BT-Drucksache 17/5841

Ungeklärte Fragen zur Abscheidung, Transport und Verpressung von CO2 (CCS)

Vom 13. Mai 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5841
17. Wahlperiode 13. 05. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Oliver Krischer, Ingrid Nestle, Dorothea Steiner, Hans-Josef
Fell, Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl, Undine Kurth (Quedlinburg), Nicole Maisch,
Dr. Hermann Ott und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Ungeklärte Fragen zur Abscheidung, zum Transport und zur Verpressung
von CO2 (CCS)

Die Bundesregierung hat im Kabinett am 13. April 2011 einen Gesetzentwurf
zur Abscheidung, zum Transport und zur Verpressung von Kohlenstoffdioxid
(CO2) verabschiedet und zur weiteren Beratung an den Bundesrat und Bundes-
tag überwiesen. In diesem Herbst soll nach Angaben der Bundesregierung damit
die EU-Richtlinie 2009/31/EG umgesetzt werden.

Bereits kurz nach der Bundestagswahl 2009 hatte die schwarz-gelbe Bundes-
regierung angekündigt, noch in jenem Jahr ein CCS-Gesetz verabschieden zu
wollen. Aufgrund der ablehnenden Haltung einzelner Länder gibt es bis heute
jedoch kein nationales Gesetz. Es sind noch immer eine Vielzahl von Fragen und
Problemen, die der Gesetzentwurf der Bundesregierung nicht löst. Sondern ganz
im Gegenteil: Er schafft etwa wie im Falle der sog. Länderklausel erhebliche
Rechtsunsicherheit.

Wir fragen die Bundesregierung:

Fragen zum aktuellen Gesetzentwurf

1. Wie will die Bundesregierung die Implementierung der EU-Richtlinie 2009/
31/EG durch ein nationales CCS-Gesetz in Deutschland garantieren, wenn es
einen offensichtlichen Konflikt zwischen Bundesländern wie Schleswig-
Holstein („Gegen unseren Willen wird es keine Einlagerung von Kohlen-
dioxid in Schleswig-Holstein geben“ – Ministerpräsident Peter Harry
Carstensen, dpa-Meldung vom 13. April 2011) und Brandenburg („Wenn
Bundesländer mit Speicherkapazität sich der CCS-Verpressung entziehen
könnten, dann ist das Thema tot“ – Ministerpräsident Matthias Platzeck, dpa-
Meldung vom 13. April 2011) gibt, und welche bundesrechtlichen Schritte
will sie konkret unternehmen, um diesen Konflikt zu lösen?

2. Warum ist aus dem im Bundeskabinett verabschiedeten Gesetzentwurf
(Stand: 14. Februar 2011) der Satz gestrichen worden, wonach „andere ener-
giebezogene Optionen zur Nutzung einer potenziellen Speicherstätte, die

geologischen Besonderheiten der Gebiete und das Wohl der Allgemeinheit zu
berücksichtigen“ sind, und wer hat von den Beteiligten darauf maßgeblich
hingewirkt?

3. Wie müssen die landesrechtlichen Regelungen jeweils ausgestaltet sein, um
eine CCS-Anwendung auf ihrem Territorium zuzulassen oder zu unterbin-
den, und welcher Normen (Gesetze, Verordnungen etc.) bedarf es hierzu?

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4. Können Länder, die nachweislich über für die CO2-Einlagerung geeignete
Speicherformationen verfügen, nach der Formulierung in § 2 Absatz 5 des
im Bundeskabinett verabschiedeten CCS-Gesetzes generell, d. h. für ihr ge-
samtes Gebiet (inkl. allgemeine Wirtschaftszone der Bundesrepublik
Deutschland in der Nord- und Ostsee) per Gesetz, Verordnung, per Erlass
o. Ä. die CO2-Verpressung ausschließen, und wenn ja, warum?

5. Wie bewertet die Bundesregierung in diesem Zusammenhang verfassungs-
rechtliche Bedenken?

6. Von welchen „Nebenbestandteilen“ geht die Bundesregierung in § 3 Num-
mer 1 konkret aus?

7. Ist nach Meinung der Bundesregierung davon auszugehen, dass die landes-
rechtlichen Abgaben laut § 42 von Bundesland zu Bundesland variieren sol-
len, und von welchen Anteilen der Emissionshandelszertifikate der gespei-
cherten Menge an CO2 in einem Jahr geht die Bundesregierung aus, vor dem
Hintergrund, dass im Gesetzentwurf vom 23. Juli 2010 noch von einem
Ausgleichsbetrag von 2 Prozent gesprochen wurde?

8. Wie will die Bundesregierung sicherstellen, dass in der ausschließlichen
Wirtschaftszone (AWZ) kein CO2 eingespeichert wird?

Wenn nein, warum?

Wenn ja, auf welche Weise?

9. Liegen bereits Anträge für die Untersuchung des Untergrunds in der aus-
schließlichen Wirtschaftszone (AWZ) vor, und wenn ja, wer sind die An-
tragsteller?

10. Kann durch ein Landesgesetz sichergestellt werden, dass vor den jeweiligen
Küsten im Bereich der ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) und des
Festlandsockels (§ 2 Absatz 4 des Kohlendioxid-Speicherungsgesetzes –
KSpG) kein CO2 eingelagert wird, oder ist genau dies durch die Gesetzes-
formulierung ausgeschlossen?

11. Inwiefern kann ein Evaluierungsbericht nach § 44 des CCS-Gesetzentwurfs
bereits nach einem Jahr, d. h. nach Abschluss der Beantragung für die Er-
richtung von CO2-Speichern gemäß § 2 Auskunft über die dauerhafte Spei-
cherung von CO2 treffen?

12. Wie will die Bundesregierung sicherstellen, dass die Deckungsvorsorge in
§ 30 Absatz 4 von 3 Prozent des durchschnittlichen Wertes der Anzahl der
Berechtigungen nach § 3 Absatz 4 Satz 1 des Treibhausgas-Emissionshan-
delsgesetzes für mögliche Schadensfälle ausreichend ist, und welche kon-
kreten Annahmen bzw. Überlegungen liegen der Prozentzahl zugrunde?

13. Auf welcher Grundlage bzw. Annahme beruht die Jahreszahl der Übertra-
gung der Verantwortung nach 30 Jahren, die in § 31 Absatz 1 geregelt ist?

14. Auf welcher aktuellen Rechtsgrundlage wird am Pilotstandort zur wissen-
schaftlichen Untersuchung der geologischen Speicherung von CO2 in Bran-
denburg in Ketzin CO2 mit einem Reinheitsgrad von mehr als 99,9 Prozent
und neuerdings auch Kraftwerkskohlendioxid aus der Vattenfall-Anlage in
Schwarze Pumpe verpresst?

15. Ab welchem Zeitraum rechnet die Bundesregierung mit dem großtechni-
schen Einsatz der CCS-Technologie in Deutschland?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/5841

Fragen zu den tektonischen Risiken

16. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor, in welchem Maße
die Einlagerung des CO2 mit tektonischen Risiken verbunden ist, und in
welchem Maße würden Erdbeben die Dichtigkeit von CO2-Speichern in
Deutschland beeinflussen?

17. In welchem Maße ist die Einlagerung des CO2 mit dem Risiko von Berg-
schäden in Form der Geländehebung verbunden?

Fragen zu den Bohrlöchern

18. Kann die Bundesregierung sicherstellen, dass sämtliche Bohrlöcher aktuel-
ler und früherer Bohrungen vor der CO2-Einspeisung lokalisiert und dauer-
haft verschlossen werden, und falls ja, wie?

19. Sind die Langzeitbeständigkeiten gängiger Zemente unter dem Einfluss von
Druck, Kohlensäure und hochsalinen Wässern bekannt, und falls ja, welche
konkreten Forschungen bzw. Ergebnisse gibt es dazu?

20. Wer trägt die Kosten für die Überwachung, dass die Bohrlöcher kurz-,
mittel- und langfristig dicht verschlossen bleiben?

Fragen zur Grundwasserverunreinigung

21. Inwiefern sieht die Bundesregierung die Möglichkeit einer Verunreinigung
des Grundwassers bei der unterirdischen CO2-Speicherung vor dem Hinter-
grund des kürzlich veröffentlichten Gutachtens der brandenburgischen
Amtsgemeinde Barnim-Oderbruch, wonach Salzwasser in höhere grund-
wasserführende Schichten aufsteigen könnte?

Kraftwerke

22. Welche Kraftwerksbetreiber planen nach Informationen der Bundesregie-
rung ihre Kraftwerke mit der CCS-Technologie nachzurüsten?

23. Behält es sich die Bundesregierung vor, ggf. zu einem späteren Zeitpunkt,
die Nachrüstung der CCS-Technologie in Kraftwerken verpflichtend vorzu-
schreiben, und wenn ja, wie, und ab wann?

24. In welchem Umfang erwartet die Bundesregierung für den Zeitraum nach
2012 den Neubau von Kohlekraftwerken über die bereits in Bau befindli-
chen Projekte hinaus, und wie viele von diesen Kraftwerken werden CCS-
Kraftwerke sein?

25. Bis zu welchem Kraftwerksalter und elektrischem Wirkungsgrad macht es
aus Sicht der Bundesregierung ökonomisch und ökologisch noch Sinn, dass
ein Kraftwerk auf CCS-Technologie nachgerüstet wird?

Prozessbedingte Emissionen

26. Wie hoch ist der Anteil prozessbedingter Emissionen (in Prozent) in der
Stahl-, Zement- und Chemieindustrie in Deutschland, für die CCS mögli-
cherweise eine Option zur CO2-Reduzierung sein könnte, und wie fördert
die Bundesregierung alternative Methoden zur Reduktion der genannten
Emissionen?

27. Wie hoch sind die Kosten der Anwendung von CCS in den Stahl- und Ze-
mentwerken sowie in der Chemie, und wie viele CO2-emittierende indus-
trielle Anlagen gibt es in Deutschland, für die eine CO2-Abscheidung in

Frage käme (bitte Anlagen konkret benennen)?

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28. Wie weit müsste das CO2 aus den in Frage kommenden Anlagen transpor-
tiert werden?

29. Um welchen Industriebereich (Stahl-, Zement- oder Chemieindustrie) han-
delt es sich beim Antrag „industrielle Anwendungen“ innerhalb der NER-
300-Kategorie, die beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technolo-
gie eingegangen ist?

Einsatz von CO2 bei der Förderung von Erdöl und Erdgas

30. Wie will die Bundesregierung gewährleisten, dass durch die Anwendung
der Enhanced Gas Recovery (EGR) und Enhanced Oil Recovery (EOR)
Verfahren keine unterirdische Verpressung von CO2 stattfindet?

31. Ist es nach Auffassung der Bundesregierung rechtlich zulässig, CO2, wel-
ches in Kohlekraftwerken durch die CCS-Technologie abgeschieden wurde,
im Rahmen von EGR, EOR oder sogenannten Kältefracks als Wirtschafts-
gut unterirdisch zu verpressen, und wenn nein, warum nicht?

Einsatz von Chemikalien zum Extrahieren von CO2
32. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus dem Stopp des CCS-

Projekts „Mongstad“ in Norwegen aufgrund einer veröffentlichten Studie
des Norsk Institutt for Luftforskning, die auf mögliche Gefahren durch ein-
gesetzte krebserregende Chemikalien (u. a. Amin) hinweist, für das natio-
nale CCS-Gesetz?

33. Kann die Bundesregierung ausschließen, dass es beim vorgesehenen Post-
Combustion-Verfahren mit Amineinsatz im CCS-Demonstrationsprojekt
Jänschwalde von Vattenfall Europe AG zu einer erhöhten Krebsgefahr
kommt, und wenn ja, warum?

34. Welche Amine sollen in welcher Konzentration nach Informationen der
Bundesregierung in Jänschwalde eingesetzt werden, nachdem Vattenfall be-
reits den Behörden in Brandenburg mitgeteilt hat, ein aminhaltiges Wasch-
mittel einsetzen zu wollen?

Transport des CO2
35. Welche Vorsorgemaßnahmen müssten getroffen werden, um den durch

einen Tanklastwagenunfall entstehenden Schaden einzugrenzen?

36. Was würde diese Vorsorge bis 2050 voraussichtlich kosten, und wer müsste
diese Kosten tragen?

37. Wie sollen Tausende Kilometer CO2-Pipeline gegen mögliche terroristische
Angriffe, unfallbedingte Beschädigungen oder Baufehler gesichert werden?

Berlin, den 13. Mai 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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