BT-Drucksache 17/5488

Illegale Landnahme verhindern, Eigentumsfreiheit schützen, Ernährungsgrundlage in Entwicklungsländern sichern

Vom 13. April 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5488
17. Wahlperiode 13. 04. 2011

Antrag
der Abgeordneten Helmut Heiderich, Sibylle Pfeiffer, Dr. Christian Ruck, Peter
Altmaier, Hartwig Fischer (Göttingen), Anette Hübinger, Jürgen Klimke, Stefan
Müller (Erlangen), Klaus Riegert, Johannes Selle, Sabine Weiss (Wesel I), Dagmar
Wöhrl, Volker Kauder, Gerda Hasselfeldt und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Dr. Christiane Ratjen-Damerau, Harald Leibrecht, Helga
Daub, Joachim Günther (Plauen), Michael Link (Heilbronn), Birgit Homburger und
der Fraktion der FDP

Illegale Landnahme verhindern, Eigentumsfreiheit schützen,
Ernährungsgrundlage in Entwicklungsländern sichern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Ausländische Direktinvestitionen, so genannte Foreign Direct Investments (FDI),
können eine große Chance für Entwicklungsländer darstellen. Sie sorgen unter
den richtigen Rahmenbedingungen für nachhaltige Wertschöpfung, dringend
benötigten Technologietransfer, größere Produktivität, entscheidende Entwick-
lungsschübe sowie Anschluss und Einbindung der nationalen Wirtschaft in den
Welthandel. Derartige Investitionen sind besonders in die Landwirtschaft und
den ländlichen Raum dringend notwendig, denn 75 Prozent der Armen leben in
ländlichen Gebieten. Steigende Preise für landwirtschaftliche Produkte können
für Bauern einen Anreiz schaffen, sich von der Subsistenzwirtschaft ab- und
einer marktorientierten Landwirtschaft zuzuwenden. Steigerung der Nahrungs-
mittelproduktion, neue Anbaumethoden, verbesserter Marktzugang und Ent-
wicklung der Infrastruktur sind Herausforderungen, denen sich jedes Land
stellen muss, will es dauerhaft Hunger und Armut beseitigen. Gelingt es, auslän-
dische Direktinvestitionen nachhaltig einzusetzen, können sowohl Regierungen
als auch die ansässige Bevölkerung und Investoren davon profitieren. Vorausset-
zung dafür ist jedoch, dass ein großer Teil der Wertschöpfung im Entwicklungs-
land selbst verbleibt.

Die stark wachsende Weltbevölkerung und die damit einhergehende gestiegene
Nachfrage nach Rohstoffen, Nahrungsmitteln und Wohnraum erhöhen den
Druck auf fruchtbares Land. Auch Veränderungen in der Energiepolitik und im
Konsumverhalten verlangen nach mehr Anbauflächen. In einzelnen Staaten geht

die stärkere Konzentration auf nachwachsende Rohstoffe zu Lasten der Nah-
rungsmittelproduktion. Die Ressource landwirtschaftliche Nutzfläche wird da-
durch für Nahrungsmittel immer knapper. Problemverschärfend kommt hinzu,
dass durch den Klimawandel immer mehr Flächen durch Erosion und Wüsten-
bildung unfruchtbar werden. Wie dramatisch diese Entwicklungen sind, zeigen
die Nahrungsmittelkrisen der letzten Jahre und eine zunehmende Anzahl von
hungernden Menschen auf der Welt. Nach Angaben der Food and Agriculture

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Organization (FAO) haben zurzeit knapp eine Milliarde Menschen weltweit
nicht genug zu essen. Das Recht auf Nahrung durchzusetzen ist und bleibt damit
ein unverrückbares Ziel.

Die gestiegene weltweite Nachfrage nach Anbauflächen hat zu einer Entwick-
lung geführt, die je nach Bewertung entweder mit „Land Grabbing“ oder „Direct
Investment in Land“ überschrieben wird. Darunter werden großflächige Land-
käufe oder Landpachtungen für mehrere Jahrzehnte verstanden. Privatwirt-
schaftliche Akteure, häufig unterstützt durch staatliche oder halbstaatliche Stel-
len, kaufen oder pachten große Mengen Land in ärmeren Ländern. Vor allem
finanzschwache Länder in Afrika und Asien, vereinzelt auch osteuropäische
Staaten, haben die verstärkte Nachfrage nach neuen Ackerflächen erfahren müs-
sen. Zu beobachten ist dieser Prozess insbesondere in Staaten mit schwachen de-
mokratischen Strukturen und einer intransparenten Verwaltung. Dabei treten
nicht nur Unternehmen aus Industrieländern als Investoren auf, sondern zuneh-
mend auch aus Schwellen- und Entwicklungsländern. Die Gründe dafür sind
vielfältig. Staaten mit großem Bevölkerungswachstum und/oder wenig frucht-
barem Ackerland, wie beispielsweise China und die arabischen Ölstaaten,
möchten durch den Anbau von landwirtschaftlichen Produkten die Versorgung
der eigenen Bevölkerung mit Lebensmitteln sichern. Andere Akteure verwen-
den die erworbenen Landflächen insbesondere für den Anbau großer Mengen an
Biomasse, aus der z. B. Biodiesel oder Bioethanol gewonnen werden, und nut-
zen dabei die sehr geringen Bodenpreise. Investitionen werden darüber hinaus
auch zur Sicherung von Wasserressourcen getätigt, wodurch vor allem Acker-
flächen an Seen oder in der Nähe von Flussquellen attraktiv werden, um so eine
möglichst reibungslose und konstante Wasserversorgung zu gewährleisten.

Es gibt positive Fälle, in denen durch diese Investitionen Tausende ortsansässiger
Arbeiter beschäftigt werden und ein großer Teil der Wertschöpfung im Lande
verbleibt. Aber es gibt auch zahlreiche negative Beispiele, hauptsächlich in Staa-
ten mit gering ausgeprägten Eigentumsrechten und schwachen oder korrupten
Regierungen. Dort werden Bauern von ihrem Land vertrieben und können sich
nicht dagegen wehren, da es in Entwicklungsländern häufig keine formalen Be-
sitztitel gibt. Das Recht auf Land und die Nutzung der Flächen werden dort über
Generationen hinweg vererbt. Dadurch haben die de facto enteigneten Bauern
auch keinerlei Anspruch auf etwaige Entschädigungs- oder Ausgleichszahlun-
gen. Auf den so frei gewordenen Flächen werden häufig Monokulturen ange-
baut. Große Mengen Wasser werden benötigt, um den Ertrag zu sichern. Durch
die damit verbundene Umleitung von Flüssen und die Entnahme von Wasser
kommt es vermehrt zu Wassernutzungskonflikten, die insbesondere in Subsa-
hara-Afrika zu großen Problemen für kleinere einheimische Farmen werden. Im
Zuge von nicht nachhaltiger Plantagenwirtschaft findet auch eine vermehrte
Auslaugung der Böden statt. Durch den unsachgemäßen Einsatz von Dünger und
Pflanzenschutzmitteln können Böden und Grundwasser angegriffen und geschä-
digt werden. In einigen Regionen Südamerikas hinterlassen jahrelange Mono-
kulturen Böden, die sich für einen weiteren Anbau nicht mehr eignen. Die Folgen
sind Bodenerosion, die Austrocknung von Flüssen und steigende Desertifikation.

Verschärft wird der Konflikt um Land noch dadurch, dass die investierenden Fir-
men häufig ihre eigenen Arbeiter und Angestellten mitbringen und einheimische
Bauern ihre Einkommensgrundlage verlieren. So entstehende soziale Verwer-
fungen haben das Potential, in gewalttätige Unruhen mit erheblichen politischen
Implikationen zu münden. Diese nicht nachhaltige Landpolitik bringt auch
seriöse Investitionen in Misskredit. Deshalb kann nur eine transparente und
rechtlich einwandfreie Vergabepraxis von Landflächen dazu führen, dass drin-
gend benötigte Investitionen der Bevölkerung zugutekommen und damit soziale
und ökologische Folgen berücksichtigt werden.
Belastbare Zahlen, die den Umfang von Landnahmen dokumentieren, sind nicht
vorhanden. Die Weltbank hat in ihrem jüngsten Bericht von 2011 zum Thema

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„Rising Global Interest in Farmland – Can it yield sustainable and equitable
benefits?“ dokumentiert, dass die Nachfrage nach Land 2009 auf rund 56 Mio.
Hektar beziffert wird. Eine Studie der Deutschen Gesellschaft für Technische
Zusammenarbeit GmbH (heute GIZ) aus dem gleichen Jahr registrierte 141
abgeschlossene Verträge über Flächen von 5000 Hektar und mehr. Seit 2004
wurden in Äthiopien, Ghana, Madagaskar, Mali und Sudan rund 2,5 Mio. Hektar
Land verpachtet, während seit 2006 Verhandlungen über 15 bis 20 Mio. Hektar
Land geführt wurden. Die Zielländer erhoffen sich durch die Verpachtung oder
den Verkauf ihrer Flächen Investitionen in Infrastruktur, Arbeitsplätze, Devisen
und einen wirtschaftlichen Aufschwung.

Damit dies gelingt, müssen bestehende Eigentums- und Nutzungsrechte geach-
tet werden. Die von den großflächigen Landnahmen am stärksten Betroffenen
sind zumeist altansässige Bauern, die allerdings über keinen formellen Eigen-
tumstitel, sondern lediglich über Besitz verfügen. Doch auch wenn in vielen
afrikanischen und asiatischen Ländern Familien keine formellen Titel über das
von ihnen genutzte Land besitzen, so ist durch die Nutzung des Landes und die
Bestellung der Ackerflächen über Generationen hinweg das Landnutzungsrecht
praktisch von den Familien ersessen worden und wird in diesen Gesellschaften
so akzeptiert. Der Verkauf oder die langjährige Verpachtung dieses Landes
durch den Staat beschädigt dadurch den Schutzbereich des Eigentums und die
tradierten Nutzungsrechte der lokalen Bevölkerung.

Eigentum wird dabei als das umfassende Recht definiert, über Grundstücke in-
nerhalb der Grenzen der Rechtsordnung nach freiem Ermessen zu bestimmen.
Es ist gegen Übergriffe durch Staat oder Privatpersonen geschützt. Eigentum
durch Ersitzung in diesem Sinne ist nicht nur ein Freiheitsrecht, sondern auch
Ergebnis einer Lebensleistung und der Ertrag jahrelanger Arbeit. In Kontexten,
in denen Menschen ihr Land genommen wird und ihre Eigentumsrechte nicht
mehr gewährleistet sind, sind sie oft der Abhängigkeit ausgesetzt.

Eigentum ist sowohl auf internationaler als auch auf regionaler Ebene völker-
rechtlich geschützt. So schützt etwa der Internationale Pakt über wirtschaftliche,
soziale und kulturelle Rechte aus dem Jahr 1966 in Artikel 11 das Recht auf an-
gemesse Unterbringung und verbietet damit mittelbar das Vertreiben von Men-
schen aus ihren Behausungen. Auf regionaler Ebene schützen das Erste Zusatz-
protokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention, Artikel 21 der ame-
rikanischen Menschenrechtskonvention sowie Artikel 14 der Banjul Charter
ebenfalls das Eigentum. Lediglich die ASEAN Charter enthält keinen dahinge-
henden Schutz. Dieses Recht wird im Zuge der großflächigen Landnahme viel-
fach unterminiert. Dagegen vorzugehen wird für die Betroffenen zusätzlich er-
schwert, wenn Korruption in Verwaltung und Justiz die Inanspruchnahme wirk-
samer Rechtsmittel verhindert. Besonders betroffen sind in diesem Zusammen-
hang Frauen, die in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern faktisch kein
Recht auf Eigentum haben. Daher sind vor allem die nationalen Regierungen
und Verwaltungen aufgefordert, beim Verkauf oder bei der Verpachtung großflä-
chigen Acker- und Weidelands die Eigentums- und Nutzungsrechte der ansässi-
gen Bauern zu achten, ihre Teilhabe am weiteren Wertschöpfungsprozess sicher-
zustellen und die Verträge mit den Investoren dementsprechend auszugestalten.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich im Rahmen ihrer Außen- und Entwicklungspolitik weiterhin dafür einzu-
setzen, dass Besitz und Eigentum geschützt werden und insbesondere deutsche
Auslandsvertretungen zur Beobachtung dieser Thematik angehalten werden;

2. in Staaten, in denen es zu gravierenden und systematischen Verstößen gegen
das Recht auf Eigentum und tradierte Nutzungsrechte, einschließlich illegaler

Landnahme, kommt, offiziell zu protestieren und das Recht auf Eigentum
einzufordern;

Drucksache 17/5488 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
3. Verstöße gegen das Recht auf Besitz und Eigentum im Rahmen ihres Men-
schenrechtsberichts verstärkt zu thematisieren;

4. Staaten, die über keine ausreichenden gesetzlichen Vorschriften zum Schutz
von Besitz und Eigentum verfügen, dazu aufzufordern, diese Gesetzes-
lücken zu schließen und ihnen hierzu im Rahmen der Entwicklungszusam-
menarbeit und rechtsstaatlicher Instrumente wie des Rechtsstaatsdialogs
weiterhin Unterstützung bei der Ausgestaltung des Gesetzgebungsprozesses
sowie dessen administrativer Umsetzung, etwa in den Bereichen Immobiliar-
recht, Sachenrecht, Grundbuch-/Katasterwesen, Staatshaftungsrecht oder
Entschädigungsregelungen, anzubieten;

5. im Rahmen von Good-Governance-Maßnahmen denjenigen Staaten Unter-
stützung beim Aufbau eines effektiven Justizwesens anzubieten, die Defizite
bei der tatsächlichen Durchsetzung von Besitz und Eigentum aufweisen,
und damit diese Länder in die Lage zu versetzen, sowohl den öffentlich-
rechtlichen als auch den privatrechtlichen Schutz gegen unrechtmäßige Ein-
griffe in die Besitz- und Eigentumsrechte ihrer Bürger zu gewährleisten;

6. Staaten, in denen nur wenige Bürger über einen Großteil der Eigentums-
rechte verfügen, dabei zu unterstützen, ein transparentes und rechtsstaat-
liches Vergabesystem zu errichten, das es ermöglicht, Eigentum und lang-
fristige Bewirtschaftungsrechte zu erwerben und in diesem Zusammenhang
besonders Frauen Hilfestellung anzubieten;

7. im Rahmen der bestehenden Maßnahmen der Entwicklungszusammenar-
beit Partnerländer bei einer zukunftsorientierten Landnutzungsplanung zu
unterstützen, welche die Ernährung der Bevölkerung erheblich verbessert
sowie das Klima und die Ressourcen für nachkommende Generationen
schont;

8. Regierungen bei der Vertragsgestaltung mit ausländischen Investoren dahin-
gehend zu beraten, dass bei dem Verkauf oder der Verpachtung von Flächen
die Belange der betroffenen ortsansässigen Bevölkerung und die Risiken für
die Umwelt berücksichtigt werden;

9. deutsche Unternehmen bei nachhaltigen Investitionen in die Agrarwirt-
schaft von Entwicklungsländern aktiv zu unterstützen und sie für die Pro-
blematik der Landnahme weiter zu sensibilisieren;

10. sich gemeinsam mit den EU-Partnern auf der Ebene der Vereinten Nationen
(VN) für ein Zusatzprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und
politische Rechte einzusetzen, das den Schutz des Eigentums vor unberech-
tigten Eingriffen durch private Dritte oder den Staat garantiert und angemes-
sene Entschädigungen im Falle von Enteignungen vorschreibt;

11. das Recht auf Besitz und Eigentum im Rahmen des VN-Menschenrechtsrats
zu thematisieren;

12. im Rahmen der FAO und anderer internationaler Initiativen weiterhin
konstruktive Vorschläge bei der Ausgestaltung von freiwilligen Leitlinien
zur eigentumsgerechten Verwaltung von Boden- und Landnutzungsrechten
und anderen natürlichen Ressourcen einzubringen.

Berlin, den 13. April 2011

Volker Kauder, Gerda Hasselfeldt und Fraktion
Birgit Homburger und Fraktion

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