugendlichen oder Men-
schen mit Behinderung und gesundheitlichen Einschränkungen als Schwer-
punkt der Arbeitsförderung verankert. Die genannten Gruppen werden min-
destens in dem Umfang in Maßnahmen der Arbeitsförderung einbezogen, die
ihrem Anteil an den Arbeitslosen entspricht. Für sie stehen speziell geschulte
Fallmanager und Vermittler zur Verfügung. Das Betreuungsverhältnis von
Vermittlern in den Jobcentern und Arbeitslosen ist deutlich zu verbessern.
Ziel ist es, die Arbeitslosigkeit zu verkürzen. Gute Erfahrungen werden in al-
len Modellversuchen insbesondere in den Jobcentern mit Vermittlungsver-
hältnissen für Jugendliche von 1:75 und für über 25-Jährige von deutlich we-
niger als 1:150 gemacht.

● Das erfolgreiche Programm Perspektive 50plus wird fortgesetzt.

● Für Migrantinnen und Migranten wird ein gesondertes Arbeitsmarktpro-
gramm „Perspektive MigraPlus“ ähnlich dem erfolgreichen Programm „Per-
spektive 50plus“ für die Älteren aufgelegt. Ziel ist es, innovative Ansätze für
bessere Qualifizierungs- und Fördermaßnahmen herauszuarbeiten und diese
später im Rahmen einer Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente als
Regelinstrumente zu etablieren.

● Für Menschen, die gesundheitlich eingeschränkt sind, wird ein eigenständi-
ges Arbeitsmarktprogramm „Gesundheit Plus“ aufgelegt, um den arbeits-
marktpolitischen Instrumentenkasten gezielt weiterentwickeln zu können.
Ziel ist es, innovative Ansätze für bessere Qualifizierungs- und Fördermaß-
nahmen herauszuarbeiten und diese später im Rahmen einer Reform der ar-
beitsmarktpolitischen Instrumente als Regelinstrumente zu etablieren.

● Die Bundesregierung legt dem Deutschen Bundestag bis zum 30. September
2012 einen Bericht darüber vor, inwieweit die Zielsetzungen für die genann-
ten Zielgruppen erreicht werden, und wird fortan alle zwei Jahre Bericht er-
statten.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9 – Drucksache 17/6454

Zu Nummer 4

Rechtsansprüche von Arbeitsuchenden insbesondere auf Förderung von Bil-
dung und Weiterbildung und Verbesserung der Voraussetzung für mehr Innova-
tion in der Arbeitsmarktpolitik stärken

● Die arbeitsmarktpolitischen Instrumente werden daraufhin überprüft, welche
Ermessensleistungen über die bestehenden Ansprüche hinaus in Pflichtleis-
tungen umgewandelt werden sollten, um mehr Verbindlichkeit und Verläss-
lichkeit der Arbeitsmarktpolitik auch im Sinne von durch Beitragsleistungen
erworbenen Rechtsansprüchen zu erreichen. Hierzu werden Gutachten und
Forschungsaufträge vergeben und dem Deutschen Bundestag bis 30. Septem-
ber 2012 zusammen mit einem Vorschlag vorgelegt.

● Der Gründungszuschuss nach § 57 SGB III ist wie bisher als eine Pflichtleis-
tung fortzuführen. Gleichzeitig werden flankierende Leistungen wie Bera-
tung, Coaching und Qualifizierungsmodule gesetzlich verankert.

● Die Erprobung innovativer Ansätze (§ 421h SGB III) wird zu einer freien
Förderung umgestaltet und die Regelung entfristet, um die Möglichkeit zu er-
öffnen, gesetzlich geregelte aktive Arbeitsförderungsleistungen durch freie
Leistungen zu erweitern. Für die freie Förderung können bis zu 5 Prozent der
im Eingliederungstitel enthaltenen Mittel für Ermessensleistungen der akti-
ven Arbeitsmarktpolitik eingesetzt werden.

● Das Umgehungs- und Aufstockungsverbot in § 16f SGB II (Freie Förderung)
für gesetzliche Leistungen der aktiven Arbeitsmarktpolitik entfällt für lang-
zeitarbeitslose Leistungsberechtigte, damit für diesen Personenkreis mit be-
sonderen Vermittlungshemmnissen passgerechte Förderstrategien entwickelt
und zum Einsatz gebracht werden können. Das jeweilige Jobcenter kann bis
zu 10 Prozent seines Eingliederungstitels hierfür einsetzen. Leistungsver-
pflichtungen Dritter bleiben unberührt.

Zu Nummer 5

Einen guten Förderrahmen für eine zielgerichtete Arbeitsmarktpolitik schaffen

● Die Sparbeschlüsse der Bundesregierung, die sich in den Haushaltsansätzen
für 2011 und den Eckwerten für das Jahr 2012 widerspiegeln, werden zurück-
genommen.

● In § 1 SGB II wird die Zielsetzung der Grundsicherung für Arbeitsuchende
dahingehend erweitert, dass zur Beseitigung und zur Vermeidung von Lang-
zeitarbeitslosigkeit die individuelle Beschäftigungsfähigkeit durch den Er-
halt und den Ausbau von Fertigkeiten und Fähigkeiten gefördert, dem Entste-
hen von prekärer Beschäftigung entgegengewirkt, das Entstehen von guter
Arbeit begünstigt und die soziale Teilhabe verbessert werden.

● Der Zumutbarkeitsbegriff in der Grundsicherung für Arbeitsuchende (§ 10
SGB II) wird neu gefasst. Zumutbar ist eine Arbeit nur dann, wenn sie tarif-
lich entlohnt wird. Wo dies in Ermangelung eines tariflichen Lohnes nicht
möglich ist, ist nur eine ortsüblich bezahlte Arbeit zumutbar. Absolute Unter-
grenze ist der jeweils gültige Mindestlohn.

● Die gesetzlichen Regelungen zu den Sanktionen im SGB II werden neu ge-
fasst. Sanktionen sollen im konkreten Einzelfall entsprechend fest vorgege-
bener Kriterien stärker individuell abgestuft werden können als heute.
Ebenso wird für alle Leistungsberechtigten die Möglichkeit eröffnet, dass
Sanktionen vorzeitig wieder zurückgenommen werden können. Für Leis-
tungsberechtigte unter 25 Jahren gilt dasselbe Sanktionsrecht wie für ältere

Leistungsberechtigte. Werden Leistungen im Sanktionsfall gekürzt, dann
sind hiervon die Leistungen für Unterkunft und Heizung ausgenommen. Die

Drucksache 17/6454 – 10 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Sanktionsregelungen werden wissenschaftlich evaluiert, um zu überprüfen,
ob beziehungsweise inwieweit diese möglicherweise mit der Sicherstellung
des soziokulturellen Existenzminimums in Konflikt stehen. Eine schriftliche,
verständliche Rechtsfolgenbelehrung ist grundsätzlich eine notwendige Vor-
aussetzung für die Anwendung einer Sanktion.

● Die Kontaktdichte zwischen Fallmanagern und Arbeitsuchenden wird durch
eine höhere Zahl von Fallmanagerinnen und Fallmanagern, insbesondere für
Zielgruppen wie Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund, Ältere, Ju-
gendliche oder Menschen mit Behinderung und solchen Personen, die ge-
sundheitlich angeschlagen sind, verbessert. Durch eine verbesserte perso-
nelle Ausstattung in den Agenturen für Arbeit und in den Jobcentern wird
gewährleistet, dass die Arbeitsmarktinstrumente zielgruppenadäquat einge-
setzt werden. Ferner wirkt die Bundesregierung im Rahmen ihrer Möglich-
keiten darauf hin, dass die Fallmanagerinnen und Fallmanager vor Ort konti-
nuierlich weiterqualifiziert werden, damit diese den an sie gestellten
Anforderungen besser gerecht werden können.

● Die Bundesregierung wirkt darauf hin, dass die im SGB II vorgesehenen
sozial-integrativen Leistungen wie beispielsweise Schuldner- und Suchtbe-
ratung, psychosoziale Betreuung, Kinderbetreuung oder Betreuungsmöglich-
keiten zur Pflege in ausreichendem Umfang zur Verfügung stehen. Es werden
gesetzliche Mindeststandards hinsichtlich Qualität und Verfügbarkeit for-
muliert. § 16a SGB II wird um eine Öffnungsklausel ergänzt, um weitere
kommunale Eingliederungsleistungen zu ermöglichen.

● Die Betreuung im Anschluss an die Integration in Arbeit in der Grundsiche-
rung für Arbeitsuchende und in der Arbeitslosenversicherung wird verbes-
sert, um die Stabilität der Beschäftigung zu erhöhen.

● Die Ausbildungsvermittlung für alle Jugendlichen wird ebenso wie die ver-
tiefte Berufsorientierung, die berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen und
die Berufsberatung rechtskreisübergreifend im SGB III angesiedelt, um eine
Stigmatisierung von Jugendlichen und Zuständigkeitswechsel zu vermeiden.

● Die Zielsteuerung in SGB II und SGB III wird dadurch verbessert, dass u. a.
auch Integrationsfortschritte und die soziale Stabilisierung des Arbeitsuchen-
den erfasst und als eigenständige Ziele verfolgt werden. Weiter sind die
Nachhaltigkeit der Integration und die Qualität der Beschäftigung (u. a. Stun-
denumfang, Befristung, Höhe der Entlohnung – auch im Vergleich zu einer
vorangegangenen Beschäftigung), in die vermittelt wurde, in die Zielverein-
barung und damit in die Zielsteuerung einzubeziehen.

● Der Einkauf von Leistungen im Rahmen der Vergaben durch Ausschreibung
wird verbessert. Qualitätsaspekte sind gegenüber der Preiskomponente stär-
ker zu gewichten: Sicherstellung der Leistungsfähigkeit des Anbieters; Ein-
bindung des Leistungserbringers in die lokalen Strukturen des örtlichen und
regionalen Arbeitsmarktes; Vorlage eines pädagogischen und arbeitsmarkt-
politischen Gesamtkonzeptes, welches zielgruppenspezifische Betreuungs-
schlüssel und Förderansätze umfasst; ausreichende Qualifizierung des einzu-
setzenden Personals und Beachtung von tariflichen und anderen
Qualitätsmaßstäben bei der Beschäftigung von Personal durch die Leistungs-
erbringer. Die Vergabe von Aufträgen im Rahmen sogenannter „Konzessio-
nen“ wird systematisch erprobt und evaluiert.

● Die Ausgabe von Bildungsgutscheinen wird durch eine qualitativ hochwer-
tige Beratung und Begleitung des Arbeitsuchenden flankiert.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 11 – Drucksache 17/6454

Zu Nummer 6

Gute Arbeit fördern, Arbeitgeberzuschüsse auf neue Basis stellen

● Als Voraussetzung für die Gewährung eines Lohnkostenzuschusses wird die
tarifliche Entlohnung der geförderten Beschäftigung als Kriterium gesetzlich
verankert. Wo dies in Ermangelung eines tariflichen Lohnes nicht möglich
ist, ist eine ortsübliche Entlohnung Fördervoraussetzung. Absolute Unter-
grenze ist der jeweils gültige Mindestlohn.

● Der Ausbildungsbonus (§ 421r SGB III) wird entsprechend den Ergebnissen
der Evaluationsforschung (z. B. Studie des Instituts für berufliche Bildung,
Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik GmbH „Erfolgreich bestanden, Parameter für
den erfolgreichen Erwerb des Hauptschulabschlusses“) neu gefasst. Der Ein-
gliederungszuschuss für Ältere (§ 421f SGB III), der Qualifizierungszu-
schuss für jüngere Arbeitnehmer (§ 421o SGB III) und der Eingliederungs-
zuschuss für jüngere Arbeitnehmer (§ 421p SGB III) werden jeweils bis
31. Dezember 2012 und die Entgeltsicherung für ältere Arbeitnehmer (§ 421j
SGB III) bis 31. Dezember 2013 verlängert und anschließend im Rahmen der
Evaluationsforschung bewertet, notwendige Anpassungen vorgenommen
und die jeweilige Regelung ggf. entfristet.

Zu Nummer 7

Verfahren zur wissenschaftlichen Bewertung des arbeitsmarktpolitischen Instru-
mentariums verbessern

● Die wissenschaftliche Bewertung der Arbeitsmarktinstrumente wird erwei-
tert. Erfasst wird künftig nicht nur, in welchem Maße ein arbeitsmarktpoliti-
sches Instrument unmittelbar die Integration in den Arbeitsmarkt ermöglicht,
sondern auch, in welchem Umfang und wie gut ein Instrument beispielsweise
zur Aktivierung, zur sozialen Stabilisierung und zur Motivation eines Arbeit-
suchenden beiträgt. Dies gilt insbesondere für Langzeitarbeitslose. Ebenso
werden die erzielten und erzielbaren Integrationsfortschritte vergleichend ge-
messen und bewertet.

● Darüber hinaus wird im Rahmen der Evaluationsforschung künftig erfasst,
inwieweit ein arbeitsmarkpolitisches Instrument Mitnahmeeffekte begünstigt
beziehungsweise zur Folge hat.

● Die Forschung untersucht ebenfalls, wie sich der Einsatz der Arbeitsmarkt-
instrumente auf die Strukturen des Arbeitsmarktes auswirkt. Es wird unter-
sucht, ob beziehungsweise inwieweit ein Instrument prekäre Beschäftigung
oder aber gute Arbeit begünstigt. Weiter sind Aussagen zur Nachhaltigkeit
beziehungsweise zum temporären Charakter einer Integration in den Arbeits-
markt zu treffen.

● Eine Evaluierung von neuen Arbeitsmarktinstrumenten erfolgt erst nach
einem hinreichend langen Zeitraum, der gestattet, das neue Regelwerk be-
kannt zu machen und zu nutzen.

Berlin, den 5. Juli 2011

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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