BT-Drucksache 17/6015

Die Bundeswehr und der 70. Jahrestag des Überfalls der faschistischen Wehrmacht auf die Sowjetunion

Vom 30. Mai 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6015
17. Wahlperiode 30. 05. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Harald Koch, Petra Pau, Frank Tempel
und der Fraktion DIE LINKE.

Die Bundeswehr und der 70. Jahrestag des Überfalls der faschistischen
Wehrmacht auf die Sowjetunion

Am 22. Juni 2011 jährt sich zum 70. Mal der Überfall des Deutschen Reiches
auf die Sowjetunion. Mit dieser Ausweitung des Krieges gingen nicht nur
schier unermessliche Kriegsverbrechen einher, es begann auch die systema-
tische Ermordung der jüdischen Bevölkerung innerhalb des deutschen Macht-
bereichs.

Obwohl die Wehrmacht durch die Befolgung der Angriffsbefehle diese Verbre-
chen erst ermöglicht, sie in vielen Fällen gar selbst begangen hat, sind immer
noch Kasernen der Bundeswehr nach nazitreuen Offizieren der Wehrmacht be-
nannt und es gibt immer noch Kontakte zwischen Bundeswehr und geschichts-
revisionistischen Organisationen.

Die Bundesregierung deutet zwar in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der
Fraktion DIE LINKE. (Bundestagsdrucksache 17/5877) an, dass sie die Be-
nennung der General-Konrad-Kaserne in Bad Reichenhall nicht mehr für zeit-
gemäß halte, kann sich aber gleichwohl nicht entschließen, sie schleunigst um-
zubenennen. General Konrad war für zahlreiche Kriegsverbrechen verantwort-
lich und hatte 1941 bekräftigt: „Dem Führer und seinem Werk gehört unsere
ganze Hingabe“ – so jemand hätte in einer angeblich der Demokratie verpflich-
teten Armee niemals als Namensgeber einer Kaserne in Frage kommen dürfen.
Anders als es die Bundesregierung formuliert – Namensgeber würden „heute in
einigen Fällen anders bewertet als zu der Zeit, als eine Kaserne nach dieser Per-
son benannt worden ist“ – war es für Antifaschisten von Anfang an klar, dass
Kriegsverbrecher keine Vorbilder sein dürfen. Die Bundeswehr hingegen
braucht Jahrzehnte, bis sie sich dieser Einschätzung annähert.

Aus Sicht der Fragesteller wäre der Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion
ein guter Anlass, innerhalb der Bundeswehr endlich mit einer Aufarbeitung der
eigenen Geschichte zu beginnen und beispielsweise zu thematisieren, wie viele
Nazi-Offiziere in der Bundeswehr führende Positionen einnehmen konnten.
Auch Konsequenzen in der Traditionspolitik wären geboten, etwa die zügige
Umbenennung all jener Kasernen, die nach Offizieren benannt sind, die den
faschistischen Angriffskrieg geplant und willig geführt haben.
Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Veranstaltungen wird die Bundeswehr in diesem Jahr anlässlich des
70. Jahrestags des Überfalls auf die Sowjetunion intern (für Soldaten, Reser-
visten) durchführen (bitte sämtlich auflisten mit Kurzangabe des Themas,
der Art der Veranstaltung, Ort und Zeitpunkt), und welche Kosten werden
hierfür anfallen?

Drucksache 17/6015 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

2. Welche Veranstaltungen zu diesem Thema im Inland werden die Bundes-
wehr bzw. das Bundesministerium der Verteidigung durchführen bzw. unter-
stützen (bitte sämtlich mit Kurzangabe des Themas, ggf. des Veranstalters,
der Art der Veranstaltung, Ort und Zeitpunkt sowie Art der Unterstützung
auflisten), und welche Kosten werden hierfür anfallen?

3. Welche Veranstaltungen im Inland werden andere Ressorts des Bundes
durchführen bzw. unterstützen (bitte sämtlich mit Kurzangabe des Themas,
ggf. des Veranstalters, der Art der Veranstaltung, Ort und Zeitpunkt sowie
Art der Unterstützung auflisten), und welche Kosten werden hierfür anfal-
len?

4. Welche Veranstaltungen im Ausland wird die Bundeswehr durchführen
bzw. unterstützen und an welchen wird sie offiziell vertreten sein (bitte
sämtlich mit Kurzangabe des Themas, ggf. des Veranstalters, der Art der
Veranstaltung, Ort und Zeitpunkt sowie Art der Unterstützung auflisten),
und welche Kosten werden hierfür anfallen?

5. Welche Veranstaltungen im Ausland werden andere Ressorts des Bundes
durchführen bzw. unterstützen (bitte sämtlich mit Kurzangabe des Themas,
ggf. des Veranstalters, der Art der Veranstaltung, Ort und Zeitpunkt sowie
Art der Unterstützung auflisten), und welche Kosten werden hierfür anfal-
len?

6. Was wird die Bundeswehr unternehmen, um die personellen, politischen
und strukturellen Kontinuitäten zur Wehrmacht insbesondere in ihrer Grün-
dungsphase zu untersuchen?

7. Wie viele Kasernen und Liegenschaften der Bundeswehr sind derzeit nach
Soldaten der Wehrmacht benannt?

a) Welche dieser Soldaten waren an Planung, Vorbereitung oder Durchfüh-
rung des Überfalls auf die Sowjetunion beteiligt?

b) Welche von diesen rechnet die Bundesregierung dem Widerstand gegen
die Naziführung zu (Doppelnennungen möglich)?

c) Welche dieser Kasernen werden voraussichtlich im Rahmen der Struk-
turreform geschlossen?

8. Beabsichtigt die Bundesregierung, anlässlich des 70. Jahrestages des Über-
falls auf die Sowjetunion und des Beginns der systematischen Ermordung
der jüdischen Bevölkerung, Umbenennungen von Kasernennamen vorzu-
nehmen, und wenn ja, welche und bis wann, und wenn nein, warum nicht?

9. Welche Mühe wird darauf verwendet, im Rahmen des Unterrichts oder an-
derweitig den Angehörigen der Bundeswehr das Ausmaß der deutschen
Verbrechen und insbesondere des Anteils der Wehrmacht daran zu vermit-
teln (bitte möglichst detailliert auflisten, Stundenzahlen, Publikationen
usw. angeben und ggf. nach Standorten oder Dienstgraden getrennt darstel-
len)?

10. Bleibt die Bundesregierung bei ihrer (in der Antwort auf die Kleine An-
frage zu Frage 16 auf Bundestagsdrucksache 16/1282 geäußerten) Ansicht,
als „vorbildlich“ Wehrmachtsangehörige zu erachten, die „als Gründer-
väter der Bundeswehr“ aktiv waren, ohne dies davon abhängig zu machen,
dass sie in der Wehrmacht am Widerstand gegen die Naziführung oder als
„Retter in Uniform“ wie etwa Feldwebel Anton Schmid, aktiv waren, und
wenn ja, worin genau sieht die Bundesregierung eine Vorbildlichkeit von
Offizieren, die in keiner Weise Widerstand geleistet, sondern in den Augen
der Naziführung „tadellos“ funktioniert haben?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/6015

11. Hält es die Bundesregierung tatsächlich für unangebrachten „moralischen
Rigorismus“ (Antwort auf die Kleine Anfrage zu Frage 17 auf Bundestags-
drucksache 16/1282), angesichts der ungeheuren Verbrechen der Wehr-
macht zu fordern, Liegenschaften der Bundeswehr nicht nach „führer-
treuen“ Offizieren zu benennen, und wenn ja, warum, und wenn nein,
warum zieht sie dann nicht die Konsequenzen und ersetzt die Namen nicht-
widerständischer Wehrmachtsoffiziere?

12. Inwiefern findet in jenen Liegenschaften der Bundeswehr, die nach „füh-
rertreuen“ Wehrmachtsoffizieren benannt sind, tatsächlich die nach eige-
nem Bekunden von der Bundesregierung angestrebte „kritische Auseinan-
dersetzung mit Namensgebern“ statt (Antwort auf die Kleine Anfrage zu
Frage 12 auf Bundestagsdrucksache 16/1601) (bitte nach Liegenschaft
getrennt darstellen und den Verlauf sowie die wesentlichen Positionen der
Auseinandersetzungen und Akteure schildern)?

Berlin, den 30. Mai 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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