BT-Drucksache 17/576

Ergänzende Informationen zur Asylstatistik für das Jahr 2009

Vom 27. Januar 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/576
17. Wahlperiode 27. 01. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dag˘delen, Petra Pau, Kersten Steinke,
Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Ergänzende Informationen zur Asylstatistik für das Jahr 2009

Aus den von der Fraktion DIE LINKE. regelmäßig erfragten ergänzenden Infor-
mationen zur monatlichen Asylstatistik geht unter anderem hervor, welche
enorme Bedeutung Widerrufsverfahren in der Entscheidungspraxis des Bundes-
amtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) haben. So wurden im Jahr 2008
über 37 000 Widerrufsverfahren eingeleitet, d. h. weit mehr als die etwa 22 000
neuen Asylverfahren desselben Jahres. In 6 172 Fällen kam es dabei zum Wider-
ruf einer in der Vergangenheit ausgesprochenen Asyl- bzw. Flüchtlingsanerken-
nung. Es gab somit im Jahr 2008 fast ebenso viele Widerrufe des Flüchtlings-
status wie Anerkennungen (vgl. auch Bundestagsdrucksache 16/11960, Frage 3).

Die offizielle monatliche Asylstatistik enthält auch keine Angaben zum Anteil
derjenigen Asylanträge, für die nach Auffassung der Bundesrepublik Deutsch-
land ein anderer EU-Mitgliedstaat im Rahmen der Dublin-II-Verordnung zu-
ständig ist. Dies ist in einem wachsenden Umfang, im ersten Halbjahr 2009 bei
fast einem Drittel aller Asylanträge der Fall (vgl. Bundestagsdrucksachen 16/
13942 und 16/13116). Ausgerechnet das ohnehin völlig überforderte Griechen-
land wurde dabei mit über 1 500 Ersuchen bis September 2009 am häufigsten
wegen der Übernahme von Asylsuchenden aus Deutschland angefragt. Flücht-
linge aus Afghanistan und Irak bildeten die mit Abstand größten Gruppen unter
den vom EU-Verteilungssystem betroffenen Asylsuchenden (vgl. Bundestags-
drucksache 17/53, Frage 5). Hoch brisant an dem EU-Verteilungssystem ist,
dass die Gesamtschutzquote in Deutschland im Jahr 2008 in etwa 40 Prozent
betrug (bei Flüchtlingen aus Afghanistan 44,7 Prozent und bei Flüchtlingen aus
dem Irak sogar 78,4 Prozent), während sie zum Beispiel in Griechenland bei
nur 0,2 Prozent lag.

Aus einer Pressemitteilung von Eurostat vom 8. Dezember 2009 geht hervor,
dass 25 Prozent aller Klagen gegen ablehnende Asylbescheide in Deutschland
im Jahr 2008 letztlich erfolgreich waren. Zu den 7 870 Anerkennungen durch
das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge kamen damit noch einmal 2 775
Anerkennungen durch die Gerichte hinzu.

Die Fragestellerinnen und Fragesteller haben erfreut zur Kenntnis genommen,
dass das Bundesministerium des Innern und auch der Bundesminister des In-
nern in seiner Pressemitteilung vom 21. Januar 2010 zu den Asylzahlen des
Jahres 2009 an erster Stelle und in verständlicher Form auf die Gesamtschutz-
quote (Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention und subsidiär
Schutzberechtigte) Bezug genommen hat, und nicht mehr auf die nach der
Grundrechtseinschränkung von 1993 nur noch geringe Zahl der nach Artikel
16a des Grundgesetzes (GG) Asylberechtigten, obwohl sie hierzu vor zwei Jah-

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ren ausdrücklich noch nicht bereit war (vgl. Bundestagsdrucksache 16/7687,
Antwort zu Frage 8).

Bedauerlich ist jedoch, dass in der genannten Pressemitteilung fälschlich von
fast 440 000 „Asylbewerbern“ im Jahr 1992 die Rede ist, obwohl sich die
Summe „440 000“ auf die Zahl der gestellten Asylanträge (nicht Personen!)
bezieht und bei einer realistischen Betrachtung und bei einer – seit 1995 üb-
lichen – Trennung von Asylerst- und zweitanträgen von etwa 272 000 Asyl-
suchenden im Jahr 1992 ausgegangen werden muss (vgl. Bundestagsdruck-
sache 16/7687, Frage 15a).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie hoch war die Gesamtschutzquote (Anerkennungen nach § 16a GG, nach
§ 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes – AufenthG – i. V. m. der Genfer
Flüchtlingskonvention – GFK – und von Abschiebungshindernissen nach
§ 60 Absatz 2, 3, 5 und 7 AufenthG) in der Entscheidungspraxis des BAMF
im vierten Quartal 2009, im Gesamtjahr 2009, und wie lauten die jeweiligen
Vergleichswerte für 2008 (in absoluten Zahlen und in Prozent, bitte auch
nach den zehn wichtigsten Herkunftsländern differenzieren)?

2. Wie viele Widerrufsverfahren wurden im vierten Quartal 2009 und im Ge-
samtjahr 2009 eingeleitet, und wie lauten die jeweiligen Vergleichswerte für
2008 (bitte Gesamtzahlen angeben und nach den verschiedenen Formen der
Anerkennung und den zehn wichtigsten Herkunftsländern differenzieren)?

3. Wie viele Entscheidungen in Widerrufsverfahren mit welchem Ergebnis gab
es in den vorgenannten Zeiträumen (bitte Gesamtzahlen angeben und nach
den verschiedenen Formen der Anerkennung und den zehn wichtigsten Her-
kunftsländern differenzieren, bitte auch die jeweiligen Widerrufsquoten be-
nennen)?

4. a) Welche Kapitel der Dienstanweisungen „Asylverfahrenssekretariat und
Asyl“ wurden als vertraulich eingestuft und werden mit welcher Begrün-
dung auch auf Anfrage nicht offenbart (Nachfrage zu Bundestagsdruck-
sache 17/53, Frage 4c)?

b) In welcher Weise ist die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs
(EuGH) zu Artikel 15c der EU-Qualifikationsrichtlinie in die Herkunfts-
länder-Leitsätze zu Afghanistan, Irak, Somalia, Kongo und Tschetsche-
nien eingeflossen (Nachfrage zu Bundestagsdrucksache 17/53, Frage 4d),
insbesondere vor dem Hintergrund, dass das Urteil des EuGH vom
17. Februar 2009 nach Auffassung der Bundesregierung „keine unmittel-
bare Auswirkung“ auf die Entscheidungspraxis des Bundesamtes für
Migration und Flüchtlinge bei der Feststellung von Abschiebungsschutz
bei willkürlicher Gewalt gehabt haben soll (vgl. Bundestagsdrucksache
17/53, Frage 4f; bitte möglichst konkret und gegebenenfalls nach den ge-
nannten Herkunftsländern differenziert beantworten)?

c) Wie ist die Auffassung der Bundesregierung, das Urteil des EuGH habe
keine unmittelbare Auswirkung auf die Entscheidungspraxis des Bundes-
amtes für Migration und Flüchtlinge bei der Feststellung von Abschie-
bungsschutz bei willkürlicher Gewalt gehabt, zu begründen vor dem
Hintergrund, dass die Quote beim subsidiären Schutz seit der EuGH-Ent-
scheidung (d. h. ab März 2009) bei durchschnittlich 5,5 Prozent liegt,
während sie im Vergleichszeitraum des Vorjahres mit 2,8 Prozent nur
etwa halb so hoch und auch im langjährigen Vergleich zumeist unter
3 Prozent lag?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/576

d) Wie hoch war die Anerkennungsquote beim subsidiären Schutz für die
Länder Afghanistan, Irak, Somalia, Kongo und Tschetschenien in den
Monaten März bis Dezember 2009 (bitte nach Ländern getrennt ange-
ben), und wie hoch war die entsprechende Quote für die Monate März bis
Dezember 2008 (bitte ebenfalls nach Ländern getrennt angeben)?

5. Wie viele Verfahren im Rahmen der Dublin-II-Verordnung (DublinV) wur-
den im vierten Quartal 2009 und im Jahr 2009 insgesamt eingeleitet, und
wie lauten die Vergleichswerte für das Jahr 2008 (bitte in absoluten Zahlen
und in Prozentzahlen die Relation zu allen Asylerstanträgen sowie die
Quote der auf EURODAC-Treffern basierenden Verfahren angeben)?

a) Welches waren in den benannten Zeiträumen die zehn am stärksten be-
troffenen Herkunftsländer, und welches die zehn am stärksten angefrag-
ten EU-Mitgliedstaaten (bitte in absoluten Werten und in Prozentzahlen
angeben)?

b) Wie viele Dublin-Entscheidungen mit welchem Ergebnis (Zuständigkeit
eines anderen EU-Mitgliedstaats bzw. der Bundesrepublik Deutschland,
Selbsteintritt nach Artikel 3 Absatz 2 DublinV, humanitäre Fälle nach
Artikel 15 DublinV) gab es in den benannten Zeiträumen?

c) Wie viele Überstellungen nach der Dublin-II-Verordnungen wurden in
den benannten Zeiträumen vollzogen (bitte in absoluten Werten und in
Prozentzahlen angeben und auch nach den zehn wichtigsten Herkunfts-
ländern und EU-Mitgliedstaaten differenzieren)?

6. Wie viele Asylanträge wurden im vierten Quartal 2009, im Gesamtjahr 2009
und in den Vergleichszeiträumen des Jahres 2008 nach § 14a Absatz 2 des
Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) von Amts wegen für hier geborene (oder
eingereiste) Kinder von Asylsuchenden gestellt, wie viele Asylanträge wur-
den in den genannten Zeiträumen von bzw. für Kinder(n) unter 16 Jahren
bzw. von Jugendlichen zwischen 16 und 18 Jahren bzw. von unbegleiteten
minderjährigen Flüchtlingen gestellt (bitte jeweils in absoluten Zahlen und
in Prozentzahlen in Relation zur Gesamtzahl der Asylanträge sowie die Ge-
samtzahl der Anträge unter 18-Jähriger und sich überschneidende Teilmen-
gen angeben)?

7. Welche statistischen Angaben zur Entscheidungspraxis der (Ober-)Verwal-
tungsgerichte im Bereich Asyl wurden für das Jahr 2009 in welchem Turnus
erhoben, und wie lauten die entsprechenden Angaben für 2009 (gegebenen-
falls soweit bereits vorliegend) insbesondere zur Zahl der Klagen und An-
träge und zur Zahl und Quote der Anerkennung, Ablehnung bzw. Erledigung
von Klagen und Anträgen wegen Asyl-, Flüchtlings- bzw. Abschiebungs-
schutz (bitte auch nach den zehn wichtigsten Herkunftsländern differen-
zieren)?

Berlin, den 27. Januar 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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