BT-Drucksache 17/5914

Alphabetisierung und Grundbildung in Deutschland fördern

Vom 25. Mai 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5914
17. Wahlperiode 25. 05. 2011

Antrag
der Abgeordneten Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Hans-Peter Bartels,
Klaus Barthel, Willi Brase, Ulla Burchardt, Petra Ernstberger, Michael Gerdes,
Iris Gleicke, Klaus Hagemann, Petra Hinz (Essen), Christel Humme, Oliver
Kaczmarek, Daniela Kolbe (Leipzig), Ute Kumpf, Aydan Özog˘uz, Thomas
Oppermann, Florian Pronold, René Röspel, Marianne Schieder (Schwandorf),
Swen Schulz (Spandau), Stefan Schwartze, Andrea Wicklein, Dagmar Ziegler,
Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Alphabetisierung und Grundbildung in Deutschland fördern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Im Bewusstsein und Kenntnisstand der politisch Verantwortlichen, der Wirt-
schaft, der Wissenschaft, der Medien wie der Bevölkerung allgemein ist der An-
alphabetismus im engeren Sinne, also das Unvermögen von Menschen, Buch-
staben erkennen und lesen zu können, bis in die jüngste Zeit hinein als ein
Randproblem der deutschen Gesellschaft angesehen worden, das nur wenige
Menschen betrifft und keinen besonderen bildungs-, sozial- und arbeitsmarkt-
politischen Anstrengungen bedarf.

Diese politische und gesellschaftliche Unkenntnis über die verschiedenen For-
men des Analphabetismus, seine Verbreitung und seine möglichen Ursachen
stehen in einem eklatanten Widerspruch zu jüngsten empirischen Ergebnissen
der Bildungsforschung, die für die Alphabetisierung und Grundbildung in
Deutschland einen massiven Handlungsbedarf aufzeigen. Notwendig ist jetzt
ein umfassendes Konzept, mit dem Analphabetismus und fehlende Grundbil-
dung in Deutschland zu einem gesamtgesellschaftlichen und gesamtpolitischen
Anliegen werden müssen.

Definitionen und Grundverständnis der verschiedenen Formen von Analphabe-
tismus

In der Definition des Analphabetismus (lt. Bundesministerium für Bildung und
Forschung – BMBF) unterscheidet man zwischen primärem und sekundärem
Analphabetismus. Der primäre Analphabetismus (totale Analphabeten) betrifft
„Personen, die aufgrund psycho-organischer Behinderungen nicht in der Lage

sind, sich Schriftsprache anzueignen, oder Personen, die niemals die Schule
besucht haben und auch sonst in keiner Weise mit Schrift in Berührung ge-
kommen sind. […]

Vom sekundären Analphabetismus wird gesprochen, wenn eine Person erlernte
Schriftsprachkenntnisse im Laufe der Zeit durch Nichtgebrauch wieder verlernt
hat. […]

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Funktionaler Analphabetismus ist gegeben, wenn die schriftsprachlichen Kom-
petenzen von Erwachsenen niedriger sind als diejenigen, die minimal erforder-
lich sind und als selbstverständlich vorausgesetzt werden, um den jeweiligen ge-
sellschaftlichen Anforderungen gerecht zu werden“. (siehe Definition der
Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD
„Stand der Alphabetisierungsforschung und -förderung in Deutschland“, Bun-
destagsdrucksache 17/3939 vom 25. November 2010). Funktionale Analpha-
beten sind nicht in der Lage, aus einem einfachen Text Informationen sinnerfas-
send zu lesen und auch beim Schreiben fehlt ihnen ein entsprechendes
Kompetenzniveau.

Die meisten funktionalen Analphabeten haben die Schule besucht und dabei das
Lesen und Schreiben unzureichend gelernt oder infolge fehlender Anwendung
später wieder verlernt. Sie sind im Alltag mit vielen Hürden konfrontiert, da sie
z. B. selbstständig keine Fahrpläne lesen, keine Bewerbungen schreiben, keine
Zeitung lesen können. Sie versuchen, ihr Problem aus Scham und Angst soweit
es geht zu verbergen und haben über Jahre kreative Strategien entwickelt, um
ihren Alltag auch ohne Schriftsprachkompetenz zu meistern. Trotzdem leiden
sie unter sozialer Isolation und haben durch ausschließende Erfahrungen mit
Behörden, Kollegen etc. ein negatives Selbstbild entwickelt.

Ursachen für die Entstehung und Verfestigung der verschiedenen Formen von
Analphabetismus können nach landläufiger Erkenntnis sein: unzulängliche pä-
dagogisch-didaktische Angebote in der Schulzeit, schwierige Lebensumstände
(z. B. Vernachlässigung im Elternhaus), psycho-organische Beeinträchtigungen,
Verlust vorhandener literaler Fertigkeiten infolge fehlender Praxis oder Migra-
tionshintergrund (vgl. Antwort auf die Kleine Anfrage 17/3939, S. 3).

Ausmaß des Analphabetismus in Deutschland

Die Studie „leo. – Level-One Studie“ hat 2010 im Auftrag des BMBF als erste
Studie in Deutschland die Größenordnung des Analphabetismus unter der er-
werbsfähigen Bevölkerung zwischen 18 und 64 Jahren untersucht. Die Studie
von Anke Grotlüschen und Wibke Riekmann, die Ende Februar 2011 vorgestellt
wurde, unterteilt die Schriftsprachkompetenz dabei in 6 Stufen (Alpha-Levels),
von α 1 (prä-/paraliterales Lesen) über α 2 (konstruierend auf Wortebene), α 3
(konstruierend auf Satzebene), α 4 (konstruierend und lexikalisch auf Textebene
bei hoher Wortfrequenz), α 5 (konstruierend und lexikalisch auf Textebene bei
niedriger Wortfrequenz und mittlerer Textlänge) bis α 6 (überwiegend lexika-
lisches Lesen bei mittlerer Textlänge und wortübergreifendes Schreiben auf
Textebene).

Zum Ausmaß des Analphabetismus in Deutschland stellt die Studie fest:

Analphabetismus im engeren Sinne betrifft mehr als 4 Prozent der erwerbsfähi-
gen Bevölkerung im Alter von 18 bis 64 Jahren (Alpha-Level 1 und 2). Das ent-
spricht einer Größenordnung von 2,3 Millionen Menschen. Hier wird die „Satz-
ebene“ unterschritten, d. h. die Personen können zwar einzelne Wörter lesend
verstehen bzw. schreiben, nicht jedoch ganze Sätze. Gebräuchliche Wörter müs-
sen Buchstabe für Buchstabe zusammengesetzt werden. 300 000 Menschen
können noch nicht mal ihren Namen schreiben.

Funktionaler Analphabetismus betrifft kumuliert 14,5 Prozent der erwerbsfähi-
gen Bevölkerung (Level 1 bis 3). Das entspricht einer Größenordnung von
7,5 Millionen Menschen in Deutschland. Hier wird die „Textebene“ unterschrit-
ten, d. h. die Personen können zwar einzelne Sätze lesen oder schreiben, nicht
jedoch zusammenhängende – auch kürzere – Texte. Betroffene Personen sind
nicht in der Lage, am gesellschaftlichen Leben oder am Arbeitsleben angemes-

sen teilzunehmen, sie können z. B. schriftliche Arbeitsanweisungen nicht lesen
und verstehen.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/5914

Besondere Merkmale in der Beschreibung der 7,5 Millionen mindestens funk-
tionalen Analphabeten sind:

● 60,3 Prozent der Betroffenen sind erwerbsfähige Männer, 39,7 Prozent er-
werbsfähige Frauen.

● Von den funktionalen Analphabeten sind knapp 57 Prozent erwerbstätig und
knapp 17 Prozent arbeitslos. Weitere 10 Prozent sind zu Hause.

● Unter den kleineren Bevölkerungsgruppen der Rentner unter 65 Jahre sowie
der erwerbsunfähigen Personen sind wiederum hohe Anteile von funktiona-
lem Analphabetismus betroffen (26,6 Prozent und 19 Prozent).

● Der größte Teil der funktionalen Analphabeten befindet sich mit 32,6 Prozent
in der Alterskohorte der 50- bis 64-Jährigen. Etwa 20 Prozent der funktiona-
len Analphabeten gehören zur Alterskohorte der 18- bis 29-Jährigen.

● 58,1 Prozent (4,4 Millionen) der funktionalen Analphabeten haben Deutsch
als Erstsprache; 41,8 Prozent (3,1 Millionen) weisen eine andere Erstsprache
als Deutsch auf.

● 19,3 Prozent der funktionalen Analphabeten haben keinen Schulabschluss.
47,7 Prozent verfügen über untere Bildungsabschlüsse, 12,3 Prozent der
funktionalen Analphabeten sogar über höhere Bildungsabschlüsse.

Im Vergleich zu Deutschland mit 14,5 Prozent hat es in Frankreich nach ein-
schlägigen Studien 9 Prozent (IVQ-Studie 2004/2005) und in England 16 Pro-
zent (Skills-for-Life-Studie 2003) funktionale Analphabeten gegeben.

Geschichte und Entwicklung der Alphabetisierungsarbeit in Deutschland

Zur relevanten Zielgruppe der Erwachsenenbildung wurden funktionale Anal-
phabeten Anfang der 80er-Jahre. Das Problem wurde infolge von strukturellen
Veränderungen am Arbeitsmarkt, wie Wegfall einfacher Arbeitsplätze, höherer
Anforderungen an Qualifikation auch in einfachen Tätigkeiten und Anstieg der
Arbeitslosigkeit durch Automatisierung und Rationalisierung, sichtbar. Die
Volkshochschulen, die heute noch der größte Anbieter von Alphabetisierungs-
kursen in Deutschland sind, begannen Alphabetisierungskurse einzurichten.
Erste Forschungsprojekte wurden durch das BMBF durchgeführt. 1984 grün-
dete sich der Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung e. V. Der Be-
reich Grundbildung umfasst dabei nicht nur das Lesen und Schreiben, sondern
auch die Bereiche Rechnen und Medienkompetenz.

Ein wichtiger politischer Eckpunkt in der Entwicklung der Alphabetisierungs-
arbeit in Deutschland war, dass die Bundesregierung sich zusammen mit den
Akteuren der Alphabetisierungsarbeit zur nationalen Umsetzung der Welt-
alphabetisierungsdekade verpflichtet hat, die die Vereinten Nationen am 13. Fe-
bruar 2003 für den Zeitraum bis 2012 ausgerufen haben. Ziel der Dekade ist es
gewesen, die Anzahl der Menschen, die nicht ausreichend lesen und schreiben
können, weltweit zu halbieren und jedem Menschen eine Grundbildung zu
ermöglichen. Bei einer vom BMBF geförderten Fachtagung im Jahr 2003 in
Bernburg haben die wichtigsten Akteure der Alphabetisierungsarbeit die so
genannten Bernburger Thesen verabschiedet, in denen die entscheidenden Auf-
gaben der Alphabetisierungsarbeit für die darauffolgenden Jahre definiert
wurden.

Das zentrale Mittel der Alphabetisierungsarbeit sind die Kursangebote. Ein sys-
tematisches bundesweites Monitoring von Teilnehmern und Teilnehmerinnen an
Alphabetisierungskursen gibt es allerdings nicht. Nach Erkenntnissen des For-
schungsprojekts „Monitor Alphabetisierung und Grundbildung“ des Deutschen

Instituts für Erwachsenenbildung in Kooperation mit dem Bundesverband
Alphabetisierung und Grundbildung e. V. und dem Deutschen Volkshochschul-

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Verband e. V. (DVV) haben 2008 13 655 Personen an solchen Alphabetisie-
rungskursen teilgenommen. Diese wurden im Wesentlichen durch die Volks-
hochschulen durchgeführt. Im Rahmen der Durchführung von Integrationskur-
sen nach § 43 des Aufenthaltsgesetzes haben im Jahr 2008 zudem 16 905
Personen an entsprechenden speziellen Alphabetisierungsmaßnahmen teilge-
nommen.

80 Prozent der Teilnehmer an den Volkshochschulkursen leben in den alten Bun-
desländern, 20 Prozent in den neuen Bundesländern. Norddeutsche Länder sind
stärker vertreten als süddeutsche. Etwa die Hälfte der Kursteilnehmer sind er-
werbstätig, vorwiegend in Bereichen mit niedrigen Qualifikationsanforderun-
gen. Der Anteil der Arbeitslosen unter den Kursteilnehmern beträgt 29 Prozent;
überwiegend handelte es sich um Langzeitarbeitslose. Die Kurse finden meis-
tens in kleinen Gruppen von 5 bis 8 Personen statt. In 58 Prozent der Fälle wer-
den Teilnahmegebühren von den Lernenden erhoben.

Über die Kursangebote hinaus entstand im Internet das Lernportal „ich-will-ler-
nen.de“ des DVV als anonyme Möglichkeit, lesen und schreiben zu lernen sowie
einen Schulabschluss nachzuholen oder ökonomische Grundbildung zu er-
fahren. 280 000 Menschen haben es schon genutzt. Zurzeit fördert das BMBF
außerdem das DVV-Portal „ich-will-deutsch-lernen.de“, welches die sprach-
liche, berufliche und gesellschaftliche Integration Zugewanderter zum Ziel hat,
sowie weitere Lernportale.

Weitere Initiativen und Projekte, die vom BMBF seit Beginn der Weltalphabeti-
sierungsdekade 2003 gefördert wurden, sind Fachtagungen zur Weltalphabeti-
sierungsdekade, die Durchführung des Weltalphabetisierungstages am 8. Sep-
tember jeden Jahres, das ALFA-MOBIL des Bundesverbandes Alphabetisierung
und Grundbildung e. V. als mobile Informationseinrichtung für die Öffentlich-
keitsarbeit im Alphabetisierungsbereich und die Initiative F.A.N. – Fußball,
Alphabetisierung, Netzwerk – als Projekt zur Überwindung des Analphabetis-
mus in Deutschland durch den Sport.

Außerdem hat das BMBF als Beitrag zur Dekade der Vereinten Nationen zur
Alphabetisierung einen Förderschwerpunkt „Forschung und Entwicklung zur
Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener“ eingerichtet, in dem 108
Teilvorhaben in 25 Forschungsverbünden (www.alphabund.de) gefördert wer-
den, zur Verbesserung des Forschungsstandes im Bereich Alphabetisierung/
Grundbildung, zur Erhöhung der Effizienz und der Qualität von Unterstützungs-
und Beratungsangeboten und zur Professionalisierung von Lehrenden und Mul-
tiplikatoren in diesem Kontext.

Die Bundesregierung engagiert sich auch international im Rahmen der deut-
schen Entwicklungshilfe für die Erwachsenenalphabetisierung – vorwiegend
über die Förderung nonformaler Grundbildungsprogramme.

Die Studie „leo. – Level-One Studie“ hat gezeigt, dass das Problem Analphabe-
tismus in Deutschland viel gravierender ist als man lange vermutet hatte. Nicht
rund 4 Millionen, wie bis vor kurzem angenommen, sondern 7,5 Millionen
funktionale Analphabeten gibt es in einem Land, welches sich gern „Bildungs-
republik“ nennt. 7,5 Millionen betroffene Erwachsene darf man aber mit ihren
Bildungserfordernissen und Bildungschancen – auch angesichts des bevorste-
henden Fachkräftemangels – nicht abseits stehen lassen. Wenn dieser „Alpha-
Schock“ nicht nur kurzfristige Bestürzung auslösen soll, sind nachhaltige politi-
sche Anstrengungen notwendig.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/5914

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. so schnell wie möglich in Zusammenarbeit mit den Ländern und den
Kommunen einen „Grundbildungspakt“ zu schließen, um die Anzahl der
Analphabeten in Deutschland zu halbieren. An der Entwicklung und Um-
setzung dieses Paktes müssen alle gesellschaftlichen Kräfte wie Wirt-
schaftsverbände, Gewerkschaften, Sozialverbände, Kirchen und Medien
beteiligt werden;

2. mindestens 20 Mio. Euro im Jahr als Beitrag des Bundes zur Alphabetisie-
rungsoffensive im Rahmen des „Grundbildungspaktes“ bereitzustellen;

3. mit Bund, Ländern und Kommunen die Ressourcen für ein verlässliches,
ausreichend dimensioniertes und qualitätsgesichertes Angebot an Alphabe-
tisierungskursen bereitzustellen, mit dem Ziel, dass hierbei ein Ausbau der
Kursplätze auf 100 000 pro Jahr erreicht wird, damit die Betroffenen relativ
zeitnah eine Förderung erhalten;

4. die Förderung von Alphabetisierung und Grundbildung durch die Bundes-
agentur für Arbeit als eine Voraussetzung zur dauerhaften Integration der
Betroffenen in den Arbeitsmarkt anzusehen. Hierzu sind die Schwerpunkte
entsprechend zu setzen;

5. die Durchführung von Alphabetisierungskursen im Rahmen der Integra-
tionskurse auszubauen und qualitativ zu verbessern;

6. zusammen mit den Sozialpartnern geeignete Wege und Mittel zu entwi-
ckeln, um Menschen mit geringer Grundbildung im Betrieb zu erkennen
und zu fördern (Aufbau von Beratungs- und Vermittlungsstrukturen, diag-
nostische Kompetenz, berufsbegleitende Grundbildung, soziale Begleitung,
arbeitsplatzbezogene Assistenz durch geschulte Kollegen);

7. das Programm „Soziale Stadt“ um den Bereich der Alphabetisierungs- und
Grundbildungskurse vor Ort zu erneuern, um den Betroffenen in sozialen
Brennpunkten und Entwicklungsgebieten einen niedrigschwelligen Zugang
zu entsprechenden Angeboten zu ermöglichen;

8. zusammen mit den Ländern die Voraussetzungen für die Entwicklung eines
Rahmencurriculums zu schaffen sowie Modellprojekte zur Qualitätsverbes-
serung der Kurse und zur Entwicklung neuer didaktischer Konzepte aufzu-
bauen;

9. gemeinsam mit den Ländern ein System an Zertifikaten zu entwickeln, das
Lernfortschritte und erreichte Leistungsniveaus angemessen und arbeits-
weltbezogen dokumentiert;

10. gemeinsam mit den Ländern Standards für die Aus- und Fortbildung der
Kursleiter und Kursleiterinnen bei Alphabetisierungs- und Grundbildungs-
kursen zu entwickeln und umzusetzen;

11. gemeinsam mit den Ländern für einen Ausbau der Berufsausbildung zum
Alphabetisierungs- und Grundbildungspädagogen zu sorgen;

12. gemeinsam mit den Ländern zu veranlassen, dass das Thema „Funktionaler
Analphabetismus“ in der Lehreraus- und -fortbildung fächerübergreifend
zum Pflichtthema wird;

13. zusammen mit den Ländern dafür zu sorgen, dass kein Schüler und keine
Schülerin die Schule verlassen, ohne gefestigte und nachhaltige Lese-,
Schreib- und Rechenkompetenzen erworben zu haben, auch durch ergän-
zende Förderprogramme außerhalb der Regelschulzeiten oder im Rahmen
der Schulsozialarbeit;

Drucksache 17/5914 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

14. zusammen mit den Ländern, den Kommunen und der Bundesagentur für
Arbeit bzw. den Jobcentern ein Konzept sozialpädagogischer Begleitung
der Alphabetisierungskurse zu entwickeln, um die Wiedereingliederung in
die Gesellschaft und ins Erwerbsleben zu beschleunigen;

15. gemeinsam mit den Ländern ein flächendeckendes Netzwerk an besonders
geschulten Bildungsberaterinnen und Bildungsberatern mit spezifischen
Kenntnissen über die betroffenen Gruppen und die geeigneten Angebote
aufzubauen;

16. zur Umsetzung der nationalen Ziele der Weltalphabetisierungsdekade in
Deutschland gemeinsam mit den Ländern eine zentrale aus öffentlichen
Mitteln finanzierte Service-, Beratungs- und Informationsstelle einzurich-
ten;

17. gemeinsam mit den Ländern Beratungs- und Schulungsmaßnahmen für die
Ansprechpartner bei entsprechenden Behörden zu finanzieren, damit diese
für das Problem des Analphabetismus sensibilisiert werden und Interes-
sierte über die zur Verfügung stehenden Bildungsmaßnahmen kompetent
informieren können;

18. eine differenzierte Bildungsstatistik über Platzzahlen, Wartelisten, Verweil-
zeiten etc. im Rahmen der verschiedenartigen Kursangebote aufzubauen;

19. gemeinsam mit den Ländern und den Trägern der Alphabetisierungskurse
ein Konzept zu entwickeln und umzusetzen, nach dem die aktuellen Maß-
nahmen zur Alphabetisierung und Grundbildung systematisch evaluiert und
optimiert werden;

20. die bisherigen Forschungsprogramme fortzuführen und neue Forschungs-
schwerpunkte in der Auswertung der Level-One-Studie, bei der Diagnostik,
der Didaktik und der sozialen Entwicklung der Betroffenen zu setzen;

21. die Öffentlichkeitsarbeit im Bereich der Alphabetisierung zu stärken. Durch
eine zielgruppenorientierte Medienkampagne – eine „Alpha-Offensive“ –
muss Analphabetismus leichter erkannt werden können und entstigmatisiert
werden. Die Betroffenen sollen ermutigt werden, aus ihrer Anonymität
herauszutreten, ihre Hemmungen abzubauen und sich schneller durch den
Besuch eines Alphabetisierungskurses helfen zu lassen.

Berlin, den 25. Mai 2011

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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