BT-Drucksache 17/6185

Chronischer Botulismus

Vom 14. Juni 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6185
17. Wahlperiode 14. 06. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Cornelia Behm, Harald Ebner,
Bärbel Höhn, Undine Kurth (Quedlinburg), Nicole Maisch, Markus Tressel
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Chronischer Botulismus

Seit Mitte der 90er-Jahre wird chronischer Botulismus als neues Krankheitsbild
diskutiert. Es handelt sich dabei um ein Krankheitsbild, dessen Ursachen bisher
nicht geklärt sind. Vermutet wird eine Toxiko-Infektion mit Clostridium botuli-
num, die bis heute nicht als bestätigt gilt. Chronischer Botulismus tritt vor al-
lem bei Milchkühen (möglicherweise wegen längerer Nutzungsdauer) auf, aber
auch bei Kälbern. Es verdichtet sich der Verdacht, dass auch bei in der Land-
wirtschaft beschäftigten Personen und Familienmitgliedern, in deren Tierbe-
ständen chronischer Botulismus vorkommt, klinische Symptome ähnlich dem
chronischen Botulismus auftreten können.

Während die unstrittige Form, der akute Botulismus, durch die orale Aufnahme
bereits außerhalb des Körpers entstandener Botulinumtoxine zustande kommt
und als Vergiftung nicht ansteckend ist, bildet sich beim chronischen Botulis-
mus das Toxin erst im Darm der betroffenen Tiere. Lebende Botulinumkeime
werden zwar im Magen/Darm von Rindern nicht selten nachgewiesen, bisher
ging man jedoch davon aus, dass das dortige Milieu die Toxinbildung verhin-
dert.

Umstritten ist, ob es das Krankheitsbild des chronischen Botulismus tatsächlich
gibt und wie genau das Krankheitsbild aussieht. Von verschiedenen Seiten wird
hier dringend eine Definition gefordert. Unklar ist auch, über welche Wege die
Erkrankung zustande kommt.

Angesichts der immer wieder auftretenden großen Zahl verendender Tiere, zu-
letzt im sächsischen Vogtland, fordern Landwirte, Tierärzte und Wissenschaft-
ler einhellig eine zügige Klärung der offenen Fragen.

Wir fragen die Bundesregierung:

I. Vorkommen und Erkrankungswege

1. Wie viele Höfe sind nach Schätzung bzw. Kenntnis der Bundesregierung
bundesweit von chronischem Botulismus betroffen, und gibt es eine zentrale

Erfassung der Fälle?

2. Welche Erkrankungswege kommen bei Tieren für den chronischen Botulis-
mus nach Kenntnis der Bundesregierung infrage?

3. Wie beurteilt die Bundesregierung mögliche Gefahren durch totes oder
sogar verwesendes Geflügel, das nicht umgehend aus den Ställen entfernt
wird?

Drucksache 17/6185 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

4. Wie beurteilt die Bundesregierung die Vermutung, dass Rückstände des
Pflanzenschutzmittels Glyphosat, die im Futter und Kot der Tiere sowie im
Körper des Tierhalters gefunden wurden, Auswirkungen auf die Darmflora
von Mensch und Tier haben und damit die Erkrankung an Botulismus aus-
lösen könnten, und welche Untersuchungen werden hier vorgenommen?

5. Welche Erkenntnisse gibt es zur Verbreitung von chronischem Botulismus
zwischen Tieren?

6. Gibt es über die Vorkommen beim Rind hinaus auch bei anderen Tierarten
Hinweise auf chronischen Botulismus, und wenn ja, bei welchen Tierarten,
und in welchem Umfang?

7. Gibt es aus Sicht der Bundesregierung noch Zweifel, dass der chronische
Botulismus als Krankheitsbild existiert, und welche Folgerungen zieht die
Bundesregierung aus ihrer Einschätzung?

8. Ist geplant, die Erkrankungsfälle bei Tieren zentral zu registrieren, und
wenn nein, warum nicht?

Wenn ja, wie sehen diese Planungen konkret aus?

II. Vorkommen beim Menschen

9. Welche Hinweise gibt es für eine Übertragung des chronischen Botulismus
vom Tier auf den Menschen, und welche Wege sind hier denkbar?

10. Wie steht die Bundesregierung zur Aussage des Medizinprofessors
Dr. Dirk Dressler, Neurologe der Medizinischen Hochschule Hannover,
dass er auf einem mit Botulismus befallenen Betrieb mehrere Personen mit
engem Rinderkontakt antraf, die „anamnestisch und klinisch-neurologisch
eindeutige Zeichen eines chronischen Botulismus“ zeigten?

11. Welche Hinweise gibt es auf Erkrankungen bei in der Landwirtschaft be-
schäftigten Personen?

12. Wie viele Fälle an Erkrankungen mit Beschwerden, die für eine Vergiftung
mit dem Botulinumtoxin typisch sind, sind beim Menschen bereits aufge-
treten, und gibt es hierfür eine zentrale Erfassung?

13. Welche Maßnahmen werden ergriffen, wenn bei Menschen der Verdacht
auf chronischen Botulismus diagnostiziert wird?

III. Zusammenhang Biogasanlagen

14. Welche Rolle spielen Biogasanlagen aus Sicht der Bundesregierung bei der
Entstehung von chronischem Botulismus bei Tieren?

15. Besteht aus Sicht der Bundesregierung die Gefahr, dass Tierkadaver oder
Teile davon in die Biogasanlage gelangen, sei es als versehentlich mit dem
Mähgut gehäckseltes Wild oder als im Einstreu vorhandene, in Tier-
haltungsanlagen verendete Tiere, und wenn ja, welche Gefahr ergibt sich
hieraus mit Blick auf den chronischen Botulismus?

16. Wie steht die Bundesregierung zur Befürchtung, dass beim Einsatz von
Risikomaterialien in der Biogasanlage die Hygienisierung von 70 Grad
nicht ausreicht, um Sporen von Clostridium botulinum abzutöten?

17. Wie steht die Bundesregierung zu der Befürchtung, dass sich Sporen von
Clostridium botulinum in Biogasanlagen nicht nur überleben, sondern sich
sogar vermehren können, und welche Belege hat die Bundesregierung für
ihre Auffassung?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/6185

18. Welche Studien sind der Bundesregierung im Zusammenhang zwischen
dem Auftreten von chronischem Botulismus und dem Vorkommen von
Clostridium-botulinum-Bakterien und -Sporen (nicht Clostridium perfrin-
gens) in Biogasanlagen bekannt?

19. Umfasst das aktuell von der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernäh-
rung ausgeschriebene Forschungsprojekt zu Botulismus auch die Biogas-
Problematik, und wenn nein, welche anderen Forschungsvorhaben sind
vorgesehen?

20. Wie bewertet die Bundesregierung den Einsatz von clostridienhaltigen
Düngern wie Gülle und Gärresten aus Biogasanlagen im Hinblick auf eine
mögliche Weiterverbreitung des Bakteriums bzw. dessen Sporen über das
Futter?

21. Wie beurteilt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang den Import
von Gülle, insbesondere aus den Niederlanden?

22. Wie ausgereift sind standardisierte Nachweisverfahren für Clostridium-
botulinum-Bakterien in Biogasanlagen?

IV. Verbreitung über Lebensmittel

23. Ist es korrekt, dass Rinder aus Betrieben, in denen chronischer Botulismus
vorkommt, ohne Einschränkungen an Schlachthöfe verbracht und dort ge-
schlachtet werden dürfen?

Wenn nein, welche Auflagen müssen eingehalten werden?

24. Aus welchem Grund dürfen Fleisch und Milch von Rinder aus Betrieben, in
denen chronischer Botulismus vorkommt, regulär vermarktet werden, ob-
wohl das Bundesinstitut für Risikobewertung in seiner Stellungnahme vom
12. August 2004 für Geflügelfleisch aus Betrieben mit Botulismus befand,
dass „derartiges Geflügelfleisch nicht zum Verzehr geeignet ist“, selbst
wenn nur der „begründete Verdacht auf eine Botulismusinfektion besteht“?

25. Welchen lebensmittelrechtlichen Unterschied gibt es zwischen den beiden
oben genannten Vorkommen?

26. Welche Rolle spielt nach Kenntnis der Bundesregierung der Übertragungs-
weg über tierische Lebensmittel wie Fleisch und Milch, und welche Folge-
rungen zieht die Bundesregierung gegebenenfalls aus ihren Kenntnissen?

V. Forschung

27. Liegen die für 2011 erwarteten Ergebnisse des Laborvergleichstests des
Friedrich-Loeffler-Instituts bereits vor, und falls nein, wann sind diese zu
erwarten?

28. Welche Forschungsvorhaben zu Clostridium botulinum bei chronischen
Krankheitsverläufen sind geplant oder laufen derzeit, und wann sind Er-
gebnisse zu erwarten?

Welche Ergebnisse liegen schon vor?

29. Welche Erfahrungen liegen zur Nutzung des in Südafrika mit guten Erfah-
rungen eingesetzten Impfstoffs vor, und in welchem Umfang wird von der
Möglichkeit einer Sondergenehmigung zum Einsatz in Deutschland Ge-
brauch gemacht?

30. Gibt es Bestrebungen seitens der Bundesregierung, den Einsatz des Impf-
stoffs zu vereinfachen bzw. voranzutreiben?

Berlin, den 10. Juni 2011
Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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