BT-Drucksache 17/5629

zu dem Gesetzentwurf der Abgeordneten Birgitt Bender, Brigitte Pothmer, Elisabeth Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - 7/548 - Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung der Benachteiligung von privat versicherten Bezieherinnen und Beziehern von Arbeitslosengeld II

Vom 18. April 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5629
17. Wahlperiode 19. 04. 2011

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss)

zu dem Gesetzentwurf der Abgeordneten Birgitt Bender, Brigitte Pothmer,
Elisabeth Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
– Drucksache 17/548 –

Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung der Benachteiligung von privat
versicherten Bezieherinnen und Beziehern von Arbeitslosengeld II

A. Problem

Seit 1. Januar 2009 können privat Kranken- und Pflegeversicherte, die erstmals
Arbeitslosengeld II (ALG II) beantragen, nicht mehr in die gesetzliche Kranken-
und soziale Pflegeversicherung wechseln, sondern müssen in der privaten Kran-
kenversicherung (PKV) bleiben. Um die Prämienhöhe auf die Hälfte zu reduzie-
ren, besteht die Möglichkeit, in den Basistarif mit dem Leistungsumfang der
gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu wechseln. Die monatliche Prämie
im Basistarif liegt aber in der Regel über dem Zuschuss, den die ALG-II-Träger
– analog der Leistung für in der GKV versicherte ALG-II-Empfänger – an privat
versicherte Hilfebedürftige leisten. Dadurch entsteht für in der PKV versicherte
Hilfebedürftige eine Finanzierungslücke, die aus der gesetzlichen Regelleistung
gedeckt werden muss. Die Initianten des Gesetzes sehen darin eine Benachteili-
gung der privat versicherten ALG-II-Bezieher. Durch Änderung der einschlägi-
gen Vorschriften im Versicherungsvertragsgesetz und im Elften Buch Sozial-
gesetzbuch (SGB XI) soll die Höhe der monatlichen Prämie im PKV-Basistarif
für privat versicherte Hilfebedürftige auf den reduzierten Beitrag der gesetz-
lichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung abgesenkt oder alternativ eine
solidarische Bürgerversicherung eingeführt werden.

B. Lösung
Ablehnung des Gesetzentwurfs mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/
CSU und FDP gegen die Stimmen der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN bei Stimmenthaltung der Fraktion DIE LINKE.

C. Alternativen

Annahme des Gesetzentwurfs.

Drucksache 17/5629 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

D. Kosten

Kosten für Haushalte von Bund, Ländern oder Kommunen entstehen nicht. Es
entstehen für die PKV (bei der Annahme von 2 700 Betroffenen) Kosten von
rund 5,8 Mio. Euro jährlich. Bezogen auf die mehr als 23 Mrd. Euro Jahresein-
nahmen der PKV aus der Krankenvollversicherung und Pflegeversicherung
(2007 21,2093 Mrd. Euro PKV bzw. 1,883 Mrd. Euro PPV, Zahlenbericht der
privaten Krankenversicherung 2007/2008, S. 17) sind dies etwa 0,025 Prozent
der entsprechenden Einnahmen.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/5629

Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,

den Gesetzentwurf auf Drucksache 17/548 abzulehnen.

Berlin, den 14. April 2011

Der Ausschuss für Gesundheit

Dr. Carola Reimann
Vorsitzende

Dr. Karl Lauterbach
Berichterstatter

und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei Stimmenthaltung der (BSG) mit Entscheidung vom 18. Januar 2011 urteilte, dass

Fraktion DIE LINKE. beschlossen zu empfehlen, den Ge-
setzentwurf auf Drucksache 17/548 abzulehnen.

Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

die Grundsicherungsträger für die Betroffenen die vollen
Beiträge zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung
übernehmen müssen AZ B 4 AS 108/10 R). Die Bundes-
Drucksache 17/5629 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Bericht des Abgeordneten Dr. Karl Lauterbach

I. Überweisung

Der Deutsche Bundestag hat den Gesetzentwurf auf Druck-
sache 17/548 in seiner 24. Sitzung am 25. Februar 2010 in
erster Lesung beraten und zur Federführung an den Aus-
schuss für Gesundheit überwiesen. Außerdem hat er den Ge-
setzentwurf zur Mitberatung an den Rechtsausschuss, den
Ausschuss für Arbeit und Soziales und den Ausschuss für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend überwiesen.

II. Wesentlicher Inhalt der Vorlage

Seit 1. Januar 2009 können privat Kranken- und Pflegever-
sicherte beim erstmaligen Bezug von Arbeitslosengeld II
(ALG II) nicht mehr in die gesetzliche Kranken- und soziale
Pflegeversicherung wechseln, sondern müssen in der priva-
ten Kranken- und Pflegeversicherung bleiben. Sie haben
aber die Möglichkeit, sich im Basistarif mit der halbierten
Versicherungsprämie in Höhe von 290,62 Euro für die Kran-
ken- und maximal 32 Euro für die Pflegeversicherung zu
versichern. Vom ALG-II-Träger erhalten sie einen Zuschuss
von rund 145 Euro, der der Höhe der Leistung für gesetzlich
versicherte ALG-II-Empfänger entspricht. Es entsteht eine
monatliche Finanzierungslücke von rund 180 Euro, die aus
der staatlichen Regelleistung finanziert werden muss. Nach
Meinung der Gesetzesinitianten werden dadurch die privat
versicherten ALG-II-Empfänger benachteiligt. Das Landes-
sozialgericht Niedersachsen-Bremen hält diese Regelung,
von der im August 2009 rund 2 700 Hilfebedürftige betrof-
fen waren, für verfassungswidrig.

Durch die Änderung der einschlägigen Vorschriften im Ver-
sicherungsvertragsgesetz (§ 12 Absatz 1c Satz 6 VVG) und
im Elften Buch Sozialgesetzbuch (§ 110 Absatz 2 Satz 4
SGB XI) soll die Höhe der monatlichen Prämie im PKV-
Basistarif für privat versicherte Hilfebedürftige auf den re-
duzierten Beitrag der gesetzlichen Kranken- und sozialen
Pflegeversicherung abgesenkt und so die Finanzierungs-
lücke geschlossen werden. Alternativ wird vorgeschlagen,
eine solidarische Bürgerversicherung in der Kranken- und
Pflegeversicherung einzuführen.

III. Stellungnahmen der mitberatenden Ausschüsse

Der Rechtsausschuss hat in seiner 45. Sitzung am 13. April
2011 mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU
und FDP gegen die Stimmen der Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei Stimmenthaltung der
Fraktion DIE LINKE. beschlossen zu empfehlen, den Ge-
setzentwurf auf Drucksache 17/548 abzulehnen.

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales hat in seiner 63. Sit-
zung am 13. April 2011 mit den Stimmen der Fraktionen der
CDU/CSU und FDP gegen die Stimmen der Fraktionen SPD

der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei
Stimmenthaltung der Fraktion DIE LINKE. beschlossen zu
empfehlen, den Gesetzentwurf auf Drucksache 17/548 abzu-
lehnen.

IV. Beratungsverlauf im federführenden Ausschuss

Der Ausschuss für Gesundheit hat in seiner 8. Sitzung am
24. März 2010 die Beratungen zu dem Gesetzentwurf auf
Drucksache 17/548 aufgenommen und in der 10. Sitzung
am 5. Mai 2010 fortgesetzt und beschlossen, zur Drucksache
17/548 sowie zu weiteren thematisch einschlägigen Vorla-
gen (Drucksachen 17/674, 17/777, 17/780 und 17/879) eine
öffentliche Anhörung durchzuführen.

Die Anhörung fand in der 16. Sitzung am 7. Juli 2010 statt.
Als sachverständige Verbände waren eingeladen: Arbeit-
geberverband der Versicherungsunternehmen in Deutsch-
land e. V. (AGV), Bund der Versicherten e. V. (BdV), Bund
Deutscher Sozialrichter (BDS), Bundesarbeitsgemeinschaft
der Freien Wohlfahrtspflege e. V. (BAGFW), Bundesarbeits-
gemeinschaft Prekäre Lebenslagen e. V. (BAG Prekäre
Lebenslagen), Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe von
Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung
und ihren Angehörigen e. V. (BAG SELBSTHILFE),
Bundesverband der Selbständigen – Deutscher Gewerbever-
band e. V., Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeber-
verbände e. V. (BDA), Bundesvereinigung der kommunalen
Spitzenverbände, Deutsche Gesellschaft für Versicherte und
Patienten e. V. (DGVP), Deutscher Gewerkschaftsbund
(DGB), Deutscher Verein für öffentliche und private Für-
sorge e. V., Spitzenverband der Kranken- und Pflegekassen
(GKV-Spitzenverband), Sozialverband Deutschland e. V.
(SoVD), Verband der privaten Krankenversicherung e. V.
(PKV), Verbraucherzentrale Bundesverband e. V. (vzbv),
ver.di Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft. Außerdem wa-
ren als Einzelsachverständige Prof. Dr. Stefan Greß, Markus
Klinder, Dr. Joachim Rock, Prof. Dr. Gregor Thüsing und
Prof. Dr. Astrid Wallrabenstein eingeladen. Auf das Wort-
protokoll und die als Ausschussdrucksachen verteilten Stel-
lungnahmen der Sachverständigen wird Bezug genommen.

Der Ausschuss hat in seiner 29. Sitzung am 26. Januar 2011
die Beratungen fortgesetzt und in seiner 37. Sitzung am
13. April 2011 abgeschlossen.

Zu dem Gesetzentwurf lag dem Ausschuss eine Petition vor,
zu der der Petitionsausschuss eine Stellungnahme nach § 190
der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages angefor-
dert hatte. Der Petent sprach sich für die Beseitigung der
Finanzierungslücke bei privat kranken- und pflegeversicher-
ten ALG-II-Beziehern aus. Das Anliegend des Petenten hat
sich zunächst insoweit erledigt, da das Bundessozialgericht
hat in seiner 37. Sitzung am 13. April 2011 mit den Stimmen
der Fraktionen der CDU/CSU und FDP gegen die Stimmen

agentur für Arbeit hat in Folge dessen eine entsprechende
Verfahrensinformation erstellt, wonach zunächst rück-

worden. Das Gericht habe darauf verwiesen, dass die analo-
ge Anwendung des § 26 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 SGB II
die gesetzesimmanente Unvollständigkeit der gesetzlichen
Regelung heile. Es werde nun geprüft, ob eine weitergehen-
de rechtliche Regelung erforderlich sei. Zweitens sei eine
Absenkung der Basistarifprämie in der PKV, wie von der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gefordert, nicht
möglich. Dadurch werde der gesamte Basistarifvertrag
rechtswidrig, da die Prämien risikoadäquat kalkuliert wer-
den müssten, was bei der Absenkung nicht mehr gegeben sei.

Die Fraktion der SPD erklärte, sie würden dem Gesetzent-
wurf zustimmen, da er die Gleichbehandlung der gesetzlich
und der privat versicherten Hilfebedürftigen anstrebe. Die
Prämien der PKV müssten für diese Personengruppe gesenkt
werden, da ansonsten die Gewinne der PKV mit Steuermit-
teln gesteigert würden. Werde der durchschnittliche Beitrag
zur Krankenversicherung zu Grunde gelegt, wie es die Frak-
tion DIE LINKE. fordere, werde das Solidarprinzip ausge-
höhlt, denn die Beiträge zur GKV seien einkommensabhän-
gig kalkuliert. Werde der Durchschnittsbeitrag als Beitrag
für Hilfebedürftige festgesetzt, weil Hilfebedürftige kränker
seien und höhere Kosten verursachten, dann werde der Ge-
sundheitszustand als Kriterium für die Beitragsberechnung
eingeführt. Der Beitrag orientiere sich damit am Risiko und
nicht an der finanziellen Leistungskraft. Das sei eine Annä-
herung an das System der PKV, wo der Gesundheitszustand
für die Prämienhöhe relevant sei. Nur um die GKV finanziell
zu entlasten, dürften die Solidarprinzipien nicht aufgegeben
werden.

Die Fraktion der FDP vertrat die Ansicht, dass das in dem
vorliegenden Gesetzentwurf geschilderte Problem durch das
Urteil des BSG vom Januar 2011 faktisch gelöst sei. Deshalb

diesen Umstand zu ändern. Durch den Gesetzentwurf wür-
den die privaten Versicherer gezwungen, auf ihren Anspruch
von rund 327 Euro zu verzichten und sich mit einem Zu-
schuss von 144 Euro zu begnügen. Dieser Lösungsansatz
helfe zwar den Betroffenen, der Ansatz der Fraktion DIE
LINKE. ziele aber darauf, dass die GKV rund 260 Euro mo-
natlich für jeden Hilfebedürftigen erhalten solle. Der Betrag
entspreche dem Durchschnittsbeitrag zur GKV. Konsequen-
terweise könne für die PKV kein niedriger Betrag gefordert
werden, wie dies die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
verlange. Mit der Anhebung des Betrags auf 260 Euro wäre
den privat versicherten Hilfebedürftigen ebenfalls geholfen.

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erläuterte, dass
bei privat kranken- und pflegeversicherten Hilfebedürftigen
eine Deckungslücke entstehe, da der Zuschuss der Grund-
sicherungsträger nur dem Betrag entspreche, den diese auch
an gesetzlich versicherte Hilfebedürftige leisteten. Bei den
Hilfebedürftigen würden in aller Regel Beitragsrückstände
auflaufen, da sie nicht in der Lage seien, die volle Versiche-
rungsprämie aus dem Regelsatz zu finanzieren. An dem Ver-
sicherungsschutz würde sich zwar nichts ändern, jedoch
würden sich die Hilfebedürftigen verschulden. Auf diesen
Umstand sei bereits während der Hartz-IV-Verhandlungen
aufmerksam gemacht worden. Die Bundesagentur für Arbeit
habe zwar auf Grund des BSG-Urteils die Anweisung gege-
ben, dass künftig die Beiträge entsprechend der tatsächlichen
Höhe zu übernehmen seien, das sei jedoch keine problemad-
äquate Lösung. Es fehle eine gesetzliche Regelung derge-
stalt, dass die Prämien der PKV auf das Niveau der GKV ge-
senkt würden und eine Gleichstellung erreicht werde. Denn
im Gegensatz zur Position der Fraktion DIE LINKE. wolle
man die PKV nicht aus Steuermitteln finanzieren.

Berlin, den 14. April 2011

Dr. Karl Lauterbach
Berichterstatter
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/5629

wirkend bis zum Tag der Urteilsverkündung der erhöhte
Zuschuss zu zahlen sei.

Als Ergebnis empfiehlt der Ausschuss für Gesundheit mit
den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und FDP gegen
die Stimmen der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN bei Stimmenthaltung der Fraktion DIE LINKE.,
den Gesetzentwurf auf Drucksache 17/548 abzulehnen.

Die Fraktion der CDU/CSU führte aus, dass es im Prinzip
zwei Gründe gebe, warum der Gesetzentwurf der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN abgelehnt werde. Erstens sei
die im Gesetzentwurf problematisierte Regelungslücke
durch das Urteil des BSG vom 18. Januar 2011 geschlossen

hätte die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einen neuen
oder zumindest überarbeiteten Gesetzentwurf vorlegen müs-
sen, um der tatsächlichen Rechtslage Rechnung zu tragen.
Allerdings sei trotz des Urteils nach wie vor ungeklärt, wie
mit den bei den privaten Krankenversicherern aufgelaufenen
Schulden der Hilfebedürftigen verfahren werden solle. Hier-
über werde derzeit beraten.

Die Fraktion DIE LINKE. merkte an, dass den privat ver-
sicherten Hilfebedürftigen nach Abzug der Basistarifprämie
rund 176 Euro zur Finanzierung des Lebensunterhaltes ver-
blieben. Die Alternative sei die Verschuldung bei den priva-
ten Krankenversicherern. Seit Längerem werde die Bundes-
regierung durch parlamentarische Initiativen aufgefordert,

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