BT-Drucksache 17/5649

Aufklärung der haftungsrechtlichen Konsequenzen aus dem Datenskandal bei der Deutschen Bahn AG

Vom 18. April 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5649
17. Wahlperiode 18. 04. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter, Winfried Hermann, Dr. Valerie Wilms,
Bettina Herlitzius, Stephan Kühn, Ingrid Nestle, Daniela Wagner
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Aufklärung der haftungsrechtlichen Konsequenzen aus dem Datenskandal
bei der Deutschen Bahn AG

Am 23. Februar 2011 hat sich der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwick-
lung des Deutschen Bundestages in einer Selbstbefassung mit der Aufklärung
und den haftungsrechtlichen Konsequenzen aus der Datenaffäre bei der Deut-
schen Bahn AG (DB AG) befasst. Geladen waren neben den Sonderermittlern
Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin und Dr. Julius Reiter für die Sozietät Baum,
Reiter & Collegen, auch der Berliner Datenschutzbeauftragte Dr. Alexander Dix
und der Vorstand Compliance, Datenschutz und Recht der DB AG, Gerd Becht.

Die Selbstbefassung hat aber entgegen der Annahme, dass die Datenaffäre
durch die DB AG vollständig aufgearbeitet sei, mehr neue Fragen erzeugt als
abgearbeitet wurden.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie beurteilt die Bundesregierung den Umstand, dass die Firma KPMG AG
Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, die vom Aufsichtsrat mit der Aufklärung
des Datenskandals beauftragt wurde, in diesen ausweislich eines Berichts in
der „Stuttgarter Zeitung“ vom 19. März 2011 („KPMG spitzelte für die Deut-
sche Bahn AG“), der sich auf einen Brief des Berliner Datenschutzbeauftrag-
ten Dr. Alexander Dix an den Vorsitzenden des Vorstands der DB AG,
Dr. Rüdiger Grube vom 14. Oktober 2010 bezieht, selbst verwickelt war?

2. Warum wurde das Mandat der ebenfalls beauftragten Sonderermittler Prof.
Dr. Herta Däubler-Gmelin sowie Gerhard Baum zu einem Zeitpunkt beendet,
als die haftungsrechtlichen Konsequenzen für den damals amtierenden Vor-
stand noch nicht aufgeklärt waren?

3. Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass die Aufklärung und die
Prüfung der haftungsrechtlichen Konsequenzen aus dem Datenskandal bei
der Telekom Deutschland GmbH bis zum Schluss von den eingesetzten Son-
derermittlern durchgeführt wurden und zu einer Schadensersatzklage gegen
den früheren Aufsichtsratsvorsitzenden Klaus Zumwinkel und den ehemali-

gen Vorstandsvorsitzenden Kai-Uwe Ricke führten, während bei der DB AG
das Mandat der Sonderermittler frühzeitig beendet wurde, und stattdessen die
Prüfung der aktienrechtlichen Verantwortlichkeit von Aufsichtsrat und Vor-
stand an PricewaterhouseCoopers Aktiengesellschaft (PwC) übertragen
wurde, mit der Folge, dass bis heute keine Schadensersatzforderungen er-
hoben wurden?

Drucksache 17/5649 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

4. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass die Datenaffäre einschließlich
Abfindung und Einmalzahlungen die DB AG 45 Mio. Euro im Jahr 2009
gekostet hat, wie die „Stuttgarter Zeitung“ am 8. April 2011 schreibt?

5. Welche Kosten für Anwälte, interne Ermittler, Prüfer, Bußgelder sowie Ab-
findungen und Einmalzahlungen an welche ehemaligen Aufsichtsräte und
Vorstände sind in dieser Summe enthalten?

6. Welche Kosten sind der DB AG im Jahr 2010 durch die Datenaffäre ent-
standen?

7. Handelt der heutige Vorstand und der heutige Aufsichtsrat der DB AG aus
Sicht der Bundesregierung im Sinne des Aktienrechts, wenn er Hinweisen
auf mögliche aktienrechtlichen Verantwortlichkeiten des alten Aufsichts-
rats und des alten Vorstands in der Datenaffäre nicht nachgeht und damit
auf Schadensersatzforderungen in Millionenhöhe verzichtet?

8. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass der Verzicht auf mögliche
Schadensersatzforderungen des bundeseigenen Unternehmens DB AG ge-
genüber dem alten Aufsichtsrat und dem alten Vorstand einen Forderungs-
verzicht darstellt, der die Bilanz der DB AG negativ beeinflusst?

9. Sind die vorgenannten Fragen von den durch die Bundesregierung entsandten
Vertreter im Aufsichtsrat der DB AG, insbesondere durch den Vertreter des
Bundesministerium der Finanzen, thematisiert worden, und wenn ja, mit
welchem Ergebnis?

10. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die aktienrechtliche Verant-
wortlichkeit der Geschäftsführungsorgane der DB AG wegen der von den
Sonderermittlern festgestellten systematischen Verstößen gegen materielles
und formelles Datenschutzrecht, Strafrecht, Betriebsverfassungsrecht hin-
reichend überprüft wurde?

11. Wie beurteilt die Bundesregierung den Umstand, dass die vom damaligen
Aufsichtsrat mit einer Sonderprüfung zur aktienrechtlichen Verantwortlich-
keit beauftragte Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers
Aktiengesellschaft (PwC) seit Langem als Abschlussprüfer für die DB AG
tätig war und ist?

12. Wieso wurde der Firma PwC der Auftrag erteilt, keine weiteren Sachver-
haltsermittlungen bei der Prüfung der rechtlichen Verantwortlichkeiten der
damaligen Vorstandsmitglieder durchzuführen?

13. Wie beurteilt die Bundesregierung die Einschränkung des Aufklärungsauf-
trages an PwC in Ansehung der Tatsache, dass im Abschlussbericht der
Sonderermittler Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin/Gerhard Baum einleitend
ausdrücklich festgestellt wurde: „Wir können nicht abschließend beurtei-
len, ob alle beurteilungsrelevanten Informationen und Nachweise zugäng-
lich gemacht bzw. erkannt wurden“ (S. 15)?

14. Ist der Bundesregierung bekannt, ob im Jahr 2006 eine Ergebnispräsenta-
tion der Konzernrevision zum Thema „Effizienz und Effektivität der gegen
Informationsabfluss ergriffenen Maßnahmen“ stattgefunden hat, an der der
damalige Vorstandsvorsitzende Hartmut Mehdorn persönlich teilgenom-
men hat?

15. Ist die Bundesregierung bereit zu prüfen, ob bei einer Ergebnispräsentation
im Jahr 2006 in Anwesenheit von Hartmut Mehdorn Maßnahmen, Werk-
zeuge und Methoden zur Überwachung des E-Mail-Verkehrs von Konzern-
mitarbeitern vorgestellt wurden, die später von den Sonderermittlern als
Verstöße gegen Datenschutz- und Strafrecht gewertet wurden?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/5649

16. Ist der Bundesregierung bekannt, ob ein Mitarbeiter der Konzernrevision
bei der Befragung durch KPMG ausdrücklich dargelegt und wiederholt be-
schrieben hat, in welcher Weise Hartmut Mehdorn über Maßnahmen und
Methoden zur Überwachung von Konzernmitarbeitern informiert wurde?

17. Ist der Bundesregierung bekannt, ob ein Mitarbeiter der Konzernrevision
bei der Befragung durch KPMG außerdem ausdrücklich dargelegt hat, dass
Hartmut Mehdorn persönlich von der Konzernrevision verschärfte Maß-
nahmen und Methoden zur Überwachung von Konzernmitarbeitern ver-
langt hat?

18. Ist der Bundesregierung bekannt, ob die Firma PwC bei der Beurteilung
der aktienrechtlichen Verantwortlichkeit von Hartmut Mehdorn sämtliche
Zeugenaussagen berücksichtigt hat, die dem KPMG-Abschlussbericht zur
Datenaffäre zugrunde lagen?

19. Wie beurteilt die Bundesregierung im Lichte möglicher neuer Erkenntnisse
die Aussage von Gerd Becht im „TAGESSPIEGEL“ vom 25. Mai 2010,
wonach es keinen Beleg dafür gäbe, dass sich der alte Vorstand in der Da-
tenaffäre etwas zuschulden habe kommen lassen?

20. Wie beurteilt die Bundesregierung im Lichte möglicher neuer Erkenntnisse
die Aussage des Aufsichtsratsvorsitzenden der DB AG, Prof. Dr. Dr. Utz-
Hellmuth Felcht in seinem Schreiben an den Bundesminister für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung, Dr. Peter Ramsauer, und den Vorsitzenden des
Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung des Deutschen Bun-
destages, Winfried Hermann, vom 6. April 2011, wonach seit der Prüfung
möglicher Haftungsansprüche des Unternehmens gegen den ehemaligen
Vorstand durch PwC keine neuen Gesichtspunkte bekannt geworden seien,
die eine erneute Prüfung dieser Frage rechtfertigen würde.

21. Ist der Bundesregierung bekannt, dass an solchen Befragungen auch ein
Mitarbeiter der Rechtsabteilung der DB AG teilgenommen hat, der heute
engster Mitarbeiter des für Compliance-Angelegenheiten zuständigen Vor-
standsmitgliedes Gerd Becht ist?

22. Ist der Bundesregierung bekannt, ob dieser Mitarbeiter zuvor unmittelbar
oder mittelbar an der Beauftragung von Rechtsanwalt Dr. Edgar Joussen
beteiligt war, der wiederum für die Beauftragung von den Detekteien mit
illegalen Ermittlungsmethoden beteiligt gewesen sein soll?

23. Kann die Bundesregierung ausschließen, dass im Umfeld des heutigen
Compliance-Vorstandes Mitarbeiter beschäftigt sind, die unmittelbar oder
mittelbar an Handlungen beteiligt waren, die in den Abschlussberichten der
Sonderermittler behandelt wurden?

24. Trifft es zu, dass bei der DB AG sonderbeurlaubte Beamte der Staatsan-
waltschaft Berlin beschäftigt wurden, deren Aufgabe u. a. darin bestand,
Informationsabflüsse zu bekämpfen?

25. Trifft es zu, dass es zumindest einen Fall gab, bei dem ein sonderbeurlaub-
ter Beamter der Staatsanwaltschaft Berlin zunächst als Beschäftigter der
DB AG unternehmensinterne Ermittlungen gegen Informationsabflüsse ge-
führt und dann, nach Rückkehr in den Dienst der Staatsanwaltschaft Berlin,
ein Ermittlungs- und Strafverfahren gegen einen Bahnmitarbeiter betreut
hat, dem Informationsweitergabe vorgeworfen wurde?

Wenn ja, hält die Bundesregierung dies für ein rechtsstaatlich unbedenk-
liches Vorgehen?

Berlin, den 15. April 2011
Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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