BT-Drucksache 17/5425

zu dem Antrag der Abgeordneten Josip Juratovic, Anton Schaaf, Anette Kramme, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD -17/4530- Faire Mobilität und soziale Sicherung - Voraussetzungen für die Arbeitnehmerfreizügigkeit ab 1. Mai 2011 schaffen

Vom 8. April 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5425
17. Wahlperiode 08. 04. 2011

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Josip Juratovic, Anton Schaaf,
Anette Kramme, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
– Drucksache 17/4530 –

Faire Mobilität und soziale Sicherung – Voraussetzungen für die Arbeitnehmer-
freizügigkeit ab 1. Mai 2011 schaffen

A. Problem

Mit Blick auf die Erfahrungen anderer EU-Staaten mit der Arbeitnehmerfrei-
zügigkeit fordert die Fraktion der SPD zum 1. Mai 2011 gesetzliche Regelun-
gen, um Lohn- und Sozialdumping zu verhindern. Das Prinzip „Gleicher Lohn
für gleiche Arbeit“ müsse durchgesetzt werden. Wegen der bestehenden Ein-
kommensdifferenzen zwischen neuen und alten Mitgliedstaaten dürften Arbeit-
nehmer aus den neuen Mitgliedstaaten voraussichtlich bereit sein, zu schlechte-
ren Lohn- und Arbeitsbedingungen zu arbeiten. Zu den geforderten Maßnahmen
gehören die Aufnahme aller Branchen in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz
(AEntG), ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn als Lohnuntergrenze,
Änderungen im Vergaberecht und eine wirksame Kontrolle der Einhaltung
durch die Finanzkontrolle Schwarzarbeit.

B. Lösung

Ablehnung des Antrags mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU
und FDP gegen die Stimmen der Fraktionen SPD, DIE LINKE. und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

C. Alternativen

Annahme des Antrags.
D. Kosten

Kostenerörterungen wurden nicht angestellt.

Drucksache 17/5425 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,

den Antrag auf Drucksache 17/4530 abzulehnen.

Berlin, den 6. April 2011

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales

Katja Kipping Brigitte Pothmer
Vorsitzende Berichterstatterin

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales hat die Beratung der Chance, zumindest einen Teil der in Deutschland besonders

Vorlagen auf den Drucksachen 17/4530 und 17/5177 in sei-
ner 54. Sitzung am 16. März 2011 und seiner 58. Sitzung am
25. März 2011 aufgenommen und die Durchführung einer

durch den demografischen Wandel entstehenden Fachkräfte-
lücke zu schließen. Allerdings sei wegen der dynamischen
Wirtschaftsentwicklung in den EU8-Staaten nicht mit einem
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/5425

Bericht der Abgeordneten Brigitte Pothmer

I. Überweisung

Der Antrag auf Drucksache 17/4530 ist in der 87. Sitzung
des Deutschen Bundestages am 27. Januar 2011 an den Aus-
schuss für Arbeit und Soziales zur federführenden Beratung
und an den Rechtsausschuss, den Ausschuss für Wirtschaft
und Technologie, den Ausschuss für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz sowie den Ausschuss für die
Angelegenheiten der Europäischen Union zur Mitberatung
überwiesen worden.

II. Voten der mitberatenden Ausschüsse

Der Rechtsausschuss, der Ausschuss für Wirtschaft und
Technologie, der Ausschuss für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz sowie der Ausschuss für
die Angelegenheiten der Europäischen Union haben den
Antrag auf Drucksache 17/4530 in ihren Sitzungen am
6. April 2011 beraten und gleichlautend mit den Stimmen
der Fraktionen der CDU/CSU und FDP gegen die Stimmen
der Fraktionen SPD, DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN dem Deutschen Bundestag die Ablehnung der
Vorlage empfohlen.

III. Wesentlicher Inhalt der Vorlage

Die Fraktion der SPD fordert, dass politisch die Maxime
„Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ durchgesetzt werde.
Nach wie vor bestünden Einkommensdifferenzen zwischen
neuen und alten Mitgliedstaaten. Arbeitnehmer aus den neu-
en Mitgliedstaaten dürften voraussichtlich dazu bereit sein,
auch zu schlechteren Lohn- und Arbeitsbedingungen in
Deutschland zu arbeiten. Daher müssten Maßnahmen getrof-
fen werden, um Lohn- und Sozialdumping zu verhindern,
insbesondere in der grenzüberschreitenden Leiharbeit. Es
dürfe keine Ausweitung von prekärer Beschäftigung und des
Niedriglohnsektors geben. Alle Branchen müssten ins Ar-
beitnehmer-Entsendegesetz (AEntG) aufgenommen und
Scheinselbständigkeit unterbunden werden. Ein flächen-
deckender gesetzlicher Mindestlohn solle eine Lohnunter-
grenze setzen. Zudem müsse das EU-Vergaberecht hinsicht-
lich der Zulässigkeit ökologischer und sozialer Kriterien
erweitert werden. Darüber hinaus müsse die Finanzkontrolle
Schwarzarbeit wegen ihrer gewachsenen Aufgaben mehr
Mitarbeiter bekommen. Weiter solle beim Einsatz von ent-
sandten Arbeitskräften eine Generalunternehmerhaftung
eingeführt und die Registrierung von Entsendung bei der
Sozialversicherung zur Pflicht werden. Auf europäischer
Ebene solle sich die Bundesregierung für eine Reform der
Entsenderichtlinie einsetzen.

IV. Öffentliche Anhörung von Sachverständigen

Die Teilnehmer der Anhörung haben schriftliche Stellung-
nahmen abgegeben, die in der Ausschussdrucksache
17(11)477 zusammengefasst sind.

Folgende Verbände, Institutionen und Einzelsachverständige
haben an der Anhörung teilgenommen:

● Deutscher Gewerkschaftsbund,

● Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände,

● Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung,

● Beratungsbüro für entsandte Beschäftigte,

● Deutsche Rentenversicherung Bund,

● Deutsche Verbindungsstelle Krankenversicherung –
Ausland,

● Prof. Dr. Frank Bayreuther,

● Dr. Frank Lorenz.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) erwartet von der
vollständigen Öffnung des EU-Arbeitsmarktes im Rahmen
der Arbeitnehmerfreizügigkeit kaum Verdrängungseffekte –
sofern es um sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in
tarifgebundenen Betrieben geht. Anders sehe dies bei der
Aufnahme einer prekären Beschäftigung aus. Insbesondere
in den Bereichen der Leiharbeit, der Entsendung und der
Niederlassungsfreiheit müssten rechtliche Regelungen zur
Verhinderung ausbeuterischer Arbeitsbedingungen und von
Lohndumping geschaffen und durchgesetzt werden. Der
DGB sieht die Gefahr von Lohndumping insbesondere in
Bereichen mit niedriger Tarifbindung und fordert als Gegen-
maßnahme, einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn in
Höhe von 8,50 Euro einzuführen. Die Anträge der Fraktio-
nen SPD und DIE LINKE. griffen die Forderung auf. Zudem
müssten alle Branchen ins Arbeitnehmer-Entsendegesetz
aufgenommen werden. Eine umfassende Kontrolle der Ein-
haltung von Mindestlohn und Arbeitsbedingungen sei nötig,
die Mitarbeiterschaft der Finanzkontrolle Schwarzarbeit ent-
sprechend aufzustocken. Grundsätzlich sei das Grundrecht
auf Arbeitnehmerfreizügigkeit aber ein wesentliches Ele-
ment der Europäischen Union und eine Einschränkung nur
dann zu vertreten, wenn schwerwiegende Nachteile für den
Arbeitsmarkt zu befürchten seien. Zudem seien angesichts
der vorhandenen Fremdenfeindlichkeit Maßnahmen zur
Aufklärung der Bevölkerung erforderlich. Der Schutz von
Beschäftigten aus den Ländern Mittelosteuropas erfordere
darüber hinaus eine umfassende Beratung der Unternehmen,
der Betriebs- und Personalräte sowie der Beschäftigten
selbst.

Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberver-
bände (BDA) verweist darauf, dass die Arbeitnehmerfreizü-
gigkeit für einen erfolgreichen Binnenmarkt genauso wich-
tig sei wie die übrigen Grundfreiheiten. Sie biete auch die
öffentlichen Anhörung beschlossen. Diese fand für beide
Vorlagen in der 60. Sitzung am 4. April 2011 statt.

großen Ansturm auf den deutschen Arbeitsmarkt zu rechnen.
Das gelte speziell für Fachkräfte und Hochqualifizierte. Ins-

Drucksache 17/5425 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

gesamt rechne die BDA nicht damit, dass es nach dem 1. Mai
2011 zu Nachteilen auf dem deutschen Arbeitsmarkt kom-
me. Ängste vor der Freizügigkeit seien entsprechend unbe-
gründet, ebenso die Forderung nach pauschalen Einschrän-
kungen wie durch die Einführung eines flächendeckenden
Mindestlohns.

Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung
(IAB) warnt, dass Prognosen über die Auswirkungen der Ar-
beitnehmerfreizügigkeit ab dem 1. Mai 2011 auf Deutsch-
land mit erheblichen Unsicherheiten verbunden seien. Die
Zuwanderung nach Großbritannien und Irland spreche aber
dafür, dass die nach Deutschland kommenden Zuwanderer
überwiegend jung, gut qualifiziert und motiviert seien. Die
Erwerbsquote dieser Migranten in Großbritannien übertreffe
mit 83 Prozent den Wert der Einheimischen. Mit gravieren-
den negativen Auswirkungen durch die Öffnung der Arbeits-
märkte ab dem 1. Mai 2011 rechnet das IAB nicht. Diese füh-
re zu einer Erhöhung des Bruttoinlandsprodukts. Vorüberge-
hend träten allerdings eine etwas erhöhte Arbeitslosigkeit
und sinkende Löhne auf. Ein Großteil der Anpassungslast
werde aber wegen ihrer niedrigeren Entlohnung von den
Migranten selbst getragen werden. Zu den Verlierern Öff-
nung des Arbeitsmarktes würden unter den inländischen
Arbeitnehmern voraussichtlich diejenigen gehören, deren
Tätigkeit relativ leicht von EU8-Migranten übernommen
werden könne. Das Jobrisiko eines allgemeinen gesetzlichen
Mindestlohns, wie in den Anträgen gefordert, hält das IAB
dann für gering, wenn dieser moderat ausfalle. Ein Mindest-
lohn von 10 Euro und mehr lasse dagegen Jobverluste insbe-
sondere in Ostdeutschland erwarten.

Das Beratungsbüro für entsandte Beschäftigte begrüßt
auf der Grundlage seiner Erfahrungen die Forderung nach
der Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Min-
destlohnes sowie nach Abgrenzung zwischen Selbständig-
keit und abhängiger Beschäftigung nach den Maßstäben des
Ziellandes. Es habe sich jedoch herausgestellt, dass trotz der
Geltung des allgemeinverbindlichen Mindestlohnes in Bran-
chen wie Bau oder Pflege und seiner Anwendung kraft des
Arbeitnehmer-Entsendegesetzes für die Arbeitnehmer und
Arbeitnehmerinnen aus dem EU-Ausland rechtliche Lücken
bestünden. Die Unternehmen nutzten diese häufig und
gerne, um die Mindestlohngrenze zu unterschreiten. Dabei
komme es vor, dass die Beschäftigten durch eine andere
Bezeichnung ihrer Tätigkeit aus dem Geltungsbereich des
Branchenmindestlohns herausgenommen würden. Ferner
werde die „Scheinselbständigkeit“ häufig zur Umgehung des
bestehenden Mindestlohnes genutzt. Da jedoch in diesen
Fällen für die Feststellung einer abhängigen Beschäftigung
das Recht des Herkunftslandes berücksichtigt werden müs-
se, sei ein wirksamer Schutz der Beschäftigten erschwert.
Darüber hinaus begrüße man den Antrag auf stärkere Kon-
trollen durch den Ausbau der Kapazitäten der Finanzkontrol-
le Schwarzarbeit. Aufgrund der Vielzahl von Missbrauchs-
fällen, mit denen auch die Beratungsstelle innerhalb kurzer
Zeit konfrontiert worden sei, bestehe der Eindruck, dass die
bisherige Kontrolldichte nicht ausreiche.

Die Deutsche Rentenversicherung Bund (DVR Bund) be-
urteilt die angestrebten Änderungen im Wesentlich als über-
flüssig oder bereits erfüllt. So sei das Problem der Schein-

Arbeitnehmer aus den zum 1. Mai 2004 beigetretenen osteu-
ropäischen Ländern. Da diese Beschränkungen mit dem
1. Mai 2011 entfielen und dann auch abhängig Beschäftigte
voll freizügigkeitsberechtigt seien, werde sich das Problem
der Scheinselbständigkeit ab diesem Zeitpunkt voraussicht-
lich zumindest reduzieren. Die angestrebte zusätzliche Re-
gistrierung von Entsendungen bei der Sozialversicherung
werde aktuell durch den Entwurf eines Gesetzes zur Koordi-
nierung der Systeme der sozialen Sicherheit in Europa und
zur Änderung anderer Gesetze eingeführt, das sich derzeit in
der Gesetzgebung befinde. Die Datei der Datenstelle umfas-
se derzeit ca. 644 000 Entsendevorgänge, die für Prüfbehör-
den, die Finanzkontrolle Schwarzarbeit, den Betriebsprüf-
dienst der Deutschen Rentenversicherung sowie die Träger
der gesetzlichen Unfallversicherung in elektronischer Form
abrufbar seien. Mit dem derzeit im Gesetzgebungsverfahren
befindlichen Entwurf eines Gesetzes zur Koordinierung der
Systeme der sozialen Sicherheit in Europa und zur Änderung
anderer Gesetze sollten zudem die Tatbestände, aufgrund
derer eine Erfassung in dieser Datei erfolge, über die Entsen-
dungen hinaus auch auf den Bereich der sogenannten Mehr-
fachbeschäftigten ausgeweitet werden. Mehrfachbeschäftigt
sei eine Person, die gleichzeitig oder nacheinander gewöhn-
lich in mindestens zwei Mitgliedstaaten eine Beschäftigung
ausübe. Auf diese Personen fänden regelmäßig die Rechts-
vorschriften des Wohnmitgliedstaats Anwendung.

Die Deutsche Verbindungsstelle Krankenversicherung –
Ausland (DVKA) schließt sich der Stellungnahme der DRV
Bund inhaltlich dahingehend an, dass einer Abgrenzung zwi-
schen Selbständigkeit und abhängiger Beschäftigung im
Zielland der Entsendung nach dessen Maßstäben der
Artikel 14 Absatz 4 der Verordnung (EG) Nr. 987/09 entge-
genstehe. Des Weiteren ist es nach der Ansicht der DVKA
nicht möglich, eine Generalunternehmerhaftung beim Ein-
satz von entsandten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern
einzuführen, wie sie beispielsweise § 14 AEntG oder für das
Baugewerbe § 28e Absatz 3a bis 3e des Vierten Buches
Sozialgesetzbuch i. V. m. § 150 Absatz 3 des Siebten Buches
Sozialgesetzbuch vorsehe. Dem stehe der Artikel 12 der Ver-
ordnung (EG) Nr. 883/04 entgegen. Hiernach könnten die
Rechtsvorschriften des deutschen Sozialgesetzbuchs auf ei-
nen entsandten Arbeitnehmer und dessen Arbeitgeber nicht
angewendet werden, wenn der entsandte Arbeitnehmer aus
einem EU-Mitgliedstaat stamme und die weitere Anwen-
dung der Rechtsvorschriften seines Herkunftsstaats mittels
der Entsendebescheinigung A 1 nachweisen könne. Eine all-
gemeine Generalunternehmerhaftung beim Einsatz von ent-
sandten Arbeitskräften würde daher nur bei Änderung der
entsprechenden EG-Verordnung in Betracht kommen.

Der Sachverständige Prof. Dr. Frank Bayreuther erwartet
keine unlösbaren Schwierigkeiten auf dem deutschen Ar-
beitsmarkt durch die vollständige Herstellung der Arbeit-
nehmerfreizügigkeit und der Dienstleistungsfreiheit. Beglei-
tende gesetzliche Regelungen seien aber zu empfehlen, um
der Situation ab dem 1. Mai 2011 besser gerecht zu werden.
Zunächst sei eine Anpassung des Arbeitnehmerüberlas-
sungsgesetzes (AÜG) geboten, weil die grenzüberschreiten-
de Arbeitnehmerüberlassung ab dem 1. Mai 2011 deutlich
an Bedeutung gewinnen werde. Für die Leiharbeitsbranche
empfehle sich die rasche gesetzliche Normierung eines
selbstständigkeit vor allem eine Reaktion auf die
Freizügigkeitsbeschränkungen für Arbeitnehmerinnen und

Mindestlohns. Jedoch seien die diesbezüglich angestrebten
Regelungen ergänzungsbedürftig. So seien die Sanktionen

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/5425
bei einer Unterschreitung des Mindestlohns zu schwach aus-
gestaltet. Entscheidende Reaktionsmöglichkeiten, wie die
Verhängung von Geldbußen über 500 000 Euro gegen den
Entleiher oder der Ausschluss des Entleihers vom öffent-
lichen Vergabeverfahren, fehlten. Ferner solle der Entleiher
mit Einschränkungen als Bürge für die Mindestlohnansprü-
che der Leiharbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer in An-
spruch genommen werden können. Darüber hinaus müsse
eine an § 15 AEntG angelehnte Gerichtsstandbestimmung
im AÜG eingeführt werden, damit nach Deutschland entlie-
hene ausländische Beschäftigte ihre Ansprüche auf Min-
destlohn und Gleichbehandlung vor deutschen Arbeitsge-
richten einklagen könnten.

Der Sachverständige Dr. Frank Lorenz empfiehlt die Wie-
dereinführung der allgemeinen, gewerberechtlichen Melde-
pflicht, um eventuelle Umgehungen durch eine scheinbar
selbständige Tätigkeit zu vermeiden. Des Weiteren sei vor
einer Verwässerung der Abgrenzung zwischen Niederlas-
sungsfreiheit, die eine kontinuierliche Tätigkeit von einiger
Dauer zum Gegenstand habe, und der Dienstleistungsfrei-
heit, welche durch einen vorübergehenden Charakter ge-
prägt sei, zu warnen. Eine unklare Abgrenzung werde künf-
tig dem Missbrauch Vorschub leisten. Daher sei es notwen-
dig, gesetzliche Mindestkriterien zur Abgrenzung der bei-
den Grundfreiheiten aufzustellen. Besondere Probleme gebe
es in der grenzüberschreitenden Leiharbeit. Das AÜG be-
dürfe daher einer Novellierung. Der Entwurf eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des AÜG enthalte bereits einige
Neuerungen, die geeignet erschienen, Missbrauchsfällen
vorzubeugen. Gleichwohl seien die Kernprobleme der Ent-
geltdifferenz und der Abgrenzung von Dienst- und Werkver-
trägen nur unzureichend bzw. gar nicht gelöst worden. Es
müsse vielmehr eine Vermutungsregelung in das AÜG auf-
genommen werden, nach der bei Arbeitsleistungen, die bis-
her von den Beschäftigten des Entleihers ausgeführt worden
seien, vermutet werde, dass es sich um Arbeitnehmerüber-
lassung handele.

Für weitere Details wird auf die gesammelten Stellungnah-
men auf Ausschussdrucksache 17(11)477 verwiesen.

V. Beratungsverlauf und Beratungsergebnisse
im federführenden Ausschuss

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales hat den Antrag auf
Drucksache 17/4530 in seiner 61. Sitzung am 6. April 2011
abschließend beraten und mit den Stimmen der Fraktionen
der CDU/CSU und FDP gegen die Stimmen der Fraktionen
SPD, DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dem
Deutschen Bundestag die Ablehnung des Antrags empfoh-
len.

Die Fraktion der CDU/CSU wies darauf hin, dass die Ent-
wicklung nach dem 1. Mai 2011 nicht absehbar sei. Migra-
tionsprognosen seien allgemein mit hohen Unsicherheiten
behaftet. Überwiegend werde erwartet, dass die Zuwande-
rung aus den EU8-Staaten zwar steigen, jedoch begrenzt
bleiben werde. Ein „Ansturm“ werde nicht erwartet. Für die-
se Einschätzung würden Erfahrungen anderer Mitgliedstaa-
ten und Entwicklungen in der Übergangszeit sprechen. Man
müsse gewappnet sein, unabhängig davon, wie viele Arbeit-
nehmer aus dem EU-Ausland dann eine Arbeit in Deutsch-

land aufnehmen würden. Man warne aber vor Panikmache.
Die Europäer, die dann kämen, seien willkommen. Der An-
trag wiederhole lediglich die schon bisher immer wieder
gestellten Forderungen, wie die nach einem allgemeinen ge-
setzlichen Mindestlohn und der Ausweitung des Arbeitneh-
mer-Entsendegesetzes auf alle Branchen. Aus diesen Bran-
chen lägen aber keine Anträge darauf vor. Man könne sie
nicht gegen ihren Willen „beglücken“. Mindestlöhne nach
dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz würden insbesondere
schon für die Branchen Bau und Gebäudereinigung gelten,
wo zum 1. Mai 2011 letzte Beschränkungen für die Arbeit-
nehmerentsendung wegfallen würden. Weitere Branchen-
mindestlöhne würden für Sicherheitsdienstleistungen sowie
in der Weiterbildung angestrebt. Auch die von den Antrag-
stellern geforderte Ausweitung von Beratungskapazitäten
und Kontrollen sei offensichtlich nicht erforderlich, wie die
Anhörung ergeben habe. Man werde den Antrag daher
ablehnen.

Die Fraktion der SPD kritisierte die Untätigkeit der Bun-
desregierung. Der Termin der vollen Arbeitnehmerfrei-
zügigkeit in der EU stehe nunmehr kurz bevor und Ein-
schränkungen im Bereich der Dienstleistungsfreiheit
entfielen. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die dann
nach Deutschland kämen, seien willkommen – dazu gehör-
ten auch die entsandten Beschäftigten. Sie benötigten aber
Schutzregelungen, um dem Wettbewerb auf dem Arbeits-
markt nicht völlig ausgeliefert zu sein. Andernfalls werde es
zu Lohn- und Sozialdumping kommen, wie es die bisherige
Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland bereits
gezeigt habe. Das müsse verhindert werden. Informationen
seien nötig. Man dürfe sich angesichts der Befürchtungen in
der eigenen Bevölkerung auch nicht hinter vermeintlicher
Rechtssicherheit verstecken, sondern müsse handeln. Daher
habe die Fraktion der SPD in ihrem Antrag die dringend be-
nötigten Maßnahmen eingefordert.

Die Fraktion der FDP befürchtete keine Verwerfungen auf
dem Arbeitsmarkt nach dem 1. Mai 2011. Es gebe keinen
Grund zur Sorge, also auch keinen, dem Antrag der Fraktion
der SPD zuzustimmen. Vermutlich werde sich durch die vol-
le Arbeitnehmerfreizügigkeit ohnehin nur sehr wenig än-
dern. Leider werde dadurch aber auch der Facharbeiterman-
gel in Deutschland voraussichtlich nicht merklich gelindert.
Die Zuwanderungsdebatte bleibe also weiterhin dringend
nötig.

Die Fraktion DIE LINKE. forderte ebenfalls eine Auswei-
tung der Schutzrechte für Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer. Dazu benötige man einen allgemeinen gesetzlichen
Mindestlohn, aber auch erheblich mehr Beratung und Infor-
mationen für entsandte Beschäftigte als bisher. Das Land
Berlin habe dafür ein ausgezeichnetes Modell geschaffen,
das beim DGB angesiedelt sei. Dies müsse dauerhaft finan-
ziell abgesichert und mit weiteren Beratungsstellen über
Berlin hinaus ausgebaut werden.

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN warf die Frage
auf, warum die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit so lange wie
möglich aufgeschoben worden sei – wenn es denn wirklich
keinen Grund zur Sorge gebe. Man hätte die Freizügigkeit
schon längst einlösen, den Arbeitsmarkt aber auch darauf
vorbereiten sollen. Die meisten anderen europäischen Staa-

Drucksache 17/5425 destag – 17. Wahlperiode
– 6 – Deutscher Bun

ten hätten längst einen allgemeinen gesetzlichen Mindest-
lohn, der in Deutschland noch immer fehle. Besonders Ge-
ringqualifizierte müssten so zunehmenden Druck auf ihre
ohnehin schon schmalen Löhne befürchten. Sie würden ohne
diese Schutzrechte absehbar zu den Verlierern des zusam-
menwachsenden Europas zählen. Um das zu verhindern, rei-
che ein Mindestlohn allein für die Leiharbeit nicht aus.
Eigentlich brauche man dafür Equal Pay.

Berlin, den 6. April 2011

Brigitte Pothmer
Berichterstatterin

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