BT-Drucksache 17/5443

Der Nutzen gemischtwirtschaftlicher Unternehmen ohne weitergehende staatliche Einwirkungsmöglichkeiten

Vom 11. April 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5443
17. Wahlperiode 11. 04. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sahra Wagenknecht, Michael Schlecht, Johanna Voß
und der Fraktion DIE LINKE.

Der Nutzen gemischtwirtschaftlicher Unternehmen ohne weitergehende
staatliche Einwirkungsmöglichkeiten

Im Jahr 2009 war der Bund laut Beteiligungsbericht an 90 Unternehmen unmit-
telbar sowie an 483 Unternehmen mit einem Nennkapital von mindestens
50 000 Euro/Landeswährung (LW) und mindestens 25 Prozent Anteilsbeteili-
gung mittelbar beteiligt. Nach § 65 Absatz 1 Nummer 1 der Bundeshaushalts-
ordnung (BHO) soll der Bund sich nur dann an einem Unternehmen in privat-
rechtlicher Form beteiligen, wenn „ein wichtiges Interesse des Bundes vorliegt
und sich der vom Bund angestrebte Zweck nicht besser und wirtschaftlicher auf
andere Weise erreichen läßt“. Durch das sogenannte Ingerenzprinzip, d. h. die
Pflicht des Bundes, die öffentlichen Interessen wahrzunehmen, sind die Gebiets-
körperschaften gehalten, dieses öffentliche Interesse auch auszuüben. Deshalb
soll sich der Bund laut § 65 Absatz 1 Nummer 3 BHO nur an der Gründung eines
Unternehmens in einer Rechtsform des privaten Rechts oder an einem bestehen-
den Unternehmen in einer solchen Rechtsform beteiligen, wenn „der Bund einen
angemessenen Einfluß, insbesondere in Aufsichtsrat oder in einem entsprechen-
den Überwachungsorgan erhält“. Allerdings führen die übergeordneten Prinzi-
pien des öffentlichen Rechts nach heutiger Meinung nicht zu einem Vorrang für
eine Wahrnehmung der öffentlichen Interessen in einer Aktiengesellschaft. Ent-
scheidet sich der Bund für eine bestimmte Unternehmensform, gilt das entspre-
chende Recht. Aufgrund der unternehmensinternen Entscheidungsstrukturen
kann es sein, dass eine Steuerung des gemischtwirtschaftlichen Unternehmens
durch die öffentliche Hand nicht zwangsläufig möglich ist. So heißt es in der
Bundestagsdrucksache 16/5308: „Auf Veranlassung des Bundes gewählte Auf-
sichtsratsmitglieder handeln nicht ,im Namen der Bundesregierung‘ oder ,im Na-
men des Bundes‘. Jedes Mitglied des Aufsichtsrates ist als Teil dieses Gesell-
schaftsorgans der Gesellschaft gegenüber verpflichtet; dies ist Ausdruck der sich
aus der Bestellung ergebenden organschaftlichen Treuebindung.“ Ebenso kön-
nen die Aktionäre auf die operativen Vorstandsbeschlüsse keinen Einfluss neh-
men. Abgesehen von der Lockerung der Verschwiegenheitspflicht gemäß § 394
des Aktiengesetzes (AktG) der Aufsichtsratsmitglieder, die auf Veranlassung
einer Gebietskörperschaft in den Aufsichtsrat gewählt oder entsandt worden
sind, gegenüber den Körperschaften und abgesehen von den Abschlussprüfungs-
rechten nach § 53 des Haushaltsgrundsätzegesetzes (HGrG) bei einer Anteils-
mehrheit der Gebietskörperschaften, hat der Bund, wie andere Mehrheitsgesell-
schafter auch, nur die Möglichkeit, sein Gewicht über die Hauptversammlung
geltend zu machen. Deren Zuständigkeiten sind allerdings eng begrenzt. Jedoch
kann der Bund weitergehende Kontroll- und Einwirkungsmöglichkeiten im Vor-
feld vertraglich verankern. Er kann darauf hinwirken, eine Einschränkung der
Gewinnerzielungsabsicht zu Gunsten anderer Zwecke ausdrücklich in der Satzung

Drucksache 17/5443 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
festzulegen oder zu bestimmen, dass bestimmte Arten von Geschäften nur mit
Zustimmung des Aufsichtsrates vorgenommen werden dürfen (§ 111 Absatz 4
Nummer 2 AktG). Ebenso kann der Bund sich dafür einsetzen, einen Beherr-
schungsvertrag abzuschließen und sich dadurch Weisungsrechte verschaffen. In-
soweit in der Praxis Defizite bezüglich der Absicherung von Kontroll- und Ein-
wirkungsmöglichkeiten bestehen sollten, liegt es laut gesellschaftsrechtlicher
Lehre vor allem daran, dass der Staat bestehende Ingerenzmöglichkeiten nicht
nutzt.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. In wie vielen Unternehmen war der Bund in den Jahren 2000 bis 2010 je-
weils mit einem Anteilsbesitz von 25 bis 50 Prozent sowie von über 50 Pro-
zent beteiligt (bitte tabellarische Angaben aufgeschlüsselt nach mittelbaren/
unmittelbaren Beteiligungen)?

2. In wie vielen Unternehmen war der Bund in den Jahren 2000 bis 2010 je-
weils mittelbar oder unmittelbar mit unter 25 Prozent Anteilen oder einem
Nennkapital von weniger als 50 000 Euro/LW beteiligt (bitte in den Kate-
gorien mittelbar/ unmittelbar und Anteilsbeteiligung unter 25 Prozent sowie
Nennwert unter 50 000 Euro/LW angeben)?

3. Welche Gründe sprechen nach Ansicht der Bundesregierung für eine öffent-
liche Beteiligung mit 25 Prozent Anteilsbesitz und weniger, obwohl unter-
halb dieser Schwelle nicht einmal eine Sperrminorität vorliegt?

4. Inwieweit wird bei der Entscheidung über unmittelbare oder mittelbare Be-
teiligungen des Bundes § 65 Absatz 1 BHO, insbesondere Nummer 3, be-
rücksichtigt?

5. In wie vielen bzw. in welchen Unternehmen mit öffentlicher Beteiligung
(AG und GmbH) wurde auf Initiative der staatlichen Anteilseigner eine Ein-
schränkung der Gewinnabzielungsabsicht zu Gunsten anderer Zwecke in
der Satzung verankert, und wie lautet dieser Gesellschaftszweck jeweils?

6. In wie vielen bzw. in welchen Unternehmen mit öffentlicher Beteiligung
(AG und GmbH) wurde ein Beherrschungsvertrag geschlossen?

7. Sitzen in allen Aktiengesellschaften mit staatlicher Beteiligung Vertreter
der Bundesregierung im Aufsichtsrat?

Wenn nein, in welchen nicht, und wie lautet die jeweilige Begründung für
die Nichtvertretung im Aufsichtsrat?

8. Teilt die Bundesregierung die Ansicht, dass ein wichtiges Bundesinteresse
als Voraussetzung für eine Bundesbeteiligung in Aktiengesellschaften auf-
grund des Gesellschaftsrechts nur durchzusetzen ist, wenn klare Kontroll-
und Einwirkungsmöglichkeiten vertraglich verankert wurden?

Wenn nein, warum nicht?

9. Wie hoch waren die jährlich ausgeschütteten Gewinne aus öffentlichen Be-
teiligungen, unterteilt nach Gebietskörperschaften, in den Jahren 2000 bis
2010?

10. Hält die Bundesregierung hohe Gewinnausschüttungen bei Unternehmen
mit staatlicher Beteiligung im öffentlichen Interesse für sinnvoll?

Wenn ja, nach welchem Konzept wird die öffentliche Gewinnerzielungsab-
sicht gegen andere Ziele abgewogen?

Berlin, den 11. April 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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