BT-Drucksache 17/5764

Rückbau und Entsorgung des Thorium-Hochtemperatur-Reaktors Hamm-Uentrop und neue Subventionen hierfür

Vom 10. Mai 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5764
17. Wahlperiode 10. 05. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Cornelia Behm,
Hans-Josef Fell, Winfried Hermann, Bärbel Höhn, Dr. Anton Hofreiter,
Undine Kurth (Quedlinburg), Nicole Maisch, Ingrid Nestle, Dr. Hermann Ott,
Dorothea Steiner, Daniela Wagner, Dr. Valerie Wilms und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Rückbau und Entsorgung des Thorium-Hochtemperatur-Reaktors Hamm-Uentrop
und neue Subventionen hierfür

Der Thorium-Hochtemperatur-Reaktor (THTR) Hamm-Uentrop wurde am
29. September 1988 nach nur gut einem Jahr Betriebszeit, auch noch unter-
brochen von mehreren Stillständen, abgeschaltet und am 1. September 1989
endgültig stillgelegt. Damit ist dieser Reaktor der technisch und wirtschaftlich
gescheiterte Versuch, den im Forschungszentrum Jülich entwickelten Kugel-
haufenreaktor zur kommerziellen Stromproduktion weiterzuentwickeln.

Der THTR ist eines der größten technischen und finanziellen Desaster der deut-
schen Atomindustrie. Den Baukosten in Höhe von mindestens 2 Mrd. Euro und
den Kosten für Stilllegung und sog. sicher eingeschlossenem Erhaltungsbetrieb
in von ca. 400 Mio. Euro – im Wesentlichen finanziert von Bund und Land
Nordrhein-Westfalen (NRW) – steht keinerlei Nutzen gegenüber. Im Gegenteil:
Der sog. sichere Einschlussbetrieb kostet jährlich ca. 5 Mio. Euro. Mit einem
Rückbau der Anlage soll frühestens im Jahr 2030 begonnen werden. Ein Gut-
achten der Betreibergesellschaft Hochtemperatur-Kernkraftwerk GmbH (HKG),
der die RWE Vertrieb AG als größter Gesellschafter neben anderen Energieun-
ternehmen angehört, kommt zum Ergebnis, dass der Rückbau der Anlage nach
heutiger Kostenschätzung weitere 347,1 Mio. Euro kosten wird. Selbst die
atomfreundliche frühere schwarz-gelbe Landesregierung von NRW hält diese
Kostenschätzung für „eher optimistisch“ (NRW Landtags-Vorlage 14/2173).
Hinzu kommen Vorausleistungen für die Kosten der Endlagerung in erheb-
lichem Umfang. Ende 2009 ist die bisherige Finanzierungsvereinbarung für den
THTR zwischen Bund, Land NRW und HKG ausgelaufen.

Aktuell liegt ein Vorschlag der EU-Kommission für einen Beschluss des Rates
über die Aufrechterhaltung der Vergünstigungen nach dem Euratom-Vertrag
„des gemeinsamen Unternehmens Hochtemperatur-Kernkraftwerk GmbH
(HKG)“ vor, den das Unternehmen seit dem 1. Januar 1974 innehat, zuletzt ver-

längert im Jahr 1999 für elf weitere Jahre. Ein entsprechender Antrag der HKG
vom 26. April 2010 wird von der Bundesregierung unterstützt.

Der Status als „gemeinsames Unternehmen“ nach dem Euratom-Vertrag sieht
erhebliche Steuervergünstigungen vor, so z. B. Grundsteuer, der Grunderwerb-
steuer und der Gewerbeertragsteuer auf Zinsen. Die EU-Kommission befür-
wortet die Aufrechterhaltung der Vergünstigungen eines gemeinsamen Unter-
nehmens bis 2017, u. a. weil bis dahin zwischen Bund, Land NRW und HKG

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eine Finanzierungsvereinbarung zum weiteren „sicheren Einschlussbetrieb“ ge-
schlossen worden sein soll. Zur Begründung der Steuerprivilegien heißt es in
der Vorlage der EU-Kommission u. a.:

„Nach Auffassung der HKG werden die aus der Aufrechterhaltung des sicheren
Einschlusses (Einschlusszeit) und dem späteren Rückbau gewonnenen Er-
kenntnisse für die Kerntechnik in Europa und weltweit von großer Bedeutung
sein. Dies umso mehr als mit den Arbeiten zur Generation IV auch die Hoch-
temperaturreaktortechnik wieder aufgegriffen werde und zu einem Gesamtbild
(Lifecycle-Cost) auch die verschiedenen Phasen der Stilllegung gehörten.“

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Kosten sind für Planung, Bau, Betrieb, Stilllegung, „sicheren Ein-
schluss“, „sicher eingeschlossenen Erhaltungsbetrieb“, Zwischenlagerung,
Vorleistungen für Endlagerung usw. des THTR Hamm-Uentrop bis heute
angefallen und werden in Zukunft nach heutigem Erkenntnisstand noch an-
fallen (bitte aufschlüsseln nach den Kostenträgern Bund, Land NRW und
Gesellschaftern der HKG)?

2. Welche der Bundesregierung bekannten Gutachten, Studien und Schätzun-
gen zu den Kosten für Rückbau und Entsorgung des THTR wurden seit
2007 von wem und in wessen Auftrag erstellt?

Auf welche/welches davon stützt sich die Bundesregierung bei ihrer Ant-
wort zu den zukünftigen Kosten zu Frage 1?

3. Hält die Bundesregierung die ermittelten Kosten in der von der HKG in
Auftrag gegebenen Kostenstudie der Siempelkamp NIS Ingenieurgesell-
schaft mbH von 2007 für belastbar und realistisch oder nicht (bitte mit Be-
gründung)?

Welches sind aus Sicht der Bundesregierung die wesentlichen technischen
Gutachten für den Rückbau und die Entsorgung des THTR, die nach wie
vor Bestand haben?

Von wem und von wann stammen sie?

4. Mit welchen Instrumenten wird die Finanzierung des Rückbaus und der
Entsorgung des THTR konkret bewerkstelligt (Treuhandfonds, Endlager-
vorausleistungsverordnung etc.)?

5. Wann wurde die Folgevereinbarung der 2009 ausgelaufenen Finanzierung-
vereinbarung zwischen Bund, Land NRW und HKG abgeschlossen?

6. In welcher Weise wurde der Deutsche Bundestag am Zustandekommen
dieser Vereinbarung beteiligt?

7. Wurde die Folgevereinbarung vom Bundesrechnungshof geprüft, und falls
ja, wann, und mit welchen wesentlichen Ergebnissen?

8. Welche konkreten Regelungen trifft diese Finanzierungsvereinbarung?

9. Welche Kostenbelastungen werden danach jeweils auf Bund, Land NRW
und die Gesellschafter der HKG zukommen?

10. Bis wann gilt diese Vereinbarung, und welche Regelungen zur Kündigung
wurden vereinbart?

11. Wurden Vereinbarungen zur Kostenübernahme für den Zeitraum nach Ab-
lauf dieser Vereinbarung getroffen?

Wenn ja, welche, und in welcher Form wurden sie getroffen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/5764

12. Erzielt die HKG Einnahmen?

Wenn ja, wodurch, in welcher Höhe, und wofür werden diese verwendet?

13. Über welche Vermögenswerte verfügt die HKG (bitte getrennt nach Sach-
und Barvermögen)?

14. Wofür wurden bzw. werden die bisher kalkulierten 5 Mio. Euro Kosten pro
Jahr für den „sicher eingeschlossenen Erhaltungsbetrieb“ ausgegeben?

15. Wie viel Personal beschäftigt die HKG und zu welchem Zweck?

16. Von welchem Zeitplan (Dauer des „sicher eingeschlossenen Erhaltungs-
betriebes“, Planung, Beginn und vollständiger Abschluss des Rückbaus des
THTR usw.) geht die Bundesregierung aus?

17. Welche konkreten Vergünstigungen ergeben sich für die HKG durch den
Status „gemeinsames Unternehmen“ nach dem Euratom-Vertrag (bitte
Auflistung aller Steuer- und sonstigen Privilegien)?

18. Welche Kosten spart die HKG hierdurch jährlich ein (bitte getrennt auflis-
ten nach Steuerarten und sonstigen Privilegien)?

19. Welche Einnahmeausfälle entstehen hierdurch der öffentlichen Hand (bitte
getrennt auflisten nach Bund, Land, betroffenen Kommune/n)?

20. In welcher Weise profitieren die Gesellschafter der HKG unmittelbar oder
mittelbar durch den Status als „gemeinsames Unternehmen“ nach dem
Euratom-Vertrag?

21. In welcher Weise sollen nach Auffassung der Bundesregierung die Er-
kenntnisse aus dem „sicher eingeschlossenen Erhaltungsbetrieb“ und dem
Rückbau der Anlage der „Kerntechnik in Europa und weltweit“ zu „Arbei-
ten zur Generation IV“, bei der auch „die Hochtemperaturtechnik wieder
aufgegriffen werde“ (siehe Zitat aus dem Beschlussvorschlag der EU-
Kommission 2011/0061 NLE) genutzt werden?

22. Für welche Hochtemperatur- bzw. Kugelhaufenreaktoren erwartet die Bun-
desregierung Erkenntnisse gemäß folgender Aussage aus dem o. g. Be-
schlussvorschlag der EU-Kommission: „Die besondere Konstellation der
sicher eingeschlossenen Anlage ergebe die bisher einzigartige Gelegenheit,
Daten und Kosten für einen „quasi-passiven“ sicheren Einschluss einer An-
lage mit SBRB zu ermitteln. Dies gelte insbesondere für Energiekosten
(u. a. Lüftung, Lufttrocknung), Betriebskosten, wiederkehrende Prüfungen
und Reparaturen.“?

23. Für welche Hochtemperatur- bzw. Kugelhaufenreaktoren erwartet die Bun-
desregierung Erkenntnisse gemäß folgender Aussage aus dem o. g. Be-
schlussvorschlag der EU-Kommission: „Die HKG erwartet bei einem späte-
ren Rückbau der Anlage wichtige Erkenntnisse von der Durchführung fern-
bedienter und manueller In-core-Rückbauarbeiten. Darüber hinaus würden
das „Ausschälen“ der Innenfläche des SBRB (nicht alle Spannkabel sind
eindeutig entspannbar) und die Demontage von 550 Mg radiologisch belas-
teten keramischen Einbauten innerhalb des SBRB neue Erkenntnisse für die
Stilllegung von Hochtemperaturreaktoren bringen.“?

24. Welche mit dem AVR Jülich (Arbeitsgemeinschaft Versuchsreaktor Jülich)
und THTR Hamm-Uentrop vergleichbaren Kugelhaufenreaktoren waren
bzw. sind weltweit mit jeweils welcher Leistung in Betrieb?

25. Wo gibt es nach Erkenntnissen der Bundesregierung konkrete Neubaupro-
jekte, die über den Status von Ankündigungen und allgemeine Planungen
hinausgehen?

Drucksache 17/5764 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
26. Warum soll der THTR Hamm-Uentrop erst nach dem Jahr 2030 zurück-
gebaut werden?

27. Wie begründet die Bundesregierung ihre folgende in o. g. Vorlage der EU-
Kommission widergegebene Aussage angesichts der Tatsache, dass andere
Atomanlagen in Deutschland heute schon rückgebaut werden: „Der THTR
befindet sich seit 1989 in der Stilllegung mit dem Ziel, die Anlage nach
einer längeren Phase des Sicheren Einschlusses (geplant sind 30 Jahre)
vollständig zu beseitigen. Der Zeitpunkt der vollständigen Beseitigung ist
unter anderem von der Verfügbarkeit eines Endlagers für hochradioaktive
Abfälle abhängig, was angesichts der unsicheren Zukunft von Gorleben
zurzeit nicht absehbar ist.“?

28. Trifft es zu, dass angesichts der Strahlung in den nuklearen Teilen der
Anlagen heute ein Rückbau mit vertretbarem technischen Aufwand nicht
möglich ist, weshalb abgewartet werden muss, bis die Strahlung teilweise
abgeklungen ist?

29. Welche Endlagerkapazitäten benötigen AVR Jülich und THTR für ihre
Brennelemente und ihr radioaktives Reaktormaterial im Vergleich zu kom-
merziellen Siede- oder Druckwasserreaktoren mit jeweils ähnlicher Leis-
tung und Betriebszeit?

Berlin, den 10. Mai 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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