BT-Drucksache 17/5978

Maßnahmen zur Stärkung der Non-Proliferation und nuklearen Exportkontrolle

Vom 25. Mai 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5978
17. Wahlperiode 25. 05. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Uta Zapf, Dr. h. c. Gernot Erler, Petra Ernstberger, Iris Gleicke,
Ute Kumpf, Dr. Rolf Mützenich, Thomas Oppermann, Dr. Frank-Walter Steinmeier
und der Fraktion der SPD

Maßnahmen zur Stärkung der Non-Proliferation und nuklearen Exportkontrolle

Vom 20. bis zum 24. Juni 2011 werden die 46 Teilnehmer der Gruppe der
nuklearen Lieferländer (Nuclear Suppliers Group – NSG) in Nordwijk, Nieder-
lande zusammenkommen, um über wirkungsvollere Maßnahmen zur Verhinde-
rung der Verbreitung von Nukleartechnologie zu beraten.

Die NSG ist eine Gruppe von Staaten, die sich zusammengeschlossen haben, um
die weitere Verbreitung von Kernwaffen in der Welt durch eine aktive und koor-
dinierte Exportkontrollpolitik zu verhindern.

Im September 2008 hat die NSG unter deutschem Vorsitz beschlossen, für die
Lieferung ziviler Kerntechnologie nach Indien eine Ausnahmegenehmigung zu
erlassen, obwohl Indien seine Atomanlagen nur teilweise der Kontrolle der
Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) unterstellt. Diese Entschei-
dung wurde mit der Hoffnung begründet, Indien über eine Aufhebung der Han-
delsrestriktionen, die in Reaktion auf Indiens Atomtest 1974 erlassen wurden, an
das nukleare Nichtverbreitungsregime heranzuführen.

Eine Voraussetzung für die Entscheidung der NSG im September 2008, beste-
hende Handelsrestriktionen gegenüber Indien aufzuheben, waren Zusagen die
der indische Außenminister Shri Pranab Mukherjee kurz vor der NSG-Entschei-
dung gab. Im Namen der indischen Regierung versprach Shri Pranab Mukherjee
unter anderem, dass Indien das Atomteststoppmoratorium einhalten und Ver-
handlungen über ein vertragliches Verbot der Produktion waffenfähigen Spalt-
materials in der Genfer Abrüstungskonferenz unterstützen werde.

Es ist bisher nicht gelungen, Indien zu einer Unterzeichnung des Teststoppver-
trages zu bewegen. Indien produziert weiterhin waffenfähiges Spaltmaterial, um
seine Nuklearwaffenarsenale aufzustocken.

Seit mehreren Jahren berät die NSG über eine Verschärfung der Lieferrichtlinien
über den Handel mit besonders proliferationsrelevanten Technologien, die für
die Urananreicherung oder der Wiederaufbereitung von Plutonium genutzt wer-
den können. Gegenwärtig sind die NSG-Teilnehmer lediglich gehalten, „Zu-
rückhaltung“ bei solchen Lieferungen auszuüben. Seit November 2008 liegt ein

Entwurf über die Verschärfung der relevanten Absätze 6 und 7 vor, der aber bis-
her nicht beschlossen werden konnte.

Das NSG-Plenartreffen in diesem Jahr findet zu einem kritischen Zeitpunkt für
die NSG und das nukleare Nichtverbreitungsregime statt.

– Im November 2010 verkündete US-Präsident Barack Obama, dass die Verei-
nigten Staaten von Amerika eine Aufnahme Indiens in die NSG unterstützen,

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– China hat angekündigt zwei Nuklearreaktoren nach Pakistan zu liefern, ohne
dass dafür eine Ausnahmegenehmigung in der NSG beantragt werden soll,

– lange überfällige Vorschläge zur Verschärfung der NSG-Richtlinien konnten
bis heute nicht umgesetzt werden.

Die Umwälzungen in der arabischen Welt führen eindringlich vor Augen, dass
viele potenzielle Empfängerländer ziviler Kerntechnik politisch nicht so stabil
sind, und dass auf Dauer ein Missbrauch ziviler Kernenergie ausgeschlossen
werden kann.

Die Atomkatastrophe von Fukushima hat zugleich deutlich gemacht, dass mit
der Verbreitung von Nukleartechnologie nicht nur die Gefahr des militärischen
oder terroristischen Missbrauchs steigt, sondern auch die Wahrscheinlichkeit,
dass es zu einem Unfall kommt.

Vor diesem Hintergrund ist es von zentraler Bedeutung für die internationale
Sicherheit, dass die nuklearen Lieferländer gemeinsam agieren, um die Regeln
für den Handel mit ziviler Kernenergie umfassender und verbindlicher zu gestal-
ten.

Wir fragen die Bundesregierung:

Allgemeines

1. Welche Position vertritt die Bundesregierung in der Diskussion um die NSG-
Lieferrichtlinien, und welche Initiativen hat die Bundesregierung in dieser
Diskussion unternommen?

2. Welche Maßnahmen sollten die NSG-Teilnehmer nach Auffassung der Bun-
desregierung beschließen, um die NSG-Richtlinien wirksamer und umfas-
sender zu gestalten?

3. Unterstützt die Bundesregierung die Aufnahme weiterer Staaten in die NSG?

Wenn ja, welche Staaten sollten nach Auffassung der Bundesregierung in die
NSG aufgenommen werden?

Welche Kriterien hält die Bundesregierung für eine Aufnahme weiterer Teil-
nehmer für wichtig?

Indien

4. Inwiefern hat sich Indien seit dem Beschluss über eine Ausnahmegenehmi-
gung im September 2008 an das internationale Nichtverbreitungsregime an-
genähert?

a) Hat Indien nach Kenntnissen der Bundesregierung seine ablehnende Hal-
tung gegenüber dem CTBT (Comprehensive Test-Ban Treaty) geändert?

b) Ist Indien nach Kenntnissen der Bundesregierung bereit, dem Beispiel der
NVV-Kernwaffenstaaten (NVV: Vertrag über die Nichtverbreitung von
Kernwaffen), zu folgen und die Produktion waffenfähigen Spaltmaterials
freiwillig einzustellen?

c) Hat Indien nach Kenntnis der Bundesregierung seine Zusagen in Bezug
auf die Unterstellung weiterer Atomanlagen unter die Kontrolle der IAEO
eingehalten?

Setzt Indien, wie zugesagt, ein Zusatzprotokoll zu seinen Sicherungsab-
kommen um?

d) Welche indischen Atomreaktoren stehen gegenwärtig unter der Kontrolle
der IAEO?
Welche Anlagen stehen nicht unter der Kontrolle der IAEO?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/5978

5. Unter welchen Umständen wäre die Bundesregierung bereit, eine Auf-
nahme Indiens in die NSG zu unterstützen?

6. Wie beurteilt die Bundesregierung die nach indischen Angaben mit den
NSG-Richtlinien harmonisierte indische Exportkontrollgesetzgebung?

Welche Fortschritte in Bezug auf eine Heranführung Indiens an das Nicht-
verbreitungsregime sind nach Meinung der Bundesregierung vor diesem
Hintergrund von einem Betritt Indiens zur NSG zu erwarten?

7. Welche Möglichkeiten hätte die NSG im Falle einer Aufnahme Indiens in
die NSG angesichts des Konsensprinzips auf einen möglichen Bruch der in-
dischen Zusagen in Bezug auf die Einhaltung der rüstungskontrollpoliti-
schen Verpflichtungen zu reagieren?

a) Wie würde die Bundesregierung insbesondere auf den Bruch des Atom-
teststoppmoratoriums durch einen indischen Atomtest reagieren?

b) Welche Handlungsmöglichkeiten besitzt die Bundesregierung, um zu re-
agieren, sollte Indien die Aufnahme von Verhandlungen über ein ver-
tragliches Verbot der Produktion waffenfähigen Spaltmaterials in der
Genfer Abrüstungskonferenz nicht unterstützen?

China/Pakistan

8. Ist die von China geplante Lieferung von zwei Nuklearreaktoren nach
Pakistan nach Auffassung der Bundesregierung mit den NSG-Richtlinien
vereinbar?

9. Teilt die Bundesregierung die chinesische Einschätzung, dass eine Liefe-
rung durch ein bereits vom NSG-Beitritt Chinas im Jahr 2004 abgeschlos-
senes bilaterales Handelsabkommen (grandfathering) gedeckt ist?

10. Hat China bei seinem NSG-Beitritt 2004 die anderen Teilnehmer in Kennt-
nis gesetzt, dass bereits ein Abkommen über die Lieferung weiterer Nuklear-
reaktoren nach Pakistan existiert, und mit welchen Partner will die Bundes-
regierung dies durchsetzen?

11. Bedarf eine solche Lieferung nach Meinung der Bundesregierung einer ge-
sonderten Befassung der NSG?

Wenn ja, wird die Bundesregierung beantragen, dass die geplante Lieferung
auf die Tagesordnung des bevorstehenden Plenartreffens gesetzt wird?

12. Welche Haltung hat die Bundesregierung zur Forderung Pakistans nach
einer Gleichbehandlung mit Indien und einer Ausnahmegenehmigung von
den NSG-Richtlinien?

Welche Gründe sprechen aus Sicht der Bundesregierung dagegen, dass die
NSG die gegen Pakistan bestehenden Handelsrestriktionen aufhebt?

NSG-Richtlinien

13. Tritt die Bundesregierung dafür ein, dass die NSG-Richtlinien verschärft
werden, um die Lieferung von Anreicherungs- und Wiederaufbereitungs-
technologien weiter zu erschweren?

Welche Kriterien sollten nach Auffassung der Bundesregierung für die Ge-
nehmigung der Ausfuhr solcher Technologien von den NSG-Teilnehmer-
staaten angewendet werden?

14. Unterstützt die Bundesregierung auf dem diesjährigen G8-Gipfel die
Erneuerung der G8-Staaten-Beschlüsse von 2009 und 2010, wonach die

verschärften NSG-Richtlinien gemäß dem Entwurf von 2008 vorläufig an-
zuwenden sind?

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15. Sollten nach Auffassung der Bundesregierung die NSG-Richtlinien dahin-
gehend verschärft werden, dass Lieferungen von Nukleartechnologie künf-
tig nur noch an solche Staaten möglich sind, die ein Zusatzprotokoll zu
ihren Sicherungsabkommen mit der IAEO umsetzen?

Warum war es in der NSG bisher nicht möglich, eine solche Verschärfung
der Richtlinien zu beschließen?

16. Welche Staaten haben bei welchen Gelegenheiten nach Kenntnis der Bun-
desregierung den Wunsch geäußert, ebenfalls eine Ausnahmegenehmigung
von den NSG-Richtlinien erteilt zu bekommen?

Die Gefahr von Nuklearunfällen begrenzen

17. Welche Konsequenzen haben nach Auffassung der Bundesregierung die
Reaktorkatastrophen von Fukushima für die Genehmigung von Ausfuhren
von Nukleartechnologie?

Sollten solche Ausfuhren auch an die Einhaltung von Sicherheitsstandards
geknüpft werden?

Sollte die NSG solche Standards definieren, damit die Teilnehmer eine ein-
heitliche Entscheidungs- und Genehmigungsgrundlage haben?

18. Sollte die IAEO nach Auffassung der Bundesregierung in die Lage versetzt
werden, einheitliche Standards für den sicheren Betrieb von kerntech-
nischen Anlagen zu definieren, deren Einhaltung auch zu überprüfen und
Regelverstöße gegebenenfalls zu sanktionieren?

Wenn ja, welche Schritte unternimmt die Bundesregierung, um eine solche
Kompetenzerweiterung herbeizuführen?

Nordafrika

19. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über geplante Lieferungen
ziviler Nukleartechnologie deutscher Firmen und/oder von europäischen
Partnern nach Nordafrika und in den arabischen Raum?

20. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die Lieferung ziviler Nukle-
artechnologie nach Libyen unter den gegenwärtigen Umständen verant-
wortbar ist?

21. Welche Länder kommen nach Ansicht der Bundesregierung aufgrund der
NSG-Standards für Lieferungen ziviler Nukleartechnologie nicht in Frage?

22. Wie positioniert sich die Bundesregierung, wenn NSG-Mitglieder unter
Umgehung der NSG-Standards zivile Nukleartechnologie an die Staaten
der Region liefern?

Berlin, den 25. Mai 2011

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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