BT-Drucksache 17/6089

Klare Regelungen für Intensivtierhaltung

Vom 7. Juni 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6089
17. Wahlperiode 07. 06. 2011

Antrag
der Abgeordneten Heinz Paula, Dr. Wilhelm Priesmeier, Sören Bartol, Dirk Becker,
Uwe Beckmeyer, Gerd Bollmann, Willi Brase, Marco Bülow, Martin Burkert,
Petra Crone, Elvira Drobinski-Weiß, Garrelt Duin, Petra Ernstberger, Iris Gleicke,
Ulrike Gottschalck, Michael Groschek, Michael Groß, Hans-Joachim Hacker, Rolf
Hempelmann, Gustav Herzog, Gabriele Hiller-Ohm, Petra Hinz (Essen), Johannes
Kahrs, Ulrich Kelber, Dr. Bärbel Kofler, Ute Kumpf, Steffen-Claudio Lemme,
Gabriele Lösekrug-Möller, Kirsten Lühmann, Dr. Matthias Miersch, Thomas
Oppermann, Florian Pronold, Mechthild Rawert, Dr. Ernst Dieter Rossmann,
René Röspel, Frank Schwabe, Rolf Schwanitz, Stefan Schwartze, Rita
Schwarzelühr-Sutter, Ute Vogt, Dr. Marlies Volkmer, Waltraud Wolff (Wolmirstedt),
Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Klare Regelungen für Intensivtierhaltung

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

In Deutschland führt die gegenwärtige Form der intensiven Haltung landwirt-
schaftlicher Nutztiere zunehmend zu Akzeptanzproblemen in der Bevölkerung.
Bürgerinnen und Bürger, die unmittelbar von der Ansiedlung großer Tier-
haltungsanlagen betroffen sind, engagieren sich vehement gegen deren Bau.

Hinzu kommt die grundsätzliche Ablehnung breiter Bevölkerungsschichten,
die aus Gründen des Tierschutzes gegen intensive Haltungsformen sind.

Die sich zuspitzenden Konflikte in einigen Regionen Niedersachsens, Nord-
rhein-Westfalens und Brandenburgs verdeutlichen die Problematik.

In den Zentren der intensiven Tierhaltung sind die Grenzen der Belastbarkeit
für die Umwelt erreicht. Da die landwirtschaftlichen Betriebsflächen der Tier-
halter meist nicht ausreichen, um den anfallenden Stickstoff betriebsnah und
umweltverträglich auszubringen, werden Boden- und Wasserhaushalte über-
mäßig beansprucht. In den letzten Jahren konnten die Nährstoffüberschüsse
trotz der Umsetzung technischer und administrativer Maßnahmen nicht soweit
gesenkt werden, dass europarechtliche Vorgaben eingehalten werden.

Die Nachfrage der Verbraucherinnen und Verbraucher nach preislich erschwing-
lichem Fleisch und preislich erschwinglichen Fleischwaren bleibt unverändert

hoch. Dies ist ein Grund dafür, dass in den letzten Jahren insbesondere die
Geflügelhaltung in der Landwirtschaft erheblich ausgeweitet wurde. Allein im
Zeitraum von 2006 bis 2009 stieg die Geflügelfleischproduktion von knapp
1,12 Millionen Tonnen auf 1,4 Millionen Tonnen. Der Prokopfverbrauch er-
höhte sich im selben Zeitraum von 16,7 kg auf 18,6 kg Geflügelfleisch.

Drucksache 17/6089 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Die tierische Veredelungswirtschaft hat in Deutschland damit eine große Be-
deutung insbesondere für die Beschäftigung im ländlichen Raum. Folgende
Zahlen verdeutlichen dies: 84 300 Beschäftigte erwirtschafteten im Jahr 2009
einen Umsatz von 33,5 Mrd. Euro, was in etwa 22 Prozent des Gesamtumsatzes
des Ernährungsgewerbes entspricht.

Dennoch wird die intensive landwirtschaftliche Produktion von einer breiten
Mehrheit in der deutschen Gesellschaft abgelehnt. Gerade weil die Landwirt-
schaft staatliche Transferzahlungen erhält, sprechen sich immer mehr Men-
schen für eine tiergerechte und umweltverträgliche Landwirtschaft aus, die
qualitativ hochwertige tierische Lebensmittel produziert. Gemessen an diesem
Anspruch müssen die Haltungsformen unserer landwirtschaftlichen Nutztiere
auf den Prüfstand.

Die Politik ist aufgefordert, die gesellschaftlichen Ansprüche an eine moderne
Tierproduktion aufzugreifen und die erforderlichen gesetzlichen Anpassungen
auf nationaler wie auf europäischere Ebene vorzunehmen.

Die Tierschutzstandards müssen angehoben werden. Hierfür dient das Tier-
schutzgesetz als Grundlage. Es fordert eine art- und verhaltensgerechte Unter-
bringung und ausreichende Bewegungsfreiheit. Es verbietet, den Tieren grund-
los Schmerzen, Leiden oder Schäden zuzufügen. Artikel 20a des Grundgesetzes
erhebt den Tierschutz zum Staatsziel.

Neben den tierschutzrechtlichen Vorgaben an eine artgerechte Haltung müssen
auch die betroffenen Umweltgesetze angepasst werden, die die Böden, das
Grundwasser und die Luft schützen. Bei den erforderlichen Anpassungen sind
die Grundsätze der kommunalen Selbstverwaltung zu beachten.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

a) Tierschutz in der landwirtschaftlichen Tierhaltung verbessern

1. dafür zu sorgen, dass Eingriffe an Tieren, wie das Kupieren von Schwänzen
bei Ferkeln und der Schnäbel bei Geflügel, das betäubungslose Enthornen
von Rindern und die betäubungslose Ferkelkastration grundsätzlich verboten
werden. Im Tierschutzgesetz sind die Ausnahmeregelungen des § 5 Absatz 3
Satz 1 bis 6 sowie nach § 6 Absatz 3 Satz 1 bis 3 zu streichen;

2. dafür zu sorgen, im Rahmen von Anreizprogrammen ein Monitoring zu unter-
stützen, durch das der Gesundheitszustand der Tiere besser erfasst und doku-
mentiert, den Landwirten entsprechende Informationen zurückgemeldet und
die Erkenntnisse über die Ursache-Wirkung-Beziehungen verbessert werden,
damit die Einhaltung des § 2 des Tierschutzgesetzes durch die Tierhalter ge-
währleistet wird;

3. die Forschung zur Entwicklung von Tierschutzindikatoren auszubauen;

4. umgehend eine Verordnung nach § 13 Absatz 2 des Tierschutzgesetzes zur
Einführung eines obligatorischen Prüf- und Zulassungsverfahrens zur tier-
schutzgerechten Haltung von Legehennen vorzulegen, die spätestens zum
1. Januar 2012 in Kraft tritt;

5. die Voraussetzungen für ein obligatorisches Prüf- und Zulassungsverfahren
für Haltungssysteme aller Nutztiere zu schaffen (Tierschutz-TÜV);

6. in die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung bisher nicht erfasste landwirt-
schaftliche Nutztiere aufzunehmen und dahingehend zu ändern, dass Nutz-
tiere artgerecht gehalten werden können, indem u. a. ein verbessertes Platz-
angebot, Strukturierung der Haltungsanlagen etc. festgelegt werden;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/6089

7. die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung dahingehend zu ändern, dass
Verletzungs- und Mortalitätsraten je Nutztierart festgelegt werden und
durch den zahlenmäßigen Abgleich von eingestallten und ausgestallten
Tieren nachgewiesen werden müssen;

8. die Einführung eines Tierschutzlabels umgehend in die Wege zu leiten;

9. zu prüfen, ob Abstandsregelungen bei verdichteter Tierhaltung dazu bei-
tragen können, das Verschleppungsrisiko von Tierseuchen z. B. durch die
Abluftanlagen von Mastställen zu minimieren;

10. den Begriff „Intensivtierhaltung“ klar zu definieren;

b) Kommunale Planungshoheit sichern

11. einen Gesetzentwurf vorzulegen, der den Privilegierungstatbestand des § 35
Absatz 1 Nummer 1 des Baugesetzbuchs (BauGB) durch eine Präzisierung
der Definition des Begriffs der Landwirtschaft in § 201 BauGB so fasst,
dass die europarechtlichen Vorgaben für eine ökologische und artgerechte
Tierhaltung gesetzlich gefördert sowie ökologisch nicht vertretbare Intensiv-
tierhaltungsanlagen vermieden werden, und zugleich sicherstellt, dass eine
Privilegierung entsprechender Anlagen aufgrund § 35 Absatz 1 Nummer 4
BauGB ausgeschlossen ist;

12. einen Gesetzentwurf für Regelungen des Bauplanungsrechts vorzulegen,
die den Kommunen praktisch wirksame, effektiv handhabbare planungs-
rechtliche Möglichkeiten zur Steuerung und zum Ausschluss von Intensiv-
tierhaltungsanlagen gewährleistet;

13. dafür zu sorgen, dass Planungs- und Genehmigungsverfahren für die Er-
richtung von Anlagen zur Intensivtierhaltung in Gemeindegebieten trans-
parenter gestaltet werden, damit die Mitwirkungsrechte für Bürgerinnen
und Bürgern gestärkt werden;

c) Umweltschutz beachten

14. die in der Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen (4. BImSchV)
vorgegebenen Bestandsobergrenzen zu überprüfen;

15. dafür zu sorgen, dass bei Genehmigungsverfahren für den Bau von Inten-
sivtierhaltungsanlagen ein schlagspezifischer Flächennachweis für eine
ordnungsgemäße Verwertung von Wirtschaftsdünger (wie z. B. Gülle und
Mist) erbracht werden muss;

16. zu überprüfen, ob ein Nährstoffkataster sinnvoll ist;

17. dafür zu sorgen, dass der für das Jahr 2010 angestrebte Stickstoff-
überschuss-Zielwert von 80 kgN/ha durchgesetzt wird und in der Dünge-
verordnung die Stickstoffüberschüsse auf 50 kgN/ha begrenzt werden;

18. gesetzlich abzusichern, dass gemäß Entwurf VDI 4250 „Bioaerosole und
biologische Agenzien – Umweltmedizinische Bewertung von Bioaerosol-
Immissionen – Wirkungen mikrobieller Luftverunreinigungen auf den
Menschen“ im Genehmigungsverfahren ein Nachweis zu verlangen ist,
wonach es auf Flächen, auf denen sich Menschen oder Tiere nicht nur vor-
übergehend aufhalten, nicht zu einer Erhöhung der Hintergrundbelastung
von Bioaerosolen kommt;

19. zum Nachweis der Wirksamkeit von Abluftreinigungseinrichtungen unter
Einbeziehung der Wissenschaft ein Prüfverfahren zu erarbeiten;

Drucksache 17/6089 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
d) zusätzliche Forderungen

20. gemeinsam mit den betroffenen Verbänden und den Ländern Möglichkeiten
der frühzeitigen Information von Landwirten (z. B. über künftige Anforde-
rungen an die Lebensmittelsicherheit, Folgen der Umweltbelastung) zu
schaffen;

21. dafür zu sorgen, dass die Ausbildungsinhalte an den neuen Herausforde-
rungen ausgerichtet werden und regelmäßige Fortbildungen für Betriebs-
leiter und Mitarbeiter landwirtschaftlicher Betriebe nachgewiesen werden
müssen.

Berlin, den 7. Juni 2011

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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