BT-Drucksache 17/6378

Wechselkennzeichen für Kraftfahrzeuge

Vom 29. Juni 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6378
17. Wahlperiode 29. 06. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Kirsten Lühmann, Uwe Beckmeyer, Martin Burkert,
Sören Bartol, Petra Ernstberger, Iris Gleicke, Ulrike Gottschalck, Michael Groß,
Hans-Joachim Hacker, Gustav Herzog, Johannes Kahrs, Ute Kumpf,
Thomas Oppermann, Florian Pronold, Dr. Frank-Walter Steinmeier
und der Fraktion der SPD

Wechselkennzeichen für Kraftfahrzeuge

Unter Hinweis auf die Kraftfahrzeugzulassung in Österreich und der Schweiz
wurde die Einführung von Wechselkennzeichen in Deutschland in den vergan-
genen Jahren wiederholt diskutiert. Mit einem solchen Kennzeichen könnten
Halterinnen und Halter wechselnd mit jeweils einem von mehreren Fahrzeugen
am Straßenverkehr teilnehmen. Interessengruppen und Verbände der Auto-
mobilbranche fordern, dass bei dieser Zulassungsvariante nur für eines der Fahr-
zeuge Kraftfahrzeugsteuer und Kraftfahrtversicherung gezahlt werden muss.

Als Maßnahme des Bürokratieabbaus in der Fahrzeugzulassung beschloss die
Koalition der Fraktionen der CDU/CSU und FDP am 21. April 2010, Wechsel-
kennzeichen zum Betrieb zweier Fahrzeuge mit günstigerer Versicherung noch
im Jahr 2010 einzuführen (Bundestagsdrucksache 17/4242, S. 67). Im Mai 2010
kündigte der Parlamentarische Staatssekretär bei dem Bundesminister für Ver-
kehr, Bau und Stadtentwicklung, Andreas Scheuer, das Vorhaben öffentlich an
(Auto Bild 21/2010). Das Wechselkennzeichen sollte für bis zu drei Fahrzeuge
gelten, auch eine Einbeziehung von Wohnmobilen und Motorrädern wurde dis-
kutiert. Der Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Dr. Peter
Ramsauer, bestätigte die Pläne für eine schnelle Einführung des Wechselkenn-
zeichens (ADAC Motorwelt 10/2010). Die Neuregelung solle die Zulassung
mehrerer Autos erleichtern und Anreize zum Kauf eines umweltfreundlichen
Zweitwagens schaffen (Auto Bild 35/2010).

Doch erst am 12. Mai 2011 legten das Bundesministerium für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung (BMVBS) und das Bundesministerium des Innern (BMI)
einen abgestimmten Referentenentwurf einer Verordnung vor. Nach dessen
Begründung orientierten sich die vorgeschlagenen Regelungen für ein deutsches
Wechselkennzeichensystem zwar am österreichischen Vorbild, eine Eins-zu-
eins-Übertragung wäre jedoch mit „langem Zeitvorlauf und hohen Kosten“ ver-
bunden.
Entgegen den vorherigen Ankündigungen der Vertreter des BMVBS sollte die
Nutzung des Wechselkennzeichens auf zwei Fahrzeuge der gleichen Fahrzeug-
klasse und einer zulässigen Gesamtmasse bis 3,5 t beschränkt werden. Der Vor-
schlag, mit einem Kennzeichen je nach Mobilitätsbedarf zwischen einem
Motorrad und einem Pkw wechseln zu können, wurde nicht aufgenommen.
Kraftfahrzeugsteuerliche Vorteile bei der Nutzung von Wechselkennzeichen
waren nicht vorgesehen. Außerdem bot die Regelung keinerlei Anreiz für Ver-

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braucherinnen und Verbraucher, sich als Zweitwagen ein emissionsärmeres
Fahrzeug oder Elektrofahrzeug anzuschaffen und hätte damit keinerlei steu-
ernde Wirkung im Sinne der CO2-Reduzierung entfaltet.

Ohne Angabe von Gründen wurde der Referentenentwurf einer Verordnung be-
reits am 16. Mai 2011 wieder zurückgezogen. Am 21. Juni 2011 legte das
BMVBS erneut einen Referentenentwurf vor, der mit der Fassung vom 12. Mai
2011 identisch ist.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Warum zog die Bundesregierung den Referentenentwurf einer Verordnung
zur Änderung der Fahrzeug-Zulassungsverordnung und anderer straßenver-
kehrsrechtlicher Vorschriften vom 12. Mai 2011 am 16. Mai 2011 zurück,
und warum weist der Entwurf vom 21. Juni 2011 keine Änderungen gegen-
über dem ersten Entwurf auf?

2. Ist der Referentenentwurf einer Verordnung vom 12. Mai 2011 ohne Kennt-
nis von Bundesverkehrsminister Dr. Peter Ramsauer an die Verbände, Bun-
desländer und Fraktionen im Deutschen Bundestag verschickt worden?

3. Haben zwischen dem 16. Mai 2011 und 21. Juni 2011 erneut Verhandlungen
zwischen dem BMVBS und dem Bundesministerium der Finanzen (BMF)
über den Regelungsinhalt des Referentenentwurfs stattgefunden, und wenn
ja, was war das Ergebnis?

4. Welche Verbände, Organisationen und Personen nahmen zum Referenten-
entwurf einer Verordnung bereits Stellung, und wie bewerten sie die vorge-
schlagenen Regelungen im Einzelnen?

5. Was sind die Gründe, dass, entgegen bisheriger Ankündigungen von Vertre-
tern der Bundesregierung in dem Referentenentwurf einer Verordnung vom
21. Juni 2011, beispielsweise

a) die Zahl der Fahrzeuge, die gemeinsam mit einem Wechselkennzeichen
zugelassen werden können, auf zwei statt drei begrenzt ist?

b) die gemeinsame Zulassung mit einem Wechselkennzeichen auf Fahr-
zeuge einer Fahrzeugklasse beschränkt ist?

c) die Verwendung von Wechselkennzeichen auf den Individualverkehr mit
Fahrzeugen bis 3,5 t zulässiger Gesamtmasse beschränkt ist?

d) keine Kraftfahrzeugsteuerermäßigungen für Fahrzeuge, die mit einem
Wechselkennzeichen zugelassen werden, vorgesehen sind?

6. Wann wird die Bundesregierung den endgültigen Entwurf einer Verordnung
beschließen, dem Bundesrat zur Beschlussfassung zuleiten, und zu welchem
Zeitpunkt soll diese in Kraft treten?

7. Zu welchen bürokratischen Veränderungen würde das geplante deutsche
Wechselkennzeichensystem für die Fahrzeughalterinnen und -halter im Ein-
zelnen führen?

8. Plant die Bundesregierung Maßnahmen, so dass die Prozesse im Zuge der
Umsetzung eines Wechselkennzeichens für die Versicherungen und die Ver-
waltung unbürokratisch gestaltet werden, und wenn ja, welche?

9. Auf welcher Fallzahl und auf welcher Senkung der Versicherungsprämien
für Fahrzeuge mit Wechselkennzeichen basiert die Schätzung der jährlichen
Mindereinnahmen von 50 Mio. Euro/Jahr bei der Versicherungsteuer durch
die Bundesregierung im Referentenentwurf einer Verordnung vom 21. Juni
2011 (Angaben in absoluter und prozentualer Höhe, für die Versicherungs-

wirtschaft insgesamt und pro Fahrzeug, getrennt nach Fahrzeugklassen)?

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10. Wann führten welche Regierungsvertreter Gespräche mit der Versiche-
rungswirtschaft über das geplante deutsche Wechselkennzeichensystem,
und welche Ergebnisse wurden dabei erzielt?

11. Wie beurteilt nach Kenntnis der Bundesregierung die Versicherungswirt-
schaft die Auswirkungen der Einführung von Wechselkennzeichen in
Deutschland auf die Tarifgestaltung in der Kraftfahrtversicherung?

12. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass jedenfalls in den Fällen, in
denen Halter bereits vorhandener Fahrzeuge diese nach gemeinsamer Zu-
lassung mit einem Wechselkennzeichen wie zuvor alternativ nutzen, sich
das bisherige Schadensrisiko nicht verändert und daher kein Anlass zur
Prämienanpassung bei der Kraftfahrtversicherung besteht, und falls nein,
warum nicht?

13. Besteht angesichts des starken Wettbewerbs bei der Kraftfahrtversicherung
in Deutschland nach Ansicht der Bundesregierung die Gefahr, dass von der
Versicherungswirtschaft aus politischen Gründen womöglich zugestandene
Prämienermäßigungen für Fahrzeuge mit Wechselkennzeichen über Tarif-
erhöhungen für andere Fahrzeughalter oder sogar in anderen Versiche-
rungssparten gegenfinanziert würden, und falls nein, warum nicht?

14. Ist die Begründung des Referentenentwurfs einer Verordnung vom 21. Juni
2011, das vorgeschlagene System ermögliche „eine kurzfristige und kos-
tengünstige Einführung“ von Wechselkennzeichen in Deutschland, so zu
verstehen, dass die Bundesregierung bereits mittelfristige Änderungen des
neuen Wechselkennzeichensystems prüft oder plant, und falls ja, welche,
und wann sollen diese erfolgen?

15. Wie hoch wäre der Entwicklungsaufwand beim Kraftfahrt-Bundesamt, um
die erforderliche Anpassung des Zentralen Fahrzeugregisters im Rahmen
der geplanten Einführung von Wechselkennzeichen vorzunehmen?

16. Stimmt die Bundesregierung der Einschätzung des Instituts für Automobil-
wirtschaft zu, dass die Halterinnen und Halter von „Premiumfahrzeugen“,
außerdem von Fahrzeugen mit Saison- und Historienkennzeichen die
Hauptzielgruppe für Wechselkennzeichen sind, und falls nein, welche Hal-
ter würden nach Ansicht der Bundesregierung vorrangig von einem Wech-
selkennzeichen profitieren, und warum?

17. Wie hoch schätzt die Bundesregierung das Potential für Wechselkenn-
zeichen in Ballungsräumen im Vergleich zu ländlichen Räumen angesichts
des Umstands, dass jeweils nur das mit dem Kennzeichen versehene Fahr-
zeug auf öffentlichen Straßen in Betrieb genommen oder abgestellt werden
darf?

18. Hält die Bundesregierung die Einschätzung des Instituts für Automobilwirt-
schaft e. V. für realistisch, wonach der mögliche Nutzungsgrad von Wechsel-
kennzeichen in Deutschland mittelfristig bei 5 Prozent des Bestands an Per-
sonenkraftwagen (rund zwei Millionen Fahrzeugen) liegt, und falls nein,
warum nicht?

19. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass die von den Befürwor-
tern des Wechselkennzeichens geforderte Begünstigung der betroffenen
Fahrzeuge bei der Kraftfahrzeugsteuer demnach zu Mindereinnahmen des
Bundes von 300 bis 400 Mio. Euro jährlich führen würde, und falls nein,
wie hoch beziffert die Bundesregierung ihrerseits den verlangten Steuer-
verzicht?

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20. Werden Wechselkennzeichen nach dem Referentenentwurf einer Verord-
nung vom 21. Juni 2011 vorrangig für CO2-freie oder energieeffiziente
Fahrzeuge genutzt werden und damit einen Beitrag zum Umweltschutz
leisten, und falls nein, durch welche Regelung ließe sich dies erreichen?

21. Wie hoch schätzt die Bundesregierung selbst die zu erwartende kurz- und
mittelfristige Nutzung von Wechselkennzeichen in Deutschland (Angaben
in absoluter und prozentualer Höhe des Fahrzeugbestands, getrennt nach
Fahrzeugklassen), und welcher Anteil davon entfällt auf

a) Fahrzeuge, die bisher parallel gefahren wurden, mit Wechselkennzei-
chen aber künftig nur noch alternativ genutzt werden (ökologischer Ef-
fekt),

b) Fahrzeuge, die bisher bereits alternativ gefahren wurden und mit Wech-
selkennzeichen künftig unverändert genutzt werden („Mitnahmeeffekt“)?

22. Wie hoch schätzt die Bundesregierung die Zahl der Halterinnen und Halter,
die aufgrund der Einführung von Wechselkennzeichen ein zusätzliches
Fahrzeug zur alternativen Nutzung erwerben würden (Angabe getrennt
nach Fahrzeugklassen), und in wie vielen dieser Fälle würden nach Ansicht
der Bundesregierung gegebenenfalls teurere, aber – gemessen am Be-
standsfahrzeug – ökologisch vorteilhafte Neu- oder Altfahrzeuge gekauft
werden?

23. Stimmt die Bundesregierung der Bewertung zu, dass ein deutsches Wech-
selkennzeichensystem nach dem Referentenentwurf einer Verordnung vom
21. Juni 2011 einen gewissen Anreiz zur Erhöhung des Gesamtbestands an
Fahrzeugen in Deutschland beinhaltet, aber keine Lenkungswirkung zur
Verbesserung der Energieeffizienz oder des Emissionsverhaltens dieses
Fahrzeugbestands, und falls nein, warum nicht?

24. Wie wird das geplante Wechselkennzeichen aussehen?

25. Werden sich die Verbraucher auf höhere Verbraucherpreise für ihre Kenn-
zeichen einstellen müssen, weil die höheren Herstellungskosten für Wech-
selkennzeichen auch auf die allgemeinen Kennzeichen übergewälzt wer-
den?

26. Welche zusätzlichen Anforderungen der Finanzverwaltungen an den Nach-
weis betrieblich bzw. beruflich veranlasster Aufwendungen müssten Steu-
erpflichtige bei der Nutzung von Wechselkennzeichen künftig im Einzel-
nen erfüllen?

27. Wie hoch beziffert die Bundesregierung diese bürokratische Mehrbelas-
tung der Steuerpflichtigen einerseits und die bürokratische Entlastung der
Halterinnen und Halter bei der Kraftfahrzeugzulassung andererseits (Anga-
ben getrennt nach Fahrzeugklassen)?

Berlin, den 29. Juni 2011

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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