BT-Drucksache 17/5773

Die OSZE ausbauen und stärken

Vom 11. Mai 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5773
17. Wahlperiode 11. 05. 2011

Antrag
der Abgeordneten Uta Zapf, Dr. h. c. Gernot Erler, Bernhard Brinkmann
(Hildesheim), Petra Ernstberger, Iris Gleicke, Ute Kumpf, Dr. Rolf Mützenich,
Thomas Oppermann, Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Die OSZE ausbauen und stärken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Seit 1975 die „Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ ins
Leben gerufen wurde, hat sich die aus ihr hervorgehende Organisation für
Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) zum wichtigsten Forum für
gesamteuropäische Sicherheit entwickelt. Als Verhandlungs- und Konsulta-
tionsrahmen für kooperative Sicherheit hat sie durch vertrauensbildende Maß-
nahmen und Transparenz, durch konventionelle Abrüstung und durch die Unter-
stützung beim Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen und die Hilfe bei der
Umsetzung menschenrechtlicher Normen Stabilität und Sicherheit ihrer jetzt
56 Mitgliedstaaten gefördert. Nach Erfolgen in den 90er-Jahren, dem Abschluss
der Europäischen Sicherheitscharta, geriet die OSZE in eine Krise.

Die neu entfachte Diskussion über neue Sicherheitsstrukturen (Korfu-Prozess
und die Ergebnisse der Gipfeldiskussion in Astana) ist für die OSZE eine große
Chance, ihre Rolle als wichtigstes Forum gesamteuropäischer Sicherheit und
Kooperation zurückzugewinnen. Die geografische Ausdehnung der OSZE um-
fasst Europa, Nordamerika, Russland und Zentralasien und damit einen für Ge-
samteuropa sicherheitsrelevanten Raum. Die Entspannung zwischen den USA
und Russland sowie die Wiederannäherung zwischen Russland und der NATO
hat auch einen dynamischen Dialogprozess in der OSZE begünstigt.

Anfang Dezember 2010 fand in Astana unter kasachischem Vorsitz ein OSZE-
Gipfeltreffen statt, das neue Impulse zur Weiterentwicklung der OSZE gegeben
hat. Seit dem letzten Gipfel in Istanbul 1999 hat es zwischen den Teilnehmer-
staaten eine zunehmende Uneinigkeit über die Aufgaben der OSZE und ihr po-
litisches Gewicht gegeben. Wahlbeobachtungen, Feldmissionen und das Drän-
gen auf Einhaltung der Menschenrechte gerieten besonders bei den Folgestaaten
der Sowjetunion in die Kritik, während das Forum für Sicherheitskooperation
unumstritten blieb und die vertrauensbildenden Maßnahmen (Wiener Dokument
1999) stagnierten. Die Nichtratifizierung des adaptierten Vertrages über Kon-

ventionelle Streitkräfte in Europa (AKSE-Vertrag) und der Ausstieg Russlands
aus den Regelungen zur Verifikation des Vertrages über Konventionelle Streit-
kräfte in Europa (KSE-Vertrag), die ungelösten Konflikte (Berg-Karabach,
Transnistrien, Georgien – Abchasien/Südossetien), die neuen Herausforderun-
gen und Gefahren erfordern einen neuen Sicherheitsdialog in der OSZE, der
maßgeblich dazu beiträgt, dass sich die OSZE wieder zu einem wesentlichen
Element gesamteuropäischer Sicherheit entwickeln kann.

Drucksache 17/5773 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Den Anstoß zu diesem notwendigen neuen Sicherheitsdialog gab auch der Vor-
schlag des russischen Präsidenten Dimitri Medwedew zu einem „Europäischen
Sicherheitsvertrag“, der „unteilbare Sicherheit“ für alle Teilnehmerstaaten ge-
währleisten soll. Die OSZE hat ihn im sogenannten Korfu-Prozess aufgegriffen.
Der russische Vorschlag berührt Kernaufgaben der OSZE wie Konfliktpräven-
tion, Krisenmanagement und Konfliktlösung. Er bietet jedoch keine befrie-
digende Antwort auf die Frage, welche Rolle die NATO und die EU (Gemein-
same Außen- und Sicherheitspolitik – GASP/Europäische Sicherheits- und Ver-
teidigungspolitik – ESVP) in diesem Sicherheitsheitssystem einnehmen soll.

Die OSZE hat unter griechischem Vorsitz im Dezember 2009 den Korfu-Prozess
in Gang gesetzt. Ein umfassender und transparenter Dialog hat es den Teilneh-
merstaaten ermöglicht, ihre Anliegen und Vorschläge zur Stärkung der europä-
ischen Sicherheit einzubringen. Der kasachische Vorsitz hat diese Vorschläge in
einem Zwischenbericht im Juli 2010 vorgelegt.

Ein Aktionsplan zu allen drei OSZE-Dimensionen wurde in Astana leider nicht
verabschiedet, aber die OSZE hat in Astana den Auftrag erteilt, bis Dezember
2011 einen konkreten Aktionsplan zu erarbeiten, der auf dem Ministerratstreffen
im Dezember 2011 beraten werden soll.

II. Der Deutsche Bundestag bedauert,

dass es der Bundesregierung nicht gelungen ist, durch ein entsprechendes Enga-
gement auch auf höchster politischer Ebene einen Erfolg des OSZE-Gipfels in
Astana zu ermöglichen.

III. Der Deutsche Bundestag begrüßt, dass

– im Korfu-Prozess die Diskussion zur Stärkung und Verbesserung der euro-
päischen Sicherheitsstrukturen aufgegriffen und vorangetrieben wurde,

– in der Gipfelerklärung von Astana nochmals die wichtigsten OSZE-Grund-
sätze von allen Teilnehmerstaaten bekräftigt wurden.

IV. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

im Zuge der weiteren Beratungen

– sich mehr als bisher auf höchster politischer Ebene für die Stärkung der
OSZE einzusetzen,

– sich für einen Aktionsplan für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa
und seine Umsetzung stark zu machen und hierfür konkrete Vorschläge vor-
zulegen,

– sich weiterhin für die Erarbeitung einer substanziellen Agenda und für kon-
krete Aufträge für einen Aktionsplan einzusetzen,

– intensive Bemühungen zur Lösung von ungelösten Regionalkonflikten und
für die Stärkung der OSZE-Fähigkeiten für Konfliktprävention aufrechtzu-
erhalten,

– mit engagierten Maßnahmen die notwendigen Fortschritte beim KSE-Ver-
trag zu befördern und mit unseren Partnern abgestimmte Initiativen für einen
neuen konventionellen Abrüstungsvertrag vorzulegen,

– substanzielle Beiträge zur Modernisierung das Wiener Dokuments über ver-
trauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen beizusteuern, wie eine Absen-
kung der Schwellen für Notifizierungen, eine dichtere Inspektionsfolge und
die Einbeziehung anderer Kategorien wie Rapid Reaction Forces oder Mari-

nestreitkräfte,

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/5773

– grenzüberschreitenden Herausforderungen wie Terrorismus, organisierte
Kriminalität, Menschenhandel sowie sicherheitsrelevanten Aspekten der
Energiesicherheit und des Klimawandels stärkere Aufmerksamkeit zu wid-
men,

– die existierenden und bewährten Instrumente der drei Dimensionen zu festi-
gen und weiterzuentwickeln,

– neue Gespräche und Verhandlungen voranzutreiben, um das konventionelle
Rüstungskontrollregime in Europa zu stärken und für das 21. Jahrhundert zu
modernisieren,

– den Verhaltenskodex zu politisch-militärischen Aspekten der Sicherheit
(1994) durch eine bessere Implementierung zu stärken,

– die Beratungen zu einer Kleinwaffenkonvention voranzutreiben und alle
OSZE-Teilnehmerstaaten zum Beitritt zur Landminen- und zur Streumuni-
tionskonvention aufzufordern,

– im Rahmen eines verstärkten Dialogs auch Militärdoktrinen und Verteidi-
gungsplanung einzubeziehen,

– die Rolle der OSZE bei Frühwarnung, Krisenprävention und Krisenbewälti-
gung zu stärken und auszubauen und die Instrumente zu schnellerem Rea-
gieren auf Krisen weiterzuentwickeln,

– die Feldmissionen der OSZE zu stabilisieren, die eine wichtige Rolle bei
Kriseninterventionen, beim Monitoring, aber auch bei Polizeiaktionen
haben, und sie noch stärker auf neue transnationale Gefahren und Heraus-
forderungen auszurichten (organisierte Kriminalität, Menschenhandel,
Geldwäsche und Drogenhandel),

– für die Lösung von ungelösten Konflikten (Berg-Karabach, Georgien – Ab-
chasien/Südossetien, Transnistrien) und „neuen“ Konflikten (Kirgisistan)
politische Lösungen herbeizuführen,

– stärkere Kooperation bei der Analyse und der Entwicklung von Gegenstra-
tegien gegen neue grenzüberschreitende Gefahren (einschließlich Cyber-
Angriffe) anzustreben,

– in der menschlichen Dimension sich für die Stärkung des Büros für demo-
kratische Institutionen und Menschenrechte in Warschau sowie der OSZE-
Beauftragten für die Freiheit der Medien (Wien) und des Hohen Kommissars
für nationale Minderheiten (Den Haag) einzusetzen und die Fortentwicklung
der Aktivitäten zur Wahlbeobachtung zu unterstützen,

– die Entwicklung stärkerer Instrumente in der menschlichen Dimension zu
unterstützen, um die OSZE-Verpflichtungen umzusetzen (z. B. ein Gre-
mium, das die Umsetzung begutachtet, Einbeziehung von Nichtregierungs-
organisationen),

– die zweite Dimension der Umwelt- und Wirtschaftsthemen insbesondere un-
ter dem Gesichtspunkt der Konfliktprävention zu stärken (Energiesicherheit,
Wassermanagement, Klimawandel).

Die Bundesregierung wird aufgefordert, dem Deutschen Bundestag kontinuier-
lich über die Fortschritte des Korfu-Prozesses und bei der Erarbeitung und Um-
setzung eines Aktionsplans zu berichten.

Berlin, den 11. Mai 2011

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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