BT-Drucksache 17/5968

Wiederverwendung von medizinischen Einmalprodukten und Patientensicherheit

Vom 25. Mai 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5968
17. Wahlperiode 25. 05. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Edgar Franke, Bärbel Bas, Petra Ernstberger, Elke Ferner, Iris
Gleicke, Angelika Graf (Rosenheim), Dr. Karl Lauterbach, Steffen-Claudio Lemme,
Hilde Mattheis, Thomas Oppermann, Mechthild Rawert, Dr. Carola Reimann,
Dr. Marlies Volkmer, Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Wiederverwendung von medizinischen Einmalprodukten
und Patientensicherheit

In der jüngsten Zeit wurden in mehreren deutschen Krankenhäusern zum Teil er-
hebliche Hygienedefizite festgestellt. Die Zentralsterilisationsabteilungen meh-
rerer Kliniken (Klinikum Kassel, Klinikum Fulda, Städtisches Klinikum Bogen-
hausen) mussten geschlossen werden, weil Medizinprodukte nicht ordnungsge-
mäß aufbereitet wurden.

In wissenschaftlichen Studien sind nicht unerhebliche Infektionsraten, teilweise
sogar von bis zu 15 000 Todesfällen durch Krankenhausinfektionen nachgewie-
sen. Laut einer aktuellen Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Kranken-
haushygiene e. V. sterben sogar bis zu 30 000 Patienten pro Jahr. Die Bewältigung
der Aufbereitungsproblematik von Medizinprodukten wird darin allerdings nicht
konkretisiert; durch die Pflicht zur Einführung von Hygieneverordnungen wird
lediglich ein allgemeiner Rahmen zur Verbesserung der Hygienequalität gesteckt.

Kurz nach Bekanntwerden eines schweren Hygienevorkommnisses in Deutsch-
land hat die Europäische Kommission am 27. August 2010 ihren „Bericht über
die Wiederaufbereitung von Medizinprodukten in der Europäischen Union ge-
mäß Artikel 12a der Richtlinie 93/42/EWG“ vorgelegt. Dazu wurde sie mit der
Neufassung der Richtlinie 93/42/EWG über Medizinprodukte vom 5. Septem-
ber 2007 verpflichtet, um sicherzustellen, dass die Aufbereitung und Wiederver-
wendung, insbesondere die Wiederverwendung von Einmalmedizinprodukten,
die Gesundheit und Sicherheit der Patienten nicht gefährdet.

Zur wissenschaftlichen Untermauerung ihres Berichtes bediente sich die EU-
Kommission des Wissenschaftlichen Ausschusses „Neu auftretende und neu
identifizierte Gesundheitsrisiken“ (SCENIHR), der im April 2010 seine Be-
wertung über die Sicherheit von aufbereiteten Einmalprodukten vorlegte. Das
SCENIHR- Dokument beschreibt eine Reihe von Risiken, die Gesundheit und
Leben der Patienten gefährden können, die mit aufbereiteten Einmalprodukten
behandelt werden. Besonders kritisch wird die Wiederverwendung bei invasiven
Einmalmedizinprodukten bewertet und bei solchen, die durch ihr Design für
eine Aufbereitung und Wiederverwendung ungeeignet sind.

Die EU-Kommission verweist in ihrem Bericht auf die besondere Entwicklung

medizinischer Einmalprodukte seit den 80er-Jahren, die dazu führte, dass die
Produkte für die vorgesehene Anwendung immer weiter optimiert wurden, sich
aber gleichzeitig durch die Auswahl weniger robuster Materialien und die Kom-
plexität ihres Aufbaus immer weniger zur Wiederverwendung eignen. Für diese
Produkte fehlen Informationen über die Aufbereitung. Konstruktionsmerkmale
und Leistungsspezifikationen sind den Aufbereitern unbekannt.

Drucksache 17/5968 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
Die EU-Kommission hat die kritische Bewertung der Wiederverwendung von
Einmalprodukten durch das SCENIHR übernommen und verweist insbesondere
auf die Risiken der Kontamination, chemischer Rückstände und Änderungen in
der Funktionalität aufbereiteter Einmalprodukte. Als besonderes Problem wer-
den Prionen betrachtet, deren Inaktivierung auf den üblicherweise verwendeten
Materialien nicht möglich sei.

Aussagen über die Einspareffekte der Aufbereitung werden als unzureichend be-
wertet. Auch die Datenlage ökologischer Studien, auch im Hinblick auf eine
Schonung der natürlichen Ressourcen, wird als inkomplett angesehen.

Während in Ländern wie Frankreich die Wiederverwendung von medizinischen
Einmalprodukten ausdrücklich verboten ist, kennt das deutsche Recht ein sol-
ches Verbot nicht. Die Rahmenbedingungen beschreiben die Empfehlung zu den
„Anforderungen an die Hygiene bei der Aufbereitung von Medizinprodukten“
der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention beim Ro-
bert Koch-Institut (RKI) und des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizin-
produkte (BfArM). Darin wird auf eine Unterscheidung in Einmal- und Mehr-
wegprodukte verzichtet und so die Aufbereitung von Einmalprodukten zumin-
dest nicht grundsätzlich abgelehnt. Am 31. März 2008 hatte das Bundesministe-
rium für Gesundheit (BMG) seinen „Erfahrungsbericht zur Aufbereitung von
Medizinprodukten in Deutschland“ vorgelegt. Zusammenfassend wird konsta-
tiert, dass das BMG keine Notwendigkeit für eine grundlegende Änderung des
Rechtsrahmens sieht und keine Notwendigkeit, die Aufbereitung von Einmal-
produkten grundsätzlich zu verbieten. Dennoch wurde das BfArM bereits im
Jahr 2007 mit einer bundesweiten repräsentativen Studie zur Qualität der Auf-
bereitung in Deutschland betraut. Die Ergebnisse der Studie sind bis heute nicht
bekannt.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie bewertet die Bunderegierung die Aussagen des SCENIHR-Berichts über
das Potenzial der Gefährdung von Patienten und Mitarbeitern durch die Wie-
derverwendung von aufbereiteten Einmalprodukten?

2. Unterstützt die Bundesregierung die von der EU-Kommission vorgeschla-
gene Pflicht zur Information der Patienten und Einholung einer Patientenein-
verständniserklärung?

3. Unterstützt die Bundesregierung die von der EU-Kommission vorgeschla-
gene Pflicht zur Einführung einer Kennzeichnung von aufbereiteten Einmal-
produkten?

4. Hält die Bundesregierung es nicht für sinnvoll im Rahmen des Hygienegeset-
zes konkrete Vorgaben zur Minimierung der Patientengefährdung zu ma-
chen?

5. Kann die Bundesregierung angesichts der bekannt gewordenen Hygienevor-
kommnisse die Aufbereitung von medizinischen Einmalprodukten noch zu-
lassen?

6. Wann ist mit der Vorlage der BfArM-Studie über die Qualität der Aufberei-
tung in Deutschland zu rechnen?

7. Mit welchen Vorschriften und Überwachungsmaßnahmen kann die Bundes-
regierung sicherstellen, dass hochkomplexe medizinische Einmalprodukte
nach der Aufbereitung die gleichen Leistungsspezifikationen erfüllen wie das
ungebrauchte Originalprodukt?

Berlin, den 25. Mai 2011

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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