BT-Drucksache 17/6016

Ehrenbekundungen der Bundeswehr für verstorbene Wehrmachtsangehörige

Vom 30. Mai 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6016
17. Wahlperiode 30. 05. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Harald Koch, Petra Pau, Frank Tempel
und der Fraktion DIE LINKE.

Ehrenbekundungen der Bundeswehr für verstorbene Wehrmachtsangehörige

Die Bundeswehr beteiligt sich auf Wunsch der Angehörigen an Trauerfeierlich-
keiten für verstorbene ehemalige Berufssoldaten der Wehrmacht. Die Zentrale
Dienstvorschrift ZDv 10/8 sieht hierfür eine „Abordnung“ aus drei bis fünf Sol-
daten sowie auf Wunsch einen Trompeter und einen Trommler vor. Besondere
Anforderungen an den Dienstgrad des Verstorbenen werden nicht gestellt.

Eine umfangreichere Teilnahme stellt das sogenannte Ehrengeleit dar. Hierbei
wird die Abordnung durch „Totenwachen“, Trompeter und Trommler sowie
ggf. einen „Ordenskissenträger“ ergänzt. In den Genuss dieser Ehrung kommen
ausschließlich Generäle/Admirale und Inhaber sogenannter Tapferkeitsaus-
zeichnungen vom „Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes“ an aufwärts. Zwischen
2000 und Januar 2007 hat es 76 Ehrengeleite/Abordnungen gegeben. In den
Jahren 2008 bis 2010 wurden alleine für Ritterkreuzträger 20 Ehrengeleite
durchgeführt.

Berufssoldaten der Wehrmacht haben sich, anders als Wehrpflichtige, bewusst
für ihre Tätigkeit in der Naziarmee entschieden. Gerade Generäle waren über
die aggressiven Kriegspläne und über Kriegsverbrechen informiert. Das Ritter-
kreuz wurde für „besondere Tapferkeit“ verliehen, die über das unmittelbar für
das eigene Überleben im Gefecht notwendige Maß in der Regel hinausging.
Solchen ehemaligen Kämpfern der Nazi-Wehrmacht außerordentliche Würdi-
gungen durch die Bundeswehr zu erweisen, ist aus Sicht der Fragesteller unan-
gemessen.

Die in der ZDv vorgesehenen Prüfungen sind rein formaler Natur und betreffen
die Feststellungen der Personalien, des Wehrmachtdienstgrades und der „Tap-
ferkeitsauszeichnung“. Zwar wird nach Angaben der Bundesregierung „die
Rolle der Verstorbenen sowohl während des Nationalsozialismus als auch in
der Nachkriegszeit dahingehend geprüft, ob gegen die verstorbene Person Um-
stände geltend gemacht werden können, die eine militärische Ehrung ausschlie-
ßen“, sie teilte aber weder die Modalitäten noch die Kriterien dieser Prüfung
mit (Bundestagsdrucksache 16/4675).

Allzu streng ist sie nicht. Darauf deutet hin, dass im Jahr 2008 ein Ehrengeleit

für den seit 2000 amtierenden Vorsitzenden der Ordensgemeinschaft der Ritter-
kreuzträger des Eisernen Kreuzes e. V. (OdR) Dr. Gerhard Gutmacher gestellt
wurde. Die OdR war 1999 vom damaligen Verteidigungsminister Rudolf
Scharping mit einem Kontaktverbot belegt worden, „da die Gemeinschaft dem
Rechtsradikalismus nahe stehe“ (www.hdg.de/lemo/html/biografien/Scharping
Rudolf/index.html).

Drucksache 17/6016 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Die OdR war auch unter dem Vorsitz von Dr. Gerhard Gutmacher ein Verein,
der sich ganz der Wehrmachtsglorifizierung widmete. Auf ihrer Jubiläumsver-
anstaltung 2004 ließ sie gleich zwei Geschichtsrevisionisten auftreten: Zum
einen den früheren Kommandeur des Kommandos Spezialkräfte (KSK), Gene-
ral a. D. Reinhard Günzel, der das KSK in direkter Traditionslinie zur Nazi-
Einheit „Brandenburger“ sieht (Bundestagsdrucksache 16/5380), zum anderen
Gerd Schultze-Rhonhof, der in seinem Buch „Der Krieg, der viele Väter hat“
die deutsche Kriegsschuld relativiert.

Weder die Publikationen der OdR noch Veröffentlichungen von Dr. Gerhard
Gutmacher selbst handeln von deutschen Verbrechen. Dr. Gerhard Gutmacher
kannte nur die „unwandelbaren“ „soldatischen Tugenden“, die seine OdR auf-
rechterhalte. Kritik an der Wehrmacht schrieb er einer „soldatenfeindlichen“
Bewegung zu, die nur „zersetzen, umdeuten, verschweigen“ kenne. Solch ein
Geschichtsbild verträgt sich nicht mit den offiziell proklamierten Werten der
Bundeswehr und verdient keine außerordentliche Würdigung durch diese.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Was spricht aus Sicht der Bundeswehr dafür, hochrangigen Funktionsträgern
der Nazi-Wehrmacht im Todesfalle militärische Ehrenbekundungen zu er-
weisen?

2. Aus welchen Erwägungen heraus werden diese Ehrenbekundungen nur Be-
rufssoldaten, mithin Männern, die sich freiwillig für den Dienst in der Ar-
mee des Naziregimes entschieden hatten, zuteil, und nicht auch Wehrpflich-
tigen?

3. Welche Umstände, abgesehen von zu niedrigen Dienstgraden oder „Tapfer-
keitsauszeichnungen“ führen dazu, dass die Anträge von Angehörigen auf
militärische Ehrenbekundungen für ehemalige Wehrmachtssoldaten abge-
lehnt werden?

a) Ist das Innehaben von Kommandogewalt über Einheiten, die nach aktuel-
lem historischem Kenntnisstand an Kriegsverbrechen beteiligt waren, ein
Ablehnungsgrund, oder bedarf es dazu des Nachweises einer eigenen Be-
teiligung an den Kriegsverbrechen?

b) Ist die kommentarlose Weitergabe verbrecherischer Befehle an unterge-
ordnete Dienststellen ein Ablehnungsgrund?

c) Ist das Unterlassen kriegsgerichtlicher oder disziplinarrechtlicher Schritte
gegen Soldaten, die mutmaßlich Kriegsverbrechen begangen hatten (etwa
im Sinne des Kriegsgerichtsbarkeitserlasses), ein Ablehnungsgrund?

d) Ist die freiwillige Mitgliedschaft in der SS, der SA und/oder der NSDAP
ein Ablehnungsgrund?

e) Sind zeitgenössische Äußerungen, die eine vorbehaltlose Unterstützung
des Angriffskrieges und/oder des Nationalsozialismus erkennen lassen,
ein Ablehnungsgrund?

f) Sofern die Teilfragen 3a bis 3e verneint werden, wie lautet dazu jeweils
die Begründung?

4. Welche Abschnitte in der ZDv 10/8 sehen eine Prüfung von Ersuchen nach
Ehrenbekundungen hinsichtlich der Frage vor, ob Umstände vorliegen, die
eine militärische Ehrung ausschließen, und inwiefern sieht die ZDv dabei
eine Prüfung vor, inwiefern der Verstorbene für Kriegsverbrechen verant-
wortlich oder ein Anhänger des Nationalsozialismus war?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/6016

5. Wie genau geht die Prüfung vor sich?

a) Welche schriftlichen Regelungen gibt es hierzu (über die ZDv hinaus),
wer hat sie erlassen, und von wann stammen sie (bitte ggf. beilegen)?

b) Welche Stellen sind auf Seiten der Bundeswehr für diese Prüfung zu-
ständig, und welche Stellen werden zur Durchführung der Prüfung kon-
taktiert?

c) Inwiefern werden das Militärgeschichtliche Forschungsamt, das Berlin
Document Center, die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur
Aufklärung nazionalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg und das
Simon-Wiesenthal-Center in die Prüfung eingebunden?

d) Wird in jedem Fall sichergestellt, dass vor Abschluss der Prüfung keine
Abordnung oder Ehrengeleite bewilligt werden, und in welchen Fällen
wurde seit dem Jahr 2000 die Ehrenbekundung durchgeführt, obwohl
die Prüfung noch andauerte?

e) In wie vielen Fällen wurden seit dem Jahr 2000 Anträge auf Ehren-
bekundungen abgelehnt (bitte die Gründe hier angeben), in wie vielen
Fällen wurden sie bewilligt, und in wie vielen Fällen wurden sie von
Seiten der Angehörigen zurückgezogen?

6. Wie viele

a) Ehrengeleite,

b) Abordnungen

hat die Bundeswehr seit dem Jahr 2000 zu Ehren verstorbener Wehr-
machtsangehöriger durchgeführt, und wer waren die Verstorbenen (bitte
jeweils die kompletten Namen, Dienstränge, Auszeichnungen nennen und
angeben, welchen Einheiten die Verstorbenen zu welchem Zeitpunkt
zwischen den Jahren 1939 und 1945 angehört haben)?

7. Welche Kosten sind dabei bislang insgesamt entstanden, und welche Kos-
ten entstehen heute durchschnittlich bei einer Abordnung sowie einem Eh-
rengeleit?

8. War die Bundeswehr, als sie das Ehrengeleit für den ehemaligen Vorsitzen-
den der Ordensgemeinschaft der Ritterkreuzträger, Dr. Gerhard Gutma-
cher, durchführte, über dessen Tätigkeit in der OdR unterrichtet?

9. Wie beurteilt die Bundesregierung die Entscheidung, dem ehemaligen
OdR-Vorsitzenden ein Ehrengeleit zukommen zu lassen, aus heutiger
Sicht?

10. Hat die Bundesregierung berücksichtigt, dass die Stellung eines Ehren-
geleites auf die Öffentlichkeit und auf die Soldaten der Bundeswehr den
Eindruck machen muss, als komme dem Verstorbenen eine gewisse Vor-
bildlichkeit zu, und inwiefern hat sie dabei berücksichtigt, dass Dr. Gerhard
Gutmacher in der Öffentlichkeit aufgrund seiner Funktion vorrangig als
Wehrmachtsapologet wahrgenommen wurde?

11. Inwiefern ist die Tatsache, dass unter dem Vorsitz Dr. Gerhard Gutmachers
und damit mutmaßlich mit dessen Einverständnis bei der OdR-Versamm-
lung 2004 zwei Geschichtsrevisionisten auftraten, die die Kriegsschuld
relativieren bzw. Wehrmachtseinheiten zu Vorbildern für die Bundeswehr
erklären, aus Sicht der Bundesregierung geeignet, dem OdR-Vorsitzenden
militärische Ehren zukommen zu lassen?

Drucksache 17/6016 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
12. Hat die Bundesregierung damals berücksichtigt, dass Dr. Gerhard Gutma-
cher in Hinblick auf Kritiker an der Wehrmacht von einer „soldatenfeind-
lichen“ Bewegung spricht, die nur „zersetzen, umdeuten, verschweigen“
wolle (Beitrag Dr. Gerhard Gutmachers im „Deutschen Soldatenjahrbuch“
2003/2004), und inwiefern steht dies in Übereinstimmung mit der offiziel-
len Traditionsrichtlinien der Bundeswehr?

Berlin, den 30. Mai 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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